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Skidiitt Iir Ii er! in er Uolks- Tribüne»
Jfö 10
Sonnabend, den 8. März 1890.
IV. Jahrgang.
s5I»chdruck Dtrboten.] Die Luft war roth... Bon Julius Hart. 0h, bitterkalt war die Winternacht, und die Luft... ja, die Luft war roth... hat's mich gepackt. und leis stand ich auf...'S war nur, weil die Luft so roth... Za, so furchthar roth das wilde Gewölk, das finster durch's Fenster mir sah, 's war wohl kein Himmel, die Hölle war's, waS ich düster über mir glühen sah. 5«, bitter kalt war die Mitternacht... und ich hörte draußen die Winde schrcin, >»d fie würgten die Lust und stießen die Nacht blutrünstig gegen Wand und Stein... Zch aber, ich hörte im heulenden Wind... oh, cS klang so wild und so weh an mein Ohr... »«» dem Sturm, aus der Tiefe, aus tiefer Nacht drang jammernd ein Stöhnen leis an mein Ohr! Das Jüngste stöhnte leise im Schlaf, wie ein welker Zweig war sein Händchen so dürr, Und ich sah sie all' drei, von Hunger so schmal, wie welke Reiser so braun und so dürr... Meine Kinder all' drei, so krank und so schwach... und draußen der Sturm und die gluthrothe Nacht, L>ie uns alle, die Armen und Schwachen, verschlingt-.. sie hat es in Schuld, die gluthrothe Nacht. U« Mitternacht war's, und leis stand ich auf... und im Kopfe drinnen nur war's mir so schwer, Und ich brannte ein trübes Lampenlicht an und leuchtete still in in der Kammer umher——— Und gleich auch glitt im matten Licht an der Wand ruhlos ein Schattenbild, Und was ich sann und was ich gedacht, mir raunte es zu dies Schattenbild... Und es irrte umher und stöhnte leis und schüttelte wild das dun- kele Haupt, U»d cS preßte gegen die kalte Wand, an den feuchten Stein das kranke Haupt, Und es leuchtete in der Kammer umher, und rings nur Fetzen... und sonst nichts mehr... Und es irrte der Lampe fahler Schein rings über Fetzen und sonst nichts mehr... Da packte mich's an und ich starrte gradaus... vor den Augen ward mir's so blutigroth... Im Winkel das Beil... das glühende Bell... wie ist es von Feuer und Blut so roth!... Ich starrte gradaus in die wilde Nacht... in Mitternachtssturm und rothwolkige Luft--- Und über mein Haupt und in mein Gehirn fiel Feuergewölk aus brennender Lust... «nd über sie trat ich und beugte mich tief... fie lagen so eng, Gesicht an Gesicht, von schaurigem Frost zusammengedrängt.— so grau wie Asche das welke Gesicht... Roch einmal fiel ich an ihre Seit' und preßte wild ihren blassen Mund, >»d preßte mein Haupt in das feucht« Stroh... und preßte wild ihren blassen Mund... Und sah gradaus in die Mitternacht... und sah durch die Lust stumm kommen den Tod... Und ich hörte das Beil und es knirschte dumpf... und über die Hände rann es mir roth... Und„Mutter!" nur stöhnte das Eine noch und starrte mich an... und sonst nichts mehr... »nd das Andre fuhr auf und starrte mich an... und röchelte dumpf und sonst nichts mehr... Oh wie still, oh wie stumm, oh wie roth war die Nacht! Matt glänzte das trübe Lampenlicht... Matt fiel auf ihr fahlgrau Gesicht der gelbe Schein vom Lampen� . licht... ©tili nahm ich sie auf in meinen Schooß und preßte sie swmm an meine Brust, und wu]ch mit meinen Thräne» das Blut aus ihrem Haar, von Stirn und Brust... Tai Blut, eS rieselt roch und rinnt die Nacht durch, bis der Mor- gen kommt... Und ich wasche ihren blutigen Lech die Nacht durch, bis der Mor- gen kommt... Doch der Tag kommt nicht... nur der Nachtwind schreit!... u»d drautzcn steht finster glutrothe Nacht... Oh, ihr Blut stürzt nieder und reißt mich hinweg——— Sie hat es in Schuld, die glutroche Nacht...!
