Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.
Nr. 52.
Lockspikel- Lied.
( Melodie etwa:„ Der freuzfidele Kupferschmied").
Dreitausend Mark, heidi, per Jahr
Von Seiner Exzellenz
Wie schirmt der Himmel wunderbar Rockspizels Existenz!
Rein Gentleman, kein Gentleman,
Als wär' das ein Malheur,
So bin ich denn und bleib' ich denn Agent provocateur!
Spiß, spip: die Ohren aufgeknöpft! Horch, horch nach links und rechts! Bum bum! Und alles wird geköpft Tyrannischen Geschlechts!"
Fällt mir dann so ein Tölpel' rein Und brüllt:„ Den Teufel ja!" Das muß ein Anarchiste sein, Ein Anarchist, hurrah!
Genosse, prost!" begleite ihn,
Schüttl' ihm als Freund die Hand Und melde schleunigst nach Berlin : Ein frischer Fisch brillant.
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Aus deutschem Reichsfonds stell' ich flugs Das süße Mordsblatt her,
Die Freiheit
folossaler Jur!
Ex'lenz, was willst du mehr?
Ach, als ich noch kein Spigel war, Welch kreuzerbärmlich Los! Dreitausend Reichsmark jedes Jahr, Das macht sich ganz famos. Mitunter bupperts mir von fern: ,, Du Schuft!" Herrjeh, ich bin Ein treuer Diener meines Herrn Und schlag' mir's aus dem Sinn.
Ich bin ein Werkzeug der Gewalt
Von Gottes Gnaden nur,
Ein unentbehrlich Nädchen halt
In der Regierungsuhr.
Spiz, spiz, horch, horch! Kein Gentleman!
Als wär' das ein Malheur,
So bin ich denn und bleib' ich denn
Agent provocateur!
Karl Hendell.
Der kluge Phylay.
Eine Höhenmessung.
Von Kristian Winterhjelm.*)
Ja, Sie können glauben, es war ein kluger Hund, mindestens so klug wie ein Mensch. Ich lernte ihn bei dem Förster auf dem großen Gute Slavadaska kennen, das dem reichen Branntweinbrenner oder besser gesagt, dem früheren Branntweinbrenner gehörte, der es auf der Auktion von dem ruinirten Grafen gekauft hatte.
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Sonnabend, den 27. Dezember 1890.
IV. Jahrgang.
Die dumme Gans", sagte sie erbittert zum König, müssen sie ja dann und wann bei uns sehen, da Du wenn eins zum andern kommt, gehört sie selbst ja nur Geschäfte mit ihm hast, aber die Oberkreisrichterin würde einer jüngeren Linie an, und es ist doch noch sehr die es uns niemals vergeben, wenn wir ihr die einfache Frau Frage, was höher rangirt, ob meine ältere Linie eines vorstellten. Gott mag wissen, wie er dazu gekommen ist, jüngeren Hauses oder ihre jüngere Linie eines älteren solch ein Bauerumädchen zu heirathen! Ich sage Dir, ich Hauses. Bah! sie ist albern!" übernehme die Verantwortung für etwas so Taktloses in
Der König antwortete nicht; er hatte das drückende meinem Hause nicht." Gefühl, daß der König von Illyrien ihm vielleicht nicht Und die Frau maß ihren Gatten mit einem Blicke, den heißersehnten fürstlichen Orden, die„ goldene Magen- den er nur allzu gut kannte. Dieser Blick sagte ihm, binde" anbieten würde. daß er sich niemals an den Taft und die Etikette gewöhnen könne, welche sie von ihrer Mutter, die die Tochter einer ruinirten Offizierswittwe war, geerbt hatte. Notabene hatte die Mutter sich nur aus Noth mit einem wohlhabenden Handwerker verheirathet.
In diesem Augenblick trat die kleine, fette, runde Oberhofmeisterin ein, verneigte sich tief vor den Majestäten, und wandte sich zur Königin.
