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Sozial-Politisches Wochenblatt.
Mer befahlt die Zölle?— Debatte über die..Gefahren des Marrismus".— Schlntz- wort znr Debatte. — Die Konsumvereine.— Kevolutionirende Zahle«. Gedicht.— Novelle.— Ans meinem..Danern- spiegel".— Das platte Land«nd die Sozial demokratie. — Friedrich Uiebsche.— Freie Uolksbuhne.
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Wer bezahlt die Zölle? P. E. Eine der heikelsten Fragen der Nationab ökonomie ist jedenfalls die: wer muß im letzten Grunde die Zölle bezahlen, der Konsument oder der Produzent, her Arbeiter oder der Unternehmer, das In- oder das Ausland? Und bei der Schwierigkeit der Frage kann es denn auch nicht Wunder nehmen, wenn die Sophisten und Sykophanten jeder Jnteressengemeinde ihren Gläubigen bald dieses, bald jenes aufbinden, was ihnen gerade in den Kram paßt. Die Zölle haben den Zweck, einer Bevölkerungs- kategorie auf Kosten einiger oder mehrerer anderer einen Vortheil zu verschaffen, indem sie durch die erschwerte Konkurrenz des Auslandes ihre Waaren theuerer ver- kaufen kann, als früher. Denken wir uns irgend eine bestimmte Waare, welche im In- und im Auslande gleich produzirt wird; aber, da im Auslande günstigere Bedingungen für den Un- ternehmer herrschen— billigerer Arbeitslohn, besseres Rohmaterial, bessere Techniker—, kann das Ausland die Waare billiger liefern, als der inländische Unter- nehmer. Repräsentirt nun ein bestimmtes 5Raß der inländischen Waare den Werth a, der ausländischen, die Transportkosten miteingerechnet, den Werth b, so liefert in diesem Falle offenbar der ausländische Produzent oem inländischen Konsumenten die Waare um die Differenz �— b billiger, wie der inländische Produzent. Es werde nun ein Zoll auf die importirte Waare gelegt, der— nehmen wir an— die Hälfte der Preis- differenz, also � betrage. Das bedeutet, daß für den inländischen Konsumenten die Waare um— �— vertheuert ist. Immerhin ist sie noch billiger, wie die mland ische;. aber die Differenz beträgt doch nur noch die Hälfte der früheren; und das Motiv, von dem Auslände zu kaufen, wird sehr viel schwächer geworden sein. Wird der Zoll auf a— b erhöht, so stehen sich die Chancen beider Konkurrenten gleich; wird er noch weiter erhöht. 3(a— b) so kann nunmehr das inländische
etwa auf—
Produkt um
kauft werden.
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billiger, als das ausländische ver-
Im ersten Fall wird zunächst der Konsument den Zoll bezahlen; das was er für seine ausländische Waare mehr geben muß, ist der Theil, welchen der Staat als Zoll einstreicht. Nach einiger Zeit aber werden sich andere Wirkungen fühlbar machen. Er steht jetzt dem inländischen Produkt sympathischer gegenüber und wird eher geneigt sein, dem inländischen Produzenten abzu kaufen; das wird unterstützt durch die große Agitation, die der inländische Produzent jetzt für seine Waare ent faltet. Der Ausländer wird fürchten, seinen Markt' zu verlieren und deshalb etwas mit seinem Preis herunter- gehen, so daß mau bei oberflächlicher Betrachtung be haupten kann: das Ausland bezahlt die Zölle; schließlich aber werden einige Konsumenten ihren Bedarf an diesem Artikel einschränken, da sie nur eine bestimmte Summe für ihn aufwenden können, die sie nicht überschreiten dürfen. Viel stärker treten die Erscheinungen aus im zweiten und dritten Fall. Die inländische Produktion wird leb- hafter, der Konsum wird eingeschränkt, und der