UciMatt zur 9!r. 4.
Was ist doch die Zeitung interessant. Wie isl doch die Zeitung interessant Kür unser liebes Vaterland! Was haben wir heute nicht alles vernommen! Die Fürstin ist gestern niedergekommen, Und morgen wird der Herzog kommen, Hier ist der König heimgekommen, Dort ist der Kaiser durchgekommen, Bald werden sie alle zusammenkommen— Wie interessant! wie interessant! Gott segne das liebe Vaterland! Wie ist doch die Zeitung interessant Für unser liebes Vaterland! Was ist ns nicht alles berichtet worden, Ein Portepeesähnrich ist Leutnant geworden! Ein Oberhosprediger erhielt einen Orden, Die Lakaien erhielten silberne Borden, Die höchsten Herrschasien gehen nach Norden Und zeitig ist es Frühling geworden— Wie interessant! wie interessant! Gott segne das liebe Vaterland! Hoffmann v. Fallersleben .
Lettkugel. Von Gun de Maupassant. Nachdr, verboten*) Schott mehrere Tage hindurch hatten Trümmer der geschlagenen Armee die Stadt passirt. Es waren dies keine Truppen mehr, sondern nur noch zügellose Horden. Lange schmutzige Barte wucherten in den Gesichtern der Mannschaften, zerlumpte Uniformen deckten nur kümmerlich ilire Blößen, und ohne Fahne, ohne Regimentsordnung fchlenderteti sie dahin. Alle erschienen matt und abge- hetztj unruhig, ohne irgend einen Gedanken oder einen Entschluß zu fassen, marschirten sie nur noch aus alter Gewohnheit und sanken erschöpft zu Boden, sobald sie stehen blieben. Besonders bemerkte man Mobiltruppen, meist friedlich aussehende Leute, welche sich unter der Last des Gewehrs krümmten; kleine flinke Mobilgardisten, die leicht in Schrecken zu jagen, aber auch schnell zu begeistern waren, ebenso rasch zum Angriff, wie zur Flucht; dann wieder schauten mitten unter ihnen einige Rothosen hervor, die letzten Reste irgend einer in einem großen Gefecht aufgeriebenen Division; düster drein- schauende Artilleristen, welche unzufrieden schienen, daß man sie diesem bunten Gewirr von Fußtruppen beige- mischt hatte; zuweilen konnte man auch den glänzenden Helm eines Dragoners erkennen, welcher in seinen schweren Reiterstiefeln nur mühselig dem leichtern Marsche der Linientruppen folgen konnte, Franctireur-Banden, die eher Banditen als Soldaten glichen, zogen vorüber, mit allerhand heroischen Benennungen protzend, bald als„die Rächer der Niederlage", bald als„Bürger des Grabes", bald wieder als„Buudesbrüder des Todes". Ihre An- führer, ehemalige Tuch- oder Getreidehändler, bankerotte Seifensieder, Gelegenheitskrieger, welche entweder wegen ihres Geldes oder wegen ihrer langen Schnurrbärte zu Lsfizieren ernannt worden waren, sprachen mit salbungs- voller Stimme, stritten sich über Fcldzugspläne und be- haupteten, das mit dem Tode ringende Frankreich auf ihren Prahlbansschultern ganz allein aufrech�zu erhalten. Jedoch in Wahrheit hatten sie zuweilen vor ihren eigenen Soldaten höllisch? Angst, denn diese waren oft tapfer bis zum Uebersluß, plüuderungslustig und allen möglichen Ausschweifungen ergeben... Man behauptete, daß die Preußen nahe daran seien, in Ronen einzuziehen. Die Nationalgarde, welche bereits seit zwei Monaten sehr vorsichtig in den benachbarten Wäldern rekognos- zirte, so vorsichtig, daß sie oft itzre eigenen Vorposten todtschoß und sich gefechtsbereit machte,»wenn ein kleiner Hase unter den Büschen raschelte, war wieder heimgekehrt. Ihre Waffen, ihre Uniformen, kurz ihr ganzer Mord- apparat, womit sie noch vor Kurzem die Grenzsteine ans den Landstraßen drei Meilen in der Runde erschreckt hatten, waren plötzlich verschwunden... Endlich hatten auch die letzten französischen Soldaten die Seine passirt, um über Saint-Sever und Bvurg- Achard nach Pont-Audemer zu gelangen. Hinter ihnen allen her kam mit verzweislungsvollen Blicken der General, der mit diesen zerstreuten Rotten kein Unternehmen mehr versuchen konnte, der, unter dem großen Trümmerhaufen eines Volkes begraben, welches, gewohnt zu siegen, trotz der Tapferkeit seiner Legionen jetzt schwer geschlagen worden war, jetzt zwischen zwei Ordonnanzoffizieren zu Fuß einhermarschirt kam... Es hatte sich unter der stummen Erwartung irgend eines Schrecknisses tiefe Ruhe über die Stadt ausgebreitet Viele schmerbäuchige, durch den Handel verweichlichte Bürger sahen die Ankunft der Sieger mit kindischer Angst entgegen, zitternd, daß man etwa gar ihre Bratspieße oder ihre großen Kücheumeffer als Waffe ansehen werde. Alles' Leben schien gehemmt, die Läden waren ge- schloffen und die Straßen verödet. Nur bisweilen schlich
Oerkiner 1 1 Sonnabend, den 24. Januar 1891.
