können, wie zum Beispiel, wenn der Blitz durch einen Schornstein einschlägt, oder ähnliches. Dieser Fall ist verdrießlich, Annischka Jwanowna! Wir haben den Priester verschmäht, als wir uns heiratheten, und jetzt sollen wir um Verzeihung bitten. Es ist wirklich vev drießlich." „Warum verdrießlich, da wir nicht um Verzeihung bitten. Und Du sagst: wir! Du brauchst es nicht zu thun, ich allein werde es thun!" „Das Kind ist doch auf alle Fälle auch mein Kind; und man kann dann nicht fortleugnen, daß mein Kind getauft ist! Das ist für„die Freunde" ein schlechtes Beispiel." „Willst Du die Freunde zwischen mich und Dich stellen, Paul?" fragte Annischka in ziemlich hartem Ton. „Nein,— antwortete Paul,— und Du sollst dem Worte„Freunde" keine häßliche Betonung geben, Annischka Jwanowna. Du weißt, was die Freunde sind; sie sind nicht eine Person oder mehrere, sie sind die Sache!" „Deshalb bat ich Dich auch, Paul Petrowitsch. das Kind taufen zu dürfen. Ich bat!" „Ich will ein starkes Motiv gegen mich suchen, ge- liebte Annischka, um Dir den Willen thun zu können. Die Freunde werden sagen: Pfui, Paul Petrowitsch, der bei seiner Ehe den schmutzigen Pfaffen veraditete, hat seiner Frau erlaubt, sein Kind hinter seinem Rücken zu taufen. Was soll Paul antworten?" „Ich that es meinem Weibe zu Gefallen, weil ich sie liebte.— soll Paul antworten." „Aber dann werden die Freunde antworten: er liebte ein Weib höher als die Wahrheit; Paul ist nicht der, den wir suchten!" „So kann man eine einfache, gleichgiltige Sache zu einer großen That aufbauschen." „Es ist keine gleichgiltige Sache, wenn man sein Kind der Unwahrheit verspricht. Und bedenke, Annischka, wenn Du es bereust— denn das wirst Du thun!" „Es ist traurig, Paul, aber was sollen wir thun! Ich kann mir nicht helfen, ich habe nicht eher Ruhe, als bis das Kind getauft ist! Es ist einfältig, abergläubisch, aber Du hörst ja, ich kann mir nicht helfen!" „Ich glaube es, Annischka! Ich weiß, daß körperliche Erschütterungen die Seele gleichsam um und um wenden, so daß das, was auf dem Grunde lag, an die Ober- fläche kommt; ich weiß, daß Sterbende in ihren alten Kinderglauben zurückfallen, und zum Beweise für Vol- taires schlechten Glauben wird stets angeführt, daß er in bewußtlosem Zustande Rückfälle hatte; ich weiß, daß ich noch heute die Blasen in der Theetasse betrachte und im Finstern furchtsam sein kann, weil mein Kindermädchen mich in meiner Jugend Gespenstergeschichten gelehrt hat! Du sollst Dein Kind taufen, es sei— gut, eö sei! aber ich will nicht dabei sein! Und wir sprechen nie mehr über diese Angelegenheit." Annischka ergriff seine Hand und küßte sie. „Ich danke Dir, geliebter Paul, Du hast mich un- aussprechlich glücklich gemacht." „Aber wir sprechen nie mehr davon, Annischka! Und ich hätte es Dir ja auch nicht verweigern können! Denn es ist Dein Kind." „Auch Deines, und Du hast das Gesetz auf Deiner Seite, Paul, denn das Gesetz gebietet, daß das Kind der Religion des Vaters folgen soll. Aber das Gesetz ist von Männern gegen Frauen gestiftet." Die rutsche Moralphilosophie. n. ' P. E. Tolstoi ist ein kommunistischer Utopist, der zu seinen Forderungen nicht kommt durch das Studium der Gesellschaft und die Beobachtung ihres Anflösungspro- zesses, sondern von einem moralischen A�iom her. „Du sollst nicht widerstreben dem Bösen." Diese Moral des duldenden Proletariats verneint die gegen- wärtige Gesellschaftsform und fordert eine Form, in welcherihre Gebote wahrhaft befolgt werden. Die Verwerfung des herrschenden Zustandes ist von Tolstoi lediglich weiter ausgeführt. Tolstoi und seine Genossen sind die ersten naturwüchsigen Sprecher des Proletariats in Rußland . Diese naturwüchsige Form des Kommunismus ist aber auch stets die aussichtsloseste; sie kommt nicht über die Moral hinaus, und in den meisten Fällen sind sogar die Mittel, welche angewendet werden sollen, uni die kommunistische Gesellschaft durchzuführen, moralischer Natur. So