das übrigens spazieren gehen.— Ja, ja. komm denn Smith, Du bist nicht so empsindlich mit dem Du?" Von der einen Seite hörten sie in weiter Ferne das Tanzen und die Musik hinter den großen Gebäuden— auf der andern Seite lagen die Schiffe tief drunten mit den schwarzen Masten und Raaen kreuz und quer oben über den dunkeln Stämmeu, mit einer Laterne ganz oben darauf und grünen, gelben und rothen Lichtern drunten, die sich in dem schwarzen, stillen Wasser abspiegelten— gerade darunter. „Sollen wir uns hier setzen? Er legte den Arm um ihre Taille gerade wie im Tanze und setzte sich nahe zu ihr; sie merkte wieder den feinen Duft— saß und sah hinaus über den Wall auf all' die Prahme und Schiffe auf Hovedö. Die Musik hörte nian in der Ferne, bisweilen kam einmal ein Paar langsam flüsternd in der halbhellen Nacht an ihnen vorbei und suchte eine Bank. „Nun glaube ich, sie spielen Rheinländer", sagte sie leise. „Ja— sollen wir wieder hingehen und tanzen? „Nein—!" Eine Weile war vergangen und sie hatten gesessen und ein wenig geplaudert. Es war gleich als wenn sie einander schon lange gekannt hätten. Er hatte ihr er- zählt, daß er sie von„Grang" aus bemerkt hatte, und daß sie das allerhübscheste Mädchen in Kristiania wäre — ja nicht das allein, sondern noch hübscher als alle Hamen zusammen, und er hatte sie gefragt, ob sie nicht eine Schwester hätte. Nein— sie hatte keine Schwester, sondern nur einen Bruder, der krank war. Und er hatte so nett und vernünftig mit ihr gesprochen— gesagt, daß sie vernünftig und vorsichtig sein sollte und es nicht wie die andern macheu, denen es nachher so schlecht ging— denn es wäre sehr gefährlich für sie, daß sie so hübsch wäre— sie könnte sich verloben und verheirathen— es könnte für sie nicht schwer sein, einen tüchtigen Mann zu bekommen, der ein wenig wohlhabend wäre. Ja, so hübsch, wie sie war, könnte es wohl leicht geschehen, daß sie einen Mann aus einer höheren Gesellschaftssphäre bekäme, sagte er, es käme nur darauf an, daß sie nicht dumm wäre und sich wegwürfe. Vor allem sollte sie nicht mit Jossa so viel gehen» denn Jossa hätte keinen guten Ruf, und es schadete ihr sehr, das wüßte er, daß sie mit Jossa ging. Er legte den Arm etwas fester um ihren Leib. „Was ist das für ein schöner Dust, den Sie da auf sich haben?" fragte sie;„das ist gewiß furchtbar fein — ich habe den Duft früher nie gekannt." Er sagte, es hieße Eau de Lubin. Ein Dampfschiff kam langsam, langsam zwischen der Festuugsbrücke hervorgeglitten mit einem grünen Licht auf der Seite und gleichsam einem großen Stern oben im Mast. „Ja, sie hatte es auch schon geglaubt, daß Jossa sehr leichtsinnig wäre, aber sie glaubte, das wäre nichts Böses." Ja— sie sollte mit Jossa gar nicht mehr zusam- meugehen— denn es würde nicht mehr lange dauern, bis Jossa die Vorladung bekäme— sagte er. „Nein— ist es möglich?" Nein, da wollte sie wirklich nicht mehr mit ihr gehen. Das Dampfboot glitt hinaus. „Das nimmt die innere Seite", sagte er. „Jawohl." .„Nein— sehen Sie!" Dort stieg eine Rakete von dem Dampfschiff in die halbhelle Nacht und es folgten noch mehrere. „Ja, die gehen nämlich immer dort, die großen— nein, ich will Ihnen sagen, ich sage Ihnen das Alles von Jossa, weil ich wirklich großes Interesse für Sie empfinde, Fräulein— vom ersten Mal an— da habe ich gedacht, daß es traurig wäre, wenn diese Burschen, welche da herumlaufen, um junge Mädchen zu verführen, auch Sie kriegen und verderben sollten, denn ich wußte es wohl, daß es nicht lange dauern dürfte, bis sie es versuchten, so hübsch wie Sie waren—" „Darf ich Sie vielleicht etwas fragen?" sagte sie. „War es deshalb, weil Jossa so ist, daß Sie vorhin nicht mit ihr tanzen wollten?" „Jawohl, ich will mit Jossa auch nicht tanzen, wenn