Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.

5.

liebte.

Sonnabend, den 1. Februar 1890.

[ Nachdruck verboten.]

,, Er macht Dich unglücklich!"

Der alte So f.

Erzählung.

Von Johannes Schlaf .

( Schluß.) XI.

Dieses Gespräch hatte mich sehr nachdenklich gemacht. Wesentlich flüger war ich aber nicht dadurch geworden, obgleich es mir sehr wohlthuend gewesen war. Aber über eins war ich mir völlig klar: daß ich sie Ich sagte mir: Du mußt sie um jeden Preis aus ihrem, Elend herausreißen. Du mußt sie für dich haben; du kannst sie gar nicht mehr entbehren. Sie ist so flug, so gut, in jeder Hinsicht so ungewöhnlich. Um jeden Preis muß fie aus diesem Jammer gerissen werden.

Ihr seht: ich hatte von ihr noch nichts gelernt: denn ich hielt sie im Grunde doch noch für unglücklich. Jch fing nun an, mich mit einer wahren Wuth in mein Studium zu vergraben. Es wurde Zeit, denn ich mußte an mein Examen denken. Sobald ich es gemacht hatte, wollte ich um sie anhalten.

Ihr Elend drüben, das ich noch oft genug in der ganzen Zeit mit anzuhören hatte, befeuerte mich nur noch mehr. Ich machte ein gutes Examen.

Nun hört, wie es mit uns Beiden endete.

Es war so ein recht schöner Tag, als ich, noch in meinem Examenhabit, Frack und weißer Halsbinde, zu ihr hinüberging.

" Ich gratulire!" rief sie mir gleich entgegen. Sie traute mir von vornherein alle mögliche Weisheit zu und außerdem las sie wohl auch gleich alles von meinem glücklichen Gesicht ab.

" Ja, ja! Das hätt' ich hinter mir!" Sie sind wohl recht froh?"

Sie sah mir glücklich in die Augen.

" Ja, von ganzem Herzen froh! So froh, wie ich noch nie in meinem Leben gewesen bin!"

Ach ja! Das will auch etwas sagen, so ein Examen! Sie sind wohl recht gekniffen worden?" Oja! das schon!"

Ich war nun in einer furchtbaren Aufregung. Ich wußte nicht, wie ich es anfangen sollte.

Nun gehen Sie fort von Berlin ?" Ja!"

Ich werde Sie manchmal recht vermissen!" Darin lag keine Spur von Sentimentalität, wie sie das sagte. Und doch hatte sie sonst Niemand, mit dem fie verkehrte.

Vermissen....

"

Das stotterte ich nur so hin, weil ich glaubte, ich müßte irgend etwas sagen, aber immer noch nicht wußte, wie ich anfangen sollte.

" Ja!... Wir haben uns immer so hübsch unter­Vermissen!

halten!"

Rede sein!"

O, davon kann ja gar keine

Der Gedanke, sie hier, hier in diesem Elend lassen zu sollen, hätte mich rasend machen können.

Aber was soll denn werden?"

Sie lachte. Ganz heiter.

Herrgott! Herrgott!

..