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, Ew. Majestät wollen gnädigst bestimmen, was mit der neuen Baronin geschehen soll, die
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" Ich weiß, ich weiß," antwortete die Königin, sie muß ja leider vorgestellt werden, aber es geht nicht gut an, daß es im Coursaal vor den alten Familien des Landes geschieht; es muß so zufällig im Laufe des Abends geschehen."
Die Oberhofmeisterin verneigte sich abermals tief, zweimal, und trippelte wieder von dannen. ,, Gott sei Dank, daß wir doch noch in einem zivilisirten Lande leben", murmelte sie vor sich hin.
Der Distriktsvogt hatte gerade an diesem Morgen die Klagen seiner Frau anhören müssen.
" Die dumme Gans", sagte sie, ist es vielleicht besser, Kaufmannsfrau zu sein als Beamtenfrau? Denn Beamter bist Du nun doch einmal. Ich kann mich noch des Tages erinnern, wo ihre Mutter auf dem besten Wege war zu verhungern; damals, als sie Lehrerin an der Zahlschule war, die ich besuchte."
Und der Distriktsvogt saß auf dem Bureau und sann über all die unbegreifliche Ungleichheit auf dieser Sie dachte mit Grauen an das Nachbarland, wo der Welt nach. Wie dumm einzelne Menschen doch waren. Vater der Baronin Baron geworden war. Er war nur Seine Frau hatte vollkommen Recht; diese Ungerechtigkeiten ein hervorragender Mann gewesen, aber als er sich und Kränkungen verlegten auch ihn tief. Aber Gott sei ein ungeheures Vermögen dadurch geschaffen, daß er den Dank, er dachte nur immer an den inneren Werth und Weg für einen kolossalen Roggeneyport gebahnt, welcher die Tüchtigkeit eines Menschen. auch den großen adeligen Gutsbesißern zu Gute kam, da Da meldete der Schreiber, daß die beiden Förster fand man sich darein, seine Verdienste mit dem Barons- draußen seien und mit dem Herrn Distriktsvogt zu sprechen titel zu belohnen, um so mehr, als die adeligen Guts- wünschten. Denn es war jetzt wirklich ein Förster auf befizer ihn oft um Rath befragen mußten und einem dem gräflichen Gute angestellt worden. Manne, der weiter nichts war, als hervorragend, nicht Der alte Förster erbleichte vor Kränkung, als er, gern so viel Höflichkeit erweisen wollten, als doch noth- der schon seit elf langen Jahren mit dem Distriktsvogt wendig war. verhandelte, nun draußen im Vorzimmer stehen und
Die große Vorstellung war längst vorüber. Zwischen warten mußte, während der neugebackene, junge, gräfliche zwei Tänzen winkte Podoliens Königin die Oberhof - Förster eingelassen wurde. Und dann hörte er, wie dem neuen Manne ein meisterin zu sich und sagte:„ Jezt können sie mit der Roggenbaronin kommen." Stuhl hingerückt wurde und man in verbindlichen, höf Diese war über die Zurücksetzung sehr beleidigt. Sie lichen Ausdrücken mit ihm sprach, während er selbst, als hatte den Adel des Vaters geerbt, und den konnte man er endlich eingelassen wurde, stehen mußte und mit den ihr nicht nehmen, aber ihr Mann war nicht von Adel. gewöhnlichen, herablassenden Worten abgefertigt wurde, Indessen war er ein ausgezeichneter Mann und Geheim- diesmal vielleicht gar noch mit einem Anstrich von Verrath, was in Podolien jedoch nur mit dem Obersten drießlichkeit. rangirte; es war also eine Art Unregelmäßigkeit, daß er auf Grund des Adels und des großen Vermögens seiner Frau mitgekommen war. Die Baronin verwünschte den Tag, an dem sie dem Wunsche ihres Vaters uachgegeben und den Geheimrath geheirathet hatte.
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Als er heimkam, erfuhr ich, welch ein großartiger Narr der Distriktsvogt stets gewesen.
feiten zu erfahren.
