KtidlM nir KerUner Uolks Tribüne.
M 9.
Sonnabend, den 1. März 1890.
IV. Jahrgang.
kN»chdr»ck»ftltkE.] Kein Keiland ist«och je erschienen. Von Robert Eeidel. Kein Heiland ist noch je erschiene» AuZ Himmel? fühllos hciterm Schoost, Der eines Volkes Arbeitsbienen ««lindert harter Knechtschaft LooS; Kein Heiland wird herniedersteige» Vom thränenloscn Sternensaal, Um schmerzenskundig sich zu neige» Erlösend aller Armen Qual. Nur aus der Schmerzen eig'nen Glute», Auslohend aus des Volkes Schacht, Entsteigen kann der Held des Guten, Der Führer durch der Leiden Macht; Erlösung sproßt aus dunkeln Tiefen, Aus der Gedrückten Thräncnborn, «leich Halmen, deren Keime schliefe» In feuchter Gnift als sterbend Kor». Der Armen Heiland ist der Arme, Der helfend theilt sein Stückchen Brot, Und Ueberwindcr jedem Harme Die eine, liebumfloss'ne Roth. O hofft nicht mehr auf Heiland? Kommm Aus lichter Höh' von Gott gesandt I Das Volk allein muß, ihm zu ftomme», Sich Heiland fein in jedem Land. Und wenn einst jedes Volk geworden Erlöser sich aus Drang und Noch, Erblüht ein einz'ger Bruderorden Der Menschen all' im Morgenroth: Und Friedcnsengel werden winden Den Oelzweig um des Krieger« Pfeil, Und Jubellieder schallend künden: Erschienen endlich ist da» Heil,
Feil. Von Bruno Wille  . Der«interliche Morgen läßt seine ersten Lichtstäubchen sturch die angehauchten Fensterscheiben eines hochgelegenen Etübchens rinnen. Vor der Frühdämmcrung beginnt der Hampenschein zu erbleichen wie ein Nebenbuhler vor dem andern. Die Lampe   steht auf einem Schreibpult, welches dem Fenster benachbart ist. Vor dem Schreibpult sitzt aus langbeinigem Schemel die alte Dichterin. Die alte Dichterin ist bekleidet mit rothem Unterrock »nd weißer Jacke, über welche ein dunkles Wollentuch ge­schlagen ist. Aus dem mangelhaft aufgesteckten grauen Haar hängt eine dünne Locke herab. Das bleiche, welke Gesicht hat den Ausdruck angespannten Sinnens, und die weit geöffneten schwarzen Augen starren mit einer gewissen Aengstlichkeit in die Flamme der Lampe  . Umer diesem Blick wird die Flamme ein gleich em- pfindendes Wesen. Tie kleinen rothen Fünkchen, welche aus dem bläulichen Fuß in die gelbe Säule emporsprühen, find die unruhigen Atome einer gequälten Seele. Das Strömen der Gase klingt wie schweres Alhmen und banges Seufzen. Und wie nun die Flamme zu zittern, zu schwin- den und an den Rändern zu bluten beginnt, gleicht sie einem vergrämten, rothen Auge, welches sich schließen möchte. Die Dichterin erwacht auS ihrem Sinnen und be- merkt, daß die Lampe   schmaucht und dem Verlöschen nahe ist. Seufzend dreht sie mit müder Hand den Docht herab «nd bläst von der Seite gegen das matte Flämmchen, daß es erlischt. Nun erhellt fahle Dämmerung die Stube. Die Stube ist ärmlich eingerichtet. Ein großer, mit Wachstuch überzogener Tisch. davor ein Stuhl und ein lederner Eeffel mit eingedrücktem Polster; über den zer- «zühlten Federkiffen des Bettes hängt ein vergilbter Myr- chenkranz, auf einer Kiste steht ein Waschbecken, der zu­rückgeschlagene Vorhang eines Büchergestells zeigt statt der Lücher Teller, Töpfe uud sonstiges Küchengeschirr, im eisernen Öfen brennt Feuer, und aus dem Topfe steigt Dampf. Die Dichterin hat sich in ihre Arbeit