�Nachdruck verboten. 1 Feil. Von Bruno Wille . Die Dichierin blickt sinnend auf das emporschwcbende Seelchen der letzten Kerze und seufzt. Frau Kuhlmeier und das Mädchen lasten sich Kaffee und Kuchen munden... „Mutter, wann bekomme ich denn meinen Hut?" „Kind, heute noch gehe ich zum Verleger." „Heute? Wann denn?" „Sobald ich das Kapitel fertig habe." „Noch diesen Nachmittag?" „Ich denke, in zwei Stunden." „Also um zehn!" Das Mädchen wirft der Nachbarin einen bedeutsamen Blick zu, und diese nickt kaum merklich... „Mutter, trinkst Du denn nicht?" „Später, Kind." „Aber ich bitte Sie," spricht Frau Kuhlmeier vor- «urfsvoll,„ich belästige Sie, nehme Ihre Tasse in Be
schlag. Hätte ich geahnt... ich hätte ja eine Taste von mir holen können." „Aber nein," wehrt Frau Bräsecke ab; die Tasse ist für Sie bestimmt." Frau Kuhlmeier erhebt sich..„Und dann wollen Sie auch arbeiten. Nun, Sie sehen, ich bin fertig... Hat ausgezeichnet geschmeckt." „Nehmen Sie noch ein Stückchen." Damit schneidet Frau Bräsecke eine kräftige Scheibe vom Kuchen und wickelt sie in Papier . Frau Kuhlmeier nimmt das Päckchen mit den Morien: „Wenn das Geburtstagskind nichts dagegen hat..." „Ich bitte Sie," entgegnet Martha und setzt schel- misch hinzu:„Sie sind ja gegen mich so gefällig." Die Nachbarin lächelt verständnißvoll.„Nochmals meinen besten Glückwunsch!" Dann wendet sie sich zur Frau Bräsecke:„Aber wissen Sie, das mit dem reichen Freier halte ich aufrecht... und passen Sie auf..." Sie droht mit dem Finger, zwinkert mit den Augen und geht. Mit verstohlenem Flüstern schließt das junge Mädchen die Thür hinter der Nachbarin. Dann geht sie in der Stube umher, trällernd und zuweilen in den Spiegel blickend. Die Mutter nimmt Marthas leere Tasse und schenkt sich ein.„Höre nicht auf sie," sagte sie ernst;„sie setzt Dir schlechte Gedanken in den Kopf." Das Mädchen schweigt niit einer gewissen Befangen- heit; dann meint sie schnippisch:„Wieso?" Die Mutler runzelt die Stirn.„Es ist schlecht, sich an einen Geldsack zu verkaufen." Martha schweigt. Die Dichterin nimmt auf dem Schemel Platz und holt ihre Manuskripte aus dem Pult. „Eins wollte ich Dir noch sagen," fährt sie fast feier- lich(ort;„lies doch nicht in den Büchern!— Sieh, als ich Dich vorhin lesen sah... ich trat so froh in Deine Kammer... und das erste, was ich von Dir sah.. Kind, hintergehe mich nicht, lies nicht in den schlechten Büchern, ich bitte Dich." Die Hand auf den Tisch gestützt, halb von der Mutter abgewandl und finster, als fühle sie sich beleidigt, schmollt Martha:„Aber ich habe ja gar kein Vergnügen ... ick bin doch jung... Darf ich denn nicht einmal träumen?" Die Mutter schlägt die Augen nieder.„Es schmerzt mich, daß ich Dir so wenig bieten kann... ich möchte meinem Kinde ja alles gewähren... nur nicht diese Bücher! Denn sie sind... Gift!" Martha wirft der Mutter einen fast feindlichen Blick zu.