Berliner Volks-Trime. Sozial-Politisches Wochenblatt. Au» der Woche. Albertiae. Schlimmer alo Sklaverei. Ava der Technik. Offene Gewerkschaften. Radan Nada«. Ans der bürgerlichen Wnfterrepnblik. Vatri- archalifche Zustände ans dem Lande. Eine Unthat Sonaparte's. Literarisches. Gedicht. Novelle. Ans meinem Kauern spiegel. Die Kourgeoifte und die Contre Uevolution. An die Uarteigenosten. Aus der Mache. Wie emsig hat das Bürgerthum früher nach Schwurgerichten gestrebt, wie volltönend erklangen die Reden seiner Vertreter, wenn sie diese Institution als Palladium der erwachten Volksfreiheit feierten! Und heute' Wo eine Einmischung der Geschworenen in die Rechts sprechung überhaupt stattfindet, wird die Härte, mit der man allepolitischen Verbrechen" straft, womöglich nur noch größer. Die unerhört hohen Verurtheilungen der in dem Köpnicker Aufruhrprozeß verwickelten Arbeiter liefern wieder einmal einen drastischen Beleg dafür. se Eine Aeußerung des ersten Staatsanwalts in Danzig bei Gelegenheit des Wehr schen Prozesses wird erst jetzt bekannt. Der Beamte sagte in semer Anklage- rede:Ein Mann(Dr. Wehr), dem stets die Sonne in seinem Leben geschienen, ein Mann, der von reichen Eltern geboren, eine sorgsame Erziehung genossen hat und dem es gelungen ist. durch seine Verbindung auf der Universität verhältnißmäßig früh eine sehr hohe Anstellung zu erlangen.. Endlich also er­fährt das deutsche Volk auch offiziell, auf welche Weise es zu manchem seiner hohen Beamten kommt. Ein hoher Beamter hat das Geheimniß ausgeplaudert. Nicht Wissen und Kenntnisse, nicht allgemeine Tüchtigkeiten entscheiden. die Zugehörigkeit einem studentischen Korps ist er- forderlich. Diese wird bedingt durch den Reichthuin der Eltern. Dr. Wehr war vorsichtig in der Wahl seines Erzeugers, er war Mitglied derWestfalia" in Bonn . und es ging ihm wohl aus Erden und er rückte vor bis zum Landesdirektor. Und wer weiß, was er heute sein könnte, hätte er es über sich gebracht, in Geldsachen etwas vorsichtiger zu sein. Das Elitekorps des deutschen Mastburgerthums hatte sich in der vorigen Woche in Berlin ein Stelldichein gegeben. Geistsprühend, wie man schon einmal ist, hatte man dies in der Form eines Kongresses der Ticken ver- anstaltet. Und sie kamen alle dahergepustet, die Herren von 250 bis 350 Pfund. Drei Arbeiter umspannten die Schmerbäuche nicht. Der Ehrenpreis war recht sinnig gewählt. Der Sieger erhielt eine feiste Sau. Ob er den Preis um den Hals getragen, todt oder lebendig, ge- braten oder ungebraten. und wie viele Tonnen Speck als Weinleichen auf der Wahlstatt geblieben sind, darüber schweigt des Berichterstatters Höflichkeit. Der deutsche Reichstag ist kaum zusammengetreten und schon erwartet man für ihn eine kleine Ueberraschung. Eine neue Militärvorlage soll 40 bis 50 Millionen ver­langen. Diese freudige Nachricht kommt, wie so viele schon, dem deutschen Volke über Hamburg . In Süd- dentschland ist aus den Zeiten des seligen Bundestages 'noch ein Lied im Schtounge:Und alles, was von Hamburg kommt, das muß gestempelt sein". Der Genius Hamburgs scheint auch im neuen Reich deutscher Ration derselbe geblieben zu sein. Ausnahmen bestätigen natür- lich nur' die Regel. Aus demselben Hamburg �ehauptet die Stimme des verftossenen Giganten, die Thatsache, daß der Millionär von Lucius für sein Fideikommis keinen Stempel gezahlt habe, sei eine ganz normale Erscheinung. Ist erklärlich. In einem Lande, in welchem Alles Kröpfe trägt, gilt ein dünner Hals als anormal. Der Kurs bleibt der alte. Der Genosse und Abgeordnete Domela Nieuwenhuis aus Holland wollte im Arbeiterverein zu Bielefeld sprechen. Die dortige Polizei ließ ihn zwar durch einige Stunden die Pracht- bauten der Stadt und die herrlichen Fabriken bewundern, sandte ihn aber vor Beginn der Versammlung mit rührender