Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.

Nr. 45.

Wie eilt die Zeit, nun sind es Gar fünfzehn Jahre schon, Als auf die Bahn des Lebens Du trat'st, mein lieber Sohn. Dir standen die hellsten Sterne Vom ersten Augenblick, Und Liebe, nah und ferne, Nahm Theil an dem Geschick. Kein Gott ward je behelligt Mit einem Wunsch für Dich, Nur reicht ob Deinem Haupte Die Hand der Mutter ich. Wie auch die Wetter tobten Uns scheuchten von Haus und Thor, Du bist uns doch erhalten Der Kindheit Blüthenflor.

3x

Sonnabend, den 8. November 1890.

An meinen Sohn.

Nun tritt'st Du aus dem Eden, Weit vor Dir liegt die Welt; Du fürchtest keine Schranke, Du fühlest Dich ein Held. Dein Blick faßt alle Räume Und Sehnsucht schwellt die Brust; Ja selbst in Deine Träume Zieht ungeahnte Luft.

Dein Blick schweift zu den Gletschern Die über den Wolken glüh'n Und zu den weiten Meeren, Die tosend den Erdball umzieh'n. Ja selbst die legten Sterne Sind nicht dem Jüngling genug, Hinaus in die endlose Ferne Treibt ihn der Gedankenflug.

Dein Plaz ist, wo die Armen, Die Unterdrückten steh'n, Die von den reichen Ernten Noch kaum die Spreu geseh'n, Die ewig hämmern und wühlen Und Schäße schleppen zu Hauf' Und stöhnen in den Mühlen Uud feuchen bergab und bergauf.

Nur fort, mein Sohn, die Wahrheit Ist solchen Fluges werth, Durch sie wird alle Sehnsucht Und jede Lust verklärt; Doch hüte Dich, daß nimmer Ein Glaube Dich umfängt, Der mit dem bösen Schimmer Dir Kopf und Herz bedrängt. Glaub' nicht, mein Sohn, an Götter, Glaub' nicht an einen Gott; Nicht in der schönsten Stunde, Nicht in der größten Noth. Dir steht kein Himmel offen, Dir gähnt die Hölle nicht, Brauchst nicht auf Gnade hoffen Und fürchten kein Gericht.

Dein Plaz ist, wo die Schaaren Mit bleichen Gesichtern steh'n, Wo Männer, Weiber und Kinder Frierend in Lumpen geh'n; Wo nur der Arbeit schnöde Entfeßliche Sklaverei, Wo Geist und Herz eine öde Unheimliche Wüstenei.

Scenen aus Krohg's   ,, Albertine".

( Aus dem Norwegischen übersetzt von E. Wetter.)

IV.

3x

-

Glaub' niemals einem Priester. Sein Segen und sein Fluch, Sein Beten und sein Singen Mein Sohn, halt es für Trug. Er will nur Kinder und Knechte; D'rum, wo die Tyrannei Zerbricht der Menschen Rechte, Sind Priester auch dabei.

-

Glaub' nicht, mein Sohn, an Herren Und Sklaven von Natur, Glaub' nicht, Die müßten herrschen Und Die gehorchen nur, Mit Kette oder Krone Kam noch kein Mensch zur Welt, Und nur dem Recht zum Hohne Macht man zu Recht das Geld.

O, gegen der Feinde Horden Hinaus, mein Sohn, zum Streit! Hier kannst Du nicht mehr irren, Du hörst den Ruf der Zeit. Du kannst um Gold und Flitter Kein Sklave werden, nein, Du wirst kein Gottesritter, Kein Fürstendiener sein.

-

IV. Jahrgang.

Nur an die Wahrheit glaube

Und ihre ew'ge Macht,

Sie sprenget alle Ketten, Erhellet jede Nacht;

Kein Wahn, kein Trug bestehet In ihrem reinen Licht, Was immer auch vergehet, Glaub's, sie vergehet nicht. Sie hat Dich hoch begnadet. Der erste Schritt, den Du In's bunte Leben wagest, Führt Dich der Wahlstatt zu; Und bist Du auf dem Plane, So hat es feine Noth, Dir ziemt nur eine Fahne, Mein Sohn, und die ist roth.