ein durch dieses unheimliche Schweigen erschreckter Bürger eilig an den Mauern hin, Dieses bange Erwarten ließ endlich den Wunsch rege werden, daß der Feind doch nur bald kommen möge, Jni Lauf des folgenden Nachmittags sprengten plötzlich einige Ulanen durch die Stadt, ohne daß man wußte, woher sie kamen. Kurze Zeit daraus wälzte sich aus der Richtung von Saintc- Catherine her eine dunkle Masse herein, während zwei neue Truppenkörper auf den Straße von Darnetal und von Boisauillaume anrückten. Die Avantgarden der drei Korps stießen zu gleicher Zeit auf dem Platze vor dem Hotel de Ville zusammen, und aus allen benachbarten Straßen kam nun das deutsche Heer herangeströmt, seine Bataillone entfaltend, unter deren festem, gleichmäßigem Tritt das Pflaster dröhnte. Fremdklingende, rauhe Kommandorufe ertönten an den Hänsern hin, welche wie ausgestorben erschienen, während hinter den geschlossenen Fensterläden gar manches neugierige Auge nach diesen siegreichen Schaaken spähte, welche„nach Kriegsrecht" jetzt Herren über die Stadt, über Gut und Leben der Bewohner waren. Die Bewohner waren in ihren dunklen Zimmern von demselben dumpfen Schrecken befangen, den etwa eine große Ueberschwemmung oder ein vernichtendes Erdbeben hervorzubringen geeignet ist. Denn es erscheint jedesmal dieselbe Empfindung, sobald die bestehende Ordnung der Dinge umgestürzt wird, sobald keine Sicherheit mehr existirt, sobald alles, was die Gesetze der Menschen oder der Natur beschützen, irgend einer rücksichtslosen rohen Gewalt auheimfällt. Das Erdbeben, welches unter den stürzenden Häusern vielleicht ein ganzes Volk begräbt; ein übergetretener Strom, welcher die Leichen ertrunkener Landlcute mitten unter den Ochsenkadavern und den losgerissenen Dach- balken dahinträgt, oder eine siegreiche Armee, welche, alle Widerspänstigen niedermachend, die andern in Gefangen- schaft schleppend, Plündert und bei dem vcrderbenspeienden Kanonendonner ihren Gott preist, sind schreckliche Geiseln, welche allen Glauben an eine ewige Gerechtigkeit er- schüttern, alles Vertrauen, das uns den Schutz des Himmels und die Vernunft des Menschen lehrte, ver- Nichten. Nachdem einige Zeit verstrichen und der erste Schrecken geschwunden war, trat wieder die alte Ruhe ein. In vielen Familien durfte der preußische Offizier am Tische mitspeisen; mancher darunter besaß in der That eine feine Erziehung, indem er aus lauter Höflich- keit Frankreich beklagte und davon sprach, wie wenig ihm daran gelegen sei, an diesem Kriege theilnehmen zu müssen. Man zeigte sich auch für dieses Mitgefühl er- kenntlich, denn schließlich konnte man sich ja eines Tages genöthigt sehen, seinen Schutz in Anspruch zu nehmen, oder man hoffte, wenn man schonend mit ihm umgehe, vielleicht einige Soldaten weniger ins Quartier zu be- kommen. Warum sollte man aber auch Jemanden belei- digen, von dem man ganz und gar abhing? Eine solche Handlungsweise würde weniger für wacker als vielmehr für verwegen gelten.— Die Verwegenheit aber kann man heutzutage nicht mehr zu den Fehlern der Bürger von Ronen rechnen, wie es zu den Zeiten der heldenmüthigen Vertheidung der Fall war. durch die sich ihre Stadt einstmals auszeichnete.