aus- wärtige Produzent beschneidet sein? Profite, um kou kurrenzfähig zu bleiben. Dazu kommt aber ein neues. Durch die Konkurrenz mit dem Ausland war das In- land sicher gezwungen gewesen, den möglichst niedrigsten Preis für seine Waare zu machen, arbeitete der inlän- dische Produzent mit sehr geringem Profit. Jetzt sieht er keinen Grund, weshalb er nicht den Preis schrauben soll, er verkauft seine Waare um so viel theuerer, als er es bei der Konkurrenz kann. Das schränkt den Konsum von Neuem ein. Das ruft ferner eine Menge Schwindel- gründungen und Spekulationen von Leuten, die schnell reich werden wollen, hervor. Und da es meistens das kleine Kapital ist, das in seiner Naivität bei solchen Dingen hineinzufallen pflegt, so wird dadurch die Kapitals- konzentratiou beschleunigt. Auch im Ausland spielt sich eine schnellere Konzentration des Kapitals ab. Einen neuen Markt zu suchen, ist schon schwer oder unmöglich; der alte muß um jeden Preis erhalten werden; und um trotz des Zolles konkurriren zu können, muß man ein Stück Profit fahren lassen. Das hält natürlich nur das größere Kapital aus; das kleine verträgt solche Verluste nicht; und so zieht es sich entweder— in den seltensten Fällen— freiwillig von diesen Geschäften zurück und sucht ein anderes auf, oder es macht, namentlich wo die fixen Kapitalien eine große Rolle spielen, pleite. Wie sich das alles im Besonderen gestaltet, richtet sich natürlich nach den besonderen Arten von Waaren, welche versteuert werden. Zunächst sind zu unterscheiden Produktionsmittel und Konsumtionsmittel; und bei den letzteren muß man wieder auseinanderhalten: unentbehr- liehe Unterhaltsmittel, welche zuletzt den Werth der Ar- beitskraft bestimmen, und entbehrlichere Gegenstünde. Bei Produktionsmitteln ist der nächste Konsument der Unternehmer, welcher sie verwendet; allein er kon- sumirt produktiv, und verkauft sein Produkt dann an den eigentlichen Konsumenten. Wenn er seine Produktionsmittel theuerer bezahlen muß, so muß er auch seine Waare theuerer verkaufen, was dann eine verminderte Konsumtion zur Folge hat. Dies und die Verhältnisse der Uebergangszeit zuni neuen Preis wirken vernichtend auf das Kleinkapitnl; der Natur der Sache nach hält sich der Preis eine Zeit lang noch auf seinem früheren Niveau, vor dem Zoll: theils infolge vorhandener Vorräthe, theils wegen der begreiflichen Scheu der einzelnen Unternehmer, mit dem Preisaufschlag zu beginnen. Vorräthe kann aber nur der Großkapitalist halten, und wenn der kleine Unternehmer eine Zeit lang ohne Profit oder gar mit Verlust arbeiten soll, so geht er zu Grunde. Viel schlimmere Folgen haben die Zölle auf die unentbehrlichen Uuterhaltsmittel. _ Der Konsument muß sich einschränken, er kann mit demselben Geld weniger Unterhaltsmittel kaufen, wie früher. Der Konsument das ist aber der Arbeiter; wegen der überwältigenden Ueberzahl der Arbeiterklasse über die
andern Klassen kommt sie fast allein in Betracht bei der Konsumtion der nothwendigen Unterhaltsmittel. Der Arbeiter ist es also, der seinen Verbrauch vermindern muß, er ist es, für den jeder Zoll auf Lebensmittel eine Herabminderung der Lebenshaltung bedeutet. Freilich bleibt die Last nicht so ganz auf ihm allein hängen; er setzt dem Versuch, seine Lebenshaltung herab- zuschrauben, energischen Widerstand entgegen und unter- nimmt es, durch Streiks das Verlorene wieder einzu- bringen, indem er einen höheren Lohn erkämpft. Theil- weise gelingt das denn