Sachkenntniß, möchte ich sagen— die Geschichte eines verführten Mädchens, spricht von den Pflichten der Mutter- schaft, von Kindersegen. Wo denken Sie hin? Davon wissen junge Mädchen nichts— im Roman des Familien- blattes nämlich. Ihr edler und wirklich anständiger Held ertappt sich einmal auf einer ganz gemeinen sinnlichen Regung und ein anderes Mal gar auf einem Gedanken, der dem Neid, dem schändlichen Egoismus zum Verwechseln ähnlich sieht. Merken Sie sich: anständige junge Männer werden von solchen Gedanken nicht behelligt und von sinnlichen Regungen schon gar nicht— im Roman des Familienblattes nämlich. Das Kapitel, in dem der schwache Friedrich um eines augenblicklichen Vortheiles willen seine Gesinnung und Ueberzeugung verleugnet und doch die Achtungsbeweise der wissenden Gesellschaft empfängt, muß ganz fort. Dergleichen kommt nie vor— im Roman eines Familienblattes nämlich. Das zweite Liebespaar darf nicht sterben, es muß sich kriegen. Warum auch diese wirklich liebenswürdigen Leutchen umbringen? Gute, anständige, edle Menschen werden überhaupt nie vom Schicksal verfolgt, fallen nie als Opfer— im Roman des Familienblattes nämlich. Ueberdies muß jeder unserer modernen Romane einen guten„Ausgang" haben. Wenn Sie ein beliebter Erzähler werden wollen, müssen Sie im modernen Roman stets auf gute Ausgänge sehen. Das Publikum hat zu viel Mitgefühl mit Personen, die angeblich zn seiner Zeit leben. Befriedigen Sie Ihre Mordlust im historischen Roman an todten Römern; die können Sie dutzendweise umbringen. Genug für heute. Mein Lese-Komitee— aus meiner Frau, der Mutter meiner Frau und meiner Tochter be- stehend— hat noch viele andere Ausstellungen, die ich Ihnen— Ihre Einwilligung vorausgesetzt— nächstens bekannt geben werde. Hoffen Sie nicht, mich zu Konzessionen zu bewegen, denn das Urtheil dieser Frauen, die drei Generationen des weiblichen Lesepublikums re- Präsentiren, ist für mich in allen literarischen Dingen maßgebend. Erlauben Sie mir noch, Ihnen einen Rath zu geben. Sie sind, wie ich aus Ihrem Werk ersehen. ein Anhänger der neuen Richtung. Das soll Ihnen un- benommen bleiben. Aber alles mit Maß und Vorsicht, geehrter Herr. Huldigen Sie dieser neuen Richtung da- durch, daß Sie Städte, Badeorte, Straßen, Hotels mit ihren wirklichen Namen bezeichnen, daß Sie Toiletten, Zimmereinrichtungen, Mahlzeiten, Vorbereitungen zu Duellen ausführlich bis ins kleinste Detail beschreiben, daß Sie hie und da ein wenig Dialekt anbringen und den Dialog der niederen Stände, der unwesentlichen Per- sonen ein wenig trivial gestalten,— aber lassen Sie es daran genug sein und behalten Sie im Uebrigen das er- probte Alte bei. Damit erzielt man zweierlei. Die breit- getretenen Aeußerlichkeiten verschaffen den Lesern die/sknug- thuung, daß sie für die neue Richtung schon volles Ver- standniß besitzen, an ihr Gefallen finden— also die Genugthuung, modern zu sein— und im Wesentlichen finden sie doch nur wieder den gewohnten, liebgewordrnen, tausendmal aufgewärmten Kohl. Man schmeichelt also ihrer Eitelkeit und respektirt ihre Denkfaulheit. So ist die einzige Mischung beschaffen, in der wir den Realismus gebrauchen können. Das wirkliche Leben, die komplizirte Maschine Mensch mit ihren Widersprüchen, ihren niedrigen, egoistischen, kleinlichen Motiven, ihren lichtscheuen, un- eingestandenen Gedanken paßt nicht für uns. Unser Beruf ist es, das Banner des Idealismus hochzuhalten. Zum Schluß noch das Geschäftliche. Wenn Sie mit der Umarbeitung einverstanden sind, bieten wir Ihnen für Ihren Roman ein Honorar von 4000, viertausend Mark. Ich sage Ihnen ganz offen, daß dies nicht unser höchster Honvrarsatz ist. Wenn Ihr Werk unfern Lesern gefällt — wir ersehen dies aus den Zuschriften, die wir erhalten, und aus dem Umstand, ob beim nächsten Quartal die