Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.

3.

[ Nachdruck verboten.j

Der alte Sof.

Erzählung.

Bon Johannes Schlaf . VIII.

Diese Stimmung war nun allerdings nur vorüber: gehend. Immer wieder mußte ich mich nämlich an ihr Be­nehmen erinnern, als sie an jenem Abend von ihrem be­trunkenen Vater mißhandelt wurde. Noch schärfer hatte fich mir der Ausdruck ihres Gesichtchens eingeprägt da­mals, als ich ihren Vater die Treppen hinaufführte. Und dann muß ich sagen, hatte auch das Porträt einen Ein­druck auf mich gemacht. Das alles regte mein Interesse immer wieder an.

Hunderte und Tausende stehen stumpf, gleichgültig oder leichtsinnig mitten im Elend. Wenn sie zu denen gehört hätte, so hätte sie mir nichts nüßen können.

Seitdem ich ihr das Packet heraufgetragen hatte, hatte sich nun ein nachbarlicher Verkehr zwischen uns ge­bildet. Sie las gern und ich verschaffte ihr Bücher. Das gab mir Gelegenheit, zu ihr hinüberzugehen und mit ihr zu sprechen.

Sonnabend, den 18. Januar 1890.

IV. Jahrgang.

,, Ich habe mir so manchmal meine Gedanken gemacht, Ich bin der festen Meinung; meine innere Unzufrie= wenn die Leute in die Kirche gehen, oder wenn ich Sonn- denheit wurde zu einem großen Theile damals mit dadurch tags hier saß und hörte, wie sie drüben läuteten!.... verursacht, daß ich so vieles entbehren mußte und daß ich Ich gehe nie in die Kirche!... Ich hätte auch dazu nicht dazu nicht die nöthige innere Kraft hatte. einmal Zeit! Denn, sehen Sie! Erstens habe ich hier Nun! Ich hatte diesmal noch eine für meine da­immer meine Arbeit und dann muß ich auch noch die maligen Verhältnisse ansehnliche Summe in der Tasche Wirthschaft in Stand halten und sorgen, daß es der und war seelenvergnügt, wieder einmal einige Zeit in der Bater bequem hat, denn er wird ja doch nun auch schon Lage zu sein, Geld ausgeben zu können. alt und ist manchmal recht kränklich!... Sehen Sie, habe ich schon gar keine Zeit!"

da

Nein! ihr hättet nur hören müssen, wie sie das sagte. Manchmal kann sich hinter solchen ungläubigen Reden eine Art geheimer Anklage verstecken. Aber, ich kann euch versichern, es war hier auch nicht eine Spur davon vor handen, nicht die allerleiseste Spur.

" Na, und sehen Sie! Es hat doch auch noch kein Mensch Gott gesehen. Wie kommt man denn nur darauf anzunehmen, daß er da ist? Nicht wahr?"

Ich ging zu ihr hinüber. Sie war allein. Ihr Vater war auch Sonntags nicht zu Hause.

Heute müssen Sie mal eine Landparthie mit mir

machen!"

Ich entwickelte ihr nun mein Programm, froh, ihr einmal eine Freude machen zu können.

Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen! Aber es geht leider nicht!"

"

Es geht nicht?!"

Ich war sehr enttäuscht, beinahe verletzt. ,, Nein! Sehen Sie..."

,, Aber Sie können doch hier nicht ewig über Ihrer Nähmaschine ſizen! Dabei müssen Sie ja krank werden! Den ganzen Tag fißen Sie hier und sehen weiter nichts Aber als diesen alten abscheulichen Hof!"

Nein! Sehen Sie!.. Sie müssen mir das nicht übel nehmen! Aber erstens habe ich heute hier noch die Taillen fertig zu machen und dann.. dann würde es auch mein Vater nicht. gern sehen, wenn ich mit Ihnen oder irgend jemand eine Parthie machte!" ,, Nicht gern sehen?!"

"

Nein! Er ist darin so wunderlich."

Aber das ist ja doch thöricht von ihm!"

Ja! Es ist vielleicht übertrieben! Aber er ist nun einmal so und ich möchte ihm doch nicht Veranlassung geben, daß er sich ärgert."