Es war deutlich zu sehen, daß er Lust hatte, seine Erbitterung an einem ooer dem andern auszulassen; und nun traf es den treuen Phylax, der ihm unglücklicher„ Die dumme Gans von einer Oberhofmeisterin weise in den Weg kam, als er mit großen Schritten im ihre podolische Majestät lasse ich natürlich ungenannt" Zimmer auf und ab ging. Dieser Förster war der einzige in der Gegend und sagte die Baronin, als sie nach Hause fuhren. „ Wenn Phylax wurde mit einem sehr ungnädigen Fußtritt führte sich daher sehr groß und würdig; auf dem gräflichen eines zum andern kommt, so gehört sie strenge genommen zur Thüre hinausgestoßen. Nachbargute Slavalenka, das viel kleiner war, hatte man auch nur dem jüngeren eingewanderten Adel an und erst ihr Ich habe bereits konstatirt, daß Phylax ein sehr inEr wußte sehr wohl, daß so nämlich keinen Förster, und die größte Furcht meines Vater ist Graf geworden. Sie ist eine Närrin! Als wenn telligenter Hund war. Wirthes war, daß sich das Gerücht bestätigen würde, ich nicht ebenso gut wäre wie all die armen Baroninnen etwas wie das eben Geschehene nur vorkommen konnte, welches erzählte, daß der Graf wirklich auch daran denke, aus dem grünen Kalender! Man erinnert sich kaum ihrer wenn er sich entweder etwas hatte zu schulden kommen Namen!" lassen oder wenn der Förster betrunken war. sich einen Förster anzuschaffen. Der Geheimrath antwortete nicht; wo von Rang und Er sah ein, daß dieses Mal jedoch keins von beiden Ich war ausgeschickt, um eine Eisenbahntraçe auszustecken, und meine Station, meine Instrumente befanden Würden die Rede war, durfte er niemals mitſprechen. der Fall war. Aber er war mit im Vorzimmer des sich bei dem, im Ganzen genommenen, liebenswürdigen Er dachte an die Mittagsgesellschaft, welche sie selbst Distriktsvogtes gewesen, er hatte die Hosen des neuen Förster. Hier war es also, wo ich Phylag kennen Tags darauf geben wollten, und die Einladungsgeschichte, Försters beschnüffelt und gefunden, daß sie vornehm lernte; es war ein langhaariger braun und weißer Jagd- welche sie vor einigen Tagen gehabt hatten, peinigte ihn rochen und nachher hatte er fortwährend die Mienen seines Herrn beobachtet. Ihm war also alles klar. hund. Seine Intelligenz war unbedingt menschlich, von mehr als die Zurücksetzung der Baronin. Er sollte nämlich seine alten Freunde, die Kaufmanns- Das Geheul, welches Phylax ausstieß, als er h.nausder besten Art; Sie werden es sogleich hören. familie nicht bei sich empfangen, wo er als Junggeselle gestoßen wurde, rief inzwischen zwei andere Hunde herbei, Aber wir müssen mit dem Anfang beginnen. welche gleich draußen auf der Landstraße gestanden und Die Königin von Podolien war in der aller- täglich ein- und ausgegangen war. Es ist unmöglich", hatte die Baronin gesagt, sie einander mit mißtrauischen Blicken und gesträubtem Fell miserabelsten Laune; das Unglück war um so größer, da fie gerade in voller Toilette mit allen podolischen Dia müssen warten, bis wir die Bürgerlichen einladen. Sie betrachtet hatten. Jetzt fanden sie sich ein, um Neuigmanten geschmückt dastand, um mit ihrem Gemahl in die ist ja die Tochter eines Handwerkers. Und vielleicht Bruntgemächer des Schlosses zu treten. Es war der Ge- würde ich noch den Muth haben, einen der Herren zu aber ihn burtstag des jungen Königs, und man hielt großes bitten, daß er sie zu Tische führen würde eine