Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.
№ 6.
[ Nachdruck verboten.]
Glück auf, Glück auf, du junge Zeit!
Die Zeit ist die Madonna der Poeten, Die Mater dolorosa, die gebaren
Den Heiland soll; drum halt die Zeit in Ehren, Du kannst nichts Höheres denn sie vertreten. Georg Herwegh .
Noch sproßt der Bart mir nicht ums Kinn, Auch weiß ich, hört mich, ihr Teutonen, Daß unter allen Epigonen
Just ich der allerlegte bin!
Doch laßt's mich trotzdem euch gesteh'n: Ihr jammert mich, ihr armen Dichter, Ihr Groschen- und ihr Dreierlichter, Von denen zwölf aufs Dutzend gehn.
Ihr stöhnt verzweifelt: Der Bien muß! Und ampelt krampfhast an der Leiter,
Doch ach, ihr kommt und kommt nicht weiter,
Wie weiland Fausti Famulus!
Seht, das ist eure Quintessenz,
Ihr fliederfüßen Lenzrhapsoden:
Ihr macht mit Hymnen und mit Oden
Den Nachtigallen Konkurrenz!
Ihr glaubt verblendet, Poesie
Sei Lenznacht nur und Blüthenschimmer,
Ihr glaubt's verblendet und singt immer Ein und dieselbe Melodie!
Ihr dichtet jeden dritten Tag Ein hohes Lied auf eure Liebe, Neimt selbstverständlich, darauf„ Triebe" Und gebt's dann schleunigst in Verlag. 3war, seid ihr noch kein großes Thier", Müßt ihr auf alle Fälle„ zahlen", Doch dann wird's auch mit Initialen Gedruckt auf fein Velinpapier.
Und wird's dann gratis noch versandt An so und so viel Kritikaster, Dann lobt man euern schlechten Knafter Und schimpft den Kieselstein Demant.
Und wenn ihr fleißig schmiert und salbt, Sorgt auch die Klique für Verbreitung,
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Denn wozu hat man sonst die Zeitung?
Herr hat wieder mal gekalbt!
Ein Liederbuch ist's dieses Mal In rothem Maroquin gebunden
Und überdies sehr warm empfunden
Und wunderbar original!
Und kauft man sich dann das Idol, Dann sind's die alten tauben Nüsse, Die längst genossenen Genüsse,
Der aufgewärmte Sauerkohl:
Von Wein und Wandern, Stern und Mond, Bom„ Rauschebächlein", vom„ Blauveilchen", Von Küßmichmal" und" Warteinmeilchen", Von Liebe, die auf Wolken thront"!
Und will der Dichter hoch hinaus, Dann streicht er die Rubrif:„ Erotisch!" Und hängt die Tafel:" Patriotisch!" Als Firmenzeichen vor sein Haus.
Doch Blech bleibt Blech, und ob es auch Der Jude oft als Gold verschachert.. Der Ruhm, den ihr zusammenprachert, Ist eitel Moder, Dunst und Rauch!
Denn fräht auch dreist zu eurem Wisch Die heutige Kritik ihr Amen, Und legt man ihn auch jungen Damen Alljährlich auf den Weihnachtstisch:
Und labt sich auch aus eurem Quell Der Leutnant und der Ladenschwengel, Und nippt aus ihm auch jeder Engel, Die Gräfin und die Nähmamsell:
Laßt über euch und euer Wort Ein einzig Menschenalter rollen, Und was ihr singt, ist längst verschollen, Und was ihr pflanzt, ist längst verdorrt!
Das aber macht, ihr habt noch nie Das Sphingbild eurer Zeit entschleiert, Drum gähnt in allem, was ihr leiert, Derselbe horror vacui.
Jch aber mag nicht, laß wie ihr,
Das Pfund, das Gott mir gab, verwalten, Ich will hoch über mir entfalten
Der Neuzeit junges Lenzpanier.
Ich lache, wollt ihr blöden Blicks Verjährten Tand modern staffiren Und himmelbläulich phantafiren Vom Waldgnom und vom Wassernig.
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Ich lache, zählt ihr eins, zwei, drei Die Kugeln, die ihr nie verschossen, Die Thränen, die ihr nie vergossen, Ein jeder Zoll ein Papagei.
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Ich lache, doch mein Zorn hält Wacht, Denn der St. Veitstanz wird zur Mode; Ich weiß, ihr tanzt nur aus Methode, Weil ein Narr viele Narren macht.
Doch tollt nur euern tollen Schwank, Nur zu, je toller, desso besser:
Ich biet euch Kampf, Kampf bis aufs Messer, Und gehe meinen eignen Gang!
Sonnabend, den 8. Februar 1890.