IV. Jahrgang.

mit ihrem Schmerz geprunkt haben und prunken gegen Ich konnte das nicht unterdrücken. dieses einfache, schlichte, schwächliche Mädchen waren, das " Dnein! Sie sehen das in einem nicht richtigen sich noch nicht einmal mit einem Gotte herumstritt um das, Lichte!... Sie meinen immer, daß ich unglücklich bin. was sie leiden mußte; die dem Elend um jeden Preis, Ich bin glücklich. Sie kennen ihn nur nicht.... selbst um den der Selbstaufopferung, abhelfen wollte und Er kann so gut und zärtlich zu mir sein. Er ist nur statt einen erträumten Gott mit den Klagen über ihre schwach, schwächer vielleicht als wir Andren in dieser einen Ohnmacht zu belästigen, muthig in ihrem eigenen Herzen Beziehung. Er hat ja aber auch so viel durchgemacht. suchte und da Kraft genug fand, um helfen zu können. .. Er hat im Leben viel Unglück gehabt. Nun ist er Was waren sie gegen Grethe? manchmal muthlos, wenn er es überdenkt.... Er liebt Und langsam, ganz langsam fing damals an in mir mich.... Er sorgt sich im Grunde für mich.. Sie aufzudämmern, was ich meine Lebensanschauung nannte: meinen, ich wäre unglücklich, weil Sie mich einmal haben der Glaube, das wir in uns selber die Kraft haben, das weinen sehen. Nein! So, wie Sie's damals meinten, Elend zu überwältigen und daß diese Kraft die Liebe sei, bin ich nicht unglücklich. Ich habe nur manchmal die auch vor dem Verbrecher, dem Schmuße, dem Aussag schlechte, schwache Anwandlungen, weil sich meine Nerven des Elendes nicht zurückschreckt und eine Enttäuschung gegen all' das Ekelhafte sträuben, mit dem er dabei um die andere hinnimmt, ohne den Muth und die Geduld geplagt ist und ich denken muß, wie schön wir zusammen zu verlieren und daß dieses Verfahren weiter nichts ist, leben könnten, wenn das nicht wäre. Das ist aber nur als die Uebertragung der Methode, die wir ja auch bei manchmal.... D, ich habe ihn über alles lieb.... Es uns selbst fortwährend in Anwendung bringen, auf andere. wäre mir ja unmöglich, mich von ihm zu trennen. Ich lernte einsehen, daß, was uns recht, allen anderen Neulich ging ich über die Straße und in der Sonne sehe auch billig ist, mochten die Anderen sein, wer sie wollten; ich meinen Schatten. Ich sehe an ihm meine Gangart. denn, wir wissen ja auch nicht, wer wir in dieser Be­Ich habe dieselbe wie Vater. Da mußte ich an ihn ziehung sind.. denken und das hat mich so gerührt.... .. Nein, es ist unmöglich!... Ich habe ihn ja so lieb!" Aber es wird für ihn gesorgt!"

"

,, Das ist nicht möglich! Er würde Ihnen zur Last sein..... Ganz bestimmt!... Nein! Ich kann wirklich nicht anders!"

" Hast Du denn gar kein Bedürfniß nach Glück?" Aber ich bin glücklich, wenn ich für ihn sorgen kann!" Ich schüttelte den Kopf und lächelte. Ich weiß, daß mein Lächeln in diesem Augenblicke kein gutes war.

Wir sind doch nun einmal hier und gegenseitig auf uns angewiesen, mögen auch die, Starken' und, Selbst­ständigen sagen, was sie wollen.

Eine andere Stüße giebt es für uns nicht im Himmel und auf der Erde und Stüßen haben wir alle nöthig, so lange wir hier sind.

Das sah ich damals noch nicht so klar. Aber später. Denn ich will Euch noch sagen, daß ich mich später nicht verheirathet habe. Ich habe stets bis heute mit ihr in geistiger Che gelebt.

,, Sie glauben mir nicht.... Aber es ist ja wirklich Um ihr äußeres Schicksal war mir hernach nicht fo!. Ich bin dabei nicht halb so gut, wie Sie mehr bange. Sie war gut, glücklich, muthig und hat bet meinen.... Nicht blos aus reiner Liebe pflege ich ihn. Lebzeiten gehabt, was sie brauchte. Nun, und nachher? Nein! Das ist mir ein Genuß! Es würde mir sonst Da gilt ja alles Elend und alles Glück nicht einen einfach etwas fehlen, wenn ich ihn nicht pflegen könnte. Pfifferling.

...

Dabei ist also weiter gar kein Verdienst. Ich bin wirklich Was mich anbelangt, so hatte sie Recht: ich habe in jeder Beziehung glücklich. Etwas andres kenne ich nicht viel zu thun.... und verlange nicht danach."