es die Leute sehen." Sie schwiegen einen Augenblick— die Musik hinter den Häusern verstummte— es kamen mehr und mehr Paare— es war eine Pause. "Denken Sie,— daß Sie so sind," sagte sie end- (ich,„das hätte ich doch nicht geglaubt." „Wie denn?" „Nein— ich glaubte— daß Sie so wie die an- deren Herren wären, die beständig hinter den Mädchen her sind und sie unglücklich machen— wenigstens die feinen Herren mit Cylinderhüten und hübschen Kleidern, die so auf Karl-Johann spazieren gehen— bann das sind die schlimmsten, und Sie sind am feinsten gekleidet von ihnen allen zusammen." „So dachten Sie, ich wäre auch der Schlimmste" — er lachte.„O— ja— ich bin auch einmal ein bischen so gewesen— ich bin ja nicht mehr so jung— vielleicht hätte ich auch anders gehandelt, wenn ich Ihnen nicht so sehr zugethan gewesen wäre; aber Sie erscheinen mir viel zu gut dazu, um den gewöhnlichen Weg zu gehen — ich will Ihnen wohl— denken Sie daran— ich will gern, daß wir gute Freunde werden sollen, und denken Sie daran— wenn Sie in irgend eine Art von Ungelegenheit gerathen sollten, so kommen Sie zu mir,
und wenn ich Ihnen auf irgend eine Art und Weise mit Rath oder That helfen kann, so werde ich es sehr gern thun. Wollen Sie das?" Er hielt sie fest gegen sich gedrückt. Sie begannen eine Polka. Kurz darauf verschwan- den die Paare, die halb in der Dunkelheit verschwommen vor ihnen auf und abgingen; nur die Schildwache blieb wieder bei den Kanonen mit Hovedö hinter sich stehen. „Ja danke," flüsterte sie und lehute das Haupt an seine Schulter. Sie roch der feinen Duft— Odelübeng hatte er es genannt— ihr war, als wenn ihr ganz sonderbar und wüst davon im Kopse würde. „Nun ist es wohl am Besten, wenn Sie nach Hause gehen"— sagte er—„ich werde Sie begleiten. Wo wohnen Sie?" „Nvrdstadtgasfe Nr. 7.— Ja, aber wir müssen doch Jossa suchen!" „Haben Sie denn Alles wieder vergessen— daß Sie nämlich mit Jossa nicht zusammen sein sollen? Außerdem ist es unmöglich, sie dort drinnen unter all' den Menschen zu finden. Kommen Sie, wir wollen gehen— fassen Sie mich unter— nein, nicht so los — Sie verstehen das Unterfassen noch nicht— das müssen Sie erst lernen— Sie müssen sich nämlich viel, viel mehr auf den Arm stützen, sich darauflehnen— so, ja— so geht es an— so, daß ihre Schulter gegen meine stößt, so— ja!" „Hier müssen wir stehen bleiben," sagte Albertine an der Ecke der Lakkegaffe und Nordstadtgaffe. „Gott ! es ist drinnen noch Licht— die Alte sitzt noch auf— weiter dürfen Sie nicht kommen. „Wollen Sie einen Tag wieder mit mir zusammen sein, wenn ich Ihnen schreibe?" fragte er.„Ich muß nämlich noch mehr mit Ihnen plaudern, besonders wenn ich Sie im Auge behalten soll." „Ja, ich will gern mit Sie Zusammensein— es ist gerade, als wenn ich Sie schon sehr lange gekannt hätte." „Und dann will ich Ihnen noch etwas sagen, Alber- tine— Sie müssen„Sie" und„Ihnen" nicht ver- wechseln— Es hört sich nämlich nicht hübsch an, wenn man das thut." „Ja, Gott — ich will ja gern lernen, fein zu sprechen. Ich— werde— Ihnen sehr dankbar sein.— Nur sagen Sie mir mehr derartiges, das wäre sehr liebenswürdig von— Ihnen." Er drückte sie an sich. „Wie sagten Sie doch, daß das hieß— das Duftende, das Sie haben?" „Eau de Lubin— M Er bog sich nieder und küßte sie— „Gute Nacht." „Gute Nacht." Sie blieb in einem Duft von Eau de Lubin mit halboffenen verwunderten Lippen stehen. Sein Schritt verlor sich die Lakkegaffe herab. Sie blieb einen Augenblick stehen. Der Himmel war voll von Sternen. Dann ging sie langsam hinein. Die Alte saß auf dem Stuhle am Ofen in ihrem 17-ten-Maistaat. Sie sah auf. Sie hatte geweint. Alber- tine ging zu ihr hin. „Ich blieb lange aus." Ans meinem„Kauern spiegel". Von Willibald Nagl(„Deutsche