Chronik der MojestatSveleidigungS- Prozesse.Wege» Majestätsbeleidigung wurde in Straßburg i. E. derZiegelei-Arbeiter Reinhardt aus Kronenburg zu zwei MonatenGefängniß verurtheilt. Reinhardt, der die Aeußerung in an-getrunkenem Zustande gethan hatte, war von seinemeigenen Sohne angezeigt worden.-1-«Tentsches Reich.Das Ende des FlottensammlungS«Ban!rotts> 1I2V M. 29 Pf., alles, was zur Anschaffung vonKriegsschiffen gesammelt wurde, ist den verunglückten deS„Iltiszugewiesen worden.— Eine neue Verfügung de? Justizministergreift überaus störend in das Strnfrechtsverfahrcn ein. SeitBeendigung der Gerichtsfcrien ist an sämmtlichen preußischenGerichten ein neues Formular für die Ladung von Zeugen imvorbereitenden Strafverfahren eingeführt worden, welches sich inder Praxis als durchaus unpraktisch erweist. Auf denfrüher gebräuchlichen Formularen war theils im Druck,»Heils in Handschrift kurz und bündig zu lesen: In der Strafstäche wider N. N. werden St« zu einer Vernehmung als Zeuge(folgt Tag und Stunde, Nummer des Zimmers und Namedes RichterS) geladen. Jetzt dagegen beißt es im echten GerichtsstilFn einem anhängig gewordenen Ermittlungsverfahren werdenSie zu einer Vernehmung als Zeuge u. f. w. geladen. Theoretischist der Unterschied gar nicht so groß, in der Praxis erst zeigt sichdie Wirkung der Aenderung. Früher«rsaben die Zeugen sofortaus der Ladung, in welcher Angelegenheit sie vernommen werdensollen, heute ist dies nicht mehr erkennbar gemacht. Früherbrachte der Zeuge in den meisten Fällen sein BeweisMaterial gleich mit zur Stelle, heute spielt sich einüberwiegender Theil der Vernehmungen in der Weise ab.daß der vernehmende Richter auf die an den Zeugen gerichteteFrage:„Was wissen Sie von der Sache?" die Antworterhält:„Ich bin momentan nicht genügend informirt. ZuHause habe ich genaue Notizen und schriftliche Beweisstück«, dochhabe ich daS Material nicht mitgebracht, weil ich nicht wissenkonnte, in welcher Sache ich vernommen werden sollte!" DasResultat ist dann gewöhnlich, daß der Zeuge zu einem anderenTage bestellt und ihn» aufgegeben wird, sein Material mit zurStelle zu bringen. So werden in der Regel statt eines Terminesderen zwei erforderlich gemacht und das Schreibwerk wächst ganzbedeutend, obwohl man sonst höheren Ortes stets auf Verminderungdesselben bedacht sein will. Nun wird als Beweggrund für dieeingetretene Aenderung geltend gemacht, daß es der schnellen ErMittelung der Wahrheit förderlicher ist, wenn die Zeugen, un-vorbereitet, mit dem Zweck ihrer Vernehmung bis zum Beginnderselben nicht bekannt gemacht würden; praktisch wird dasdirekte Gegentheil erreicht. Wenn die Zeugen wegen mangelnderInformation zu einem neuen Termine vorgeladen werden müssen,»viflen sie genau, auf was es ankommt, und eine Kollusionsgesahr, die man vielleicht vermeiden wollt«, kann nun erst rechtentstehen.--— Bei Strafvollstreckungen sollen, wie die„Deutsch. Tagesztg." erfährt, nach einer Verfügung des JiisttzMinisters nicht nur die Interessen der Arbeitnehmer, sondernauch die der Arbeitgeber und Dienstherren möglichst gewahrtwerden; so beispielsweise durch Rücksichtnahme auf dieEintezeit.