Baronin führen zu lassen unmöglich! Die Dame, Reinigungsfest, d. h. man hatte die Einladungslisten von allen im Laufe des Jahres vorbeigegangenen Namen, ent- welcher ich ihn gäbe, würde es als eine furchtbare Zurück weder Adelige oder bis zum Generalmajorsrang, ge- fegung empfinden und uns niemals vergeben." Wir sind also nicht eingeladen", sagte der Kaufreinigt. Wenn man diesen Rang nicht hatte, so konnte man am podolischen Hofe nicht vorgestellt werden und mann, das ist natürlich die hochnasige Baronin." " Die dumme Gans", sagte die Frau,„ ihr Vater ohne vorgestellt zu sein, fonnte man kaum bei dem großen Hingegen ging er zum gräflichen Försterhund, und Reinigungsfest, viel weniger noch bei den intimen Zirkeln war nichts anderes als Kaufmann, geradejo wie Du, es ist geradezu lächerlich, er verkaufte Korn wie Du, obgleich dieser eigentlich nur Halbblut war, leckte er seinem anwesend sein. Aber die Königin von Podolien war in der aller- und nun soll doch noch ein Unterschied gemacht werden; neuen Gast die Schnauze, was in der Hundewelt noch miserabelsten Laune. Sie hatte gerade von der Kaiserin als ob wir vor unserm Herrgott nicht Alle gleich wären. eine viel größere Höflichkeit ist, als unter den Menschen. Ja, der Hund besaß vollkommen menschliche Intelligenz. von Galizien ein Antwortschreiben entgegengenommen, Mich dünkt, die alte Freundschaft sollte bei dem Geheimworin diese die Königin„ meine innig theure und gute rath doch auch mehr gelten als solche dummen VorSchwester" titulirte, und nicht meine innig theure und urtheile. Aber weißt Du was? Er steht elend unter herzgeliebte Schwester". Dies zeigte, daß sie die Königin dem Bantoffel, ja, er wagt nicht zu muchsen, das ist Die Bourgeoisie und die Contre- Revolution nicht ganz zu dem intimsten Range fürstlicher Familien schändlich. Ich muß gestehen, so etwas könnte ich nicht rechnete; denn„ gute" ist ein offizieller Ausdruck, während thun; wenn aus feinem anderen Grunde, so aus dem, herzgeliebte" privater Natur ist. Dabei ließ sich nichts daß es albern wäre." thun, denn alle offiziellen Formen waren gewahrt; es ärgerte die podolische Königin nur, daß sie selbst" herzgeliebte" geschrieben hatte. Sie empfand es so bitter und Semüthigend wie eine Abweisung.
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Während einer ganzen Woche war ihre Laune sehr schlecht; es war um so unangenehmer, da ihr Mann ihr eines Tages vorschlug, den Distriktsvogt zu der großen Gesellschaft einzuladen, welche sie dem Oberkreisrichter zu Ehren veranstalteten.
Der eine dieser Hunde gehörte dem neuen, gräflichen Förster, der andere war der Pudel des Pförtners. Der intelligente Phylax hatte eine unverdiente Kränkung erlitten, und das schmerzte ihn mehr als der Stiefel des Försters. Als er jedoch zwei fremde Hunde auf seinem eigenen Dominium sah, stürzte er auf den simplen Pudel los und jagte ihn mit der größten Verachtung hinaus.
Von Karl Mary.
IV.
Gehen wir nun von dem Programme des Ministeriums der That zu seinen Thaten über.
Mit der Drohung der„ verstärkten Staatsmacht" gegen die„ Anarchie", d. h. gegen die Arbeiterklasse und alle Fraktionen des Bürgerthums, die nicht ,, Bist Du wahnsinnig? Was fällt Dir ein?" sagte bei dem Programme des Herrn Hansemann stehen blieben, seine Gattin höchst ungnädig." Weißt Du was, wir wurde Ernst gemacht. Man kann sogar sagen, daß mit