ist es auch bei Tolstoi . Fragt man ihn: wie soll man zu deinem Gesellschastsideal kommen— so antwortet er: durch einen moralischen Aufschwung der Menschen. Als Moralist neigt er dazu, den Einfluß der Verhältnisse aus den handelnden Menschen zu über- sehen; als Moralist muß er annehmen, daß es die Menschen sind, welche die Verhältnisse schaffen, nicht die Verhältnisse, welche die Menschen schaffen, und:„erst die Menschen bessern", ruft er aus,„dann wird das Uebrige schon von selbst kommen." Und wie hat man die Men- scheu zu bessern? Auf die einfachste Weise. Man braucht ihnen nur zu sagen:„seht wie elend und unglücklich seid ihr in eurem jetzigen Leben! Wie glücklich würdet ihr in dem neuen Leben sein, wenn ihr euch gebessert haht! Glücklich ist doch nur der Gute". Und wenn man das den Menschen erst klar gemacht hat, so werden sie schon ent- sprechend handeln.'Um tugendhaft zu werden, bedarf es bloß der nöthigen Belehrung. „Jesus verlangt: wer mir folgen will, der lasse sein Haus, sein Feld, seine Eltern und Anverwandten und folge mir, denn ich bin von Gott; und ich will euch hundert mal mehr geben, als eure Häuser, eure Felder eure Eltern Werth sind, und obenein das ewige Leben. „Die Welt sagt: Verlasse dein Haus, dein Feld deine Eltern, verlasse die grüne Natur und ziehe in die schmutzige Stadt; verbringe dein Leben in widerlichen Arbeiten und stirb dann; und du wirst nichts dafür bekommen, weder in dieser, noch in jener Welt. „Jesus sagt: Nimm dein Kreuz auf dich und folge mir, aber niemand folgt. „Aber wenn ein Mensch in Livree, dessen Geschäft es ist, seinesgleichen zu tödren, wenn der sagt: nimm Ranzen und Flinte und gehe einem sichern Tode und jeder Art von Leiden entgegen, dann läuft Jeder herbei Sie verlassen ihre Eltern, Weiber, Kinder; ziehen bunte Lappen an, stellen sich unter die Befehle der Erstenbesten hungern, werden erschöpft durch übertriebene Märsche gehen, ohne zu wissen, wohin, wie eine Heerde Rinder zum Schlachthof; aber es siud nicht Rinder, es sind Menschen. Sie hungern, frieren, sind krank, bis sie an die Stelle geführt werden, wo sie sich töten lassen müssen und gezwungen sind, andere zu tödten, die sie nicht kennen. Ein einziges Wort eines Ehrgeizigen mordet Millionen; und diese Millionen ffnden das nicht schlecht sie finden es sogar lobenswerth." An dem Beispiele Tolsteis und der übrigen kann man sehen, wie stark die geistige Macht des Volkes ist, und wie wenig das Individuum selbst allein vermag Tolstei ist ein tiefer und tiefsinniger Denker; aber nur so lange, als er in Uebereinstimmung mit seinem Vol" denkt. Sobald er darüber hinaus will, weiß er sich nicht zu helfen. Er denkt in Uebereinstimmung mit dem Volk, so lange er seine Moral darstellt; er will darüber hinaus gehen, sobald er in Konsequenz dieser Mora den Uebergang zu einen besseren Zukunftsstaat predigt. Und hier verläßt ihn sein Scharfblick. Er vermag nur an die„Vernunft" zu appelliren, und bildet sich ein, diesen Appell werde man hören!! Hier ist der Punkt, wo Tolstei vom proletarischen Bewußtsein abbiegt; hier ist aber auch der Punkt, wegen dessen seine Philosophie dem Bürgerthum ganz recht sein kann.„Laßt den Arbeiter nur räsonniren und mora- tische Philosophien ausdifteln", kann es denken,„so lauge ich schlau genug bin, nicht zu philosvphiren, hat du etwas sehr angenehmes. Der Arbeiter widerstrebt nicht dem Uebel, sondern läßt sich von mir rnhig das Fell über die Ohren ziehen. Die Genugthuung, daß er mora lischer ist, will ich ihm gerne gönnen, die kostet mich kein Geld." Der Bürger kann so denken; bei der Tolstoischen Philosophie wird er ja wohl nicht in diese Lage kommen, denn erstens rekrutirt dieselbe ihre An- Hänger aus begreiflichen Gründen nur aus der bürger- lichen Ideologie; und zweitens ist er auch nicht gerade gewohnt, solche Betrachtungen anzustellen. Aber er kann o denken; und thun es nicht schließlich alle diejenigen, welche, selbst atheistisch, die Religion für