auch, und in manchen Fällen kann er dann wirklich wenigstens einen Theil der Zoll- lasten auf Unteruehmerklassen abwälzen; aber dieselben Gründe, welche überhaupt seine gedrückte Lage bestimmen, verhindern auch, daß er das völlig durchführen kann. Jedenfalls bedeutet die Einführung neuer Lebensmittel- zölle für ihn stets eine Verschlechterung seiner Lebenslage. Soweit durch Erkämpfung höherer, dem durch die neuen Zölle vertheuerten Lebensunterhalt entsprechender Löhne der Zoll auf den Unternehmer gewälzt wird, entsteht das Streben unter den Kapitalisten, ihr Produkt wiederum zu vertheuern. Werden aber die Produkte der Unternehmer vertheuert, so wird wieder der Konsum eingeschränkt, das heißt, diejenigen Arbeiter, welche jene Waaren konsumirten, können jetzt weniger von ihnen kaufen. Schließlich ist es eben immer der Arbeiter, der die Suppe auslöffeln muß, und nebenher bildet das Jammern des bankerott werdenden Kleinkapitals die Be- gleitmnsik. Wenn nun so die Lebenshaltung der Arbeiter niedriger geschraubt wird, so bildet das einen mächtigen Vortheil für die„Industrie", nämlich für die Unter- nehmer, besonders die großen. Sobald aus irgend welchen Gründen die Schutzzollpolitik verlassen wird, und damit der Lebensunterhalt des Arbeiters sich wieder verbilligt, geht es etwa durchaus nicht dem Arbeiter besser, denn in der Zwischenzeit hat er sich eine niedrigere Lebens- Haltung angewöhnt, und der liebenswürdige Kapitalist, besorgt, daß seine Leute nicht Schlemmer und Säufer werden, drückt sie nunmehr so im Lohn, daß ihr neuer Nominallohn bald dem Reallohn der Zollzeit entspricht; sie bekommen weniger Lohn, und können also jetzt, wo die Lebensmittel wieder billiger sind, nicht mehr kaufen, wie damals, als sie theuerer waren. Der Betrag, den früher der Staat als Zoll einstrich, fließt jetzt als Profit in die Tasche der Kapitalisten. Der erhöhte Profit hat dann wieder die bekannte Folge, daß sich andere Kapi- talien zudrängen. daß es eine Reihe Krachs giebt, die wieder konzentrirend auf das Kapital wirken, und so fort. Außerdem machen die niedrigen Arbeitslöhne den Unternehmer auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger; er vernichtet ausländische Kleinkapitale, und so fällt denn auch hier wieder die Katze wie immer auf ihre Füße. Den direkten Vortheil von Lebensmittelzöllen haben die inländischen Lebensmittelproduzenten; sie können ihre Produkte theurer verkaufen. Das hat verschiedene Folgen nach den verschiedenen Verhältnissen in den Ländern. Bei uns wird dadurch die politische Reaktion gestärkt und die EntWickelung des Ackerbaues in einigen Gegenden gefördert, in anderen gehemmt. Im allgemeinen sind es immer nur die großen Grundbesitzer, welche die Vvrtheile der Zölle genießen, da die kleinen einen viel zu großen Prozentsatz ihrer Produktion gar nicht verkaufen, sondern für eigenen Bedarf verwenden, und da sie außerdem bei den kleineu Portionen, die sie verkauseu, allzu sehr auf den Zwischenhändler angewiesen sind, der ihnen den Hauptprosit wegschnappt. Bei weitem nicht so einschneidend sind naturgemäß Zölle auf solche Waaren, die nicht so uothwendig ge- braucht werden;'ie legen nur einem kleineren Kreis von Konsumenten Ein chränkungen auf und ziehen darum den gesammtcn Produktionsprozeß nicht so in Mitleidenschaft. Es tritt hier nur die gewöhnliche Folge ein: außer den
Entbehrungen der Konsumenten der geringere Profit der ausländischen Produzenten und damit zusammenhängend