Den Gang, den lichtumstrahlt die Kunst Sieghaft zu wandeln mir geboten; Und Herz an Herz mit ihren Todten, Veracht ich euch und eure Gunſt!
Denn mir schlägt nicht das Wort den Takt Zum Reigen selbstischer Gedanken. Ein Löwe, hat es seine Pranken Tief in mein Herzfleisch eingehackt.
Nur, daß es mich nicht jäh zerfleicht, Such ich's mit Liedern zu beschwören, Doch nicht beim Rauschen alter Föhren , Die Nachts eir: schwarzer Aar umkreischt.
Auch nicht in's Grab der Lorelei Verirrt sich mehr mein schwankes Steuer; Die Zeit verliebter Abenteuer, Für mich ist sie schon längst vorbei.
Nein, mitten nur im Voltsgewühl, Beim Ausblick auf die großen Städte, Beim Klang der Telegraphendrähte Ergießt ins Wort sich mein Gefühl.
Dann glaubt mein Ohr, es hört den Tritt Von vorwärts rückenden Kolonnen, Und eine Schlacht seh ich gewonnen, Wie sie kein Feldherr noch erstritt.
Doch gilt sie keiner Dynastie,
Auch kämpft sie nicht mit Schwert und Keule Galvanis Draht und Voltas Säule Benkt funkensprühend das Genie.
Und um sich sammelt es ein Heer Von himmelstürmenden Ideen, Gedanken blizen und verwehen Unzählig, wie der Sand am Meer.
Doch mehr als einer wird zur That Und lenkt die Zukunft der Geschlechter, Und als des Jdeals Verfechter Streut er der Zukunft goldne Saat.
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Und auf flammt dann ein neues Licht, Ein neuer Welttag für die Erde, Denn auch die Menschheit hat ihr ,, Werde!" Und sinnlos ist kein Traumgesicht.
Der ewge Friede baut sein Zelt Und ob die Zeit sie auch verdamme, Der Freiheit goldne Oriflamme Weht leuchtend über alle Welt.
Und wenn dann Lied auf Lied sich ringt In immer höhere Regionen Und alle Völker, alle Zonen Ein einzig großer Bund umschlingt:
Dann ist's mir oft, als ob die Zeit Verlästert viel und viel bewundert, Als ob das kommende Jahrhundert Zu seinem Täufer mich geweiht.
Als müßt ich stoßen in die Brust, Ein Winkelried, mit eure Speere: Hie Wahrheit, Freiheit und hie Ehre!- Kampf der Liebe, Kampf der Lust!!
Drum dir, die schmerzvoll mich gebar, Dir, junge Zeit aus Blut und Eisen, Leg ich mein Herz und seine Weisen Nun stumm auf deinen Hochaltar! Schaust du doch auch in's Morgenroth Und träumst von unentdeckten Welten; Wirst du die Liebe mir vergelten, Die tief für dich mein Herz durchloht?
Doch ob auch Dampf und Kohlendunst Die Züge dieser Schrift verwaschen; Kein flüchtig Glück will ich erhaschen, Ich liebe dich, nicht deine Gunst!
Mir schwillt die Brust, mir schlägt das Herz Und mir ins Auge schießt der Tropfen, Hör ich dein Hämmern und dein Klopfen Auf Stahl und Eisen, Stein und Erz.
Denn füß klingt mir die Melodie Aus diesen zukunftsschwangern Tönen; Die Hämmer senken sich und dröhnen: Schau her, auch dies ist Poesie!
Sie fehrt nicht nur auf ihrem Gang In Wälder ein und Wirthshausstuben, Sie steigt auch in die Kohlengruben Und setzt sich auf die Hobelbank.
Auch harft sie nicht als Abendwind
Nur in zerbröckelten Ruinen,
Sie treibt auch singend die Maschinen Und pocht und hämmert, näht und spinnt.
Sie schaufelt nicht als schlanker Kahn Im blauen schilfumkränzten Weiher,
Sie schlingt den Dampf ums Haupt als Schleier Und saust dahin als Eisenbahn.
Von nie geahnter Kraft geschwellt, Verwarf sie ihre alten Krücken, Sie mauert Tunnel, zimmert Brücken Und pfeift als Dampfschiff um die Welt.
Ja, Wunder thut sie sonder Zahl, Sie lindert jegliches Verhängniß, Sie sezt den Fuß selbst ins Gefängniß Uno speist die Armuth im Spital.
IV. Jahrgang.
Wohl wars der Himmel, der sie schuf, Doch heimisch ward sie längst auf Erden; Drum immer heimischer zu werden, Ist ihr ureigenster Beruf!
So flingt das Lied, das hohe Lied, Das dumpfauf mir die Hämmer dröhnen; Euch aber, euch, die es verhöhnen, Euch fordr' ich kühn in Neih und Glied!