das Volk haben wollen, um dieses leichter zu regieren? Die Moral des„Nichtwiderstrcbens dem Uebel" ist die ursprüngliche Moral des Proletariats. Sie ist das Produkt einer unterdrückten Klaffe. Sie steht besonders in Blüthe, so lange die Klasse nicht auf Befreiung hofft. Beim ersten Hoffnungsschimmer verlieren die Arbeiter ihre Demuth und Sanftmuth; und wo sie zum wirklichen Kampf um die Macht kommen, da müssen sie noth gedrungen die Moral der Machthaber akzeptiren, die Moral, daß die Gewalt das Recht schafft. Die proletarische Moral, die ZNoral der Sympathie, wie sie Tolstei lehrt, ist die melancholische Klage der Unterdrückten und Unterjochten; in ihr werden diese Millionen von stummen Seufzern laut, welche durch Ungerechtigkeit und Roth erzeugt siud, in ihr kommt das heiße Sehnen der Unglücklichen nach Glück, der Un- geliebten nach Liebe, der Geknechteten nach Gerechtigkeit zuni Ausdruck. Aber diesen rührenden Klagegesang zuni Schlachtruf machen? Das wäre doch etwas verkehrt! Die Sachfengättgerei. i. Alle Jahre ziehen viele Tausende von landwirth- schaftlichen Arbeitern beiderlei Geschlechts aus den öst- lichen Provinzen Preußens in die Gebiete des Rüben- baues und der großen Zuckerplantagen links und rechts der Elbe . Die Rüben-Kampagne dauert, was die land- wirthschaftlichen Arbeiten betrifft, von April bis zum Spätherbst; Anfangs oder Mitte November kehren die Leute wieder in ihre Heimath zurück. Diese periodische Wanderung hat, weil sie sich Haupt- sächlich nach der Provinz Sachsen , dem Centrum des deutschen Rübenbaues(Magdeburg ) richtet, den Namen Sachsengängerei erhalten. Andere Einwanderungsgebiete sind Anhalt , einige thüringische Fürstenthümer, das süd- liche Hannover und Braunschweig . Selbst bis nach der Rheinprovinz und gegen Norden bis nach Mecklenburg und Schleswig-Holstein dringt diese Bevölkerungswelle, welche der Osten alle Jahre auswirft. Wir haben es hier offenbar mit einer interessanten Erscheinung zu thun, mit einer Massen-Erscheinung, die die bisher statistisch entweder gar nicht oder nur ganz unzureichend erfaßt und gegenüber der eigentlichen oder überseeischen Auswanderung sehr vernachlässigt worden ist. Landwirthschaftliche Wanderarbeiter giebt es zwar auch anderwärts. Wer das„Kapital" von Marx ge- lesen hat, erinnert sich des famosen„Gangs" in den westlichen und südwestlichen Ackerbau-Distrikten Englands und Wales. Ein großer Theil der Weinbergsarbeiten im südlichen Frankreich wird ebenfalls von Wander- arbeitern besorgt, welche von Italien , dem Land der periodischen Auswanderung pur excellence, kommen. In Deutschland selbst giebt es, unabhängig vom Rübenbau, viele Gebiete periodischer Zu- und Abwanderung land- wirthschaftlicher Arbeiter. Dreimal im Jahre, im Früh- ling, Sommer und Herbst, ziehen aus dem Warthebruch die Leute mit Weib und Kind auf Wagen nach dem Oderbruch , um daselbst eine Anzahl von Wochen zu ver- bleiben und landwirthschaftliche Arbeiten, gewöhnlich im Akkord, zu übernehmen. Von Provinz zu Provinz, von Bundesstaat zu Bundesstaat finden solche Verschiebungen statt. Durch die„Schwabengängerei" erhalten Würt- temberg und einige Gebiete von Bayern landwirthschast- liche Arbeiter, namentlich Kinder, ans Tyrol und einigen östlichen Schweizerkantonen, durch die„Holland- gängerei" wird das Ausland vom deutschen Reich her versorgt. Die Sachsen gängerei ist neueren Datums und hat ihren jetzigen Umfang erst mit der großen Ausdehnung des Zuckerrübenbaues erreicht. Sie ist von allen Er- scheinungen der landwirthschaftlichen Wanderarbeit in Deutschland weitaus die bedeutendste und war mit ihren thatsächlichen oder angeblichen Wirkungen bereits wiederholt Gegenstand öffentlicher Besprechung. Neuerdings hat ein Schriftsteller, Herr Kaerger, es unternommen, das Wesen der Sachsengängerei zu unter- suchen, ihren Umfang festzustellen, die Ursachen und Folgen derselben aufzuzeigen und eventuelle staatliche Maßregeln auf diesem Gebiete vorzuschlagen.