vertieft. Die Zeder in der Hand prüft sie die niedergeschriebenen Zeilen, streicht und ändert, um bald darauf wieder in dumpf- brütende Verdroffenheit zu versinken. Mit einem Seufzer öffnet sie das Pult und nimmt Bücher heraus, Werke von Crebillon   und Sue, wie die Einbände anzeigen. Während sie in einem der Bücher blättert und einzelne Stellen überliest, führt sie von Zeit zu Zeit ein Riechfläschchen an die Nase, dem ein moschus- «rtiger Duft entströmt. Nach einer Weile klappt sie das Buch mit einem ge- «iffen Ekel zu, nimmt Bücher, Manuskript und Riech- släichchen und legt alles in das Pult. Zum Fenster ge- wandt wischt sie den verschleiernden Hauch von der Scheibe «ud blickt in den Morgen hinaus. Es ist ein trüber Morgen. Endloses Wolkengrau hängt träge über dem Dächergewühl der Riesenstadt. Im
Nebcldunst und Rauch von Fabrikschornsteinen verschwim- men die Umriffe der Häuser, welche sich am jenseitigen Ufer der Spree   entlang reihen. Das Waffer ist schwärz lich, die aus der Fluth ragenden feuchten Pfähle sind wie verkohlt, und unter der Brücke zwischen den Pfeilern kauern finstere Schatten. Ueber die Brücke strömt es von Menschen und Wagen.... trübe, verworren und mit dumpfe Getöse. Zwischendurch beginnt der Thurm der Parochialkirche auf bleiern matten Glocken seinen lang- wciligen Choral zu hämmern der alte Bettler, auf den doch niemand mehr achtet! Durch das starrende Auge schwimmt die Seele der Dichterin hinüber in das graue Einerlei von Sorge, Ar- beit und stumpfsinniger Gewohnheit und versinkt darin ohne Widerstand, wie eine Selbstmörderin im Wasser. Schon scheint jeder Nerv des Lebens und der Freude in dem bleichen Gesicht abgestorben, als sei es vom Tode angehaucht; da dämmert ein Schimmer von Heiterkeit in den alten Zügen aus, und neu beleben sich die Augen. Die Frau wendet den Kopf, lauscht, erhebt sich von ihrem Schemel, schleicht zur Thüre des Nebenzimmers und nähert das Ohr der Thürspalte. Ja, sie ist wach.... das liebe Geburtstagskind! Die alte Frau lächelt, nimmt vom Büchergestell eine Kaffeemühle und schüttet Kaffeebohnen hinein. Während sie mahlt, klopft es. Herein!" Der alte Fritsche mit seiner großen Kolporteurmappe tritt ein. Guten Morgen, Frau Bräsecke!" Frau Bräsecke nickte freundlich, ohne das Mahlen zu unterbrechen.Guten Morgen, lieber Fritsche! Bitte nehmen Sie Platz und trinken Sie ein Täßchen!" Der Kolporteur setzt sich und legt seine Mappe unter den Stuhl. Frau Bräsecke schüttet das Kaffeepulver in den Tops, in welchem das Waffer kocht und nimmt den Topf vom Feuer.Sie bringen trübes Welter, Fritsche." Ja... nasse Kälte ," entgegnete der Kolporteur mit einem Schnüffeln seiner schmalen, rothen Nase.Schnee oder gar... Glatteis, man muß sich vorsehen." Da werden Sie es schwer haben. Und nun habe ich Ihnen noch unnütze Lauferei gemacht... Sie kommen nämlich heute vergeblich; ich kann Ihnen das Manuskript nicht mitgeben, weil das Kapitel noch nicht fertiggestellt ist... Ach, lieber Fritsche, es will mit der Arbeit gar nicht mehr gehen. Heute ist mein Kopf wieder so wüst ... und dann das Ohrensausen.... wenn nur nicht einmal etwas im Kopfe platzt.".... Die Dichterin hält mit beiden Händen ihren Kopf und die dunkeln Augen blicken ängstlich. Der