— Das agrarische Blatt begrüßt diese Verfügung mitFreude und Dank. Sozialdemokratische Arbeiter werden aber,wenn ste wegen ihres Glaubens an die Redefreiheit zu Gefängnißverurtheilt werden, meist unweigerlich zum Strafantritt gezwungen, wenn sie auch i»it Rücksicht auf ihre Erwerbsverhältnisse»och so dringend um Strafaufschub ersuchen. Mit dembekannten Rechlsgrundsatze unseres Schönstedt steht diese Praxisnicht im Widerspruche.—— Für die Unterstützung der Wahl deS freisinnigen Kandidaten in Brandenburg-Westhavelland hatder Schutzverein gegen agrarische Uebergrisse 1500 M. beigesteuert.Herausgeschmissenes Geld!—— Herr Dr. Wilhelm Lauser hat nun die Chef'redaklian der„Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" angetreten.Er will in den Fußstapfen seiner Vorgänger bleiben, also seineZeitung weiter in dem Ruf des abgebrühtesten und unwissendste»aller Reptile stehen lassen. Er führt sich in der ersten von ihmgezeichneten Nummer folgendermaßen ein:„A u ch unter meiner Leitung whd die„Norddeutsche Allgemeine Zeitung" ihrer überlieferten Aufgabe treubleiben und, gestützt auf zuverlässigste Informationen, inkonservativem Sinne für Kaiser, Reich und Landeswohlfahrteintreten. An die Gönner, Freunde, Leser und Mitarbeiterdes Blattes richte ich die Bitte, der„Nordd. Allg. Ztg." auchferner ihr«erkthätiges Wohlwollen zu erhalten.Dr. Wilh. Lauser."Alle unabhängigen Blätter, drücken Herrn Dr. Lauser zudieser unglücklichen Einführung ihr tiefgefühltes Beileid aus.Daß die„Nordd. Allg. Ztg." in den alten Geleisen bleibt, beweistschon ihr erster Leitartikel unter der.neuen Chefredaktion. Erbeginnt mit folgenden Sätzen:Die sozialdemokratische Presse ist, wie man weiß, imallgemeinen nur das Sprachrohr des Parteivorstandes. JederVersuch einer Redaktion, sich einmal selbständig zu regen, wirdsofort mit terroristischen Mitteln unterdrückt.Jeder Leser unserer Presse weiß, wie unrichtig diese Be<hauptung ist. Wir hätten ste nicht der Erwähnung wrrth ge-sunden, wenn sie nicht in einem Organe stand, das nie eineeigene Meinung hatte und auch in Zukunft keine haben will.—— Vom Schroeder-Poggelow. Der„Hamb. Korr."schränkt seine frühere Meldung, daß die Ostafrikanische Plantagen-gesellschaft gegen ihren früheren Direktor Dr. Schroeder-Poggelowden Klageweg beschreiten wolle, dahin ein, daß in einer stürmischenAnfstchtsrathssitzung Dr. Schroedcr seine Entlassung«ingereichtund eine Untersuchung gegen sich selbst beantragt habe. DerAufstchtsrath habe dann eine Untersuchungskommission eingesetzt,die in der Arbeit begriffen sei. Ehe diese Untersuchung beendetfei, könne von einer Klage nicht die Rede sein.—— Eine neue Scylla und EharybdiS ist für dennördlichen Seefahrer der Weg um Skagen als durch den Nord-ostseekanal geworden. Nachdem derselbe drei Wochen lang durchden in demselben gestrandeten und umgekippten Dampfer„JohannSiem" gesperrt war, hat gleich nach seiner Wiederbenutzung einanderer großer Dampfer eine mit 700 Eisenbahnschienen be-ladene Schute in den Grund gebohrt. Der Kapitän desDampfers deponirte 7000 M. und setzte seine Reise fort. In-zwischen hat ein neuer Dampfer Kiel als Nothhafe»aufgesucht, um ein Leck dicht machen zn lassen, dasihm im Kanal durch daS