Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.

No. 24.

Ueberall und nirgends.

Reine Romanze.

Gin Königreich hab' ich gesehen,

So eins giebt's auf der Welt nicht mehr: Mit off'nem Munde blieb ich stehen, Und sah und staunte rings umher.

Das war ein Wohlsein allerwegen

In Haus und Hof, zu Stadt und Land, Ein rechter reicher Gottes- Segen, Wie ihn mein Auge nirgends fand. Die Straßen statt von Kriegsmilizen Waren von Bürgern reich belebt, Der Hafen hat von Mastenspizen, Von Rädern die Chaussee gebebt.

Bon Polizei- und Amts- Verboten, Von Mauth  - Tarif und Brückengeld, Schlagbaum und and'ren Schwerenothen War auch nicht eine ausgestellt.

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Und drinnen? O da hat ein Glaube Ganz ohne Pfaff und Priesterstand Leuchtend, wie einst des Geistes Taube, Geschwebt ob dem beglückten Land.

Und keine Spur von Mystizismus, Von Dunkelmänner- Muckerei, Selbst Lutherthum, Katholizismus Und Gar- Nichts galt für Einerlei!

Und Schrift und Wort war freigegeben, Die Presse saufte Tag und Nacht, Jedwede Kraft und jedes Streben, Wenn echt, ward wirksam auch gemacht.

Vom König war nicht viel zu sehen, Und doch schien er an jedem Ort, Und wollt er wo zu Fuße gehen, Trug man ihn auf den Händen fort. Die Stände zeigten so viel Dummheit, Als guten Ständen nöthig thut,

Mehr Rührigkeit und minder Stummheit Und just den rechten Redemuth. Maitressen gab es und Spione Ms Rarität ein Paar im Land, Und für die Zeitung der Barone Im Tollhaus einen Bränumerant.

Und Freiheit lag und grüner Friede Und Ueberfluß und Lebenslust Wie eine blizende Aegide Gar herrlich ob des Reiches Bruft. Die Dichter fangen wie sie wollten, Der Eine hart, der Andr'e weich, Und Steiner ward darum gescholten, War er nicht einer Schule gleich.

Noch hatt' ich, ganz im Schau'n verloren, Des Besten Laute still gelauscht, Als plötzlich, dicht vor meinen Ohren, Gin fremder Klang vernehmlich rauscht.

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.. Wo?

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Ich wachte auf Im Gefängniß, Vom Klirr'n der Kett' an meinem Fuß... O unglückseliges Verhängniß!

Daß man auch stets erwachen muß!

Vor meinem Fenster stund das Gitter

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So fest wie früher in der Mauer, Und über mir sang ohne Zither! Gin Strauchdieb seinen Gassenhauer.

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F. Dingelstedt.

Sozialistischer Spaziergang.

I.

Sonnabend, den 14. Juni 1890.

IV. Jahrgang.

endgültigen Siege kommt, so würde derselbe auf Seiten hiervon diejenigen Menschen Notiz nehmen, welche ver­des Arbeiters sein. Aber wenn dieser Kampf jemals möge irgend einer Ueberlegenheit des Besizes, Standes zu einem Abschluß käme, so würde die menschliche oder Ansehens über Mitmenschen herrschen und diesen Thätigkeit zu einem Stillstand kommen. Alles ihren Vortheil mit einem moralischen Mäntelchen zu um­menschliche Streben und Kämpfen würde dann ein hängen pflegen, indem sie sagen, zur Wohlfahrt der Ge­Ende nehmen, was meiner Ansicht nach nicht die sellschaft seien solche Herrschaften nöthig. Mögen fie lernen Absicht der göttlichen Vorsehung ist." von dem kleinen Volke, welches sich in allen seinen Gliedern