Kolporteur nimmt eine Prise.Der Stifel... nutzt sich ab... bis man ihn wegwirft. Meine alten Knochen sind auch schon... ohne Schmalz! Und dabei in einem fort... treppauf, treppab, immer vier Etagen hoch!" Und da habe ich Ihnen noch vergebliche Mühe ge- macht; seien Sie nicht böse, lieber Fritsche." Die Dichterin gießt den Kaffee aus dem Topfe in eine Kanne, füllt eine Tasse, nimmt einen Löffel Zucker aus einer kleinen Düte und setzt die Tasse vor Fritsche auf den Tisch. Der alte Mann dankt durch Kopfnicken.Ich wäre heute so wie so gekommen... von wegen der Tochter." Das Gesicht der Dichterin verklärt sich.Das ist schön!... Wie gut Sie sind... Ach, ich würde das Geburtstagskind gerne rufen; aber..." Sie deutete ge- heimnißvoll aus die Kammerthür. Fritsche betastet suchend die Taschen seines Rockes und zieht ein neugebundenes Büchlein hervor.Hier.. von meinem Karl; ich soll grüßen und... gratuliren." Frau Bräsecke schlug erfreut die Hände zusammen und nimmt das Buch.Der gute Junge!... ach, warum kommt er denn gar nicht mehr? Ach, schicken Sie ihn doch! Wie geht es ihm denn?" Na... ich bin zufrieden... denke, er wird ein tüchtiger..." Damit greift der Kolporteur zur Tasse, bläst und schlürft. Davon, lieber Fritsche, bin ich überzeugt... Ich habe den Jungen so gern. Er muß uns wieder besuchen. Ich sehe ihn wirklich so gern." Der Kolporteur blickte die Frau groß an.Ja, ja, iebe Frau Bräsecke, Sie!" Ach, und Martha auch... Denken Sie nur an rüher!" Fritsche blickte nachdenklich scitswärts.Früher.. a! Aber... seit das Mädchen so... hm... mein Junge ist eben nur Schlossergeselle." Aber, liebster Fritsche! Denken Sie doch so etwas nicht! Wenn auch das Mädchen... sie ist ja noch ein halbes Kind. Wenn sie erst älter ist... Jetzt kennt sie a die Welt eigentlich nur aus Büchern." Der Kolporteur nickte nachdenklich und bedeutsam. Ja, die Bücher!... Die sind's! die machen verdreht .. weil sie... gelogen sind." Ein bitterer Zug legte sich um die schmalen, blassen Lippen der Dichterin und mit müder Stimme versetzte sie: Ich kann's nicht ändern... ich habe keine Schuld." Sie nicht... ich auch nicht."... Der Kolpor-
teur nimmt eine Prise und erhebt sich.Also... dann kann ich vielleicht Mittags das... Manuskript ab- holen?" Nein, lieber Fritsche... bemühen Sie sich nicht; ich werde es selbst hinbringen." Ich komme aber noch mal vorbei.. gegen Zwölf." Ich danke, ich bringe es selbst; ich muß so wie so den Verleger sprechen... aber wollen Sie nicht Ihr Schlückchen austrinken?" Fritsche trinkt hastig die Tasse Kaffee aus, nimmt seine Mappe, setzt den Hut auf und reicht der Dichterin die Hand. Adieu, lieber Fritsche und grüßen Sie den guten Jungen... wir danken herzlich... und er möchte uns recht, recht bald besuchen." Adieu... Frau Bräsecke!" Fritsche geht. Ein Weilchen steht die alte Frau nachdenklich. Dana tritt sie zum Tisch, nimmt aus einem Korbe eiu Päckchen und enthüllt einen runden Kuchen, den sie sorgsam und wohlgefällig auf einen Teller legt. Einen Wachsstock zieht sie auseinander, zerschneidet die dünne Schnur mit einer Scheere in fingerlange Stücke und pflanzt dieselben auf den Rand des Tellers, so daß der Kuchen kranzförmig umgeben wird von achtzehn gelben Kerzen. Zum Ofen