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Berliner

Volks- Tribüne.

Social Politisches Wochenblatt.

Die Berliner   Volts- Tribüne" erscheint jeden Sonnabend früh.

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Sonnabend, den 1. Februar 1890.

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d. h., wenn

Ausgabe für Spediteure: " Boltsblatt" Zimmer- Straße 44.

IV. Jahrgang.

Ueber die Geschichte der Thronrede

Das Sozialistengesetz und der Wahlkampf. Aber eben nur unter Umständen Ueber die Geschichte der Thronrede. Die irgend welche ernsten Ereignisse die öffentliche Meinung Sozialdemokratie, das Kartell und die bürger- derart aufwühlen, daß auch die unglaublichsten Aufheßereien vom vorigen Sonnabend find in parlamentarischen Kreisen liche Opposition. Der arme Reiche und fein Gehör finden und den indifferenten Kleinbürger und Klein- interessante Nachrichten verbreitet. Schlaf. So wird der Freis. 3tg." als verbürgt bezeichnet, Die Wahlaufrufe der bürgerlichen bauer zu sinnloser Wuth aufstacheln. Parteien. Arbeiterschutzgesetze in England. Wir bezweifeln keinen Augenblick, daß die Regierung daß selbst zwei Stunden vor Verlesung der Thron Was nügen Lebensmittelzölle den kleinen den Eintritt dieser Umstände sicher erwartete, bez. ihn rede nach Meinungsverschiedenheiten sich gegenüber­landwirthschaftlichen Unternehmern? Bur schaffen zu können glaubte. Und für uns steht es auch standen über den Inhalt derselben. Infolgedessen konnte Achtstundenbewegung. Zur Wahlbewegung. fest, daß die Unterlassung eines neuen Bergarbeiterstreiks dem Kaiser nicht einmal wie sonst ein gedrucktes Exemplar Novelle von Joh. Schlaf.( Schluß.) Es der bei der mangelnden finanziellen Ausrüstung der der Thronrede zur Verlesung übergeben werden. giebt keine Hilfe! Durch eigene Arbeit wird Bergleute vielleicht bald zu Verzweiflungsausbrüchen bei der Verabschiedung des Reichstags im Weißen Saal Auch bringt man das Ausbleiben des Fürsten Bismarc man nicht reich. Die Frauenfrage in sozial- geführt hätte der Regierung das ganze Konzept hiermit in Verbindung. konservativer Beleuchtung. Die Durch schnittsprofitrate auf Grundlage des Mary'­schen Werthgesehes.

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Arbeiter und Parteigenossen! Tretet unermüdlich für die Weiterverbreitung eurer Presse und Literatur ein. Sie sind für uns die besten und schneidigsten Waffen im Wahlkampf!

Bur Beachtung.

Den Schluß der Reichstagsbroschüre( S. 97-108) nebst Inhaltsübersicht( S. I- IV) legen wir wegen zu

späten Einganges der letzten stenographischen Berichte der nächsten Nummer bei.

Das Sozialistengesetz

ist am Sonnabend in dritter Lesung gefallen.

Den Konservativen und einem Theil der Frei tonservativen gingen die Milderungen, welche in der Kommission auf Vorschlag der Nationalliberalen und eines anderen Theiles der Freikonservativen in das nene Sozia listengesetz aufgenommen waren, zu weit. Sie erachteten so ein gemildertes Sozialistengesetz auch als ein dauerndes" Geseß nicht mehr für ein ausreichendes Mittel zur Unterdrückung der Sozialdemokratie und stimmten deßhalb gegen das Gesetz im Ganzen.

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Da nun auf der andern Seite die Zentrumspartei  gegen das Gefeß stimmte, weil sie ein dauerndes" Sozi­alistengesez nicht wollte, und die Freisinnigen und Sozi­

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verdorben hat.

