9k. 30.Requiescat!Wer den wucht'gen Hammer schwingt;Wer im Felde mähl die Aehren;Wer ins Mark der Erde dringt,Weib und Kinder zu ernähren;Wer stroman den Nachen zieht;Wer bei Wall' und Werg und FlachseHinterm Webcstuhl sich müht,Daß sein blonder Junge wachse:—Jedem Ehre, Jedem Preis!Ehre jeder Hand voll Schwiele»!Ehre jedem Dropsen Schweiß,Der in Hütten sällt und Mühlen!Ehre jeder nassen StirnHinterm Pfluge!— doch auch dessen,Der mit Schädel und mit HirnHungernd pflügt, sei nicht vergessen!Ob in enger BüchereiDunst und Moder ihn umstäube:Ob er Sklav' der Messe sei,Lieder oder Dramen schreibe;Ob er um verruchten LohnFremden Ungeschmack vertire;Ob er in gelehrter FrohnGriechisch und Latein docire;—Er ist auch ein Proletar!Ihm auch heißt es:„Darbe, borge!"Ihm auch bleicht das dunkle Haar,Ihn auch hetzt ins Grab die Sorge!Mit dem Zwange, mit der RothWie die andern muß er ringen,Und der Kinder Schrei nach BrotLähmt auch ihm die freien Schwingen!Manchen Hab' ich so gekannt!Nach den Wolken flog sein Streben:Ties im Staube von der HandIn den Mund doch mußt' er leben!Eingepfercht und eingcdornt,Aechzt er zwischen Thür und Angel;Der Bedarf hat ihn gespornt,Und gepeitscht hat ihn der Mangel.Also schrieb er Blatt auf Blatt,Bleich und mit verhärmten Wangen,Während draußen Blum' und BlattSich im Morgenwinde schwangen.Nachtigall und Drossel schlug,Lerche sang und Habicht kreiste:—Er hing über seinem Buch,Tagelöhner mit dem Geiste!Dennoch, ob sein Herz auch schrie,Blieb er tapfer, blieb ergeben:„Dieses auch ist Poesie,Denn es ist das Menschenleben!"Und wenn gar der Muth ihm sank,Hielt er fest sich an dem Einen:„Meine Ehre wahrt' ich blank,Was ich thu', ist für die Meinen!"Endlich ließ ihn doch die Kraft!Aus sein Ringen, aus sein Schaffen!Nur zuweilen, fieberhaft,Könnt' er noch empor sich raffen!Nachts oft von der Muse KußFühlt' er seine Schläfe pochen;Frei dann flog der Genius,Den des Tages Drang gebrochen!Lang jetzt ruht er unterm Rain,Drauf im Gras die Winde wühlen;Ohne Kreuz und ohne SteinSchläft er aus auf seinen Pfühlen.Rolhgewcinten AngesichtsIrrt sein Weib und irrt sein Samen—Bettlcrkinder erben nichtsAls des Vaters reinen Namen!Ruhm und Ehre jedem Fleiß!Ehre jeder Hand voll Schwielen!Ehre jedem Tropfen Schweiß,Der in Hütten fällt und Mühlen!Ehre jeder nassen StirnHinterm Pfluge!— Doch auch deffen,Der mit Schädel und mit HirnHungernd pflügt, sei nicht vergessen!Ferdinand Freiligrath.kKachdruck»erboten-lWückfaccvonAugust Strindberg.Deutsch von G u st a v L i ch t e n st e i n.(2. Fortsetzung,)Paul Petrowitsch erwachte eines Morgens im Märzum drei Uhr. Er glaubte seine Frau rusen gehört zuHaben, als er aber jetzt in seinem Bette lauschte, vernahmer nichts. � Es war ruhig im Hause, ruhig draußen.Durch die Fensterläden sah er das Morgenlicht eindringen,schwach schilfgrün durch die Jalousien gefärbt. Diesesfeierliche Schweigen war seine Freude. In der Schweig-samkeit hörte er Stimmen, friedliche, hoffnungs- undliebevolle Stimme, die ernste, nüchterne Worte von derZukunft sprachen, er hörte die Erinnerungen der Per-gangenheit wie klagende, schmerzerfüllte Weherufe, die zurHilfe für die Leidenden ermahnten.Paul steht auf und öffnet die Balkonthür. EinMeer von Licht schlägt