zurückgekehrt, richtet sie eine zweite Tasse Kaffee an und stellt Tasse nebst Kuchen auf ein Tablet. Das von Fritsche überbrachte Buch legt sie dazu. Nun zündet sie die Wachskerzen an; und jedes aufgehende Sternchen spiegelt sich im Auge der Dichterin. Wie alle achtzehn Kerzen strahlen, ergreift die alte Frau mit beiden Händen das Tablet und trägt es behut- sam zur Thür, deren Klinke sie mit dem Ellenbogen niederdrückt. Martha liegt drinnen halb aufgerichtet im Bett und liest in einem Buche. Plötzlich, wie die Thür knarrt, schrickt das junge Mädchen zusammen und fährt mit dem Buche unter die Bettdecke, lächelt aber im nächsten Augen« blicke der Mutter harmlos entgegen und dehnt sich mit Behagen. Die Mutter ist auf der Schwelle stehen geblieben. Sie hat gesehen, was Martha that; und wie durch einen eisigen Hauch ist die Freude von ihrem Gesicht verscheucht. Sie schlägt die Augen nieder, ihr Münd zuckt, als woll» sie weinen. Marthas Züge verfinstern sich; die Lippen sind fest geschlossen, die Wimpern gesenkt. Die Mutter setzt den Präsentirteller auf einen Stuhl, kauert vor dem Bette nieder und birgt ihr Gesicht in der Bettdecke. Die Wachskerzen knistern und verbreiten einen ahnungsvollen, feierlichen Dunst. Die Lippen des Mädchens zucken weinerlich.Müt- terchen." Die Mutter blickt zärtlich auf. Sie erhebt sich, setzt sich auf den Betlrand, umschlingt ihr Kind, schaut in daS blühende Gesicht und küßt es. Nun lächeln Mutler und Tochter. Lebhast und vergnügt, als sei nichts Peinliches vor- gefallen, wendet sich Martha dem Kranze von Lichtern zu. Ach, wie reizend.". Freudestrahlend holt die Mutter den Stuhl, auf wel« chem die Gabe steht, ans Bett, nimmt wieder Platz und ergreift Marthas Hand. Viel Glück im achtzehnten Jahre." Danke, Mütterchen... ach... auch ein Buch!" Die Mutter reicht dem Mädchen das Buch.Von Karl Fritsche... er läßt herzlich gratuliren." Das Mädchen schlägt das Buch aus.Pharus am Meere des Lebens... hu,... Verse! Wie langweilig! .. Natürlich... von Karl Fritsche!" Kind es ist gut gemeint... Karl Fritsche ist ein guter Junge... und doch auch ein hübscher Mensch... was hast Du nur gegen ihn?" Na... Du wirst doch nicht glauben, daß so ein Schlosser... mit dicken Händen..." Aber Kind!" entgegnete die Dichterin vorwurfsvoll; also weil er ein Arbeiter ist...? Schäme Dich! Was hast Du für Ideen im Kopse!... Warlest du etwa auf einen Grafen?" Martha lächelt mit verstecktem Spotte.Warum denn nicht?" Plötzlich wendet sie sich mit schmeichterischer Zärt» lichkeit zur Mutler:Mamachen..." Was denn, mein Kind?" Das hübsche Mädchen wirst einen schelmisch fragenden Blick durch die geöffnete Thür nach dem Tisch des anderen Zimmers. Ja, Kind; den Hut sollst Du bekommen. Ich konnte ihn nur noch nicht kaufen, aber heute hole ich Geld." Danke, danke!" jubelt Martha und umarmt ihr Mamachen stürmisch. Nun aber laß Dir's schmecken. Ich will dir die Tasse reichen." Während Martha sich zu einer bequemeren Stellung emporrichtet, wird unter der Bettdecke das versteckte Buch achtbar; doch nur einen Augenblick.Soll ich nicht lieber ausstehen, Mamachen? Drinnen bei dir ist's gemüthlicher." Bereitwillig trägt die Mutter den Präsentirteller in das andere Zimmer und setzt Kaffee und Kuchen auf den