— Schließlich sagte man sich auf Grund der französischen Höflichkeit, daß es ganz wohl erlaubt bleibe, insgeheim höflich zu sein, wenn man nur nicht öffentlich, dem gemeinen deutschen Soldaten gegen- über, irgend eine Vertraulichkeit äußere. Auf der Straße kannte man sie nicht mehr, aber im Hause plauderte man gern zusammen, und der Deutsche blieb jeden Abend länger, um sich an dem Familienherde zu wärmen. Die Stadt selbst»ahm allmählich wieder ihr ge- wöhnliches Aussehen an. Die Franzosen gingen zwar noch nicht aus dem Hause, allein die preußischen Sol- baten trollten ganz behaglich in den Straßen umher. Im klebrigen schienen die Offiziere der blauen Husaren, welche stolz ihre langen klirrenden Säbel auf dem Pflaster schleppten, von den gewöhnlichen Bürgern mit derselben Geringschätzung betrachtet zu werden wie die Chaffeur- offiziere, welche im Jahre zuvor in denselben Kaffee- Häusern verkehrten, Indessen mußte irgend ein unbekanntes Etwas in der Luft liegen; es herrschte eine sonderbare unerträgliche Atmosphäre, durchdrungen von dem Hauch des feindlichen Eingriffes. Dieser Hauch wehte in den Gebäuden sowohl wie auf den öffentlichen Plätzen, er veränderte den Geschmack der Nahrungsmittel und rief den Eindruck her- vor, als befinde man sich in einer fernen fremden Gegend, bei barbarischen gefährlichen Völkerschaften. Die Sieger forderten Geld, viel Geld, und da die Einwohner zumeist reich waren, so zahlten sie auch immer das Verlangte. Allein je wohlhabender ein nor- männischer Kaufmann wird, desto mehr schmerzt ihn jedes Opfer, welches er bringt, jedes Stückchen Land seines Besitzthums, welches er in andere Hände übergehen sieht. Indessen zwei oder drei Stunden unterhalb der Stadt, entlang dem Flusse nach Croisset, Diepedelle oder Viessart zu, kam es oft vor, daß die Fischer von dem Grunde des Flusses den aufgedunsenen Leichnam irgend
�-Tribüne. V. Jahrgang.
eines deutschen Soldaten ans Licht förderten, der ent- weder erstochen, erschlagen oder dessen Kopf durch einen Steinwnrf zerschmettert war: manchmal zeigte der Leich- nam auch gar keine Wunde, was darauf hindeutete, daß man den Unglücklichen einfach von einer Brücke herabge- stürzt hatte. Der Schlamm des Flusses begrub dann die heimlichen grausamen Racheakte, diese dunklen Helden- thaten und hinterlistigen stummen Angriffe, welche ge- fährlicher waren als die Schlachten am hellen Tage und welche kein Ruhm lohnte. Denn der Haß gegen den fremden Eindringling be- waffnet immer einige Unerschrockene, welche für eine Idee zu sterben bereit sind. Da aber schließlich die Eroberer, obwohl sie in der Stadt ihre eiserne Disziplin walten ließen, nicht eine einzige der Schreckensthaten begangen hatten, welche das Gerücht ihnen auf ihrer Siegesbahn zur Last legte, faßte man sich wieder ein Herz, und das Bedürfniß nach Handel regte sich wieder bei den Kauflenten des Landes. Einige hatten große Geschäfte in Havre zu erledigen, welches von der französischen Armee besetzt war, und sie wollte» versuchen, diesen Hafen dadurch zu gewinnen, daß sie zu Laude nach Dieppe gingen, um sich dort ein- zuschiffen, Mau benutzte deshalb den Einfluß der deutschen Offiziere, deren Bekanntschaft man gemacht hatte, und erhielt auf diese Weise vom General die Erlaubniß, So wurde denn, nachdem ein großer vierspänniger Eilwagen bestellt war und zehn Personen sich beim Fuhr- mann hatten einschreiben lassen, beschlossen, eines Diens- tags früh vor Tagesanbruch abzureisen um alles Auf- sehen