Zusammenstoßen mit einemihm begegnenden Dampfer erzeugt wurde. So setzenUnfälle auf Unfälle, von denen der des„Johann Siem" allein fürBergnngSlohn, Reparatur und Verlust der Ladung an S00 000 M.kosten dürfte. Schuld an den vielen Unfällen tragen nicht alleindie Kanalverhältniffe, sonder» vielfach auch die Ladeverhältnisseder Schiffe als auch die Beschaffenheit der Schiffe überhaupt.Ob sich wohl die Regierung veranlaßt sieht, um an der Handdes im Nordostsee- Kanals gewonnenen Materials den Schiffeneine strenge staatliche Kontrolle vorzuschreiben? Aber sie wirdwohl den Verhältnisse» zum Trotz der Macht deS Kapitalsweichen.— Die Wissenschaft und ihreLehre ist frei.sagt die preußische Verfassung. Damit stimmt hübsch übereinfolgende Notiz aus Kiel: Polizeilich ausgelöst worden ist derLese- und Diskutirkkub Freiheit, weil er sich mit sozialpolitischen»nd wissenschaftliche» Fragen beschäftigt und Frauen als Mlt-glieder ausgenommen hat.—- Christlich-Sozial zieht nicht! In tiefer Be-kiimmerniß versendet ein Leipziger Verleger christlich- sozialerSchriften eine Bitte, ihn zu unterstützen, da er sein ganzesKapital in seinen Büchern festgelegt habe. Er stellt die Er-gebnisse des sozialdemokratischen Druckschriften- Vertriebes mitdenen seines chnstlich-sozialen Vertriebes zusammen. Der„Bor-wärtS" habe achtzehn neue Druckschriften aufgezählt, von denen966 000 Stück in einem Jahre verbreitet wurden. Dazu kamennoch dreizehn Neudrucke in Höhe von 73 000 Stück. Der christlich-soziale Verleger aber hat am 19. September sein Berzeichnißvon siebzig Schriften an fünfhundert„ausgewählte christlich.soziale Männer" gesandt und darauf ganze zwei Bestellungen er-halten.—Meerane, 10. August.(Eig. Ber.) Unsere letzt« Korrespondenzübt hierorts eine großartige Wirkung und der hohe Gönner undausgezeichnete Mitarbeiter deS Amts- und Wochenblattes, hatsofort wieder uns den Gefallen gethan und einen fulminantenGegenartikel lösgelassen, wobei er freilich sein übliches Pech hat.In fieberhafter Hätz sucht er zu beweisen, daß die bismärckischen„Hamburger Nachrichten" keinen Meeranischen Einsender brauche»und haben können. Ob und in wie weit er davon unsereBürgerschaft überzeugen kann, bleibe dahingestellt. Die ganzeAngelegenheit wird allgemein bekannter und das ist vongroßem Werth für die öffentliche Meinung. Der Vorfallmit der Feuerwehr, den wir nur gelegentlich registrirten, wirdebenfalls bekannter, was sonst nicht geschehen wäre; denn zusolchen geschehenen Dingen schweigt das Amtsblatt aus Ergeben-heit. ES gelingt der verehrten Redaktion des Wochenblattes verzweifelt schlecht, uns Entstellungen nachzuweisen; vielmehr wirdunsere Korrespondenz bestätigt und vervollständigt, wofür wirdankbar sein möchten, denn vor allen« wird dadurch nurdokumentirt, was wir meldeten. Der Einsender desWochenblattes bekennt in seiner Wuth gegen alles Sozialdemokratische(woran man den alten Hetzapostel erkennt)mit hochpatriotischem Freimuthe, daß nur die Wahl des Lokalszum Thüringer Hof den Grund des originellen Verbotes abgabwomit man die Sozialdemokraten in der Feuerwehr„erfreuenwollte. Auch die Versammlung der Feuerwehr für letztverflossenentreitag, zu welcher der Bote mehr als die erforderlichentimmen gesammelt hatte, wurde wegen des dritten Punktes derTagesordnung: Stellungnahme zu dem Verbot, nicht gestattet.was ja auch der Schlußpaffus:„Für eine Generalversammlungläge auch gar kein Grund vor" u. s. w. zur Evidenz darthnt.