Wer aber nicht denkt, entbehrt diese Sicherheit, und eine etwas ungewohnte Verschiebung der umgebenden Gegenstände oder nächstliegenden Verhältnisse bringt ihn in Verwirrnng. Fassen wir Alles, was wir über das Geistesleben der Bauern gesagt haben, noch einmal kurz zusammen. Es fehlt den Bauern das gerade und übersichtliche Denken, ja sogar das Vertrauen in alles Denken, das sich nicht unmittelbar an konkrete, greifbare Details an- schließt. Gleichwie aber das Wasser, welchem eine freie Bahn zum Abfluß nicht gegeben ist, dennoch in die Tiefe trachtet, und weil es nicht in geraden Kanälen weiter kann, durch Felsspalten sickert und nach verschiedenen Kreuz- und Winkelzügen um die Steinklötze im Innern des Berges, an irgend einer Stelle gleichsam unvermuthet hervorbricht, so zeigt auch das Geistesleben des Bauern bei allem Mangel an geradem, schulgemäßem Denken doch eine gewisse, wenn auch unregelmäßige und verborgene, von dem Eigennutz als Schwerkraft getriebene Thätigkeit; und ganz unvermuthet kann derselbe Bauer, dem man allen Geist abspricht, in irgend einem Punkte, der mit seinem materiellen Wohl zusammenhängt, an Schlau- heit sich überlegen zeigen. Wer je mit Bauern einen Gemeinde- oder Wasserstreit u. dgl. zu bestehen hatte, der kann davon ein Liedchen singen. Spießbürgerliche Keformibeen zur Lösung der soziale» Frage. in. §. Die Arbeitslosigkeit entpuppt sich bei Heller wiederum als eine besondere soziale Frage; ihren Zu- sammenhang mit der allgemeinen Misere erkennt er nicht. Auf die Lösung, die er für dieses neue Problem parat hat, bildet er sich besonders viel ein; sie lautet: Welt- arbei ts vermittln ngsverein. „Ein durchschlagender Erfolg ist nur durch die Unterstützung von leitenden Kreisen, der Regierungen und Parlamente zu erwarten. Wir denken uns diese Jnsti- tution im weitesten Sinne auf internationaler Grundlage entwickelt. Die Zentrale, welche in London , Berlin oder Paris ihren Sitz hätte, würde wöchentliche Berichte von allen Filialen erhalten und diesen wieder Bericht erstatten. Angebot und Nachfrage in allen Zweigen der Berufe, die geistigen inbegriffen, würden genau verzeichnet und ausgewiesen. Erwerbslose Arbeitskräfte würden ohne Zeitverlust dorthin gelangen, wo man ihrer bedarf." Es ist unfraglich, daß eine Institution, wie sie der „Weltarbeitsvermittlungsverein" vorstellt, sehr wohl eine annehmbare Wirksamkeit entfalten kann. Heller führt selbst an, was die Wirkung einer solchen weitgreifenden. einheitlichen Organisation der Arbeitsvermittlung sein würde: Es geht heute„viel nutzlos verbrachte Zeit ver- loren, bis das Individuum dort anlangt, wo es einen Wirkungskreis für ersprießliche Thätigkeit vorfindet." Das würde thunlichst vermieden werden. Naturgemäß haben sich heute schon gewisse Wege und Kanäle heraus- gebildet, auf denen sich Angebot von und Nachfrage nach Arbeitskrästen gegenseitig suchen und einander soweit als möglich auszugleichen bestrebt sind. Ob ein solcher Aus- gleich faktisch eintritt, das ist freilich eine andere Frage. Selbstverständlich funktionirt der heute vorhandene Apparat der Arbeitsvermittlung nichts weniger als vollkommen, und ein besser eingerichteter könnte die von Heller be- zeichnete Unzuträglichkeit des Zeitverlustes beseitigen. Was wäre aber damit Bedeutendes gewonnen? Nach Heller alles. Mit einer Naivität sonder Gleichen schiebt er seiner neu entdeckten Institution ohne weiteres als Konsequenz unter: die völlige Beseitigung der Arbeits- losigkeit. Er geht beständig stillschweigend von der Einbildung aus, daß heute eine ungedeckte Nachfrage»ach Arbeitskräften existire und somit auf der anderen Seite für alle Unbeschäftigten vollauf Arbeit vorhanden sei. Nach seiner Ansicht geht also der Ausgleich von Angebot und Nachfrage, was Arbeitskräfte anbelangt, heute so unvollkommen vor sich, daß ein solcher in Wirklichkeit gar nicht stattfindet. Das ist natürlich eine ganz grobe Entstellung der thatsächlichen Verhältnisse. Jener Ausgleich geht sehr wohl vor sich, wenn er auch nicht ohne Reibungen ab- gehen mag, daß