ihm entgegen; die Sonne ist nochnicht aufgegangen; aber blau wie ein Stück herabgefallenenSonnabend, den 26. Juli 1890.Himmels liegt der See, aus dessen Tiefe sich die Savoyer-alpen mit den vier Jahreszeiten auf ihren großen, dunkelenGehängen erheben. Unten am Strand stehen wintergrüneBäume und Sträucher, von denen Laurus Tinea geradejetzt mit weißen Blüthen wie im Sommer besäet ist;darüber in der Region des Frühlings blüht der Pfirsichmit seinem rosenfarbigen Schmelz, hier schimmert derNußbaum in hellgrünen Farben, hier blühen Prinielnund Anemonen; höher hinauf breitet sich der Buchenwaldaus, noch braun, wie im Herbst und höher, da beginntder winterliche Schnee. Nun singen alle Vögel auf einmal.Ueber Rochers de Nahe's steilem Kamm steht ein Bogenvon Licht; ein Strahl schießt über das Wiesenland dahin,ein neuer Strahl, ein ganzes Strahlenbündel; und nunsteigt der obere Rand der Sonnenscheibe empor, schau-kelnd und zitternd. Die Schatten ziehen sich scheu zuFüßen der Berge nieder und verbergen sich in denTannenwäldern, um im Kühlen bis zum Abend zu ruhen.Paul ging auf den Balkon, zum Fenster seiner Frau.Die weiße Gardine war nicht dicht zugezogen. Sie saher nicht, aber die beiden Kinder. Vera's Kopf lag überdem äußersten Rande des Kissens, und ihr ausgestreckterArm mit der kleinen, geöffneten Hand hing über denBettrand hinab. Ihr Gesicht war vom Schlafe ruhig,und der Mund stand offen, kleine weiße Zähne zeigend,die noch keinen Fleck hatten. Das ganze Gesicht lächelte,und er glaubte dem Blicke der blauen Augen durch dieLider zu begegnen. Paul seufzte schwer, als ob er seinetheuerste Hoffnung von etwas Unbekanntem bedroht sähe.Jetzt vernahm er ein schwaches Stöhnen vom Bette seinerFrau, aber er wollte sie nicht wecken. Vermuthlich hattesie einen häßlichen Traum von der Vergangenheit, dienimmer vergessen werden kann. Er ging wieder in seinZimmer, kleidete sich an und trat in den Garten, als eraus dem Zimmer seiner Frau plötzlich einen lautenJammerruf vernahm. Er lief die Treppe hinauf undlauschte an der Thür. Jetzt hörte er seinen Namenhervorjammern. Er klopfte an die Thür und trat ein.In ihrem Bette wand sich Annischka mit vor Schmerzengeröthetem Gesichte.„Weshalb hast Du die„Frau" nicht vorbereitet, wieich Dich gebeten hatte, Annischka Jwanowna, während esnoch Zeit war. Jetzt stehen wir da: Bernhard ist beiden. Seinigen, und ich muß Dich allein lassen".„Mache mir jetzt keinen Vorwurf. Paul, Lieber, aberbeeile Dich."„Verzeihe, Geliebte",— sagte Paul und streichelteihre heiße Stirn.Paul küßte seine Frau und eilte fort. Aber als erin das Thor kam, vernahm er wieder ihr Angstgeschrei,das durch den Vogelsang wie ein Nothruf drang, wieein Warnungsruf an alle, die jetzt unter Jubel Hochzeitfeiern, ohne Furcht, ohne einen Gedanken an den Schinerzder Geburt, den Schmerz des Todes.Er lief den Berg hinauf nach Lausanne zu, sodaßdas Herz in ihm flog und das Blnt in seinem Gehirnklopfte. Er erreichte den kleinen Kirchhof mit derschwarzen Cypreffe, als seine Füße ihm den Dienst ver-sagten und es in seinem ganzen Körper zu reißen begann,wie es bisweilen in feinem Gesicht zu geschehen pflegte.Er stand völlig unbeweglich und hielt sich an dem Gitterdes Kirchhofes fest. Hier