Sriiiisit jm berliner Uolks Trilrüne.
M 28.
Sonnabend, den 7. Juni 1890.
IV. Jahrgang.
Gegensatz. .Gin schwanger Weib ist mir ein Hcil'genbiN. Schleppts' sich in Lumpen bleich und eckig hi«. Das Leben sichernd dem, das lebend quillt, Die nochgckrönte Schmerzenskönigin." „In Lebensnr'"rd Leibesnoth zugleich, Symbol der fur�bar fruchtbaren Natur, Lastträgerin der Welt, entbehrungsreich, Mir qualschön, Dir die widrigste Figur." „Du bist ein Schönheitslinienphantast Und mit der Form zerschellt auch Dein Geschmack. Das Tiefglas, das des Lebens Vollbild faßt, Höhnt Deinen rein ästhet'schen Bettelsack." .Geh' Du nach Rom ! Romanisch ist Dein Slli», Vor Rafaels Madonna knie' Du! Mein Auge sieht der Proletarieri» Mühsamem Werkgang überwältigt zu." Kurl Oeuckell.
Die Goldtzyäne. Von Nicolaus Kraust.') Mit neun Jahren handelte er in der Armenschule feiner Vaterstadt mit abgeschriebenen Stahlfedern, kleinen Marmorkugeln und Thonbatzen. Es war das reine Tauschgeschäft. Johann Künermann war auf irgend eine Weise in den Besitz von Federn und Kugeln gekommen, und nun tauschte er für sie Brod ein; er hatte wie alle Waisenknaben immer Hunger. In der Schule lernte er wenig. Die Lehrer, welchen bekannt war, daß alle Waisenknaben irgend ein Handwerk erlernen mußten, gaben sich mit ihm keine Mühe, Küner- mann selbst hatte etwas anderes zu thun. Als er noch ein Knirps war, der kaum auf seinen dünnen, nach aus- wärts gedrehten Beinchen stehen konnte, war einmal ein reicher Bürger der Stadt in das Waisenhaus gekommen, um sich von dem Wohlergehen der Pfleglinge zu überzeugen. Beim Abschied hatte er dann eine Hand voll ganz neuer Silberthalcr aus der Hosentasche genommen und sie dem Hausverwalter eingehändigt, damit er an den kom- Menden Feiertagen den Kindern etwas bessere Kost rerab- reiche. Seit diesem Tage träumte Johann Künermann von ganzen Haufen blitzblanker Silberthaler. Es kamen die Feiertage, und an jedem derselben erhielt jedes Waisenkind ein unbändig großes Stück Kalbs- braten. Von da an spürte Künermann Tag und Nacht den feinen Duft schmorenden Kalbfleisches in seiner Nase, und in seinem jungen Hirn setzte sich die Vorstellung fest, reiche Leute seien diejenigen, welche alle Tage Kalbfleisch essen könnten. Und er wollte reich werden, um nicht mehr hungern und entbehren zu müssen. Er hatte einmal irgendwo erlauscht, daß derjenige, welcher es zu etwas bringen wolle, gut rechnen können müsse; am nächsten Tage begann er zn zählen; die Knöpfe seines Gewandes, diejenigen seiner Mitschüler, die Fenster der Häuser, die Steine auf dem Marktplatze. Und er zählte zu Hause, auf dem Spielplatze und in der Schule, und wenn ihn der Lehrer aufrief, so wußte er nicht, was er sagen sollte. Er lachte nie und spielte nie, wie andere Kinder, mit elf Jahren hatte er ein ernstes, nachdenkliches Gesicht wie ein Erwachsener. Jeden Tag besuchte er den kleinen Isaak, seinen Schulkameraden, und lauschte auf die Worte und Unterweisungen von dessen Bater. Der alle Wucherer war der richtige Lehrmeister für ihn, er lehrte ihn rechnen, nach Perzenten, Vierteln und Achteln, und gewann ihn lieb wie sein eigenes Kind. Als Künermann die Schule hinter sich hatte, wollte man ihn bei einem Handwerksmeister in die Lehre geben. Mit Thränen in den Augen lief er zu seinem väterlichen Freund und klagte ihm sein Unglück. Und der alte Wucherer schüttelte einigemal sein graues Haupt, setzte seinen verbogenen, in allen Farben spielenden Seidenhut aus und brachte den Knaben bei seinem Rechtsanwalt als Schreiber unter. Jetzt ging es mit Künermann schnell vorwärts. Der Rechtsanwalt war einer der geriebensten seines Faches, kannte alle Lücken der Gesetze und Verordnungen, und besaß ein Gewissen, das zu allen- ja sagte, wenn nur Geld in Aussicht stand. Künermann machte im Anfange den Laufburschen, reinigte die Kanzlei und trieb Clienten herbei. Sein Tisch und Stuhl stand gleich neben der Thür, jeder, der zum Rechtsanwalt wollte, mußte an hm vorbei. Und jeden Besucher fragte der Knabe um seine Wünsche. In der Nacht studierte er die Gesetzessammlungen, die Verordnungen, die Entscheidungen der Ober- gerichte; in wenigen Jahren war er in allen einschlagenden Fragen so bewandert wie sein Herr und Meister. Dieser erkannte auch bald, welche Kraft er an Künermann gewonnen hatte, und betraute ihn mit selbständigen Arbeiten. Trotzdem fand der Schreiber noch immer Zeit, Geschäfte auf eigene Faust zu machen: Er kaufte zweifelhafte Forde- rungen und trieb sie mit der größten Strenge ein, machte m allen möglichen Angelegenheiten den Vermittler, ver- ') Au? der Monatsschrift„Deutsche Blätter. Gger.
