Meibkatt zur Oerkiner Vok�8�Cribüne.

%r. 8.

Sonnabend, den 21. Februar 1891.

V. Jahrgang.

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Am Stammtisch! Jüngst hört' ich einen würdigen Herrn Am Bierlisch eine Rede halten. Ich sah ihm zwar ein biscrien fern: Doch Hab' ich noch genug behalten.

Er meinte: Die Barmherzigkeit In unserer Zeit ist ohne Gleichen; Drum sollte auch kein Armer Neid, Nein, Dank nur fühlen für die Reichen. Des weitern führte er dann an, Was die barmherzigen, reichen Seelen Für's Elend Alles doch gethan. Das will ich ihm jetzt nacherzählen. Da war erst jüngst ein großer SchmauS. Was kam nicht alles zu dem Feste! Es faßte kaum das weite Haus Die reichen und die hohen Gäste. Es brachen schier bei dem Gelag Die Tafeln von Delikatessen. Tags draus gab's von dem Reinertrag Für arme Leut' ein Bohnenessen. Gleich d'raus war wieder großer Ball. 'Ne Fürstin leitete das Ganze. Und der Elite ganzer Schwall Kam auch zu Haust mit Prunk und Glänze. Doch das Brillantendiadem Der Wirthin war zumeist beneidet. Vom Ucberschuß hat man nach dem Zwölf arme Kinder eingekleidet. Ein Eisfest schloß sich an sofort. Da haben sich auch eingefunden Die Jünger all vomedlen Sport" Und amüsirten sich zwei Stunden. Dann zogen sie nach Hause stolz; Beim Thee am Osen zu erwarmen, Und stolz mit Recht! Vier Fuhren Hokz Ergab das Eisfest für die Armen. Und dann ist's heut das dritte Mal, Daß zum Ehampagnersest zusammen Sich findet eine große Zahl Von stolzen und berühmten Namen. Ein Millionär hat's arrangirt Und übernahm anch selbst die Lenkung. Und vom Ertrag wird ausgeführt Für Arme eine Kaffeetränkung. Noch svrach der Herr manch' ernstes Wort Bon cdeln und barmherzigen Leuten. tch aber schlich mich stille fort, itolz aus die Höhe uns'rer Zeiten.

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F e t t k u g e t. Von Guy de Maupassant. (Nachdr. verboten.) 3. Fortsetzung. Nun wurden Pläne geschmiedet; die Frauen rückten näher zusammen, der Gesprächston ward immer leiser, und jeder gab seine Meinung ab. Besonders die Damen fanden zarte Kniffe und wußten mit reizender Spitzsindig- keit die anstößigsten Dinge auszudrücken. Bei der Unter- Haltung wurde so vorsichtig zu Werke gegangen, daß ein Fremder sicher nichts verstanden haben würde. Da aber die leichte Spur von Scham, welche jede Weltdame em- Psindet, nur etwas Oberflächliches ist, ergötzten sie sich im Grunde an diesem Liebesabenteuer, als ob sie sich in ihrem eigentlichen Elemente fühlten und die Liebe mit der Lüsternheit behandelten, welche etwa ein leckermäuliger Koch empfindet, wenn er für einen Andern ein feines Souper bereitet. Ganz von selbst trat wieder Heiterkeit ein, so drollig erschien ihnen schließlich die Geschichte. Der Graf er- laubte sich sogar zuweilen einen etwas gewagten Scherz, wußte aber dabei seine Ausdrücke so geschickt zu wählen, daß man darüber lächeln mußte. Loiseau seinerseits ließ sogar einige noch handgreiflichere Zoten fallen, welche aber Niemand verletzten, und ein jedes Gemüth beschäf- tigte der von seiner Frau ausgesprochene Gedanke:Wenn dies einmal das Geschäft jenes Weibes ist, warum macht sie dann mit dem oder jenem eine Ausnahme?" Die zierliche Frau Carrö-Lamadon schien sogar daran zu denken, daß sie an ihrer Stelle jenen viel lieber nehmen würde, als einen andern. So wurde allmählich die Blo- kade vorbereitet wie bei einer umzingelten Festung. Ein jeder dachte über die Rolle nach, welche er dabei spielen werde, an die Gründe, auf welchen er fußen wolle, und an die Manöver, deren Ausführung auf seine Partie kommen würde. Man regelte den Angriffsplan, die etwa nöchigen Kriegslisten und schließlich den Sturmangriff. um diese lebende Zitadelle zu zwingen, den Feind in ihre Mauern eijizulassen. Cormudet indes hielt sich fern und wollte�sich nicht an der Sache betheiligen. Eine so tiefe Aufmerksamkeit hatte alle Gemüther ergriffen, daß man die Rückkehr Fettkugels gar nicht bemerkte. Plötzlich aber stieß der Graf ein leisesPst!"