—— Die Hätz gegen die Konsumvereine ist inSachsen flott im Gange. Bekanntlich sucht die Bourgeoisiediese Vereine im Jntereffe des Kränierthums zu vernichten, undzwar dadurch, daß sie in den Gemeinden eine Steuer auf de»Umsatz der Konsumvereine einführt. An die Konsumvereine derOffiziere und Beamten wagt man sich natürlich nicht. Immerhinhat man sich in einigen Gemeinden soviel Besonnenheit bewahrt.um diesen Unfug nicht mitzumachen. So lehnte der Gemeinderath von Schönefeld bei Leipzig die Einführung der BesteuerungdeS Umsatzes der dortigen Filiale des Neuschöneselder Konsum-Vereins mit 9 gegen 0 Stimmen ab. In P l a n i tz bei Zwickauentschied der Gemeinderath ebenso. Geschröpft sollte hier werdendie Filiale des Schedewitzer Konsumvereins mit einem JahresUmsatz von 390 000 M. Vor diesem Punkte der Tagesordnungwurde beschlossen, für Planitz eine elektrische Licht- und Kraftanlage zu errichten, welche einen Kostenaufwand von über200 000 M. verursacht; hierzu sollte der Konsumverein blute»,hals aber alles»ichtS. Mit 8 gegen 6 Stimmen wurde dieUmsatzsteuer abgelehnt.—— Die ReichStagSersatzwahl im 18. württembergischen Wahlkreise(Aalen, Ellwangen, Gaildorf, Neresheim)indet laut amtlicher Bekanntmachung am Dienstag den 17. November statt. Außer der Sozialdemokratie hat noch keine Parteiihre Kandidatin nominirt.—— Zum Empfang de? ZarenpaareS in Darm-ladt. Wie der„Zeit" aus Darniftadt gemeldet wird, lehntendie evangelische Etadtgeistlichkeit die Tbeilnahme an dem Empfangdes Zarenpares, und die evangelische» Kirchenchöre ihre MitWirkung a» der Serenade im Hinblick ans den seinerzeit erfolgtenUebertritt der russischen Kaiserin zum russisch« orthodoxe»Glauben ab.—Mannheim, 12. Oktober.(„VolkSstimme.") Eine ungeheuereAufreguug verursachte am Sonnabend«ine militärischeSchießerei inmitten der Stadt. Gegen 9 Uhr abendstransportirten ein Sergeant und ein Gefreiter einen Deserteurvom Bahnhof ins Militärgefängniß. Letzlerer nahm in der Näheder Tragonerkaserne Reißaus. Als er auf dreimalige? Haltrufennicht stehe» blieb, gab zuerst der Sergeant, dann der Gefreite jeeinen scharfen Schuß aus den Flüchtling ab, ohne ihn indeß zutreffen. Auch ein dritter Schuß ging fehl, doch warder Ausreißer durch die Schüsse so erschreckt, daß er denluchtversnch aufgab«nd wieder eingefangen werden konnte.chon auf den ersten Schuß waren auS allen HäusernLeute herausgestürzt, die Straße an und für sich war noch ziem-lich belebt, all' das aber hielt die schnecdigen Krieger nicht ab.ihre Kugeln die Slraßenflucht entlang zu senden, unbekümmert,ob dieselben neben dem Flüchtling auch den einen oder auderenZivilisten niederstrecken könnten. Soweit wir bis jetzt erfahrenkonnten, ist glücklicherweise nichts passirt. Aber wie schon gesagt.wardie Ausregung des„Zivilpacks" eine ungeheure. Wir sind begierig, wie sich die Militärbehörde zu der Affäre stellt. Werden)ie leichtfertigen Schützen bestraft, wie es das Rechtsbewußtseindes Volkes verlangt?