Abonuentenzahl zu- oder abnimmt— so würden wir Ihnen für einen zweiten Roman viel bessere Bedingungen bieten. Hochachtungsvoll I. A. Lämmchen, Herausgeber der„Kaffeemühle". Frau Franziska hat die Lektüre rasch beendigt, nur den letzten Theil des Briefes hat sie zweimal gelesen. Der Inhalt dieser Zeilen hat augenscheinlich Eindruck auf sie gemacht. Viertausend Mark! Diese Summe ist zwar sehr gering im Vergleich mit denen, die heute in ihrer Gegenwart genannt wurden, aber man kann doch immerhin schon von ihr sprechen und für den Anfang— sie fühlt die Blicke ihres Gatten auf sich ruhen und unter- bricht selbst ihren Gedankengang durch die Frage:„Du hast schon geantwortet?" ..Nein, ich war bis jetzt noch zu aufgeregt, zu wüthend Was sagst Du dazu? Ist es nicht empörend?" „Das kann ich nicht finden. Das Honorar ist doch ganz anständig. Hast Du denn mehr erwartet?" ."Sch spreche nicht von den Bedingungen; sie sind außerordentlich, sür mich überraschend. Ich hätte mich auch nnt dem zehnten Theil zufrieden gegeben. Aber diese Zumuthung, mein Werk zu verstümmeln.— Wofür halt man mich denn? Wie es scheint für einen Schneider, der auf Bestellung, nach Maß arbeitet, auf Verlangen verkürzt oder verlängert.— Du mußt doch auch finden, daß das unwürdig ist— ich begreife Deine Ruhe nicht." „Und ich nicht Deine Erregung. Ist das, was man von Dir verlangt, unehrenhaft?" „N— ein—" „Verstößt es gegen das Gesetz? Wird man dafür bestraft?" „N— ein— aber—"
„Wird man von der Welt verachtet oder von der Gesellschaft ausgeschlossen, wenn man es thut?" „Nein, aber es—" „Nun also!" „Ja, giebt es denn für Dich keine andere Macht als das Gesetz oder die Meinung der Welt? Und mein Kunst- ideal, meine Selbstachtung, meine Ueberzeugung. mein ünstlerisches Gewissen?!" „Das verstehe ich nicht. Du hast doch eben selbst zugegeben, daß es nicht unanständig ist. Und es ist doch auch wirklich ganz gleichgiltig, wie die Personen in einem Roman denken und handeln, ob sie sterben oder am Leben ileiben. Wer sagt Dir denn, daß gerade Du mit Deiner Ansicht Recht hast? Der erfahrene Mann, der Dir schreibt, muß es doch besser wissen. Ich kann Dir nur sagen, daß auch mir die Geschichten lieber sind, die gut aus- gehen, in denen die Menschen gut, edel und großmüthig ind. Und wenn die guten Eigenschaften überdies noch o gut bezahlt werden, während die schlechten augenschein- ich gar keinen Preis haben! Bedenke nur, 4000 Mark! Es ist ja unmöglich, daß Du den Eigensinn so weit treibst, das abzulehnen. Nein, Du wirst lieb sein, wirst Deine Einwilligung geben—" „Das werde ich nicht. Verstehst Du denn nicht, daß meine Arbeit mir theuer, daß sie der Ausdruck meiner innersten Ueberzeugung ist, daß ich sie nur so und nicht anders schreiben konnte und kann, daß ich mich ver- achten—" „Nein, ich verstehe nur, daß Du nichts thun willst, um uns aus unserer ärmlichen, beschränkten Lage zu be- reien, ich sehe nur, wie gut es anderen Frauen geht, ich sehe nur, daß— Du— mich— nicht liebst, daß — ich unglücklich—" ** * Die eben skizzirte Unterredung hatte in den folgenden Tagen noch einige Wiederholungen, die sich von dem ersten Gespräch nur dadurch unterschieden, daß die Ar- gumente Frau Franziska's immer zahlreicher und eindring- icher wurden und der Widerstand Bruno's immer mehr an Kraft verlor. Wer schließlich den Sieg davon trug? Es war nicht möglich, Genaueres darüber zu erfahren. Gewiß ist nur, daß der Roman„Illusionen" von Bruno Dalborg in der„Kaffeemühle" erschienen ist und daß er den Lesern außerordentlich gefallen hat. Gewiß ist ferner nur, daß zer Autor sehr bald eine„Zierde des Blattes" wurde, daß er erstaunlich rasch den Ehrentitel„eines unserer beliebtesten Erzähler" erhielt, und daß Frau Franziska schon nach kurzer Zeit alle Ursache hatte, auf ihren Gatten stolz zu sein.