sank er nieder und kam nichtvon der Stelle, denn seine Kniee hatten sich gekrümmtund der Körper war wie unter der Einwirkung einer gal-vanischen Batterie zusammengezogen. Er sah den Kirchhofmit den verwachsenen Gräbern durch das Gitter undwürde in Ohnmacht gefallen sein, wenn er sich nicht dieHände an einem Nesselstrauch gestochen hätte. Da kamer zur Besinnung, dachte an seine Frau und schrie umHilfe. Im Fenster der katholischen Kapelle, dem Kirchhofgegenüber, erschien ein fettes, blauschwarzes Gesicht ineiner weißen Nachtmütze. Es war der Priester, dersoeben erwacht war und den Ruf gehört hatte. Als erPauls verzerrtes Gesicht und zusammeugesallenen Körpersah, glaubte er einen Betrunkenen vor sich zu haben,der von einem nächtlichen Gelage den Heimweg suchte,und er schloß sofort das Fenster mit dem einzigenWorte: Saufbold!Aber Paul rief immerfort um Hilfe, das Lebendünkte ihn in diesem Augenblicke schwerer, als er es sichje hätte ausmalen können. Er sah im Geiste die Kammer,in der Annischka allein mit den Kindern lag, denSchmerzensruf zurückhaltend, um sie nicht zu erschrecken.Als er eine Weile gerufen hatte, kam ein in derNähe wohnender Pächter heraus und eilte zu ihm.„Was giebt's?" fragte er theilnehmend.„Ich bin krank", antwortete Paul;„aber meineFrau liegt in Kindesnöthen, eilen Sie um des Himmels-willen zur Hebamme in Lausanne und bitten Sie dieFrau, sofort zu dem Rosenpächter in Ouchy zu kommen.Kümmern Sie sich nicht um mich, eilen Sie, und derHimmel wird Sie segnen."Der Pächter wollte erst Paul helfen, dieser aberschlug sein Anerbieten aus und begann, den Berg hin-unter zu kriechen, zurück in sein Haus.Da hörte er von neuem das Jammergeschrei seinerFrau. Er vermochte nicht mehr, sich fortzubewegen,IV. Jahrgang.denn der Nothruf wühlte in seinem Rückgrat und inallen Nerven. Er wälzte sich nun vorwärts, denn ermußte zu ihr. Als er näher kam, hörte er auch dieKinder, so verzweifelt, so hilflos schreien. Die Thronenrannen ihm die Backen hinab und mischten sich mit demStaube, daß sein Gesicht ganz unkenntlich wurde, als erendlich die Pumpe erreichte und es ihm gelang, in denSteintrog derselben zu kriechen. Das kalte Wasser schienberuhigend auf ihn zu wirken, und sein Körper richtetesich allmählich wieder gerade. Nachdem er den Wasser-strahl eine Weile über Hals und Rücken hatte spülenlassen, stieg er aus dem Bade, lief in sein Zimmer undzog sich einen trockenen Rock an. Bald darauf war eram Bette seiner Frau.„Sie kommt sofort", flüsterte erMch über sie neigend,sofort."Daraus trug er die Kinder Hind Betten in dasäußere Zimmer und begann, die Mädchen anzukleiden.Kurz darauf ging er wieder zu der Mutter, die ihngewaltsam umschlang, während sie sich in Schmerzenwand. Dann eilte er auf den Balkon und schaute denWeg entlang, ob die„Frau" nicht bald käme. Er betetezu Gott, wie er es in seiner Kindheit gelernt hatte,denn er war jetzt schwach. Und draußen die Naturlächelte so unharmonisch zu seinem Jammer, und dieVögel sangen so frisch wie vorher. Dann mußte erauf dem Herde Feuer machen. Er lief zu den Kindernund holte alle Bücher mit Bildern, alle Photographien,die er besaß, zusammen.Da vernahm er einen entsetzlichen Schrei, schlimmerals die früheren; bei seinen