Aber ich habe Dich einmal weinen sehen! Du darfst nicht ein einziges Mal weinen! Du darfst nicht!"

Es giebt keine Hilfe!

Die Griffelmacherei im meiningenschen Thüringen

,, D, das ist wohl etwas Rechtes! Was will denn das weiter sagen, daß ich einmal oder ein paar Mal ist ein ganz eigenartiges Gewerbe. Es hat wenig oder geweint habe? Das muß jeder und würde mir auch in keinem anderen Falle erspart bleiben."

Aber Grethe! Ich kann Dich ja nicht mehr ent­behren! Ich habe ja nur Dich!" Sie antwortete nicht.

Ich sah, wie in ihrem Gesichtchen eine Veränderung vorging und nach einer Weile sah ich langsam eine Thräne an ihrer Backe herniedertropfen. Jeßt verstand sie erst ganz, daß ich sie lieb hatte, wie lieb ich sie hatte.

,, D, das wirst Du... überwinden müssen!" Sie nannte mich Du".

Nun wußte ich, daß sie mich auch liebte. Grethe!"

"

Könnt Ihr Euch denken, wie mir zu Muthe war... Ich glaube mehr an Dich, wie Du selber! Ich weiß, daß Du es wirst überwinden können!" Ich schwieg. Es war mir, als wenn sich mir die Kehle zuschnürte. Wir wollen uns nicht mehr quälen!.

.

Nein! Davon kann gar keine Rede sein, daß wir Siehst Du, ich bin ja auch schwach.... Nein! Es ist uns verlassen sollten!" unmöglich, ganz unmöglich! Du wirst es ertragen lernen.. Du wirst auch noch zu Deiner Rechnung fommen."

Sie sah mich erstaunt an.

Ich beugte mich über die Nähmaschine zu ihr hin. ,, Liebe Grethe ! Ich werde bald, bald wiederkommen und Dich holen!"

,, Mich... mich holen?.

"

" Ja! Und dann werden wir für immer zusammen­bleiben!... Nun?..

14

Sie schwieg und fah mich an. Ihr Gesichtchen war

leichenblaß geworden.

Nun Grethe?"

Das sagte sie ganz ruhig.

"

Nein! Denn ich werde niemals eine andere lieben, so wie ich Dich liebe und das ist das allerbeste Gefühl, daß ich je in meinem miserablen Leben aufgebracht habe, oder je werde aufbringen können!"

Ach! Du wirst noch so viel zu thun haben. So leicht brechen die Herzen nicht und eigentlich brechen ja die Männerherzen überhaupt nicht, habe ich einmal

Ach! Was... Was Sie sich da ausgedacht haben!" sagen hören!" Willst Du?! Willst Du?!"

" D, Sie sind herzlich gut!"

Sie sah mich so eigen an.

" Du darfst und darfst nicht hier bleiben!! Du

darfst nicht!!"

Ich schrie wie ein Verrückter vor Schmerz über das Nein, das ich ahnte.

" 1

Grethe!"

-

Sie lächelte.

XII.

-

-

-

gar nicht unter irgend welcher äußeren Konkurrenz zu leiden und verkommt doch an der inneren Konkurrenz der Arbeiter unter sich, am Kapital und an der kapita­ listischen Herstellungsweise. Sie sind in geschickt gelegte Schlingen des Kapitals gefallen und zappeln sich da zu Tode, wie eine arme Drossel, die nach der rothen Beere gehascht hat, die der schlaue Jäger ihr hinhing.

Der milde, dünnplattige Schiefer, der sich zu Griffeln eignet, ist nur in wenigen Brüchen vorhanden. Die In­dustrie ist kleine Hausindustrie, betrieben von kleinen Unternehmern, die dem Rechtsbegriff nach selbstständig" find. Sie sind Eigenthümer der Brüche, sie arbeiten mit einem Gehilfen und einem Arbeitsburschen am Bruche, brechen die Steine, zersägen fie, zertheilen sie in Stücke und fräsen diese zu runden Griffeln. Zu Hause sitzen die fißen Kinder vom zartesten Alter an, wir sahen schon 3- und 4jäh­rige, alles was nicht anderwärts besser beschäftigt ist, Knaben und Mädchen, und wo ist andere Beschäftigung?! und spißen die Griffel. Alte Männer, wir sahen auch einen Blinden dabei beschäftigt, bekleben die Griffel mit buntem Papier, zählen sie ab und verpacken fie.