Worte"). (10. Fortsetzung.) Ein Wohlgefallen, welches mit dem Maniersystem nicht ganz in Einklang steht, sucht der Bauer in seiner Rede stets abzuleugnen oder zu schwächen, darum nennt er das schlanke Stadlmädchen einen„Zaunstecken"; ein kindliches, liebes Benehmen, das auf dem Lande selbst bei den Kindern selten ist, heißt„kindisch"; ein guter Witzmacher, der sich über die Manier hinwegsetzt und alle Späße vorbringt, die ihm sein gesunder Witz ein- giebt, wird, wenn auch nur scherzweise, ein„rechter Tobel" genannt; und wenn die Unterhaltungen junger Leute von solchen, die nicht dazu gehen können oder sonst zurückbleiben, als„Dummheiten" bezeichnet werden, so Denkt man nicht etwa dabei an das lobende mittelhoch- deutsche„tnrnbe"(muthwillig), sondern ganz reell an das neuhochdeutsche„dumm"(ungeschickt, tölpisch).— Es kommt mir vor, als wären solche Spott- und Schimpf- Worte über natürlich-wohlgefällige Dinge nur ein Akt r Rache von Seiten des Bauerngemüthes, welches sich rch das mit der angeeigneten Manier im Widerspruche stehende Wohlgefallen unangenehm gekitzelt fühlt und daher die Ursachen dieses unliebsamen Kitzels, jene Dinge. mit Schimpfnamen belegt. Auch soll durch diese letzteren die eigene Aufmerksamkeit und die Aufmerksamkeit der Umgebung von dem Gefühlszustande des„Gekitzelten" sofort abgelenkt werden auf jene so arg betitelten äußeren Objekte als solche; der Bauer, besonders der ältere, hängt nämlich derartigen widermanierlichen Gefühlen nicht gerne nach, noch weniger aber will er sich von anderen Leuten bei solchen ertappen lassen. Die Landleute selbst sind sich dieser ihrer Eigenheit, zu tadeln was zu loben wäre, bewußt, wie die oftmalige Anwendung des Sprich- Wortes„Wer schimpft, der kauft" auf derartige Spötter erkennen läßt. Nur traurig, daß auf das Schimpfen das thatsächliche Kaufen nicht folgt, d. h. daß das Streben fehlt nach dem natürlich wohlgefallenden Guten; sondern da dieses Spötteln über die Vorzüge und Einrichtungen besser Gebildeter überall in der Bauernwelt einen bereitwilligen Widerhall findet, so be-
ruhigt man sich gegenseitig und bekräftigt sich im alten Schlendrian.— Ein Sprichwort, das ich erst in der Stadt gehört habe, lautet:„Was sich liebt, neckt sich." Am Lande neckt der Bursche die Dirne nicht nur: wenn er„ordentlich" genug ist, um ihr sein Gefühl des Wohlgesallens an ihr nicht zu verrathen, so ist er zum Ersatz für die entfallende Zärtlichkeit recht grob mit der Dirne und thut ihr möglichst viel zu Leide. Freilich sind die jungen Leute oft„nichtsnutzig" genug, einander ihre Gefühle zu verrathen und sich gegenseitig schön zu thun. Aber der verheirathete„ordentliche" Bauer ist, wenigstens öffentlich vor anderen Leuten, mit seiner Magd desto strenger und unnachsichtiger, je hübscher sie ist.— Ein Beispiel, daß diese Grobheit für unterdrückte Zärt- lichkeit stellvertretend einrückt, u. zw. schon bei Kindern, kann ich aus meiner eigenen Vergangenheit anführen. Als Schulknabe fand ich schon an einem oder dem an- deren Schulmädchen ein Wohlgefallen; meinen Kameraden ging es gewiß nicht anders. Am liebsten hätten wir also mit den Mädchen gekokt und gespielt, wußten aber, daß dies„eine Süud" sei. Daher lauerten wir ihnen auf dem Schulwege in einer Straßenunterwölbung auf und schlugen sie mit Distelbüschen ohne jedweden äußeren Anlaß. Gewiß eine großartige Verleugnung seiner selbst. Ist der wohlgefällige Gegenstand im Besitze des Redenden, dann ist Spott und Schimpf selbstverständlich nicht am Platz. Aber ein ehrliches Bekenntniß des Wohlgefallens wäre in diesem Falle noch verfänglicher als im obigen, denn, da der Bauer seine Habe als zu seiner Wesenheit gehörig betrachtet und geneigt ist, sich mit seinem Besitz ganz zu identifiziren, so wäre der