Die sozialistische Gesellschaft das Ende des mensch für Klug und gemeinsinnig genug hält, um in allgemeiner lichen Strebens! Göttliche Vorsehung! Das also ist Freiheit und Gleichheit leben zu können. Von diesen die Weisheit des eisernen" Kanzlers. Ein wunderliches Prinzipien der Ameisengesellschaft fagt Büchner: Das Eisen, schon mehr Eisenblech oder Rost, jedenfalls altes natürliche Uebergewicht, welches Alter, Kraft und Er­Eisen! fahrung den älteren Ameisen gegenüber den jüngeren ver­

Während ich so dachte, fiel mein Blick auf eine leihen, scheint denn auch die einzige persönliche Ungleich­Stelle des Erdbodens, welche von Ameisen wimmelte. heit zu bedingen, welche in dieser Republik der Freiheit Ein fesselndes, zum Nachdenken anregendes Bild! Da und Gleichheit zu finden ist. Die zuverlässigsten Beobachter schleppen hundert Thierchen ihre Puppen( vom Volts- stimmen mit dem schon von Salomo   ausgesprochenen Urtheil munde fälschlich Ameiseneier genannt) umher mit sorgender überein, daß die Ameisen, geradeso wie die Gesellschaften Liebe und in einer Weise, welche nach den Beobachtungen der Bienen, Wespen u. s. w., keine Chefs, Häuptlinge, der Naturforscher durchaus nicht zwecklos ist. Da bauen oder Anführer haben, und daß die eine so viel gilt, wie diese Thierchen für ihre Genossenschaft eine passende die andere. Das Bewußtsein ihrer Pflicht allein ist es, Wohnung und sammeln Vorräthe. Da helfen sie ein welches sie in Ordnung und bei ihrer Arbeit hält. ander in Hunger und Krankheit und beschüßen einander Allerdings haben einige Beobachter, z. B. Ebrard, von gegen äußere Feinde, alle für einen und einer für alle". solchen Häuptlingen gesprochen. Aber Forel versichert, Und dennoch, wo sind ihre Führer", wo find Herrscher, daß sie ein bloßes Geschöpf von dessen Einbildungskraft wo find Arbeitgeber"? Sieht das nicht fast wie eine seien. Huber, so führt er aus, hat bereits gezeigt, daß sozialistische, ja sozialdemokratische Gesellschaft aus? die Ameisen niemals Häuptlinge haben. Er selbst könne Und dennoch hört das Streben nicht auf. Die göttliche dies nur bestätigen und habe niemals eine Ameise ge­Vorsehung" scheint doch den Sozialismus nicht zu verab- sehen, welche ihren Kameraden gegenüber eine befehlende scheuen, wie Bismarck   glaubt. Rolle gespielt habe. Eine Arbeiterin von größerer Gestalt Wenigstens verstand nach der Meinung unserer ist allerdings mehr, als eine kleine, Gegenstand der Auf­,, Gottesgelehrten" der weise" König Salomo etwas von merksamkeit von Seiten der Uebrigen, aber blos ihrer der, göttlichen Vorsehung", und diese theologische Autori- Größe wegen; und wenn die Großen bei ihren Auszügen tät sagt( Sprüche Salomonis Kap. VI, Vers 6-8): an der Spiße marschiren, so ist es nur der Vertheidigung , Geh zu den Ameisen, du Faullenzer, und bessere dich halber, zu welcher die kleinen Individuen nicht in gleicher durch den Anblick ihrer Thätigkeit. Sie haben keine Weise geschickt sind. Bei Gelegenheit eines Wohnungs­Führer, keine Leiter, keine Aufseher und sorgen wechsels dagegen bemerkt man keine Verschiedenheit in der doch für ihre Nahrung im Sommer und sammeln ihre Thätigkeit der verschiedenen Formen der Arbeiter. Nur Vorräthe während der Zeit der Ernte." find die kleinen mehr arbeitsam, während die großen mehr