So geh' denn hin mit dem Glauben An der Wahrheit wirkende Macht, Und dulde und kämpf' für die Freiheit Und halte für sie Wacht. Und blieb das Herz, das warme, Dir ohne Freud  ' und Lohn Komm' dann in meine Arme Mein lieber, tapf'rer Sohn.

Br.

" Ja, es ist doch aber gut, wenn man einen Grund-| Winther fragen, der dort sitzt, das gehört ja in sein fonds hat, um damit zu operiren ich mag den abso- Ressort." luten Leichtsinn nicht." Er setzte sich zu einem kleinen vierschrötigen, bartlosen „ Thut nichts! Bis Mittag ist noch eine ganze halbe Herrn mit scharfen Augen und schwarzen, furzgeschorenen Stunde die gelben wir gehen die Musik hören, und dort finden Haaren, in der Uniform eines Polizeiinspektors. Es war mitten am Tage bei Grang „ Die da" sagte er und sah hinaus- ,, die dort Vormittags, pjolter" standen längstaus auf den Marmor- wir immer ein oder das andere Schlachtopfer, das wir drüben ja, das will ich Ihnen sagen, das ist ein Mädchen, das Albertine Kristiansen heißt-"

-

-

-

-

-

-

-

11

"

-

-

Eine Schwester von der Rosalie, die in der Quer­straße wohnte?"

,, Eine Schwester von Oline. die sich Rosalie nannte ,,. " Ist sie auch-? Ist sie auch bei Ihnen oben gewesen?"

Noch nicht!"

„ Kommt sie bald?" fragte Smith lächelnd. ,, Wahrscheinlich", antwortete der Andere ebenso

tischen, die beiden Kellner trabten schläfrig auf dem mit um fünf Kronen anpumpen können." „ Das ist sehr unvorsichtig von wo zum Teufel Decken belegten Fußboden hin und her. kenne ich doch das Mädchen? Ich glaube, ich habe sie Dort am Echfenster saßen Helgesen und Smith mit gesehen und zwar in Vika oder vielleicht eine, die ihren Pioltern. Helgesen hatte vor seinen Theil des ihr sehr ähnelte." Fensters die Jalousie vorgeschoben und starrte mit seinem „ Henrik!" rief Smith, eine Selter mit avec! ernsten Blick über das Café hin und die perspektivisch In Vita? oh keineswegs dafür ist sie, bei Gott, verschwindenden weißen, zirkelrunden Tische mit Feuer­zu jung- und sieht zu sein und unschuldig aus-" zeugen mitten darauf und hier und dort einem Pjolter-" Halt ich hab's- es ist„ Rosalie", an die ich denke trinker nachlässig daneben hingegossen oder einer Zeitung Rosalie Kristiansen besinnst du dich nicht auf sie? mit dahinter auftauchendem Kahlkopf, dessen Glanz sich Die hübscheste ihrer Zeit in Vika und so nett und ebenso bemerkbar machte wie der der Gläser und Flaschen. gemüthlich Rosalie Herrgott, was ist aus ihr Von wo sollte er heut' wohl Geld herbekommen, um geworden? Rosalie oder Oline, wie sie die anderen, Tina, darf ich Dir Kandidat Helgesen und Studiosus bei Ingebret Mittag zu essen"? Smith streckte seine Füße mit den hellgrauen Gama- die neidisch waren, nannten. Herrgott, sie ist gewiß schon Smith vorstellen," sagte Joffa ganz roth im Gesicht vom Tanz am Abend auf dem Volksfest; die Stirnlocke war schen weit von sich und sah sorglos auf die Karl Johannes­straße hinaus, während er unaufhörlich sein wohlfrisirtes sich verheirathet und wohnt irgendwo in der Brücken- Schweißtropfen darauf, welche sie unaufhörlich abtrocknete. „ Rosalie Kristiansen ist anständig geworden und hat ganz weiß gegen die dunkle, zersprungene Haut mit Haar mit dem geraden Scheitel mitten auf der Stirn gaffe." Albertine verneigte sich, die beiden Herren machten glättete, wenn er nicht gerade einen Schluck Pjolter nahm. Henrik tam, ein klirrendes Nickeltablet tragend, jeder ernsthaft ein steifes Kompliment und lüfteten die „ Bringst Du die so

todt!"