Aufmerksamkeit wieder in seine Heimath. Wir wissen nicht, ob an diesem Tage in Bielefeld dicker Nebel oder naßkaltes Wetter geherrscht, bei dem sich gerade ein Fremder leicht eine Erkältung holen konnte. Die Kreditanstalt für Handel und Gewerbe in Wien trägt sich mit der Absicht, die Köhlenwerke der Nordbahn(Werth 10 Millionen Mark), dann die gleich falls im Mährisch-Ostrauer Revier gelegenen Kohlenwerke der Rothschild s , Guttmann's und des Grasen Larisch in eine Aktiengesellschaft zu verwandeln. Das wäre die Gründung eines Trusts, wie er gleich groß und schädlich bis jetzt kaum vorgekommen. Die Bevölkerung Wiens und eines Großtheiles von Niederösterreich und Mähren wäre einer Handvoll Millionäre auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Die Firma Gebrüder Guttmann hat den Kohlenhandel in Wien schon jetzt so gut wie monopoli- sirt, und es ist so weit gekommen, daß den Wienern der Zentner Ostrauer Kohle um ein Drittel theurer als der Südbahn in Südsteiermark verkauft wird, obwoh letzteres hunderte von Kilometer weiter von den Ostrauer Schächten abliegt, als die Hauptstadt Oesterreichs . Schon jetzt werden in den bettestenden Werken die nie drigsten Löhne für Kohlenarbeiter in ganz Oesterreich gezahlt. In den letzten zwei Jahren ist es zu drei Streiks gekommen. Was wird erst, wenn alle Gruben in einer Hand vereinigt sind und jeder Widerspruch und Widerstand den vollständigen wirthschaftlichen Ruin nach sich zieht'? Im preußischen Landtag wurde von dem Minister die Absicht ausgesprochen, die Erzeugung und Anwendung des Koch'schen Heilmittels zu verstaatlichen. Es war die höchste Zeit dazu. Die Forderungen der Privatärzte gehen in's Aschgraue. Erst jetzt wird wieder bekannt, daß einer dieser Herren für die Behandlung während einer Woche tausend Mark verlangt habe. Statt aus Neusilber werden die sogenannten Koch'schen Spritzen auch schon aus Messing angefertigt ünd blos leicht ver- nickelt. Anzuerkennen und rühmend hervorzuheben ist die Uneigennützigkeit des Erfinders selbst. Eine Gruppe von Kapitalisten wollte die ganze Koch'sche Entdeckung in Bausch und Bogengründen" und Koch selbst zum Generaldirektor einsetzen, der Gelehrte lehnte ab. Die Regierung hatte ihm eine Staatsdotatiou zugedacht, Koch lehnte auch diese ab. Ist ein solch' uneigennütziger, anspruchsloser Charakter nicht eine Merkwürdigkeit in einem Lande, in welchem vor noch nicht langer Zeit der erste Beamte des Staates für seine obendrein nicht ganz einwandfreien Dienste sich ein Rittergut kaufen und schenken ließ? Fallen seh' ich Zweig um Zweig. Und Bismarck sank dahin und war größer als Puttkamer, und Putt- kamer ging und Scholz ward nicht mehr gesehen. Und Lucius versammelte sich zu sich selber, denn Ahnen besitzt er noch nicht. Jetzt verspürt auch der Unterrichtsminister Goßler ein Heimweh nach den Fleischtöpfen des bürger- lichen Lebens. Wie die Blätter erzählen, wird er kaum mehr in der Lage sein, in seiner Amtswohnungprosit Neujahr!" rufen zu können. Albertine. Wie wir in der vorigen Nummer unfern Lesern lereits mittheilten, ist unser Beiblatt vom 22. Novemner beschlagnahmt. Der Grund ist schwer zu errathen. Albertine, die treffliche Novelle, welche wir im Auszuge unseren Lesern vorführten, hat Anstoß erregt und ist vom Staatsanwalt als unzüchtig inkriminirt. Wie die Gerichte entscheiden werden ist unberechenbar. Wir appelliren aber an das Urtheil aller derjenigen aus unserem Leserkreise, welche die meisterhafte Dichtung Rrohg's in unseren Auszügen Scene für Scene verfolgt ! laben. Ist ihnen jemals der Gedanke gekommen, daß diese verzweifelten, vom tiefsten Lebenselend durchtränkten Schilderungenunzüchtig" wirken könnten, daß sie auch nur mit einem Wort, mit einer Silbe zum Laster an- locken? Der Staatsanwalt scheint an gewissen Details der letzten Fortsetzung