Das platte Kand und die Sozialdemokratie. (Schluß.) rv. n. Der Abzug des ländlichen Arbeiters in die in- dustriellen Gebiete muß den schroffen Interessengegensatz zwischen agrarischem und industriellem Kapital, der in den politischen Parteigruppirungen aller Länder zum Ausdruck kommt, noch weiter verschärfen. Der Landwirth als Produzent der Nahrungsmittel, deren Preis heute in erster Reihe den Werth der Arbeits kraft, den Lohn, bestimmt, ist natürlich bedacht, seine Er- zeugniffe möglichst vortheilhaft zu verkaufen. Der Jndustriekapitalist dagegen strebt natürlich gerade die Verbilligung der Waare Arbeitskrast an, um seinen Mehrwerth zu steigern. Darauf basirt dieser Interessen- gegensatz im letzten Grunde. Die Industrie ruft die ausländische landwirthschaft- liehe Konkurrenz herbei, um auf den Lebensmittelmarkt zu drücken. Der Landwirth schreit nach Schutzzöllen. Setzt er diese, wie es in Deutschland der Fall ist, durch, so wird die Industrie als Konsumentin der Arbeitskraft gezwungen, das Brod für ihre Leute zu einem künstlich gesteigerten Preise zu kaufen. Um solch' theure Arbeits- kräfte zu sparen, baut sie Maschinen, zu deren Unterhalt man kein Brod braucht. Die ausländische Konkurrenz bleibt inzwischen ebenfalls nicht müßig. Sie sucht noch billiger als bisher zu produzireu. Und da es im Zeitalter der„freien Konkurrenz" auf die Dauer keine Monopole giebt, über- schwemmen die ausländischen Produkteumassen doch schließlich die höchsten Schutzzollmauern und beeinflussen — wenn auch abgeschwächt— den heimischen Lebens mittelmarkt. Fallen die Zölle ganz, und im Interesse der@e sammtheit müssen sie das am Ende doch, so ist die allge meine Revolutionirung des landwirthschaftlichen Betriebes um so gewaltiger, je weiter der heimische Produzent hinter dem auswärtigen zurückgeblieben ist. In der Zwischenzeit, d. h. solange die Schutzzölle in Kraft bleiben, schreitet die Zentralisation des lanb wirthschaftlichen Kapitals ungehindert vorwärts, mit ihr die Anwendung der Maschinentechnik, die— den gesellschaftlichen Produktivitätsgrad der heimischen Arbeit ver- körpernd— den kleinen Produzenten nun vollkommen zu Boden schlägt. Die hierdurch naturgemäß herbeigeführte Aufsaugung des Kleinbesitzes befestigt die Macht des Großbetriebes und ebnet den Boden für die sozialdemokratisch Agitation auf dem platten Lande. Vor allem zerstört der zentralisirte Ackerbaubetrieb die bisher so hinderliche Zersplitterung der Tagelöhner klaffe. Die modernen Riesenfarmen häufen, gleich den
großen Jndustrie-Etablissements, die Arbeitermassen an. Ein politischer Zusammenschluß der letzteren wird dadurch erleichtert. Der auf Spekulation arbeitende landwirthschaftlich- apitalistische Betrieb hat ferner Krisen im Gefolge, welche der ehemaligen Kleinwirthschaft verhältnißmäßig unbekannt waren. Die jetzt eintretende Unsicherheit der Existenz reißt das ländliche Proletaribt aus seiner stumpfen Sorglosigkeit, der drohende Hunger zwingt selbst diese bedürfnißlosen Schaaren zu einigem Nachdenken. An Stelle des früheren patriarchalischen Arbeits- Verhältnisses und Bevormundungssystems tritt die kühle eindliche Berechnung von Käufer und Verkäufer. )as gegenseitige Mißtrauen zwischen„Herr" und„Knecht" wächst, die Klassengegensätze verschärfen sich. Auch die Abhängigkeit des Tagelöhners hört auf, eit die großen Betriebe sich untereinander auf dem Ar- icitsmarkte rücksichtslos Konkurrenz machen und die In- dustrie mehr und mehr ihren Sitz auf dem flachen Laude aufschlägt. Das durch bessere oder andere Arbeitsaus- ichten großgezogene schwache Selbstvertrauen der Ar- leiterklaffe äußert sich Anfangs nur passiv durch Lösung des bisherigen Arbeitsverhältnisses, steigert sich allmählich aber zu direktem Widerstande. Das herbeigelockte in- dustrielle Landstraßenproletariat wirkt gleichfalls in vielen Beziehungen aufklärend und zersetzend. Neben diesen wirthschaftlichen Faktoren wirkt auch die Presse, das politische Parteileben, der Mili- tarismus, der verbesserte Schulunterricht u. s. w. l angsam auf die