heißt, was die Nachfrage anbetrifft; das Angebot indessen überschießt ja eben die Nachfrage um ein Gewaltiges, und deswegen müssen Hunderttausende von Arbeitskräften feiern und sehen, wie sie sich durch- schlagen. Der Weltarbeitsvermittlungsverein würde, falls er eingeführt wäre, genau dieselbe Funktion verrichten, die sich schon heute auf die eine oder die andere Weise voll- zieht; im ersteren Falle würde sie sich vielleicht schneller und besser vollziehen, das wäre aber der ganze Unter- schied. Der gemachte Vorschlag hat mit der Arbeits- losigkeit als solcher keinen Berührungspunkt; um daher das Problem scheinbar zu lösen, verdreht Heller die Frage der Arbeitslosigkeit in eine Frage der ungenügenden Arbeitsverniittelung. Und nach diesem Taschenspieler- kunststückchen triumphirt er:„Der Arbeitsmarkt wäre auf kurzem Wege geregelt, die überflüssigen Arbeitskräfte würden sich dahin wenden, wo ihrer Arbeit warten würde; die Hnngerlöhne, die Folge übergroßen Angebots von Arbeitskräften, wären ein überwundener Standpunkt." Um seinen Vorschlag noch mit einer recht abge- nutzten, längst diskredirten Phrase zu verzieren, behauptet er. der Weltarbeitsvermittlungsverein wäre die praktische Durchführung des Prinzips, daß jeder ein„Recht auf Arbeit
" habe. Schließlich belegt Heller seinen Verein, „welcher im Gegensatz zur rothen Internationale durch- führbare Grundsätze" vertreten würde, mit dem geschmack- vollen Namens„grüne Internationale." Sehr grün, in der That. Wie gewöhnlich, merkt er hinterdrein, daß er den Mund etwas zu voll genommen und zu viel behauptet hat. Er kommt nämlich mit weiteren, ebendahin zielenden Vorschlägen, obwohl er bereits die Arbeitslosigkeit auf so einfache Weise aus der Welt geschafft hat. Wenn vielfach Arbeitslosigkeit herrsche, so liege das daran, daß die Menschen unter heutigen Verhältnissen zu wenig ge- lernt haben. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, schlägt er eine Reform des Schulunterrichts vor. hauptsächlich Arbeits- Unterricht. Dieser soll in erster Linie in der Lehre des Ackerbaues, der„natürlichsten menschlichsten Beschäftigung", bestehen, weshalb die Volksschulen mit Schuläckern und Schulgärten zu versehen seien. Denn, fügt er hinzu,„es wäre für unvorhergesehene Fälle gut. wenn Jedermann einen Berns kennen lernen würde, welcher zum Mindesten vor dem Hunger schützt." Unser» schriftstellernden Spießbürger verfolgt ein hartnäckiges Mißgeschick. Er geräth vom Regen in die Traufe. Denn er geht genau von derselben unhaltbaren Annahme aus wie oben, daß nämlich die Gesellschaft jeder- zeit ein beliebiges Quantum von Arbeitskräften absorbiren könne. Den Beweis für seine Voraussetzung hält er für überflüssig, gestützt auf den alten spießbürgerlichen Glaubenssatz, daß jeder, der etwas Gescheidles gelernt hat, sein Fortkommen finde. Er sagt:„Wir verstehen unter sozialen Reformen alle jene Maßregeln, welche ergriffen werden, um die Tüchtigkeit und Leistungsfühigkelt der Individuen zu er- höhen, und die Verhältnisse so zu gestalten, daß niemand in der Entfaltung seiner Kräfte behindert werde, daß jeder einen Wirkungskreis finde, um in seinem und im Interesse der Gemeinschaft eine Thätigkeit entwickeln zu können, welche ihn befriedigt und nicht Roth leiden läßt." Wir können das voll und ganz unterschreiben, wenn wir es nicht wesentlich anders verstehen würden, als es der Verfasser versteht. Denn für diesen heißts eben, jemand tüchtig und leistungsfähig machen, ihm einen Wirkungskreis in der heutigen Gesellschaft garantiren. Daß dem die offenkun- digsten Thatsachen ins Gesicht schlagen, kümmert Heller nicht. Um jenes Ziel zu erreichen, dazu gehört eine ganz anders konstruirte Gesellschaft; die heutige anarchische Produktion macht dasselbe unmöglich. In der That, wenn er das, was er als soziale Reform bezeichnet, ernst- hast herbeiführen wollte, so müßte er sich als ein An- Hänger der sozialistischen Organisation der Gesellschaft bekennen. Seine Forderung führt direkt zu dieser Kon- sequenz. Statt dessen kommt er mit dem simplen