aus, wobei alle aufblickten. Sie war da. Man schwieg sofort, und eine gewisse Bestürzung lähmte anfangs alle Zungen. Schließlich frug die Gräfin, welche mehr als die andern an die Salonffnessen gewöhnt war: Nun.swar die Taufe hübsch?" f Das dicke Frauenzimmer, noch immer tief bewegt erzählte Alles: wie die Gesichter ausgesehen hätten, welche Anzüge man getragen habe, ja sie schilderte sogar die Einrichtung der Kirche und fügte endlich hinzu: Es ist doch gut manchmal zu beten." Indessen bis zum Frühstück begnügten sich die Damen, ihr gegenüber liebenswürdig zu sein, um ihr Vertrauen zu bewahren und sie ihren Rathschlägen fügsam zum machen. Sobald man aber bei Tische saß, begannen die An- griffe. Zuerst wurde die Unterhaltung auf die weibliche Ergebenheit gelenkt. Man zitirte allerhand Beispiele aus dem Alterthum: Judith und Holofernes, Lucrezia und Sextus, Kleopatra , welche alle feindlichen Feldherren mit ihren Liebesreizen beglückte und sie dabei zu ihren Sklaven machte. Hierauf entspann sich eine der Einbildung dieser dummköpfigen Millionäre entsprungene phantastische Ge schichte, nack welcher die römischen Bürgerinnen in Capua Hannibal mit allen seinen Offizieren und Söldnerschaaren in ihren Armen verweichlichten. Man zählte alle die Frauen auf, welche große Eroberer in ihren Netzen ge fangen, aus ihren körperlichen Reizen ein Mittel zum Herrschen gemacht, welche durch ihre heldenmüthigen Zärtlichkeiten verhaßte oder verabscheuungswürdige Wesen besiegt und dem Vaterlande ihre Ehre geopfert haben. Man sprach sogar in verschleierten Ausdrücken von jener vornehmen Engländerin, welche eine schreckliche an- steckende Krankheit auf ihren Körper übertragen ließ, um damit Bonaparte anzustecken, der aber wunderbarerweise infolge einer bei dem verhängnißvollen Rendezvous Plötz- lieh eingetretenen Schwäche unversehrt geblieben war. Dies alles wurde in anständigem maßvollem Ton erzählt, und nur zuweilen steigerte sich die Rede zu einer beabsichtigten Begeisterung, welche geeignet war. den Eifer der Nachahmung zu erregen. Man hätte schließlich glauben können, es sei die einzige Aufgabe der Frau hier auf Erden, ihre Person zu opfern und sich beständig den Launen der Soldateska hinzugeben. Die beiden frommen Schwestern schienen nichts davon zu verstehen, denn sie waren tief in Gedanken,, versunken Auch Fettkugel sagte kein Wort. ." ließ