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Oder hatte Salomo   eine mangelhafte Kenntniß von kriegerisch oder als zum Kampfe geschickt erscheinen. Auch dem Leben der Ameise? Ich beschloß, daheim in die Krieger oder Soldaten, welche einige europäische und meinem Zimmer moderne naturwissenschaftliche Bücher zu die meisten tropischen Ameisenarten als besondere Raste befragen. Und von den Naturforschern) erfuhr ich nun aus ihren Geschlechtslosen ausscheiden, spielen niemals eine unter anderm Folgendes über die wahrhaft genoffen- befehlende, sondern nur eine dem Gemeinwesen dienende schaftlich organisirte Ameisengesellschaft: Rolle." Allerdings werden gewisse Ameisen von den

Die Klugheit, Geselligkeit der Ameisen sind längst Zoologen Königinnen" und andere Sklaven" genannt. berühmt. Leuret sagt von der Ameise, daß sie in der Aber diese Bezeichnungen sind unpassend. Die sogenannten Reihe der wirbellosen Thiere am höchsten stehe, und daß Königinnen find nichts anderes, als schwangere Ameisen, selbst unter den Wirbelthieren, sogar mit Einschluß des welche wegen ihres Zustandes weniger fähig zur Arbeit Affen und des Elephanten, keins über sie zu setzen sei. find. Büchner sagt von ihnen: Was die sogenannten " Ihre Geschichte, sagt er, ist diejenige des Menschen." Königinnen betrifft, so üben auch sie keine Art persönlicher Forel stellt die Ameise so hoch, daß er sie geradezu für Autorität aus und tragen daher ihren Namen eigentlich die übrigen Insekten als dasjenige bezeichnet, was der nur insofern mit Recht, als sie in der Regel keinen Antheil Mensch für die übrigen Säugethiere ist. Und Darwin   an der gemeinschaftlichen Arbeit nehmen und sich, abge­sagt im Hinblick auf das Gehirn der Ameise, welches sehen von ihrer Pflicht des Eierlegens, einem dolce far nicht größer ist, als das Viertel eines Stecknadelsknopfes: niente oder süßen Nichtsthun, einem denk- und arbeits­,, Von diesem Gesichtspunkte aus ist das Gehirn der Ameise losen Wohlleben ergeben. Auch darin, daß sie sich von das wunderbarste Substanzatom von der Welt und vielleicht ihren quasi Unterthanen ernähren lassen, gleichen sie den noch wunderbarer als das Gehirn des Menschen". Alle menschlichen Königen, unterscheiden sich aber wieder darin Ameisenkenner sind darin einig, daß die Ameisen eine sehr zu ihren Gunsten von ihren menschlichen Vorbildern, Sprache haben. Büchner sagt: Was das Mittheilungs- daß fie in einzelnen Fällen, wenn es Noth thut, mit Vermögen oder die Sprache der Ameisen betrifft, so spielen Hand anlegen und sich nicht schämen, dieselben Arbeiten auch hier wieder die sehr empfindlichen, mit starken Nerven zu verrichten, wie ihre Unterthanen". Namentlich geschieht versehenen Fühler oder Antennen die Hauptrolle. Zwei dieses da, wo es an arbeitenden Händen fehlt." Ameisen, die mit einander reden oder sich unterhalten,

sieht man mit den Köpfen einander gegenüberstehen und

Arbeiter.

I.