Arbeits- Unterricht. Die Anarchie in unseren wirthschaftlichen Verhält- nisten ist ihm nichtsdestoweniger sehr wohl bekannt. Er leitet daraus die Ueberproduktion ab. Der Gegenpol von Ueberproduktion heißt aber Arbeitslosigkeit. Er weist also schließlich selbst nach, daß derselbe eine direkte Folge unserer heutigen wirthschaftlichen Verhältnisse ist, und daß es somit sich darum handelt, diese zu beseitigen, will man deren nothwendige Folgen beseitigen. Für den erwähnten Zusammenhang aber ist er wieder blind. Die Ueberproduktion ist ihm ein neues Problem, welches eine besondere Lösung beansprucht. Und hier kommt er, ohne es zu wissen,— man staune — mit einem rein sozialistischen Vorschlage, das heißt einem Vorschlage, welcher bereits die sozialistische Ge- sellschaft voraussetzt, nämlich statistische Feststellung des gesellschaftlichen Bedarfs und proportionelle Vertheilung der Gesammtarbeitskraft auf die einzelnen Berufszweige. Seine spießbürgerliche Phantasie malt sich aus, wie sich diese Vertheilung pro- zentisch etwa machen würde:„Wenn sich von 100 Men- schen 25 mit Getreidebau, 10 mit Gemüsebau, 10 mit Obstbau, 10 mit Milchproduktion und Viehzucht, 20 mit Industrie, 5 mit Handel, 5 mit Kunst und Wissenschaft, 2 mit Sicherheitsdienst, 8 mit Gesundheitspflege, Gesetz- gebung, Verwaltung und dem Kultus der Religio» be- schäftigen würden, so könnten 5(die Alten) der Ruhe pflegen und es würde dennoch keine Roth herrschen. Heller muthet in der That dem heutigen kapitalisti- schen Staat zu, sich zum Organ jener Reform zu machen. Das ist natürlich eine närrische Utopie. Der Staat der Kapitalisten kann die Aufgabe nicht durchführen, ohne sich selbst aufzuheben, in seiner Basis, dem Privateigenthum und der freien Konkurrenz. Diese Utopie ist so augenfällig, daß selbst Heller bei einigem Zusehen sich darüber entsetzen würde, in welche sklavische Abhängigkeit vom Staate die kapitalisti- schen Unternehmer durch seinen Vorschlag geriethen. Ob- wohl der Bedarf gegeben wäre und damit auch die ihm entsprechende Menge Arbeitskraft, soll letztere keineswegs von jenen bestimmt werden, daß heißt je nachdem kleiner oder größer sein; nein die gesellschaftliche Gesammt- arbeitskraft soll absorbirt werden. Die ganze industrielle Reservearmee soll in den Produktionskörper eingefügt werden. Das heißt, der Kapitalist wird thatsächlich ge- zwungen, mehr Arbeitskräfte zu verwenden, als er unter den jetzigen normalen Produktionsbedingungen braucht. Aber die kapitalistischen Ausbeutnngsbedingungen bestehen ja fort. Durch die Verschwendung von Arbeitskraft käme jedoch der Kapitalist um seinen Mehrwerth, wenn er nicht gar absoluten Verlust erlitte. Man sieht, der
Vorschlag scheitert an den Schranken des kapitalistischen Systems. Denn es ist doch selbstverständlich, daß der Staat, der weiter nichts als ein Ausdruck dieses Systems ist, seine eigenen Existenzbedingungen nicht unterbinden wird. Und Heller, als ein enragirter Anhänger des kapitalistischen Systems, wird sich freuen, daß derselbe selbst ihn davor schützt, bei seinem Worte genommen zu werden. Nichtsdestoweniger sah er ganz richtig in seinem Vorschlage die einzige Maßregel, welche der heute be- stehenden Produktionsanarchie und allen ihren sozialeu Begleiterscheinungen ein Ende machen wird. Allerdings glaubte er diese, die„friedliche" Lösung der sozialen Frage sichernde Seite seines Planes gemüthlich mit der kapitalistischen Ausbeutungsfreiheit vereinigen zu können. Das Scheitern dieser schönen Hoffnung beweist zugleich aufs Neue, wie unvereinbare Gegensätze die Gesammt- Wohlfahrt und die Klassenherrschaft bilden. Wie wenig Vertrauen Heller schließlich in seinen eigenen Vorschlag setzt, geht daraus hervor, daß er un- mittelbar darauf mit einer weiteren„rationellen Maß- regel gegen die Ueberproduktion" heranrückt. Diesmal hat sich sein kapitalistischer Instinkt bedeutend weniger geirrt. Die Maßregel ifl in der That rationell, weil höchst einbringlich für den großen Geldbeutel. Sie be- steht in einem„System der Staatsmagazine." Um den Vorschlag