Den ganzen Nachmittag ließ mäü sie überlegen. Aber anstatt sie, wie bisher,Madame" zn nennen, sagte man jetzt nur nochFräulein" zu ihr, ohne daß man eigentlich wußte, warum, gerade als ob man sie dadurch einen Grad in der Achtung, welche sie bis jetzt genossen hatte, sinken lassen und sie ihre beschämende Stellung fühlen lassen wollte. Gerade in dem Äugenblick, als die Suppe aufge- tragen wurde, erschien Herr Follenvie wieder und sägte dieselben Worte, wie am Abend vorher: Der preußische Offizier läßt Fräulein Elisabeth Rousset fragen, ob sie ihre Meinung noch nicht geändert habe." Fettkugel antwortete trocken:Nein, mein Herr." Aber beim Diner wäre die ganze Verschwörung beinahe verrathen worden, da Loiseau einige unglückliche Bemerkungen machte. Ein jeder mühte sich ab. um neue Beispiele zu sinden, fand aber nichts, als die Gräfin, vielleicht ohne Absicht, ein unwiderstehliches Bedürsiuß empfand, der Religion ihre Huldigung darzubringen, und deshalb die ältere der frommen Schwestern nach den berühmten Ereignissen aus dem Leben der Heiligen frug. Nun. viele derselben hatten Handlungen begangen, welche in unser» Augen als Verbrechen erscheinen würden; aber die Kirche vergiebt mit Leichtigkeit diese Missechaten, so­bald sie zur Ehre Gottes oder zum Wohle des Nächsten begangen sind. Das war ein mächtiger Beweisgrund, und die Gräfin zog sofort Nutzen daraus. Jetzt, sei es nun durch dieses verständnißinnige Schweigen, durch dieses unbemerkte Wohlgefallen, wodurch sich alle diejenigen auszeichnen, welche das Kleid der heiligen Kirche tragen, oder sei es einfach in Folge einer glücklichen Harmlosig- keit: jetzt also gewährte die alte Betschwester der Ver- schwörung eine gewaltige Stütze. Man hielt sie für 'chüchtern, sie zeigte sich aber keck, redselig und leiden- chastlich. Sie war nicht durch die Bedenken der Kasuistik leirrt; ihre Lehre schien fest wie Eisen zu sein; ihr Glauben war unwandelbar und ihr Gewissen kannte eine Skrupel. Das Opfer Abrahams fand sie ganz ein- ach, denn sie hätte auf einen Wink von oben unbedenk- lich Vater und Mutter todtgeschlagen, und ihrer Mei- nung nach konnte nichts dem Herrn mißfallen, sobald )ie Absicht lobenswerth sei. Die Gräfin, die geheiligte Autorität ihrer unerwarteten Bundesgenossin zu ihren Gunsten ausbeutend, betrachtete sie gleichsam als ein Muster des moralischen Grundsatzes:Der Zweck heiligt die Mittel." So sagte sie jetzt�zu�ders Betschwester:

Also, meine liebe Schwester, Sie denken, daß Gott alle Mittel und Wege annimmt und die That verzeiht, wenn der Beweggrund ein edler ist." Wer könnte daran zweifeln, Madame? Eine an und ftir sich tadelnswerthe Handlung wird oft verdienst- voll durch den Gedanken, welcher sie veranlaßt." So fuhren sie fort, den Willen Gottes zu besprechen, und ließen denselben an Dingen Interesse haben, mit denen er in Wahrheit gar nichts zu thun hatte. Wie- wohl aber alles dies in geschickter Weise verhüllt ausge- drückt wurde, so wurde doch bei jedem Worte der heiligen Schwester der Widerstand der Buhlerin schwächer. Hierauf die Unterhaltung auf etwas anderes ausdehnend, sprach das Weib mit dem Rosenkranze von den Häusern ihres Ordens, von ihrer Oberin, von sich selbst und ihrer zarten Nachbarin, der lieben Schwester Sankta-Nikephora. Man hatte die beiden nach Havre beordert, um in den Hospitälern die blatterkranken Soldaten zu pflegen. Sie schilderte diese Unglücklichen und entwarf ein genaues Bild der schrecklichen Krankheit. Während sie, so er- klärte sie, hier durch die Launenhaftigkeit jenes Preußen zurückgehalten würden, könnten viele Franzosen sterben, welche sie vielleicht gerettet hätten. Die Pflege der Sol- baten wäre ihr Spezialfach: sie sei in der Krim , in Italien , in Oesterreich gewesen und, indew sie von diesen Feldzügen erzählte, entpuppte sie sich plötzlich als eine jener Frommen, welche dazu geschaffen scheinen, den Armeen zu folgen, mitten im Schlachtengetümmel die Verwundeten aufzuheben und, besser als ein Feldherr, mit einem Worte die mächtigen wilden Krieger zu zähmen; als eine wahre fromme Schwester Rantanzlom, deren narbenbedecktes Gesicht wie ein Bild der Kriegsver- Wüstungen im Kleinen aussah. Kein Mensch sagte etwas mehr, so ausgezeichnet schien die Wirkung dieser Rede zu sein. Sofort nach dem Essen begab man sich auf die Zimmer, um erst spät am nächsten Vormittag wieder herabzukommen. Beim Frühstück ging es ruhig her. Man wollte gleichsam dem am vorigen Abend gesäeten Samen Zeit lassen, zu keimen und Früchte zu tragen. Am Nachmittag würde auf Vorschlag der Gräfin ein Spaziergang unternommeü, wobei dir Graf vetab- redetermaßen Fräulein Fettkugel seinen Arm anbot Und mit ihr ein Stück hinter den andern zurückblieb. Er sprach in jenem vertraulichen, väterlichen, dabei aber ein wenig herablassenden Tone, welche« vornehmt Herren solchen Mädchen gegenüber anzuschlagen pflegen, indem er siewein liebes Kind" nannte und kie von seiner hohen sozialen Stellung, von seiner unantastbare» Ehrbarkeit herab behandelte. Ohne viele Umstände zu machen, sagte er gleich:j Also Sie ziehen, uns hier zu lassen, wo wir s» gut, wie Sie selbst, allen Gewaltthätigkeiten ausgesetzt sind, welche eine Niederlage der Preußen im Gefolge haben wird; während Sie doch sich selbst und uns alle retten können, sobald Sie sich zu einer jener kleinen Ge- fälligkeiten bequemen, welche Sie so oft schon in Ihrem Leben gewährt haben." Fettkugel antwortete nichts. So spielte er bald den Sanften, bald den Vernünftigen, bald den Gefühlvollen, verstand aber immerder Herr Graf" zu bleiben, mochte er sich nun je nach Umständen galant, höflich oder liebenswürdig zeigen. Er stellte den Dienst, welchen sie ihnen dadurch leisten würde, in ein helles Licht und sprach von dem großen Dank, welcher sie erwarte, bis er schließlich sie plötzlich dutzte und heiter sagte: Und weißt Du, meine Theure: er könnte sich dann rühmen, ein schönes Mädchen genossen zu haben, wie er wohl selten eine in seinem Lande finden wird." Fettkugel sagte noch immer nichts und vereinigte sich wieder mit der übrigen Gesellschaft. Im Gasthause an- gelangt, begab sie sich sofort auf ihr Zimmer und kam nicht wieder. Die Besorgniß stieg aufs höchste. Was mochte sie wohl thun? Wenn sie sich weigerte, o, wie atal würde das sein! Die Glocke lud zum Diner ein, allein man wartete vergebens auf die Dirne. Da trat Her Follenvie ein und verkündete, daß Fräulein Rausset sich unwohl fühlte und man sich nur ruhig zu Tische setzen sollte. Alle spitzten die Ohren; der Graf trat an den Wirth heran und frug ganz leise: Nun, ist es soweit?" Jawohl." Anstandshalber sagte er seinen Reisegefährten nichts, ondern nickte nur flüchtig mit dem Kopfe. Sofort entrang sich einer jeden Brust ein Seufzer )er Erleichterung, und Heiterkeit erschien auf Aller Ge- ichtern. Loiseau rief: Ei verflucht! sofort will ich einige Flaschen Cham - lagner bezahlen, wenn welcher zuhaken ist." Frau Loiseau erbleichte, als der Wirth in der That bald mit vier Flaschen ankam. Ein jeder war plötzlich gesprächig geworden, und in lärmender Unterhaltung gab sich die allgemeine Freude und. Der Graf schien zu merken, daß Frau Earrö- Lamadon wirklich reizend sei, während der Fabrikbesitzer der Gräfin den Hof machte.