Rüdt an; mit offenem Visir
Und harter Faust will ich euch weisen: Ich und mein Lied, wir sind von Eisen Ihr oder ich, ich oder ihr!
Denn nicht soll einst in später Zeit Mit selbstgefälligem Behagen
Ein später Enfel von uns sagen, Was roth wie Blut zum Himmel schreit:
., Boeten ohne Poefie,
Und keiner rief das Wörtchen: ,, Nette!" Sie blökten allsammt um die Wette, Wie eine Heerde Hammelvieh!"
Nein, nein und nein und aber nein! Ein Schuft sein will ich, wenns so endet!
Das Blatt hat endlich sich gewendet! Mein Ried soll deß ein Zeichen sein!
Soll sagen, was ihr nie gewollt:
Der Singsang hat sich ausgetutet
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Auch durch das junge Lied noch fluthet Das alte Niebelungengold!
Drum ihr, ihr Männer, die ihrs seid,
Bertrümmert eure Trug- Idole
Und gebt sie weiter die Parole:
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,, Glückauf, glückauf, du junge Zeit!"
Bur Frauenbewegung.
Sonntag, den 19. Januar fand in dem Augartensaale in Brünn das erste Gründungsfest des Frauenfortbildungsvereines statt. Da die Frauen in Desterreich erst in ganz jüngster Zeit mit der Gründung selbständiger Vereine auf den Plan getreten sind, so hat dieses Fest mehr als eine lokale Bedeutung. Dasselbe war gut besucht und verlief auch in der gehobensten Stimmung.
Die Festrede hielt Fräulein Sikora. Da in derselben Gang und Wesen der modernen Frauenbewegung, wenn auch in kurzen Worten, so doch klipp und klar zum Ausdrucke gebracht wurde, so glauben wir nur im Interesse der Sache zu handeln, wenn wir diese Rede hier anführen. Dieselbe lautet:
Verehrte Anwesende!
" Durch die gewaltige Entwicklung auf allen Gebieten des Wissens ist, im Vergleiche zu dem Wirthschaftsleben unserer Vorfahren, eine ganz neue wirthschaftliche Welt entstanden, welche ihre Vortheile und Schattenseiten und infolge dessen auch ihre eigenen gesellschaftlichen Gegensäße und Kämpfe aufzuweisen hat. Ja, eine wirthschaftliche Welt ist entstanden, in der das Glück und die Zufriedenheit die steten Begleiter der Menschen sein könnten, während in Wahrheit ungezählte Tausende einen unablässigen Kampf um die zum Leben nothwendige Krume Brod zu führen gezwungen find.
Noch nie, seitdem die Sonne unseren Planeten bescheint und Menschen auf demselben wohnen und thätig sind, war die menschliche Arbeit so ergiebig wie in der Gegenwart; kein einziges der früher auf Erden lebenden Geschlechter hat es verstanden, sich die Naturkräfte in derselben Weise dienstbar zu machen, wie das heutige, es ist daher der Ausspruch, daß wir fortgeschritten sind, in dem Sinne vollauf begründet, und es wäre verwerflich, wenn wir uns über diese Fortschritte nicht freuen und daran festhalten wollten.
Aber ebenso begründet wie diese Freude, ist auch das Verlangen nach allgemeiner Theilnahme an den Er= rungenschaften unserer Zeit. Hier ist jedoch der Punkt, wo der soziale Friede häufig in die Brüche geht und die Verbitterung nicht selten eintritt. Das Verlangen auf der einen Seite hat oft auf der andern eine mehr als kühle Abweisung zur Folge; in das hohe Lied von der Solidarität aller Menschen läßt der Egoismus seine grellen Mißtöne hineinerklingen und stört dadurch die so nothwendige Harmonie und erzeugt statt Frieden Zwietracht. Das Streben nach Gleichberechtigung ist aber ein so mächtiges geworden, daß man es überall antrifft, wo der Großbetrieb durch die Macht des Dampfes seine Räder sausen, seine Sägen kreisen und seine Hämmer schwingen läßt.
Ursprünglich waren es nur die Männer, welche da eintraten für gleiches Licht und gleichen Schatten, in der neuesten Zeit sind jedoch auch die Frauen zu der Erkenntniß gelangt, daß auch ihnen ein größeres Recht gebühre, daß auch für sie dieses Streben nach Gleichberechtigung eine Befreiung aus Jahrtausende alter Abhängigkeit und Bevormundung bedeute.
Die wirthschaftliche Stellung der Frau ist durch den modernen Großbetrieb eine ganz andere geworden als sie es einst war; früher war die Frau mit ihren Pflichten wesentlich auf den häuslichen Kreis beschränkt, heute treffen wir die Frau in den verschiedensten Berufen, wo sie die