„Du schreibst doch selbst solche Bücher!" Die Dichterin blickt bleich und starr aus ihr Kind; sie möchte reden, aber ihre Stimme zittert und bricht ab; sie bedeckt die thränenden Augen mit dem Zipfel der leinenen Jacke. Martha blickt scheu; auch ihr treten die Thränen in die Augen; doch sie verharrt in der trotzigen Stellung. Die Mutter trocknet die Augen; ihr Gesicht ist vcr- grämt; mit matter Stimme spricht sie:„Ja... auck meine Bücher sind schlecht... lies sie nicht! Aber ich muß doch so schreiben!... Und das wirfst Du wir vor?" „So meine ich es nicht," murmelt Martha. „Du?... mein Kind!... für das ich doch schreibe! Oder glaubst Du, es handelt sich um mein bischen Leben?" Martha entgegnet beleidigt:„Es ist nicht schön, daß Du mir das sagst," und will in ihre Kammer zehn. In der Thür wendet sie sich um und sagt mit harter, eisiger Stimme:„Ich mag Dein Opfer nicht länger... ich kann selber für mich sorgen." Die Mutter blickt starr aus die Thür, während es in ihrem bleichen Gesicht schmerzlich zuckt. Dann stützt sie die Arme verschränkt aus das Pult und läßt den Kopf auf die Arme sinken. Und in dem Kopfe beginnen die Gedanken erregt und ängstlich umherzuirren, wie Ameisen, deren Bau ein grausamer Fuß zerstörte. Du schreibst ja selbst solche Bücher! wiederholt eine eisige Stimme, und jene Augen— die lieben freundlichen Kindcsaugen!— blicken plötzlich so fremd, so feindselig ... Kind! Was ist mit Dir? Und die eisige Stimme antwortet: Ich habe kein Vergnügen, fühle mich wie in einem Kerker... und bin doch jung!— Armes Kind... ja! Aber was ist zu thun? Soll ich nähen, sticken? Wir würden noch ärmer sein! Da ist es schon das Beste, Romane zu schreiben. Sie sind freilich Gift; aber was kann ich dafür? Ich muß ja solche Bücher schreiben, ich habe keine Schuld... Doch wer sonst? Ter Verleger?!... Drängt er doch beständig:„Schreiben Sie spannender, mehr abenteuerlich, pikanter! Sonst kaust ja das Publikum nicht." Also das Publikum!?— Tie armen Mädchen in den vierten Stockwerken und Kellerwohnungen? Sie sollten Schuld sein?— Warum lesen sie denn?... Warum wollen sie nur von feinen reichen Herren, diamantblitzen- den Damen, von Liebe, Putz und Pracht träumen?.. Träumen! So sagte auch das Kind. Ja, sie träumen von dem, was sie entbehren... weil sie arm sind. Wieder
die Armuth! Sie ist an allem Schuld! Armuth ist die größte Sünderin. Und die Dichterin hört es gewaltig rauschen, sieht einen riesigen Wasserstrudel, welcher ein Heer von Mensche» in mächtigen Bogen umherwirdelt. Einige Menschen, welche noch am Rande des Trichters kreisen, strengen ihre matten Arme an, dem gefährlichen Strudel zu entkommen. Die Leiber, denen dies nicht gelungen ist, sinken mit jeder Spiralwindung tiefer, dem gurgelnden dunkeln Schlünde entgegen, in welchen Kopf auf Kopf hinabschießt. Unter der Menge schwimmt die Dichterin selbst, mit ihrer Tochter und in der Nähe treibt der Leichnam ihres Mannes. Ja... als er noch lebte, der liebe, gute Franz...! Die Dichterin seufzt und gedenkt der schönen alten Tage... Sie sieht sich selbst als alterndes Mädchen, als Gouvernante in dem reichen Hause, wo ihr der Maler Bräsecke mit den treuherzigen Augen und den halbgrauen Haaren begegnete. Und das Herz der Dichterin beginnt zu klopfen, wie damals. Wie säuselnde Frühlingswinde, wie froh zwitschernde Schwalben schweben die Erinnerungen an ihr vorbei. Sie denkt an das erste Stammeln der Liebe, an die Werbung des Malers und ihr Herz jubelt. Sie sieht den Geliebten als den Ihren vor der