-

-

-

-

lächelnd.

*

*

biet an wegen deines Avancements oder aus Rücksicht Dorauf eine Karaffe mit Cognat, eine Selter und zwei Hüte. Helgesen fragte, ob sie mit ihm tanzen wollte.

auf Dein Renommee im Allgemeinen und speziell gegen­über eventuellen Verlobungsaussichten mit dem hübschen Fräulein Möller?" fragte er.

"

-

-

„ ja."

Helgesen starrte mit seinen großen, hübschen, ernsten Augen ins Café hinaus. Weiße Marmortische, Piolter- und in einer Staubwolfe. Gott  , wie fest und gut er sie Einen Augenblick darnach waren sie mitten im Kreise service und Cigarrenrauch flimmerten vor ihnen. Hu hielt er fonnte Polfa tanzen auch hatte er etwas Helgesens Blick wurde noch ernster er nahm einen was war das für eine widerliche Zeit gewesen- als sie fein Duftendes auf sich, das ihr entgegenschlug, jedesmal Schluck Pjolter. sich Abends voll tranken und dann nach Vika gingen daß sie ihm nahe fam ,, Gott  , nicht so lange rückwärts Warum ich die Jalousie vorschiebe? oh ich und bisweilen gingen sie dorthin ohne betrunken zu sein. ich werde ganz schwindlig"- es war gräßlich, daß ich gehöre nicht zu denen, denke ich, Er empfand vor sich selbst Ekel, wenn er daran dachte. sie keine Handschuhe auf hatte denen es Spaß macht die Leute zu ärgern besonders Rosalie, ja sie war vielleicht die Beste- aber dennoch o, wie amüsant! Er tanzte so gut, sicher, ruhig und wenn es für einen selbst schädliche Folgen haben kann. abscheulich. Nein, nun wollte er sich ver- hübsch ja er konnte tanzen, er, das war gewiß. Dieses Selterwasser kann man doch auch niemals ordent- heirathen und ein anständiges Leben führen, ein guter Sonun wollte er gewiß aufhören- nein- Au Bürger werden und eine Familie gründen, und dann Ha- ha- das war ein ordentlicher Puff! Sie wurden wollte er aufhören mit Pjoltertrinken zur Seite geschleudert. wohl ganz von selbst kommen.

wüßte nicht

-

lich falt bekommen."

-

Er schob die Jalousie noch mehr vor. Es verging einige Zeit, in welcher sie ihre Gläser beinahe leerten. Die Sonne strahlte herein und brach ihre gold'nen Refleye in den Gläsern und bildete lange Streifen von Cigarren rauch und Staub. Die Kellner wandelten auf und ab. „ Du, dort geht Fräulein Möller. Sollen wir nun es ist, bei Gott, sehr hübsches nicht hinausgehen Wetter! Dort geht sie."

-

" Hinauf oder hinunter?" „ Hinunter." " Dann kommt sie später zur Musik wieder vorbei," antwortete Helgesen und theilte seinen Rest in kleine Schlucke.

-

-

hu!

-

-

das würde

Smith betrachtete seine eleganten, spißen, fleinen Füße mit den grauen Pariser Gamaschen und den weißen Knöpfen an den Seiten.„ Ich möchte wohl wiffen, ob sie zu haben ist."

-

" Siehst Du wohl! ja ich konnte mir es denken so ein unglückliches Kind kommt nicht früher auf die Straße, als bis Du und die Anderen ihr nachstellen. Kannst du das denn niemals unterlassen? Wir sind doch, weiß Gott  , alt genug können wir nicht einen anderen zum Beispiel sie aufzuhalten, deun Sport versuchen sonst wird sie in einem Jahr zur Visitation vorgeladen

-

-

-

-

-

-

-

o wie schön es war

-

Er machte eine Verbeugung und gab ihr seinen Arm und führte sie aus dem Kreise heraus:„ Wollen Sie Brauselimonade oder Bier haben?"

,, Danke, Bier!"

„ Ja, das würde wohl recht schön sein, jetzt ein Glas Bier zu bekommen puh!"

klein

Danke!"