Aus- druck des Wohlgefallens an einem moralisch oder ma- teriell eigenen Objekte nichts als ein Wohlgefallen an sich selbst, eine riesige Unbescheidenheit, die bekanntlich im Maniersystem ebenso wie in der Klosterdisziplin aller- strengstens verboten ist. Der Bauer muß daher, wenn schon nicht in seinem eigenen Denken und Fühlen— was ihm gar nicht gelingen würde— so doch vor An- deren diesen ihm wohlgefälligen Gegenstand ausdrück- lich herabsetzen, als unbedeutender darstellen. Der kleine Jgnaz hat bei der Schulprüfung vom Herrn Dechant das schönste Prämium, vom Katecheten noch überdies ein in hellen Farben ausgeführtes Bildchen er- halten.„Das ist wohl(d. i. unstreitig) eine Ehre für das ganze Haus", sagt manierbeflissen der von geheimem Neid erfüllte Nachbar zu Jgnazens Vater. Diesem klingt solche Anerkennung wie Musil — aber er sagt etwas ganz Konträres.„Würde wohl von den anderen Knaben auch mancher so viel gewußt haben— dem meinigen hat's halt just(d. i. zufällig) gerathen!" So wird zuerst das Verdienst des Kleineu geleugnet und erst hinterher folgt dann noch die Erwähnung, daß Jgnaz zu Haus allerdings stets beim Büchel gesessen isr u. s. w.— Da geht der brave, haushälterische Rentbauer in den Marktflecken; er hat eine kleinere, nette Wirth- schaft, und obgleich er nicht unternehmend ist im Sinne unseres modernen Geschäftsbetriebes, so ist er doch ver- hältnißmäßig findiger und„weiß mehr für einander zu bringen" als die anderen Bauern in der Umgebung. Ihm begegnet der„schwere" Pannhuber, ein Mann der's nicht nöthig hat, so zu„hadern" und Alles auszutüpfeln wie Andere, als z. B. der Reutbauer:„Na, wie geht's denn dem Reutbauer?" fragt nun der„Schwere" in großmüthiger Zuvorkommenheit.„Mihigott," ist die Antwort,„wie's halt Unsereinem geh'n kann. Lauter Schererei alleweil. Mein Rössel hat, mein ich, die Huf- reh', ich muß zum Kuhschmied gehen,— eine Kuh wär' zum Kälbern und kann nicht dazukommen. Das Vieh- futter ist jetzt auch gar so viel klug(d.i. rar) bei uns." So sucht er alles nur auffindbare Mißliche hervor und klagt darob— sagt aber nicht, daß er eigentlich zum Fleischhauer und zum Müller geht, zu Ersterem, um ihm zwei schwere Kälber anzubieten, zu Letzterem, um ßu fragen, was er Heuer durchschnittlich für den Metzen schönen Weizen zahlt; und je mehr der Reutbauer seine Erfolge verhehlt, je mehr er seine Hauswirthschaft, den Gegenstand seiner größten Freude, klagend und lamen- tirend herabsetzt, desto größer ist seine Freude im Ge- Heimen, weil er sich dann in seinem Wohlgefallen un- gestört und vor Neid oder etwaigem„Verschreien" sicher fühlt. „Ja." sagt nun zur Verabschiedung der Pannhuber mit überlegenem Lachen,„das geht bei uns auch nicht anders", und erwartet, daß sich Reutbäuerlein— das Gegentheil denkt. Eine krankhafte Sucht, alles Subjektive und beson- ders alle Freude an dem eigenen Besitz oder Erfolg zu verbergen, ein dadurch immer mehr gesteigertes und ge- nährtes Mißtrauen gegen die Mitwelt, ein altüberlieferter Aberglaube, daß eine ausgeredete Freude den Neid finsterer Mächte errege, eine eingewurzelte Reservirtheit, alles dies kommt jenem Maniergebot zu Hilfe, welches die verpönte complacentia sui mit der complacentia rerum suarnm identifizirt, den freien Ausdruck natür- lichen Wohlgefallens verkümmert und unterdrückt. Da heißt es nicht mehr:„Getheilte Freude ist doppelte Freude", sondern eher„Selber essen macht fett." Wir haben nun die Art und Weise, wie der Bauer sein natürliches Wohlgefallen ausdrückt, besprochen. Was ist jetzt über die Aeußerungen des natürlichen Miß- fallens zu sagen? Schon von jeher ist die Aufmerksamkeit des öfter- reichischen�Volkes mehr dem Mißfälligen zugewendet, als dem Schönen, wenn auch das Mißfällige, gleich-