Das würde frivol klingen, nach einer gewissen Art von albernem Skeptizismus, wenn es jeder andere gesagt Das war es ja aber. Ich war hülfebedürftig wie hätte. Viele bilden sich etwas darauf ein, wenn sie der ein Kind. Ich bedurfte im Grunde damals eines Menschen, gleichen Reden mit einer gewissen Force zu Tage fördern der bewußt im Elend steht, der ihm gegenüber sehr und das sind die allerschwächsten Musikanten! empfindlich ist und der sich doch ihm gegenüber behaupten ihr hättet es nur von ihr hören sollen! Dieser kindliche kann. Wie das möglich sei, das mußte ich kennen lernen, Empirismus war rührend; ach viel mehr: er war groß denn ich meinerseits war zwar dem Elend gegenüber äußerst artig, wenn ich ihre Lage in betracht zog... Sie hatte empfindlich, wohl zu sehr: aber ich wußte nicht, wie ich das alles so einfach, so schlicht, so selbstverständlich gesagt. mich mit ihm abfinden könnte. Ich hatte tausend Fragen, ,, Sehen Sie! Da beten die Leute!... Aber das auf die ich keine Antwort wußte. Das machte meinen reden sie doch alles in die blaue Luft hinein. Wissen inneren Zustand so unerträglich, das rieb mich auf Sie, das kommt mir manchmal ganz widersinnig vor!... und dann habe ich bemerkt, daß solche Leute, wenn sie auch immer beten und in die Kirche gehen, nicht besser sind wie andere. Ja, manchmal sind sie so schwach: sie verlieren gleich bei allem den Muth. Weil sie sich immer auf Gott verlassen, denken sie, alles geht von allein. Aber das könnte er Ihnen doch wahrhaftig gönnen! Und dann heißt es auch immer: Gott ist gut. Er ver- Das ist ja doch die reine Barbarei von Ihrem Vater!" läßt den Menschen nicht... Aber da brauchen Sie sich Oh! Er meint es in seiner Art gut! Er ist nur blos einmal die Leute hier hinten auf dem Hofe anzusehen! darin etwas übertrieben; aber nur, weil er sich für mich All das Elend! Na!.... Warum ist denn das nun? sehr sorgt." Das sind doch alles weiter nichts als Redensarten, was Ich antwortete ihr nicht. Für mich sorgt", dachte man so von Gott sagt!" ich. Das kann doch unmöglich ihr Ernst sein. Sollte Ihr werdet das alles findlich, vielleicht kindisch nennen. fie etwa Angst vor ihm haben? Lieber Himmel! Ja! Gott ist tausendfach viel geistreicher Ihr werdet sehen, wie thöricht diese Annahme von Das machte einen tiefen Eindruck auf mich. und scharfsinniger geläugnet worden. Aber ihr müßt das mir war und wie wenig ich sie noch verstand. Ich hätte ihr zu Füßen fallen können. Ich hatte in bedenken, daß fie ihn ja noch nicht einmal läugnete, son­diesem Augenblicke ein so unendliches Mitleid mit ihr und dern daß fie fich eigentlich nur wunderte, daß man auf zugleich eine so große Achtung vor ihr, weil es ihr un- eine so sonderbare, den Thatsachen, die sie allein kannte, angenehm gewesen war, in ihrem Schmerze überrascht so widersinnige Art auf die Idee von einem Gott kommt. ihrer zu sein.

Eines Abends hatte ich wieder eine furchtbare Szene, die ihr ihr Vater gemacht hatte, mit anhören müssen und den Tag darauf ging ich, unter Herzklopfen, zu ihr hinüber.

Sie saß am Fenster über ihre Nähmaschine gebückt und ich merkte auf der Stelle, daß sie geweint hatte. Sie war auch verlegen und sah mich bei meinem Eintreten bei­nahe erschrocken an.

Ihr Gesichtchen war bleich und abgespannt. Sie hatte sicher die ganze Nacht nicht geschlafen und doch han­tirten ihre mageren, weißen Hände so fleißig und uner müdlich und die kleine Fußspiße unten auf dem Tritt der Maschine ruhte nicht einen Augenblick.