"

" Noch ein Glas Bier?"

-

,, Nein danke, nicht mehr o ja vielleicht noch ein wenig Profit!"

-

-

-

Wo war Jossa denn geblieben? Es war ihr, als wenn sie ihre gelben Stirnlocken im Tanze nach allen Nach Verlauf einer Stunde sagte Smith:" Dort werden." Seiten hatte herumfliegen und schlenkern sehen dort sie hat tommt Jossa wieder mit ihrer neuen Freundin, " Ich glaube nicht, daß ich besondere Anlage zum tamen sie." und Du auch nicht es müßte wirklich verschiedene Vorzüge, die Freundin, eine gewisse Menschenretter habe Joffa und Smith bohrten sich aus dem Kreise heraus; benimm mir doch denn sein, weil Du Dich verloben willst Ah, da er hielt sie noch um die Taille, und sie hatte ihren Arm Haltung und einen niedlichen Kopf nicht die Aussicht!- Und wie stolz sie aussieht! Ja, fommen sie!" auf seinem Rücken; mit der linken Hand hielt sie einen Plöglich ertönte draußen ein gellendes Trompeten- fleinen naffen Klumpen von Taschentuch, mit dem sie sich sie ist wirklich famos. Soll das etwa eine Zugdirne geschmetter der Tambourmajor hatte seinen Stab mit unaufhörlich übers Gesicht fuhr. Die Stirnlocken hatten sein?" Helgesen erhob sich und zog die Jalousie ein wenig silbernem Knopf erhoben, und die Uniformen pafsirten ihre ganze Kräuselung verloren und hingen in langen bei Seite:„ Ja sie ist hübsch, aber allzu gerade Schultern mit den blankgeputzten Meſſinginstrumenten vorbei, welche gelbschwarzen Strängen über die kleinen Augen herab, die Brust ist forsch. Der Unterkörper muß nach in der Sonne funkelten, gestüßt gegen die rothen auf die dahinter hervorfunkelten. und dann das ganze dem Gang zu urtheilen auch forsch sein. Zugdirne? Ach geblasenen, angestrengten Backen ja, natürlich-wenn sie mit Jossa geht

-

-

-

-

ja zu den sauberen Pflänzchen, und der elegante Regen­mantel sieht mir auch ziemlich bedenklich aus. Ich muß einmal mit scheint mir, daß ich sie kenne. darüber bin ich sicher ihr etwas vorgehabt haben der, Kopf und die Schultern." Er zog die Jalousie wieder vor und trant den Rest aus.

-

Die Uhr war zwei.

-

Buh! Ist es nicht amüsant, Tina? Nun will Soffa   gehört Gefolge von Tagedieben und der Vortrab von kleinen ich mit Helgesen tanzen, dann kannst Du einmal mit Smith tanzen- o- er tanzt sehr flott wie steht's Jungen, die im Takt liefen. Fast mit meinem Lieutenant?- Trinkt Ihr Vier? Gieb mir " So, nun müssen wir doch hinausgehen, Helgesen, doch auch ein Glas, Tina- danke komm Helgesenchen sonst wird es zu spät, um noch etwas Geld zu kriegen."-nun sollst Du mit mir tanzen, mein Junge. Wir " Ja, wir müssen doch erst diesen elenden Pjolterrest haben Brüderschaft getrunken, verstehst Du, Tina. Komm austrinken. Es ist ohnedies noch Zeit genug.- Sieh', nun!" dort kommt Jossa mit Rosalie." Nein," sagte Helgesen,„ mun will ich nicht mehr " Ja, aber sie ist wirklich nett die ist wahrlich tanzen. Sollen wir ein wenig auf dem Wall spazieren aber sie gleicht auffallend gehen, Fräulein Kristiansen?"

" Du, nehmen wir noch einen zusammen?"

Noch einen? Ich fürchte, daß wir es nicht bestreiten fönnen des Mittagessens wegen."

11

-

„ Bis dahin haben wir ja noch Zeit genug-"

noch lange keine Zugdirne

-

-

-

-

der verblichenen Rosalie. Ich will doch übrigens einmal„ Nein, höre' mal den an," rief Jossa, man nennt