Staffelei, er mall für Weib und Kindchen und Abends beim Lampen schein sitzt er neben ihr aus dem Sopha und hört aufmerk- sam zu, wie sie ihren Roman vorließt... ihren ersten, gutgemeinten Roman! Die Dichterin seufzt. Und nun kommen die trüben Erinnerungen geschlicheil und raunen und weinen.... Der Tod des geliebten Mannes! Sorgen für das Kindchen! Entbehrung, Krankheit! Dann die schweren Bemühungen bei Journalen und Verlegern! Demüthigung, Entwürdi- gung, geistige Prostitution! Und nun zuletzt auch noch des eigenen Kindes Verachtung und Groll! Herbe Tropfen brennen in den Augen der alten Frau. Da öffnet sich die Kammerthür und Martha tritt herein. Sie ist zierlich gekleidet; das Haar rollt noch lose über Nacken und Schultern. Martha betrachtet verstohlen die Mutter, welche das Gesicht in den verschränkten Armen birgt, während die Manuskripte am Boden verstreut liegen. „Mamachen!" spricht das Mädchen kleinlaut. Die Mutter richtet sich auf, ihr Gesicht ist vergrämt, unter den Augen geröthet. „Mamachen, hast Du vielleicht ein rothes Sammt- band?" „Sieh im Kasten nach," entgegnet die Mutter, bückt sich und hebt die Papiere auf. Martha kramt im Tischkasten, findet etwas Buntes und kehrt in ihre Kammer zurück. Die Dichterin taucht die Feder ein und schreibt...
Nachdem sie mehrere Seiten mit Zeilen bedeckt hat — etwa eine Stunde ist vergangen— legt sie aufath- mend die Feder hin, ordnet diü Manuskripte und schlägt sie in Papier ein. Schwerfällig steht sie auf und geht in das Nebenzimmer. Martha sitzt am Fenster und näht an einer Schleife. „Ich möchte mich anziehen," sagt die Mutter. Martha erhebt sich und geht mit ihrer Näharbeit hinaus. Nach einer Weile ist die alte Frau zum Ausgehen gekleidet. Sie trägt ein dunkles Mäntelchen, auf dem Kopfe einen sonderbaren Hut, an der Hand einen Muff, in welchem die Manuskripte stecken.„Kind ich gehe zuin Verleger. Setze inzwischen den Topf auf." „Wie lange bleibst Du aus?" „Gegen zwölf bin ich spätestens zurück. Und nun... bleibe mein artiges Kind!" Auf die Stirn der Tochter, welche die Augen niederschlägt, haucht die Mutter einen Kuß und gehl. Martha steht ein Weilchen horchend, tritt zum Spiegel und betrachtet prüfend ihr Bild, die rothe Schleife in ihr Haar ordnend. Darauf geht sie in die Kammer, nimmt unter der Bettdecke das versteckte Buch hervor, setzt sich, blättert hastig in dem Buche und beginnt zu lesen. Und das Buch von schlechtem Papier, mit gelbem Um- schlage, versetzt das Gesicht des Mädchens in Spannung. Da knarrt die Thür! Martha schrickt zusammen und plickt starr nach der Thär. Frau Kuhlmeier tritt ein; sie trägt Hut und Um- schlagctuch.„Er kommt!" sagte sie lebhaft;„in einer Viertelstunde!" „Ja?... Was schenkt er mir denn?" „Das weiß ich nicht... ich habe ihm nichts gesagt." „Sie haben nicht gesagt, daß mein Geburtstag ist?" „Das natürlich! Ich meine, was er Ihnen schenken soll, habe ich nicht gesagt. Er kann ja Geld geben!" „Geld? Eigentlich habe ich gar nichts davon. Was soll ich mir denn kaufen? Die Mutter merkt es ja!" „Aber Sie können doch von dem Gelde was mit- machen... Tanzvergnügen, Theater. Lassen Sie sich nur tüchtig beschenken... und seien Sie recht liebens- würdig!"