plausibel zu machen, kommt er mit einem Biblischen Beispiel, dem der fetten und magern Jahre. Er denkt dabei an das Auf-und-ab des industri - ellen Geschäftsganges; er weiß, daß in der Produktion auf die Epoche der Prosperität die Ueberproduktion, die Krise, die allgemeine Kalamität folgt. Man hat also auf der einen Seite Ueberproduktion, auf der anderen Seite Unterproduktion. Was wäre für den Staat leichter, als hier ausgleichend einzugreifen? Er legt Magazine an und stapelt darin den zur Zeit der Ueberproduktion vorhandenen Ueberschuß an Produkten, den er käuflich an sich zu bringen hat, auf, um denselben zur Zeit des dringend gewordenen Bedarfs wieder an den Mann zu bringen. Das wäre eine Institution nach dem Herzen der Kapitalisten� und doch anscheinend zugleich dazu geeignet, ein Stück soziale Frage zu lösen durch Herabmin- derung der Arbeitslosigkeit. Man stelle sich nur vor: der Staat, der seine Mittel aus den Taschen der un- teren Klassen nimmt, zahlt mit diesen Mitteln die über- produzirten Produkte des Unternehmers, um der Ueber- Produktion die schädliche Wirkung zu nehmen, die darin besteht, daß die Produkte unverkäuflich bleiben und Be- schäftigungslosigkeit der Arbeiter eintritt. Woher aber sollten die ungeheuren Mittel kommen, die dazu nöthig sind? Selbstredend dorther, woher sie immer kommen. Die arbeitende Klasse würde sich hinter- her dessen berauben, was die Arbeit ihr erbrachte, das heißt, sie würde ihre Arbeit aus ihrer eigenen Tasche bezahlen, während die Forderungen der Unternehmer an den Staat gesichert sind. Dieser saubere Plan wäre auch ein Mittel, die jetzt träge und stockend fließende Ausbeutungsquelle wieder munter und kontinuirlich zu machen. Da jetzt die Pro- duktion nur schwächliche und meist bald aufhörende An- läufe zur Wiederholung der industriellen Cyklus zeigt, die Ueberproduktion also chronisch ist, so würde damit auch die Abnahme der überschüssig erzeugten Produkte durch den Staat chronisch werden. Das ließe sich die Kapitalistenklaffe wohl gefallen. Wir wollen unfern Lesern zum Schluß nicht vor- enthalten, in welch' originaler Weise Heller den Unter- nehmergewinn als eine Konsequenz— de» eher- nen Lohngesetzes erweist: „Das eherne Lohngesetz spukt in allen Köpfen, welches die Arbeiter nur so viel und nie mehr verdienen läßt, als was unbedingt zu ihrer physischen Erhaltung nothwendig ist, und der Mehrertrag fällt stets dem Ka- pitale zu. Dieses eherne Lohngesetz beruht auf Wahrheit, es ist keine Erfindung der sozialen Schriftsteller, diese haben aber eines vergessen, das Wichtigste: Das eherne Lohngesetz gilt für alle Berufe, für alle Stände, es heißt mit an- deren Worten: Freie Konkurrenz." Eine kostbare Argumentation! Wenn die Arbeiter nach dem ehernen Lohngesetz nur so viel verdienen, als unbedingt zu ihrer Physischen Erhaltung nothwendig ist, so ist dies nichts als ein Ausdruck der freien Konkurrenz unter den Arbeitern. Aber die freie Konkurrenz das ist ja das Gesetz, welches die Welt regiert, dem alle Wesen unterworfen sind, die Arbeiter, aber auch die Kapitalisten. Letztere haben also vor den Arbeitern absolut nichts voraus. Auch sie schmachten unter der Last des ehernen Lohngesetzes. Denn wenn bei den Arbeitern das eherne Lohngesetz nur ein Ausdruck der freien Konkurrenz ist, so ist bei den Kapitalisten die freie Konkurrenz umge- kehrt ei» Ausdruck des ehernen Lohngesetzes. Wenn der schlesische Weber heute Kartoffeln mit Leinöl, morgen Leinöl mit Kartoffeln ißt und so fort in Ewigleit, so findet Heller das ganz in der Ordnung, das ist halt das eherne Lohngesetz. Und wenn der Bankier, Fabrikant oder Herr„von" sich Rennpferde und Maitressen hält, in Austern und Champagner schlemmt, am Spieltisch Tausende verspielt und zur Erholung von diesen Strapazen in die Alpen oder an die Riviera reist, so sagt unser scharfsinniger Oekonom achselzuckend: DaS ist halt auch das eherne Lohngesetz. Das eherne Lohn- gesetz des Unternehmergewinns ist würdig eine bleibende Stätte der Erinnerung zu finden neben dem berühmten „Entsagungslohn".