sich mit den überaus beweglichen Fühlern auf das Leb Zur Lage der kgl. preußischen Eisenbahn­hafteste gegenseitig bearbeiten, an die Köpfe schlagen u. s. w. Daß sie sich auf diese Weise gegenseitig sehr detaillirte Mittheilungen und zwar über ganz bestimmte Dinge zu g. Die volkswirthschaftliche Sektion des Freien machen im Stande sind, wird durch zahllose Beispiele Deutschen Hochstiftes in Frankfurt   a. M. hat im legten bewiesen." Landois   ist der Meinung, daß die Ameisen April einige Arbeiterbudgets veröffentlicht, welche, kombinirt außer dieser Geberden- und Taftsprache auch eine Laut mit anderm Material, zur Beurtheilung der wirthschaft­sprache haben. Er schloß dies aus vielen Beobachtungen lichen und sozialen Lage der Frankfurter   Arbeiterbevölkerung und fand auch in der That einen Ton- Apparat nach Art beitragen und Anlaß zu einigen Bemerkungen geben der Raspel am Hinterleibe der Ameise. Bei den Bonera- können. Ameisen sind die Laute dieses Apparates sogar dem mensch- Die Zahl der erhobenen Budgets beträgt zwar nur lichen Ohre vernehmbar. 3, man suchte jedoch aus verschiedenen Arbeiterkategorieen Nachdem durch solche Zeugnisse nüchterner Natur- die Beispiele möglichst so auszuwählen, daß sie als Typen forscher dargethan ist, daß die Ameise der Mensch unter der betreffenden Kategorie gelten konnten. den Insekten ist, dürfte unsere Aeußerung, die Ameisen- Budget I u. II ,, stellen in direkten Vergleich die Lebens­Am Rande des Kiefernwaldes, mo der sandige Boden gesellschaft sei genossenschaftlich, weniger Gefahr laufen, weise eines Arbeiters in einer Staatswerkstätte( Reparatur­abfällt zu einem grünbedeckten Moorlande, ließ ich mich belächelt zn werden. Bereits Swammerdam  ( 1637-1680) werkstätte der Staatseisenbahnen) und eines Arbeiters in nieder, um das mitgebrachte Brod zu verzehren. Während verglich die Ameiſengesellschaft mit den kommunistischen der Fabrik einer hiesigen Aktiengesellschaft( Chem. Fab.), ich mir den Imbiß munden ließ, beschäftigten sich meine Gemeinden des Urchristenthums. Und L. Büchner meint allerdings einer der bestorganisirten unserer Stadt. Es Augen mit seiner Hülle, einer alten Zeitung, fatale- allerdings mit einiger Uebertreibung: Man kann bedarf wohl kaum des Hinweises, wie die Aktiengesellschaft Gewohnheit des modernen Zeitungsmenschen, daß sein sagen, daß uns die Ameisen das Muster des in die Praxis derzeit weit eher den Namen einer Musteranſtalt verdient, Blick von jedem bedruckten Papierfeßen sich gefangen eingeführten Sozialismus bis in seine leßten Konsequenzen als die Staatswerkstatt, und wie viel noch fehlt, bis letztere nehmen läßt. liefern. Die Arbeit ist gänzlich frei und ungezwungen; der ersteren an Einrichtungen zum Wohl der Arbeiter auch

" Ich ging im Walde So für mich hin, Und nichts zu suchen, Das war mein Sinn."

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" Die

Was ich las, waren jene merkwürdigen Worte über sie haben keine Chefs oder Häuptlinge. Jede Ameise ist nur gleichgekommen ist." den Sozialismus, welche das Drakel unserer Groß- jeden Augenblick, und zwar ohne Zwang, bereit, ihr Leben Der Erlaß des Kaisers vom 4. Februar: bourgeoisie, der Erkanzler Fürst Bismarck, einem für die Gemeinschaft zu opfern u. s. w. Ja, die Ameisen staatlichen Bergwerke wünsche ich bezüglich der Fürsorge Berichterstatter des" New York Herald  " in die Feder haben keinerlei Herrschaftsform, und dennoch oder für die Arbeiter zu Musteranstalten entwickelt zu sehen." diktirt haben soll. Der Gegensat so meinte das richtiger gerade deswegen befißen sie unter allen In hätte also auch auf diese Eisenbahnwerkstätten Bezug nehmen Dratel zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern fekten, ja unter allen Thieren die höchste Kultur. Mögen ist meiner Meinung nach das Resultat eines Naturge­setzes und kann nach der Natur der Dinge niemals zu Staaten und Thaten der Kleinen" von Dr. Ludwig Büchner  . 1) Vergl. Aus dem Geistesleben der Thiere oder einem Abschluß kommen.... Wenn es jemals zu einem Berlin   1876. Hofmann u. Co.

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dürfen.

In der chem. Fabrik der genannten Aktiengesellschaft findet der Arbeiter Gelegenheit zu gemeinsamen billigen Mittagstisch, es werden ihm Arbeitskleider und Bäder zur