besonderen Anstoß genommen zn haben. Aber eben diese kleinen Bemerkungen, die sich durch die letzten Scenen hinziehen, sind nur ein Beweis mehr für den sittlichen Ernst des Dichters. Nirgends die leiseste Spur lüsterner Ausmalung, nur das Entsetz- liehe und Abstoßende tritt dadurch wie es die poetische Wahrheit verlangt deutlicher hervor. Das mag sehr peinlich sein, wie dadurch aber dieSittlichkeit" bedroht werden soll, ist unerfindlich. Die heutige Nummer bringt mit einigen Streichungen den Schluß derAlbertine". Es ist, in Sonderheit wegen der staatsanwaltlichen Auffassung, wohl augebracht, in kurzem Umriß noch einmal an den in diesem Werk geschilderten Entwickelungsgang zu erinnern), die Bedeu- tung des Ganzen uns noch einmal zu vergegenwärtigen. Wir lernen Albertine in dem finsteren Stübchen der Nordstadtgasse kennen, wo sie mit ihrer alten gram- gebeugten Mutter und ihrem Bruder Eduard, einem schwindsüchtigen Knaben, zusammenwohnen muß. Tag für Tag sitzt sie an der Maschine, aver der kärgliche Gewinnst will durchaus nicht zum Leben langen. Ihr Mantel liegt im Versatzamt; es ist keine Hoffnung, ihn wieder einzulösen und so sitzt sie denn stolz, in sich verschloffen und grübelnd wochenlang zu Hause. Sie kann doch nichtwie ein Fabrikmädchen" mit einem Umselsiagetuch auf die Straße hinaus und Oline, die verhe'irathete Schwester, um ihren Mantel bitten nein, das geht ja noch weniger an. Oline, die sich hat ver- führen lassen, Oline, die sich erwerbsmäßig verkaufte, Oline, die jede Woche auf das Polizeibureau hinauf mußte und die doch nicht vor Scham verging! Jetzt freilich hatte sie einen alten Herrn geheirathet und war ehrbar" geworden und alle Leute achteten sie. Aber wie kann man ehrbar werden, wenn man jemals so schlecht gewesen! Nein, von Oline wollte sie nichts haben, die Leute könnten denken, sie würde dann auch so eine" werden, schon jetzt flüsterten sie immer zu- sammen, wenn sie vorüber ging. Die Kunst des Dichters in diesen Schilderungen ist bewundernswerth. Er be- schreibt nicht, erzählt nicht, er dringt bis in den innersten Gedankenkreis Albertinens hinein und enthüllt ihr Wesen, indem er den Verlauf ihrer Vorstellungen wiedergiebt. So offenbart er uns ihr Wesen und ihren Zustand, die unsichtbaren Mächte, mit denen ihre Seele Tag für Tag zu ringen hat. Und trostlos, wie der ewig sich erneuernde Kreislauf ihrer Gedanken, ist, was sie um sich sieht: die Stube, die Fabrikmauer vor dem Fenster, Mutter und Bruder. Und doch war dieses Mädchen, wie irgend eine, zur Freude beanlagt; nur ein wenig Sonnenschein, und ihre ganze liebenswürdige, tüchtige und schöne Natur würde sich ihr und den Andern zur Lüst erschließen. Aber die Roth hält sie mit ehernen Bänden umfangen, drückt mit übermächtiger Gewalt den jungen Geist' zu Boden. Die Brutalität der Verhältnisse treibt dieses Mädchen, dessen fast krankhaft gesteigerte Schamhastigkeit uns der Dichter mitempfinden läßt, endlich Schritt für Schritt auf den Weg, den Oline, den Jossa , den alle ihre Freundinnen und Bekannte gegangen sind. Wie ein dunkles Verhängniß waltet es über ihnen; die Armen werden zur Noth, aber die armen Mädchen zu noch Schlimmerem verurtheilt. Die tückische Verführung, welche die Töchter des Volkes genießen will und die Gefallenen " dann ruhig in den Abgrund der Prostitution versinken läßt, findet tausend Wege, an sie heranzudringen. Tausend verschiedene Wege, und alle ebnet die Roth. Wäre Albertine alsDame" geboren, so hätte sie keine Oline zur Schwester gehabt, keine Jossa zur Freundin, "ein Geflüster der Nachbarinnen, keinen Helgesen, der alsBeschützer" undfeiner Mann" sich ihr aufdrängt, ihre Sinnlichkeit entfacht und nach flüchtiger Liebelei, die eben erwachte leidenschaftliche Zuneigung des Mädchens, eineranständigen Verlobung" wegen, kalt zurückstößt,