Die Nation" schrieb vorige Woche mit Recht:

Brechen jetzt neue Streiks aus, so werden diese nicht Die Sozialdemokratie, das Kartell und die allein die Entscheidung über Lohn und Arbeitsbedingungen bringen, sondern vielleicht und zum Theil auch über den bürgerliche Opposition. Ausfall der Reichstagswahl; und der Ausfall der Reichs- Unsere Stellung im Wahlkampf zu den Kartellparteien tagswahl tann gleichzeitig entscheidend sein für das Wahl- und zu den Vertretern der Opposition faßt der Sozial­recht und für die Koalitionsfreiheit. Die Bergleute würden demokrat  " 1) in einem sehr beachtenswerthen Artikel wie daher direkt ihren Gegnern in die Hände arbeiten, wenn folgt zusammen: fie durch Unordnungen oder Unbesonnenheiten der reak­

tionären Strömung in Deutschland   neues Wasser auf die Wir haben schon darauf hingewiesen, daß es für die Mühle trieben. Alle, die es vergen, müssen dieser Sozialdemokratie durchaus nicht gleichgiltig ist, wie Auffassung mit größtem Nachdruck bei der Arbeiterbe- der Reichstag  , auch abgesehen von den sozialistischen  völkerung Eingang zu verschaffen suchen, damit den Kartell- Abgeordneten, zusammengesetzt ist, daß die Partei darauf parteien auch nicht der geringste greifbare Vorwand hinarbeiten muß, direkt und indirekt einen möglichst zu ihren Deklamationen gegen das rothe Gespenst großen Einfluß in demselben zu befißen. Das leuchtet geboten wird. Nur ein Narr oder ein agent provocateur jebem ein und bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung. kann in diesen kritischen Wahlzeiten die Arbeiter zu einer Die Frage ist nur: was haben die Genossen neben der Politik blinden Zufahrens verleiten, die ihnen statt Erfolge unmittelbaren Wahlthätigkeit für die Partei zu thun, nur Fesseln bringen wird." um das obige Resultat zu erzielen. Mit andern Worten: Wie sehr die Reaktion mit den kommenden Ereig- welches ist die beste Wahltaktik der Partei gegenüber niffen" rechnete, das ergiebt sich auch aus der späteren den gegnerischen Parteien. Mittheilung der Rhein  . Westf. Ztg.", eines Organs der werden wird: Wozu diese Frage noch lang und breit Wir wissen, welcher Einwand uns hier gleich gemacht Grubenlords:

Es seien Anordnungen getroffen, welche es ermöglichen, biskutiren? Die Gegner sind für uns nichts als eine sofort bei etwaigem Ausbruch eines Bergarbeiterstreits reaktionäre Masse, wir lassen sie einfach links liegen, größere Truppenabtheilungen in die von den Streikerden und damit basta.

bedrohten Gegenden zu entsenden. Eine aus etwa 200 Das lautet ungemein plausibel, und ist doch falsch. Soldaten des Infanterieregiments Herwarth von Bittenfeld Vor allen Dingen im heutigen Deutschland   falsch. Die bestehende Abtheilung ist bereits soweit feldmat schmäßig

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ausgerüstet, daß fie innerhalb weniger Minuten, fobald gegnerischen Parteien sind keine Sozialisten, sie werden sich es erforderlich erscheint, abrücken kann." unter Umständen, und zwar alle ohne Ausnahme alisten dagegen stimmten, weil sie überhaupt kein Aus- da jeder Streik zudem aussichtslos war Die einfachste politische Klugheit gebot es daher- darüber geben wir uns gar keinen Illusionen hin, und daß die möchten auch den Genossen alle Illusionen austreiben nahmegesetz wollen, so ergab sich aus der Verbindung sozialdemokratische Parteipertretung mit entschlossener Hand gegen uns verbünden; wir können uns auf keine von ihnen von rechts und links gegen die Mittelparteien, bas faubere Gespinnst der Gegner zerriß, indem sie verlassen also aus der Vereinigung der Konservativen mit den Frei- Sonnabend früh eine öffentliche Erklärung abgab, die mit Recht. Falsch ist nur die Nuß anwendung, die sie - darin haben die Anhänger des obigen Sapes finnigen, dem Zentrum und den Sozialisten, eine Mehrheit welche das Sozialistengesetz überhaupt zu Fall brachte. den Worten schloß: daraus ziehen. Warum soll es der Sozialdemokratie verwehrt, warum ihr verboten sein, aus den Rivali­täten zwischen ihren Gegnern den möglichsten Vortheil für sich herauszuschlagen? Was er= forderlich ist, ist nur, daß diese Frage frei von allen senti­mentalen Anwandlungen erwogen wird. In Fragen der Taktik hat nicht das Gefühl, sondern das Interesse zu entscheiden, wobei wir selbstverständlich nicht an kleinliche Augenblicks- oder gar Kirchthurmsinteressen denken, sondern an die Interessen der Klasse, für deren Emanzipation wir fämpfen. Dieser Gesichtspunkt, der prinzipielle und Klaffen­Karakter unserer Partei, darf selbstverständlich nie aus dem Auge verloren werden.