Der Staub vom Sägen, vom Fräsen, vom Anspitzen der Griffel erfüllt die Luft in den Arbeitsräumen; lagert sich grau auf den Haaren, den Kleidern, den Geräthen. Er dringt auch in die Lungen. Die Kinder fißen beim Spißen in gebückter Stellung, die Köpfchen fast auf die Knie geneigt, Stunden und Stunden lang, von früh bis Abends. Die Schule allein ist ihre Erholungszeit, in der sie einmal sich gerade strecken können. Nach der Schule geht es wieder in die Hocke. Der ganze Menschenschlag dort, dieser Gebirgsbewohner, ist schwächlich und verkommen, körperlich gebrochen und geistig ohne jede Willenskraft, ohne Energie, ohne Hoffnung, denn das Kapital hat sie unterjocht, und sie können das Joch aus eigener Macht jezt und in Zukunft nicht abschütteln.

Das

Was in dieser Nacht für ein wahnwißiger Wirrwarr Sie hängen alle von Händlern ab, die ihnen die von Gedanken in meinem Schädel umherrumorte, kann Griffel abnehmen und zum aller größesten Theil mit ich Euch nicht mehr sagen; und Ihr würdet auch nicht Waaren bezahlen. Die Einzelnen sind, wie wir schon viel dabei profitiren, wenn ich es könnte.... Manchmal sagten, rechtlich selbstständige Unternehmer, die Bestim= dacht' ich, wenn doch den Alten der holte... ... mungen gegen den Truck gelten nicht für sie. Die Händler " Aber das ist ja unmöglich! Das geht ja nicht!" Ich erinnerte mich, wie sie mir einmal unter Thränen haben es verstanden, die ganze Griffelmacherei in ihre Sie hatte sich gegen ihren Stuhl zurückgelehnt und mitgetheilt hatte, daß seine Hände fortwährend zitterten. Hände zu bekommen. Sie geben, was sie wollen und fie die Hände vor sich auf ihrem Schooße liegen. Unver- Vielleicht, vielleicht wäre es bald mit ihm aus und ich wollen sehr wenig geben und sehr viel verdienen. wandt mit einem Lächeln jab sie mich an. Ich verstand könnte sie mir doch noch holen. Tausend Griffel wird den Griffelmachern vom Händler dieses Lächeln in dem Augenblicke nicht. Dieser Gedanke fam mir mehrere Male. Schließlich zum Preise von 60 Pfennigen angerechnet. entfeßte ich mir vor ihm. Ich fing dabei an zu spüren, Die drei Genossen der Arbeit stellen wöchentlich bei wie sie mich beeinflußt hatte, was ich ihr noch alles würde 15 bis 16 stündiger Arbeitszeit 20 bis höchstens 25 Tau= zu danken haben; wie ungeheuer viel.... send Griffel her, wenn das Material ihnen schon gebrochen Und immer immer wieder kamen meine Gedanken auf zur Hand ist. Für das Brechen der Steine wird nichts vergütet. Es ist zeitraubend und sehr gefährlich, da Ich fragte mich, was alle Götter und Halbgötter, Sicherheitseinrichtungen den blutarmen Bruchbesizern die in Epen, Dramen oder Statuen und auf Gemälden vollständig fehlen.

Es... es geht nicht?"

Mir stockte alles Blut in den Abern. " Nein! Was sollte denn aus Vater werden?"

,, Aus Deinem Vater! Immer dieser

,,, seien Sie still!"

-

Vater!"

Sie machte eine erschrockene, abwehrende Handbe­

wegung.

sie zurück.