trieb Lotterielose und Werthpapiere; mit achtzehn Jahren war er bereits Besitzer eines offenen Geschäftes. Er kaufte billig ein, weil er baar zahlen konnte, und verkaufte billig, weil er zu rechnen verstand. Seine Kundschaft mehrte sich, seine Konkurrenten begannen zu zittern. Und sie wankten und fielen wie die Fliegen, als er anfing, jede erreichbare Konkursmasse um ein Spottgeld an sich zu bringen. Bis dahin hatte er noch immer bei dem Rechts- anwalt gearbeitet, jetzt gab er seine Stelle auf, weil er zur Erkenntniß gelangt war, daß ihm sein Meister nichts mehr lehren konnte. Es war die Zeit, als man an allen Ecken und Enden Eisenbahnen zu bauen begann. Die Städte reckten und dehnten sich und wuchsen wie junge Riesen. Künermann kaufte Baugründe innerhalb und außerhalb der Stadt, baute Häuser, aber es ging doch nicht recht vorwärts, ihm fehlte noch etwas: eine offizielle Stellung. Zwar grüßten ihn die Bürger auf der Straße schon von weitem mit gewaltigem Hutschwung, aber immer noch spürte er bei seinen Unternehmungen geheime Widerstände, die dem Emporkömmling galten. Eine Heirath hätte ihn über all das hinweggehoben. Er bekam Andeutungen und Winke aus den meisten der tonangebenden Familien, sein Herz blieb kalt, es verlangte nicht nach Liebe, sondern nach Gold, viel viel Gold. Mit einem Male ließ er sich von den Kleinmeistern und Handwerkern in den Gemeinderath wählen. Jetzt fühlte er bald sicheren Boden unter seinen Füßen. Seiner vor nichts zurückschreckenden Bercdtsamkeit, seiner Schlauheit und Skrupellosigkeit gelang es, einen großen Anhang zu- sammenzuscharen, bald zog die ganze Kommune an seinem Geschäfts- und Siegeswagen. Alle Geschäfte der Gemeinde gingen durch seine Hand; er kaufte für sie und verkaufte für sie, und immer wnßte er es so einzurichten, daß der Hauptgewinn in seine Tasche floß. Seit längerer Zeit besaß er eine eiserne Kasse. Am Tage der Aufstellung hatte er sie umarmt und sich zugcschworen, sie nie zu verlassen. Der Kredit der Firma Künermann galt für uner- schütterlich. Nur die Geschäftsleute und Arbeiter, die mit ihr zu thun hatten, klagten und fluchten über Uebcrvor- theilung und Lohndruck. Es kam zu Prozessen und Klagen, einige Heißblütige vergriffen sich an dem„Blut- sauger" und wollten ihm einen Denkzettel geben, Küner- mann stand fest) aus allen Fährlichkeiteir ging er als Sieger hervor, er wurde reich und immer reicher. Künermann stand am Ende der dreißiger Jahre, als ihm seine Vaterstadt zu enge wurde. Die Weide ward abgegrast, kein größeres Geschäft mehr zu machen. Er begann an der Börse zu spielen. Da er aber keine direkten Verbindungen hatte, so griff er einigemal daneben und wurde tüchtig gerupft. Jetzt