Eintritt in das Zimmer lagAnnischka ruhig mit einem sonnigen Lächeln auf demGesicht, matt und athemlos da. Unterhalb der Deckehörte man ein Wimmern, das stärker wurde, bis es sichzu schwachem, lebenslustigem Schreien entwickelte, dasPaul so gut kannte. Er wurde froh, denn nun wares überstanden; er war aber auch Arzt und wußte, daßGefahr im Verzuge war, aber er konnte sich nicht dazuverstehen, die Decke emporzuheben, nein, in ihm lebtenoch zuviel vom alten Menschen. Jedes andere Weib,aber nicht seine Frau! Er fühlte sich in einem teuflichenDilemma, ebenso schwer wie das frühere, aber er war nichtim Stande dazu, er konnte nicht. Weßhalb er nicht konnte,das wußte er nicht, aber es war so! Da hörte manSchritte auf der Treppe. Er stürzte hinaus und begeg-nete der sehnlich erwarteten Hebamme. Er umarmte sieund schob sie in das Zimmer. Darauf holte er dieMädchen und führte sie in den Garten.Er athmete leichter, während seine Füße noch zit-terten. Er blickte empor zu den Bergen, die so sicherund glänzend wie immer dastanden, und zum klarenHimmel. Er pflückte die schönsten Tulpen und wandeinen Strauß in eitel hellen Farben, keine blutrothen,keine brandgelben, nur weiße und rosa, die das Augeberuhigten.Nach einer halben Stunde trat die Hebamme aufden Balkon hinaus und winkte ihm. In einer Minutewar er oben und hielt seinen Sohn in den Armen.Seinen Sohn! Es war eine wunderliche Freude, die erfrüher nicht gekannt hatte, und er vermochte es nicht zufassen, warum er ihm eigentlich mehr Freude bereiteteals seine erste Tochter. War es sein Abbild, das erumarmte? War es ein neues Ich, in dem er alle seineTräume von dem neuen Menschen verwirklicht zu sehenhoffte, ein Sproß an dem alten Stamm, der neu, frischemporgewachsen, der nicht all die Thvrheiten in sich auf-nehmen würde, die er hatte lernen müssen, und die jetztwie Unkraut gar nicht auszuroden waren, ein Reprüsen-tant des kommenden Geschlechts, das vielleicht mit neuenGedanken, einem neuen Gehirn, einem neuen Herzengeboren wurde! Vielleicht! Und er legte den Sohn andie Brust der Mutter, wo er schlafen und gedeihen sollte,während die Eltern für ihn sorgten.Einige Tage später saß Paul Petrowitsch am BetteAnnischkas. Sie hatten das Gespräch unterbrochen, undes war im Zimmer so ruhig geworden, daß mau die leisenAthemzüge des Neugeborenen in der Wiege wahrnehmenkonnte. Aber sie hörten durch das Schweigen, was einjeder dachte. Paul hörte, daß Anna den Gedanken hatte:nun haben wir eine Zeit lang von Dingen geredet, dieuns gar nichts angehen.— Er selbst dachte: wo hinauswill sie?Schließlich begann Annischka mit einer Stimme, dersie einen möglichst weichen Ton zu geben versuchte, sodaß die Worte wirklich wie eine Bitte klangen: PaulPetrowitsch, ich habe eine Bitte an dich!„Also etwas, das gegen meine Wünsche streitet,Annischka Jwanowna, denn sonst brauchtest du nicht zubitten!" antwortete Paul unruhig.„Jawohl!"— jagte Annischka verzagt.„Nun kommt also das Unvorhergesehene! Sprich!"„Sei mir nicht böse, Paul, verachte mich nicht,aber schlage mir meine Bitte nicht ab! Laß mich unfernKnaben taufen."Paul blieb ziemlich ruhig sitzen.„Ein Rückfall! Hm! Das ist sehr natürlich, aberes giebt auch natürliche Dinge, die nnangenehm sein