— Eine merkwürdige RechtSauffassung hat,nach der„Ulmer Zeitung", der Oberamtmann inhingen a. D. kundgegeben. Ein Freiherr in Granheim kammir einer Gemeinde in Konflikt. Der Baron versuchte, einenöffentlichen, seit unvordenklichen Zeiten bestehenden Fußweg imDorfe abzusperren, indem er eigenmächtig, ohne jede richterlicheEntscheidung, an einem Ende des Fußweges ein tiefes Loch, rabe» ließ, um einen Pfosten einzusetzen. Der Schultheiß derGemeinde ließ von Polizei wegen das Loch wieder zuwerfen.Kaum war dies geschehen, wurde er vor das OberamtEhingen zitirt, woselbst ihn der Oberamtmann mit folgendemDonnerwetter empfing:„Wie kommen Sie dazu, einemköniglichen Kannnerherrn so zu begegnen, dem dritte» nachdem König I Sie haben gar nichts gegen den Herrn Baronzu thun. Sie haben ihn nur zu bitten, ihm nichts zu befehlen!l>ie Bauernschultheiß! Sie Pascha von Granheim. Eine solchei irechheit gegenüber einem königlichen Kammerherrn, wenn er«in Loch aufmacht,«S wieder zuzumachen. Eine Reitpeitsche hätteder Herr Baron nehmen solle» nnd ste recht durchpeitschen!" Soging es noch eine Weile fort, und das Endresultat bestand ineinem Erlaß des Oberamts an daS Schultheißenamt Granheim,das von Polizei wegen aufgefüllte Loch wieder zu öffnen und inder alten Tiefe herzustellen. Im übrigen wurde die Gemeindeauf den VerwallnngsrechtSweg verwiesen.— Der Ehinger Oder-amtmann entspricht vollkoimnen den Idealen unserer ostelbischenJunker. Fuchsmühl sollte für solch feudale Gesellschaft doch zurWarnung dienen.—Oesterreich.— Ein« Vermehrung der HeereSlasten stelltebei der Berathnng des Rekrntenkontingents im Abgeordneten-Hanse der Landesvertbeidigungs-Minister in Aussicht. DaSRekrutenkontingent wurde bewilligt und eine Resolutton desAbgeordneten Brzorad, welche die Regierung auffordert, wegenEinsetzung internationaler Schiedsgerichte mct anderen Mächtenin Fühlung zu treten, wurden ebenfalls angenommen.—— DaS Wahlreformgesetz ist bekanntlich auch vomStandpunkte seiner Schöpfer ein der Ergänzung bedürfendesGesetz, da die Provinzialvcrtretungen, die Landtage, über denWahlmoduS— direkte oder indirekte Wahl— zu entscheidenhaben. Dies geschah, um vor allem in Galizien die nächstenWahlen noch indirekt vollziehen zu lassen, weil diese Wahlartdie Beeinflussung der Wehlen durch die behördlichen Organe inhohemMaßeerleichtert. Die Politik des ErafenBadeni geht dahin, dieLandtage vorAusschreibungderWahl nichtmehr zusammenzuberufenund so die Wähler in den meisten Kronländern, vor allem inGalizien, auf indirektem Wege vornehmen zu lassen. Die Jung-czechen, die den edlen Grafen zwingen wollen, Farbe zu bekennen,haben folgende Interpellation gestellt:Nach den Bestimmungen der Wahlreform-Novelle vom17. Juni d. I. hängt die Art der Wahl in den Reichsrathzu einem bedeutenden Theile von den über die Art der Wahlenin den Landtag getroffenen respektive zu treffenden Beschlüssender Landtage ad. Es ist sohin als Konsequenz der Reichs-raths-Wahlreform anzusehen, daß den Landtagen der König-reiche und Länder vor Ausschreibung der Reichsraths-Wahlen die Möglichkeit geboten werde, die Landtags-Wahlordnung in Erwägung zu nehmen und eventuelle Reform-beschluffe zu fassen. Die Interpellanten stellen die Frage, obder Ministerpräsident bereit sei, dieser Konsequenz der Reichs-ratbs-Wahlordnung Rechnung zu tragen nnd in seiner Kompetenzdahin zu wirken, daß die Landtage der Königreiche und Ländervor Ausschreibung der Reichsrathswahlen aus jeden Fall zu einerTagung einberufen werden.