Ich führte mit ihr eine gezwungene Unterhaltung über allerlei Aeußerlichkeiten, über die Bücher, die ich ihr geliehen hatte und dergleichen.

Ich hielt dabei ein Buch in den Händen, blätterte darin und las unabfichtlich den Titel. Es hatte einen sehr atheistischen Inhalt.

Ich erschrat auf einmal.

Dergleichen sollte ich ihr am Ende doch nicht zu lefen geben.

Ich sah sie an und es schien mir in diesem Augen­blicke, als ich ihr Gesichtchen sah, als könnte ihr gerade ber Glaube an Gott eine Stüße sein.

Nun war ich zwar damals in dieser Beziehung sehr radikal und rücksichtslos; denn, da ich selbst ein einge­Fleischter Atheist war und das Nichtvorhandensein Gottes

Das ist ein großer Unterschied und es war vielleicht ein Beweis, wie stark und selbständig das schwache Mädchen war. Denn, wenn einer Gott läugnet, kann es sein, daß er ihn doch halb und halb annimmt, und das kann immer ein gutes Mittelchen sein, sich über eine schlimme Lebens­lage hinwegzulamentiren

und

Ich setzte mich an das andere Fenster ihr gegenüber sah verdrießlich auf den Hof hinunter.

Lassen Sie sich doch nicht aufhalten!" sagte fie mut ruhigen, gleichmäßigen Stimme.

"

Allein geh' ich nicht!" antwortete ich barsch. Ach! das ist doch aber... Sie sollten doch. Ich merkte, daß es ihr leid that, mir einen Rorb geben zu müssen.

"

Es wäre Ihnen doch sehr dienlich!... Sie fißen ja auch den ganzen Tag über Ihren Büchern. Sie sollten Nun, und an die Unsterblichkeit, an die Vergeltung sich doch die kleine Erholung nicht versagen!" glauben Sie auch nicht?" fragte ich sie. Nun, und Sie?!... Sie kommen ja wahrhaftig ,, Was soll ich Ihnen da nun sagen!.. Das ist nur dann einmal an die frische Luft, wenn Sie sich mit gerade ebenso! Davon weiß man doch gar nichts! so einem Ding von Packet schleppen müssen!" Ich spürte in diesem Augenblick wirklich so etwas Zorn.

Ich verstehe das alles gar nicht! Ich weiß gar nicht, wie die Leute darauf kommen!.... Ich habe gar keine wie Zeit, an den Tod zu denken! Dazu hab ich viel zu viel zu thun!...

Das war es also nicht. Hier hatte sie keine Stüße. daß Wie kam sie denn nun aber aus? Wie war es ihr möglich, sich aufrecht zu erhallen?

Das war mir ganz unerklärlich:..

IX.

Brennen Sie Ihrem Papa nur einmal durch!" Ich lächelte. Ich lächelte deshalb, weil ich annahm, sie sich vor ihrem Vater fürchte.

Aber das würde ihn kränken!"

Ach kränken!... So schlimm wird das nicht

werden!"

Ach nein! Ich bitte Sie!... Rehren Sie fich weiter nicht an mich!" An einem Sonntag hatten wir ein wunderbares Allein geh' ich nicht!" sagte ich troßig. mir als unumstößliche Wahrheit galt, glaubte ich scho- Wetter. Ich hatte mir einen neuen Anzug gekauft und putte Sie schwieg. Ich sah es ihr jetzt ganz deutlich au, nungslos gegen jeden vorgehen zu müssen, der anders mich mit besonderer Sorgfalt. Ich wollte nachher hinüber wie es sie betrübte, mir nicht den Gefallen thun za dachte. Dabei frug ich aber nicht im mindesten danach, gehen und sie bitten, einen Ausflug mit mir zu machen. fönnen. aus welchen inneren Gründen denn der Betreffende dazu Wir wollten nach Treptow fahren und eine Wasser- ,, Nein! Nein!... Das ist ja ganz rücksichtslos von tam, gläubig zu sein. parthie machen. Sie sollte frische Luft, Sonnenschein, Ihrem Vater!... So viel Gerechtigkeit müßte er, dächt Ich glaube, es schoß mir damals zum ersten Male grüne Bäume genießen, Menschen sehen. Ich hatte mir ich, denn doch wohl haben, daß er Ihnen einmal so eine durch den Kopf, daß der Glaube noch eine praktische Be- alles recht hübsch zurück gelegt. Es sollte sehr schön kleine Erholung gönnte!" deutung haben könnte.

werden.