geistige Entwickelung des ländlichen Ar- leiterstandes. Vergessen wir schließlich nicht, daß der Tod täglich tausend Lücken in die alte Garde der stumpfsinnigen Tagelöhnermassen reißt, deren lebenslang gewohnte geistige und materielle Knechtschaft die modernen Verhältnisse nur schwer zu brechen vermochten, während die jüngere Arbeitergeneration sich dem Einflüsse der Neuzeit nicht mehr so leicht entziehen kann. Der eigentliche Revolutionär bleibt aber das Kapital. wirft auf dem flachen Lande so gründlich wie in den Industriezentren die alten Moral- und Sittlichkeitsan- chauungen über den Haufen. Gerade so armselig als ich schon äußerlich das Dorfkirchlein den modernen Riesen- tempeln der ländlichen Fabriken, den palastartigen Ställen und Scheunen der Großwirthschaften gegenüber aus- nimmt, gerade so verhält sich die Macht der Kirche dem ländlichen Kapitale gegenüber. Die Kirchenglöcklein rufen umsonst, wenn die Interessen des Kapitals eine„Schän- dung des Sabbaths" erfordern. Was erst vermag die alte patriarchalische Ehe und Familie den eisernen Zwangs- gesehen der ökonomische» Entwickelung gegenüber? Das Ueberhanduehmen und die schmähliche Ausbeutung der ländlichen Frauen- und Kinderarbeit geben die beste Ant- wort hierauf! Der Boden wankt. Früher oder später muß die kapitalistische W'rth- schaftsweise des platten Landes, neben der materiellen und geistigen Umgestaltung aller bisherigen Verhältnisse, aber auch dem politischen Leben ihre modernen Züge geben. Die harten Kämpfe um die materiellen Interessen eines menschenwürdigen Daseins müssen das ländliche Proletariat dem Kapital gegenüber eisenfest zusammen- schmieden und zum Anschluß an eine der bestehenden Parteien treiben. An welche, kann keine Frage sein. Die Partei der Besitzlosen ist allein die Sozialdemokratie. Die Einsicht, daß die wilde Anarchie der heutigen privat-kapitalistischen Waarenproduktion das ganze soziale Elend der besitzlosen Majorität verschuldet und daß nur die Verwirklichung des sozialistischen Programms auch auf dem platten Lande eine Lösung der unsäglichen Wirren herbeiführen kann, muß über kurz oder lang das ländliche Proletariat in die Reihen der Sozialdemokratie treiben. Schon heute sieht die große Masse der unter- gehenden Kleinbauern ein, daß es einzig die überlegene Betriebstechnik des Großgrundbesitzes ist,' die ihren Ruin herbeiführt. Sie bemühen sich Produktivgenossen- schaften und Konsumvereine zu gründen. Gemein- schaftliche Einkäufe von Saatgut, Dünger, Ackergeräthen'.c.. gemeinsame Maschinellbenutzung und Vornahme von Boden- Meliorationen, ebexiso gemeinsame Produktenverkäufe schwe- ben ihnen vor.'Das sieht ja schon hübsch sozialistisch aus, wenn es auch den kindlichen Vorstellungen, die jene Leute noch von dem wirthschaftlichen Entwickelungsgange haben, entspricht. Theilweise hofft der Kleingrundbesitz sogar auf staatliche Unterstützung, um sein„sozia- listisches" Ideal verwirklichen zu können. Was kann man von dieser„Reform" erwarten? Der private Großgrundbesitz kämpft dann einfach gegen selbstständige oder staatlich unterstützte kleinbäuerliche Aktiengesellschaften. Die kapitalistische Produktionsform wird allgemein im Ackerbaubetriebe, das ist alles. Der ganz kleine Besitzer, der schon zufolge der Zersplitterung seiner lumpigen Ackerparzellen sicher gar nicht im genossen- schaftlichen Betriebe Aufnahme finden wird, geht nur um so schneller seinem Untergange entgegen. Die vollstän- dige Zersetzung aller hergebrachten sozialen Verhältnisse des platten Landes würde nur beschleunigt. Mag darum der Klcinbesitz weiter auf sich selbst gestellt die sichere Beute des Großbetriebes werden, oder mögen genossenschaftliche Riesenfarmen durch ihre Verall- gemeinerung der technischen Umwälzungsarbeit die sozialen Verhältnisse des platten Landes von Grund aus umge- stalten, der Sieg des Proletariats ist nicht aufzuhalten. Allerdings einen Trost behält die bürgerliche Gesell- schaft: die Organisation des ländlichen Proletariats ist nicht im Handumdrehen zu erwarten, sondern muß wie