—— Die Zeugenpflicht der Abgeordneten. DerJmmunitätsausschuß hielt am 9. Oktober eine Sitzung, in derder Dringlichkeitsantrag des Abgeordneten Dr. Pacak betreffenddie Zeugenpflicht der Abgeordneten in Verhandlung gezogenwurde. Zu der Sitzung, der der Jnstzminister Dr. GrafGleispach beiwohnte, war auch der Antragsteller Dr. Pacakgeladen. Justizminister Dr. Graf Gleispach vertheidigte dasGutachten des Obersten Gerichtshofes und brachte dem Ausschußdrei Grundsätze zur Kennmiß, auf grnnd deren er sich eineGesetzesnovelle, die geschaffen werden müßte, denke, und zwar:1. Ein Abgeordneter dürfe nur mit seiner Zustimmung über denInhalt seiner Rede einvernommen werden; 2. Wenn er sichweigere, Zengniß abzulegen, nur mit Zustimmung des Hauses;3. In Ehrenbeleidignngs-, Verleumdungs- und Ehebruchsachenauch ohne Zustimmung des Hauses.— Hierüber entwickelte sicheine lebhafte Debatte. Mehrere Mitglieder des Ausschusses sprachensich für den ersten und zweite» Grundsatz mit einigen Abänderungenaus. Die Majorität des Ausschusses hielt jedoch an dem Grnnd-satze fest, daß die Zeiignißpflicht eines Abgeordneten nur mit Zu-ftinimung des Hauses zulässig sei. Es wurde ein dreigliedrigesSnbkomitee gewählt, um dem Ausschuß präzise Anträge vor-zulegen.Diese Verhandlungen sind für alle parlamentarischen Körper-schaften von Bedeutung. Bei uns im Deutschen Reiche machtman sich freilich über solche Fragen keinerlei Kopfzerbrechen.—Frankreich.PariS, 13. Oktober. Dem sozialistischen Gemeinderath vonRoanne, welcher den Jiussenfestlichkeiten ferngeblieben war, habendie republikanischen Mitglieder einen Protest überreicht, worinsie die Erklärung abgebe», sie würden künftighin den Sitzungennicht mehr beiwohnen. Fürchterlich für unsere Genoffen!—PariS, 13. Oktober. Die radikalen Blätter verlangen dieVeröffentlichung des russisch-französischen Vertrages. Millerandkündigt an, die Sozialisten würden über den russisch-französischenVertrag Aufklärung verlangen, welche die Regierung mchl verweigern könne. Auf Befragen erklärte Millerand, er glaube nicht,daß der Kaiser von Rußland gekommen ist, um Frankreich beimWiedererwerb von Elsaß-Lothringen zu helfen.—Paris, 12. Oktober. Ein Artikel der„Lanterne" hatte demMinister Barth ou vorgeworfen, daß er alS Arbeits-minister gelegentlich der Berathung der denEisenbahnen zu gewährenden Garantien Finanz-spekulattonen unternommen habe. Die„Lanterne" tbeiltnunmehr mit, daß der Minister Barthou die Bestellung emeSEhrengerichtes verlangt habe.