In diesem Augenblicke packte mich eine wahre Wuth gegen den Alten. Ich will nicht die Schimpfworte sagen, mit denen ich ihn im Stillen bedachte. Aber sie waren von der schlimmsten Sorte.

-

Er ist doch heute ausgegangen!" Ich konnte mir nicht versagen, das in einem recht bitteren, verächtlichen Tone hinzuzusetzen. ,, D, ich bitte Sie!"

Das Buch ist sehr gottlos!" sagte ich, fortwährend Da ich neben meinem Studium ein wenig schrift in dem Buche blätternd und ohne sie anzusehen. Aber ftellerte, hatte ich mir ein größeres Honorar verdient. Ich daran haben Sie sicherlich keinen Anstoß genommen! Denn hatte mir davon diesen Anzug und andere nothwendige der Verfasser wollte ja nicht sagen, daß das eine unum- Dinge getauft; auch einige, die nicht gerade nöthig waren, stößliche Wahrheit ist, die überall gilt, sondern er hat nur muß ich bemerken. Ein Bild, ein Buch, das mich durch einen Menschen dargestellt, der nicht an Gott glaubt. seinen schönen Einband zum Kaufen verlockt hatte und Also, dieser Mensch ist gottlos, aber der Verfasser selbst noch einiges dergleichen. Denn damals war ich noch sehr hat damit die Gottlosigkeit nicht empfehlen wollen. Zu für Lurus, für allen möglichen Komfort. entschuldigen ist ja nun allerdings der Mensch, den er Ich konnte in dieser Beziehung geradezu leichtñnnig dargestellt hat, denn er hat ja so viel ertragen müssen!" sein, wenn ich Geld in Händen hatte. Auch hier dachte Ach, wissen Sie! Da hat er aber ganz Recht!" ich an das Zweckmäßige immer erst zulegt. Ich mußte Ich habe hier auch so mein Sonntagsvergnügen. Sie hatte das ganz ruhig gesagt, ohne jede Spur so ein paar hübsche Kleinigkeiten, irgend ein Stück Schön­von Erbitterung, als wenn das ganz selbstverständlich heit in meiner Umgebung haben.

wäre.

,, Sie meinen... Sie meinen er hat Recht?" Ich war gänzlich überrascht. Ich hatte ihr diese ruhige, leidenschaftslose, schwerwiegende Erklärung threm Gesichtchen gar nicht zugetraut.

" Ja!.. Glauben Sie denn an Gott ?" Nein!.. Aber... 4

bei

Leute, die mir nahe standen, meinten oft, dergleichen fönne man sich erst dann gestatten, wenn man die Mittel dazu hätte. Ich fand solche Meinungen nüchtern und ab­geschmackt.

Aber, sie hatten ganz recht und noch mehr: es hat einen großen fittlichen Werth, dergleichen zur rechten Zeit entbehren zu können

.. 4

Sie sah mich ganz erschrocken, geradezu flehentlich an. Ich schwieg. Ich schämte mich. Sehen Sie! Das ist ja garnicht so schlimm! Heute ist schönes Wetter: Da ist die Aussicht auf den Hof ganz erträglich... Na, und dann hör' ich mal Jemand fingen, oder ich höre einen Leierkasten, eine Zieh­harmonika, eine Guitarre, oder auch ein Klavier. Da giebt es immer Unterhaltung.... Und dann tröste ich mich mit den vielen Leuten, die ich da an den Fenstern sehe und die auch alle zu Hause bleiben müssen.

"

Diese Genügsamkeit war mir natürlich gänzlich un­verständlich. Ja, sie hatte sogar beinahe etwas Empörende