begann er für sein Geld zu zittern. Mit einem Male hieß es, Künermann geht nach der Hauptstadt. Und Künermann ging. Und Künermann war es im Schatten des„Giftbaumes" bald so wohl wie in den Mauern seiner Vaterstadt. Und Künermann„gab" und„nahm," hatte Glück und Geriebenheit genug, um immer oben zu schwimmen. Er machte in„Kredit" und Weizen, Rüböl und„Lombarden", Bergwerksaktien und Dux-Bodenbachcr.„Künermann kauft, hieß es, und die ganze„Krätzel" fiel herein wie Fliegen auf den Honigtopf. Künermann mußte Verwaltungsrath werden bei der x Bahn und dem großen Eisenwerk in Steiermark , bei der Vereinigung der Aschen Zuckerfabriken und der ck-schen Kohlengescllschaft, bei den** Petroleumgruben, er selbst machte sich zum Direktor der Maklerbank. Künermann galt als sicher an den Börsen von Paris , Berlin und Wien , die Makler zogen den Hut, wenn sie seinen Namen nannten. Immer weitausgreifender wurden seine Speku- lationen. Er ftisionine, emittirte, liquidirte, drückte den Lohn der Arbeiter, schloß Kartelle, vertheuerte Lebensmittel, hielt hunderttausende unter seiner eisernen Faust und riß das Gold an sich wie der Magnet das Eisen. In seinen Träumen hörte er die Wcrthpapiere knistern und rauschen, und das Gold klirren und rollen. Em Traum kehrte immer wieder. Der Spekulant sah sich selbst als große eiserne Kasse, und alles Gold der Welt strömte in ihn hinein. Künermann machte Politik, aber in seiner Weise. Man hätte ihn in zehn, zwölf Orten in den Reichstag gewählt, aber die parlamentarische Arbeit hätte seine Kraft zersplittert. Er kaufte sich die größte parlamentarische Partei, zahlte ihr die Wahlkosten und ließ sie beschließen, was ihm von Vortheil war. Die großen Blätter standen n seinem Sold, die Federn der Tinrenkuli ächzten über das Papier, und zu Hunderten flogen die Gimpel in seine Netze. Da rüstete er sich zum Hauptschlagc. Aber der große Leviathan, der ihn bis dahin geschont hatte, weil er glaubte, ihn als Werkzeug benutzen zu können, erschien und kam über ihn, und in dem ungeheueren Rachen des Ingethüms verschwand der Spekulant spurlos. Auf der Börse ertönte das Zügenglöcklein und der Name Künermann tand auf einer schwarzen Tafel. *** In dem großen Irrenhaus der Hauptstadt lebt seit Jahren ein Manm Seine �Gestalt ist gebrochen, sein
Antlitz blaß und verwelkt, aber die Augen lodern in un- heimlicher Glut. Der Mann zählt und rechnet den ganze« Tag, aber nur nach Millionen. In der Nacht, wen« Alles schläft, schlägt er mit der Faust auf den Tisch und schreit mit kreischender Stimme:„Ultimo! Alle Hab ich euch im Sack, ihr Lumpen, ihr Gesindel, ihr..." Der Mann heißt Johann Künermann, früher«aunt« man ihn auch:„Die Goldhpäne."