Die Entscheidung für die ablehnende Haltung der Konservativen hatte der Kronrath von Freitag Abend ge­geben. Bei der zweiten Berathung hatten die Konser­vativen nämlich erklärt, daß sie nur dann für das Gesez in der Gestalt der Kommission stimmen würden, wenn die Regierung sich ausdrücklich mit einem solchen Gesez zufrieden erkläre. Die Regierung beschloß im Kronrath, keine Erklärung abzugeben; demgemäß fiel durch die Konservativen das Gesetz im ganzen. Die Regierung will eben schreibt die Freisinnige Beitung" die Sozialistenfrage voll und ganz zur Wahlfrage machen.

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Es frägt sich nur, ob dieser Wahlköder unter den jeßigen Verhältnissen glücklich gewählt ist.

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Die Kohlenbarone wissen genau, daß ein Streit, der aus Mangel an Mitteln sicher erfolglos bleiben und nur kurze Zeit dauern würde, zur Folge haben müßte, daß die Wider standskraft der Bergarbeiter auf Jahre ge­brochen wird.

Und außerdem fehlt es nicht an Anzeichen, daß ein zweiter Riesenstreit denen willkommen sein würde, welche die Wahlparole: Gegen die Sozialdemokraten und ihre Be­günstiger" zugkräftig machen möchten. Ein Streit der Berg­arbeiter, der voraussichtlich zu erregten Szenen führen und vielleicht Gelegenheit zum Einschreiten des Militärs geben würde, wäre für gewisse Leute eine vortreffliche Staffage für das, Rothe Gespenst", dessen sie zur Wahl be­dürfen.

Gehen wir jedoch auf die konkreten Verhältnisse über. Was ist vom Standpunkt der Sozialdemokratie das In Anbetracht dies er Verhältnisse ist, wie wir erklären, wünschenswertheste Resultat der Reichstagswahlen, neben von seiten der sozialdemokratischen Abgeordneten Zunahme der sozialdemokratischen Siße und beschloffen worden, all ihren Einfluß, so weit fie per- Stimmen? Eine Niederlage der Eine Niederlage der Regierungs­sönliche Beziehungen mit Bergarbeiterkreisen haben, dahin parteien, oder, mit andern Worten: ein Sieg der geltend zu machen, daß der Ausbruch eines Streiks ver- Oppositionsparteien. hindert wird, und daß die Arbeiter nicht auf Forderungen Kein einziges ernsthaftes Argument, das dagegen bestehen, die unter den gegenwärtigen Umständen undurch- spricht. Die Antwort ist durch die politische Verfassung  führbar find. Deutschlands gegeben.

Daß die Arbeiterklasse sich vor der Sozialdemo­tratie selbst wenn diese ihr in scheußlichster Verzerrung vorgeführt werden sollte nicht fürchten, sondern daß fie einige hunderttausend Stimmen für sie mehr wie 1887 abgeben wird, das gilt heute jedem Kundigen als zweifellos. Innerhalb der bürgerlichen Parteien freilich kann unter Umständen die Parole: gegen die Sozialdemo= tratie! eine tiefe innere Zersetzung hervorrufen, eine ge= waltige Verstärkung der konservativen   und reaktionären Die deutschen Arbeiter werden diese offene Erklärung Elemente und eine entsprechende Schwächung des Libe- ohne Ausnahme billigen und sie werden, wie wir weiter calismus, vielleicht den vollständigen Untergang der frei- hoffen, auch während des Wahlkampfes durch doppelte sinnigen Opposition, sowie des linken Flügels der National Ruhe und Besonnenheit den Gegnern ihre Berechnungen burchkreuzen. liberalen  

bedeuten.

In Deutschland sehen wir nicht, wie in parlamentarisch= fonftitutionellen Ländern, zwei große bürgerliche Parteien

sollen, weil er in der   bürgerlichen Presse Deutschlands viel erwähnt

1) Wir glauben den Artikel schon darum wiedergeben zu und besprochen worden ist.