zu vermeiden, Schon seit einiger Zeit hatte der Frost den Bode» gehärtet und am Montag gegen drei Uhr kam von Norden her ein heftiges Schneewetter angezogen, welches ununterbrochen den ganzen Abend und die ganze Nacht fort- dauerte. Gegen einhalbfünf Uhr früh versammelten sich die Reisenden im Hose des Hotel de Normandie, wo der Wagen wartete. Sie waren sämmtlich noch ganz ver- schlafen und zitterten vor Frost unter ihren Decken. In der Dunkelheit konnte man einander schlecht erkennen, und die Menge der dicken Winterkleider brachte den Ein- druck hervor, als sei der Wagen von fettleibigen, mit langen Sutanen bekleideten Pfaffen angefüllt. Allein zwei Männer erkannten sich, ein dritter redete sie an. und so kam ein Gespräch zu Stande:—„Ich nehme meine Frau mit fort,"— sagte der eine,—„Ich thue dasselbe."—„Und ich auch."— Der erste fügte hinzu: „Wir kehren nicht wieder nach Ronen zurück, und wenn die Preußen auf Havre losrückcn, werden wir nach Eng- land flüchten."— Alle hatten denselben Plan gefaßt, da ihre Natur sowohl als auch ihre gesammten Interessen fast die gleichen waren. Indessen wurde der Wagen noch immer nicht ange- spannt. Von Zeit zu Zeit huschte das Licht einer kleine» Laterne, welche ein Stallbursche trug, aus einer dunklen Thür hervor, um sofort wieder hinter einer andern zu verschwinden. Gedämpftes Pserdestampfen erscholl aus den Ställen, und im Innern des Gebäudes ließ sich die Stimme eines Mannes vernehmen, welcher fluchend zu den Thieren sprach. Endlich verkündete ein leises Schellen- geklapper, daß die Pferde angeschirrt wurden; dieses Ge- räusch, begleitet von dem dumpfen Tritt eines eisende- schlagenen Holzschuhes, kam bald näher. Plötzlich hörte man, wie die Thür geschlossen wurde, und jenes Geräusch hörte ans. Die frostschauernden Passagiere hatten ihre Unterhaltung beendet und saßen jetzt regungslos steif da. Ununterbrochen fiel draußen ein glitzernder Schleier weißer Flocken zur Erde nieder, die Formen verwischend und die einzelnen Gegenstände mit einem eisigen schillernden Mantel bedeckend, so daß man bei deni tiefen Schweigen der im Winterkleide be- grabeneu Stadt nur noch dieses unnennbar leise Geräusch deö fallenden Schnees vernahm, eher eine Empfindung als ein Geräusch, ein Durcheiuanderwirbeln leichter Atome, welche den Rani» zu füllen, die ganze Welt zu zu bedecken schienen. Wieder erschien der Mann mit seiner Laterne, an einem Strick ein betrübt und zögernd folgendes Pferd führend. Er hielt es neben der Deichsel an, band die Zügel fest und verbrachte eine lauge Zeit mit dem Ordnen des übrigen Geschirrs, denn er konnte nur die eine Hand anwenden, da er in der andern die Laterne trug. Als er das andere Zugtier holte, bemerkte er diese unbeweg- liche, von Schneeflocken bereits ganz überdeckte Gruppe der Reisenden und rief ihnen zu: „Warum steigen Sie denn nicht in den Wagen? Da sind Sie doch wenigstens vor dem Wetter geschützt." Daran hatten sie ohne Zweifel gar nicht gedacht und folgten jetzt eiligst seinem Rath. Die drei Männer ließen zuerst ihre Frauen ganz hinten im Wagen Platz nehmen; hierauf stiegen sie selbst ein und schließlich setzten sich die übrigen dunklen Gestalten auf die übrigen Sitze, ohne ein Wort zu sprechen, Der Fußboden war mit Stroh ausgelegt, in welches ein jeder seine Füße einwühlte. Die drei Damen hinten