—Pariö, 11. Oktober. Ein amtliches Telegramm meldet, daßder neue Oberbefehlshaber auf Madagaskar, GeneralGalliern, seine Stellung in Tananarivo am 28. September an»getreten hat. Die Provinzen, in denen die Unruhen herrschen,sind als Militärterritorien erklärt worden. Oberst Gonard hat40 Kilometer von Tananarivo in der Richtung nach Majungaeinen Erfolg über die Aufständischen davon getragen.PariS, 11. Oktober. Die Roya listen haben bei derAbreise des Zaren einen Brief veröffentlicht, den das royalistischeGemeinderathsmilglied Lambelin an de» Zaren gerichtet hat. Indemselben wird in dem russischen Kaiser der Ber-treter des monarchischen Erbrechts begrüßt und demBedauern Ausdruck gegeben, daß Frankreich dieses Erbrecht ver»kannt habe. Man hoffe, das Vaterland werde die momentanunterbrochenen Traditionen wieder aufnehmen.Es ist recht begreiflich, daß die Monarchisten die unrepubli-kanische Zarenbegeisterung für sich auszunutzen suchen.—— Die nächste Hochzeit der Orleans, die de»Prince Gamelle. ältesten Sohnes des verstorbenen Thron-Prätendenten, des Grafen von Paris, mit einer öfterreichischenErzherzogin, die das heirathsfähige Alter schon überschritten hat,wird, dem Wiener Vertreter der„Daily News" zufolge, daS Gepräge einer politischen Demon st ratio» annehmen. All«Prinzen und Prinzessinnen des Hauses, von der PrinzessinClementine bis zum zwölfjährigen Herzog von Montpensierwerden anwesend sein. In der Hoiburg und dem SchlosseSchönbrunn werden alle verfügbaren Räume, selbst die Gemächerdes verstorbenen Kronprinzen in Bereitschaft gesetzt. Ueber30 Cavaliers d'Honnenr werden den fremden Prinzen beigegebenwerden. Die französischen Legitimisten werden vollzählig inWien ersche..ien.—Italien.— Crispi's Sohn. Man schreibt auS R o m: Es istbekannt, daß Crispi's Sohn, Dr. Lnigi CriSpi, kürzlich in einemProzesse wegen der Brillanten der Gräfin Celle» eine keineswegsbeneidcnswerthe Rolle spielte. Dr. Crispi hat sich inzwischennach Brasilien gewendet und bald daraus in Rio de Janeiro Ge-legenhcit gefunden, wieder von sich reden zu machen. Wie diein Buenos Aires erscheinenden Blätter melden, ist Dr. Crispimit der Frau eines der bekanntesten Journalisten Rio de Ja-»eiro's, der ihm freundschaftlich beigestanden hatte, geflohen. DaSPaar hatte auch die beiden Kinder des betrogenen Gatte» mit-genommen, die dieser nur mit Hilfe der Staatsgewalt zurück-erhalte» konnte. Gegen Dr. Crispi wurde die Slrasamtshand-lung eingeleitet.Der ehrenwerthe Luigi scheint sich in seiner Umgebung rechtnett herangebildet zu haben.—Spante».Madrid, 9. Oktober.(Eig. Bericht.) Wenn man wahr-nimmt, daß selbst bei der Erfüllung der heiligsten Pflicht, welchedie bürgerliche Gesellschaft der Nation auferlegt: das TerraindeS Vaterlandes zu vertheidigen, und mag dasselbe auch auf dieunehrenhafteste Weise erworben sein, die Korruption eine groß«Rolle spielt, so darf man es den spanischen Generälen nichtbesonders übelnehmen, wenn sie die Korruption bis aufs äußerstetreiben. Alle Welt weiß, daß General Marlinez CampoS nachdem kubanischen Kriege in den siebziger Jahren als reicherMann heimkehrte, obwohl er früher nicht viel mehr besaßals eine arme Kirchenmaus. Und jetzt erhebt man in derPresse gegen den früheren GeneralstabSchef von Kuba,General Ochando, welcher vor etwa einem Monat ausGesundheitsrücksichten" nach Madrid zurückkehrte, die schwere Be-schuldigung, daß er sich von dem Jnsurgentenführer AntonioMaceo habe bestechen lassen. Schon seit der Rückkehr wurde dies