�) Er hat sich zu diesem Zwecke sowohl in die Distrikte des intensiven Rübenbaues selbst begeben, als auch einige Gebiete besucht, aus denen sich die Sachsengänger hauptsächlich rekrutiren. Der Hauptgrund für die Erscheinung der Sachsengängerei liegt, was die Zuwanderungsgebiete, also die Distrikte des Rübenbaues selbst, betrifft, darin, daß diese Gebiete entweder überhaupt keinen oder einen nicht zureichenden Stamm einheimischer Landarbeiter be- 'itzen. Die intensive Bewirthschaftung des Bodens, die Verdrängung der Naturalwirthschaft und Naturallöhnung durch die Geldlöhnung hat daselbst auch den früher ebenfalls vorhandenen Stamm einheimischer Landarbeiter verdrängt. In Norddeutschland hat man 3 Arten ländlicher Arbeiter zu unterscheiden, die Jahrcslöhner, die kontrakt- ich gebundenen Taglöhner und die freien Taglöhner. Die Jahrcslöhner sowohl als die kontraktlich gebundenen Taglöhner erhalten auf dem Gutshofe(Großgrundbesitz) elbst freie Wohnung, d. h. eine mit Stroh und Moos bedeckte, rauchgeschwärzte Hütte, ein Stück Kartoffel- und Gartenland, Brennholz rcsp. Torf, sie dürfen sich eine Kuh, ei» P ar Schweine und bisweilen auch Gänse halten. Außerdem bekommen die Jahreslöhner einen festen Satz von Feldft.hten, namentlich Getreide, das sogen. Deputat, während den kontraktlich gebundenen Gutstag öhnen ein bestimmter, z. B. der 18. oder 15. Theil des ausgedroschenen Getreides zugewiesen wird. Wie nian sieht, noch vollständige Naturalwirthschaft und Naturallöhnung! Dafür muß aber der Arbeiter auf Ver- angen, namentlich in der Erntezeit, auch seine Frau zur Arbeit mitbringen, und außerdem hat er das ganze Jahr noch eine schwächere Arbeitskraft, gewöhnlich eins seiner halberwachsenen Kinder zu stellen, den sogen. Hofegänger oder Scharwerker, der zudem einen geringen Geldlohn (4.— 60 Pf.) erhält. Diese Verhältnisse haben früher auch in der Provinz Sachsen geherrscht. Als aber mit der steigenden Boden- ultur das Land einen immer höheren Werth erhalten latte und als namentlich mit der Einführung und starken Ausbreitung des Rübenbaus der Großbetrieb auch bei der Landwirthschast gegenüber dem 5lleinbctrieb in Vortheil am, da verdrängte die Geldlöhnung mehr und niehr die Naturallöhnung; das Land, welches früher vom Gutstag- öhner bewirthschastet worden war, wurde jetzt in den Betrieb des Gutshofes hineingezogen, die eigene Vieh- Haltung des Häuslers siel weg, er wurde jetzt mit Geld lohn abgefunden. Dieser Uebergang von der Naturalwirthschaft hat ich zwar noch nicht ganz, aber doch zu einem großen Theile vollzogen. Wo man die Einqnartirung von Ar iieiterfamilien in den alten Häuslerstellen noch beibehalten hat, da müssen diese jetzt bereits eine bestimmte, freilich nach unserem Maßstabe nicht hohe Miethe bezahlen; für das Land aber, soweit man ihnen solches noch gelassen, entrichteten sie einen Pachtzins, der ebenfalls hinter dem 'vnst üblichen etwas zurückbleibt. Das Halten von 5bühen. Gänsen und Ziegen ist den Arbeitern unmöglich gemacht, „in einem Lande, wo jedes nur irgendwie zu verwerthende Stück Land in Kultur genommen ist und wo man meilen- weit gehen kann, ohne auch nur ein Fleckchen Unland oder sonstige Hütung zu entdecken und wo auch der Wald in vielen Kreisen kaum 1,3— 2,6 pCt. der Bvdenfläche ausmacht".— In dieser mehr oder minder starken Verdrängung der Naturallöhnung durch die Geldlöhnung sieht der Zerfasser mit Recht einen der Eirunde, aus denen es )em sächsischen Unternehmer so schwer wird, sich einen ständigen Stamm von einheimischen Landarbeitern zu lalten.„Denn mit der Aufhebung jener Naturalleistungen, insbesondere durch das Verbot der Viehhaltung, ist eines der festesten Bande geschwunden, die eine Arbeiterfamilie *). Die Sachsengängerei, aus Grund persönlicher Ermittelungen und statistischer Erhebungen dargestellt von Karl Kaerger, Dr. jur. Berlin , Paul Pareh. 1800.
Ausgabe
4 (26.7.1890) 30
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