Die Patriarchalische Ehe. fn. Zu allen Zeiten und bei allen Völkern, die u«S durch die geschriebene Geschichte näher bekannt geworden sind, herrschte patriarchalische oder monogamische Ehe. Die neuesten Forschungen auf dem Gebiet der Urgeschichte haben gezeigt, daß jenen noch eine Anzahl anderer Ehe- formen vorangegangen ist. Diese jedoch liegen uns weniger nah, weil sie sich heute nur noch bei wilden und barbarischen Stämmen, und auch hier nur theilweise, vorfinden; und weil ferner die ökonomischen Verhältnisse, obgleich sie offenbar auch auf diesen Entwicklungsstufen die Endursache der Ehe- und Familienform bilden, hier nicht so grell und schroff hervortreten, wie in der patriarchalischen und mono- gamischen Ehe. Ungeachtet nämlich, daß die erste dieser beiden Eheformen öfter in der Gestalt von Vielweiberei austritt, die zweite dagegen immer Einzelehe ist, besteht ihr gemeinsames Hauptcharakteristikum in der Herrschaft des Mannes über das Weib; und diese sgründet sich auf die Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse, unter welchen jene erscheinen. Jm Folgenden wollen wir nun diesen Zusammenhang zwischen Wirthschaft und Ehe bei der patriarchalischen Familie beleuchten. In der dieser Familienform vorausgehenden Periode herrschte gleiche Arbeitstheilung zwischen den Geschlechtern!: die Frauen verwalteten das Haus und bereiteten die Nahrung zu, welche die Männer mit ihren primitiven Geräthschaften(Bogen, Pfeile, Bote u. ähnl.) erringen mußten. Wie die Arbeit, so theilte sich auch der geringe Besitz. Den Männern gehörten jene einfachen Mittel zur Beschaffung des Unterhalts, den Frauen das Haus mit Zubehör. Die ökonomische Stellung war demnach gleich oder zeigte eher ein Uebergewicht der Frau. Dann aber begann die Zähmung und Züchtung von Hausthieren: Schweinen, Ziegen, Schafen, Rindern, Eseln, Kamelen und Pferden. Dadurch wurde ein neuer unge- ahnter Reichthum geschaffen. Dieser aber fiel nicht allen Menschen, sondern— und dies ist das entscheidende Moment— nur der männlichen Hälfte der Gesellschaft zu, denn die Domäne des Mannes war ja die Nahrungs- beschaffung und sein Besitz alles, was damit zusammenhing. Anfangs mögen die Heelden gemeinschaftliches Eigen- thum einer Gruppe von Männern gewesen sein, an der Schwelle der beglaubigten Geschichte aber befinden sie sich schon überall in Privatbesitz . Diese Verschiebung in der ökonomischen Stellung der Geschlechter hat nun eine ähnliche Umwandlung in de« Ehe- und Familienformen hervorgerufen. Vorher hatte Paarungsehe bestanden: je ein Mann und eine Frau lebten in einem großen kommunistischen Haushalt, den sie mit fast der ganzen Familie, d. h. allen Blutsverwandten der Frau, theilten, solange bis er oder sie die Trennung wünschte. In diesem Fall behielt jeder, was ihm vorher gehört hatte. Die Kinder fielen, der damaligen Ueber- legenheit des weiblichen Geschlechts entsprechend, der Frau zu. Nach der Trennung stand es beiden frei, eine neue Ehe einzugehen. Dieses ziemlich solidarische Verhältniß der Geschlechter wandelte sich mit der wachsenden ökonomischen Bedeu- tung des Mannes. Während bisher das Weib das Fa- milienhaupt(Familie im weitesten Sinne) gebildet hatte, trat jetzt er an die Spitze seiner Verwandten. Bei der Scheidung nahm er zuerst die Söhne, dann alle Kinder mit sich. Allmählich gründete er seinen eigenen Haushalt und machte seine Frau zur Verwalterin desselben. Er verlangte, daß sie nur ihm allein gehören, nur für ihn lebten solle. Söhne wünschte er in um so größerer Zahl zu haben, als sein Besitz mehr Leitung und Schutz bedurfte. Fand er nun seine Frau nicht so fruchtbar, wie ihm lieb war, so benutzte er seine Mägde, deren Kinder dann als die der rechtmäßigen Frau galten, während jene selbst in ihrer niedrigen Stellung verharrten. Denn natürlich hatte sich nrit dem wachsenden Privateigenthum auch ein Besitzunter- schied herausgebildet, der die einen Menschen von den anderen abhängig machte, Herren und Knechte schuf. Mögen die Knechte und Mägde nun Nachkommen jüngerer nicht erbberechtigter Familienmitglieder, die eigenen Besitz nicht erworben hatten, mögen sie Kinder von Beischläfe- rinnen oder als Sklaven gekauft sein, sicher ist, daß ihre untergeordnete Stellung sich auf ihre ökonomische Abhängigkeit gründete. Schließlich unterlag auch die Heirath der rechtmäßigen Frauen dem wirthschaftlickcn Nutzen. Sie wurden einfach den Eltern abgekauft. So diente z. B. Jakob seinem Oheim Laban um dessen Töchter Lea und Rahel je sieben Jahre. Die Mädchen selbst wurden um ihre Zustimmung nie gefragt; auch wird wohl nie eine Neigung ihrerseits