Keiblatt zur berliner Vokks-Cribüne.
Nr. 14.
Sonnabend, den 4. April 1891.
V. Jahrgang.
ZuftanMtches Quodlibet Winter: etwas hart nnd länglich; Hohlen : etwas unerschwinglich: Steuern: etwas Überschwan glich: Hunst: ein bischen tangel-tinglich: Lunker: etwas eigensüchtig: Lesuit: etwas bcdränlich: Bankkasstrcr: etwas flüchtig: vandelsstockung: etwas gräulich: Fleisch: ein bischen überteuert: Bolksernährung: etwas spärlich: Reichstag : etwas angesäuert: Kriegsabrüstung: etwas schwerlich: Sitten: etwas rieseldusrig: Nächstenliebe: etwas kleinlich: Biedermänner: etwas schuftig: Wahrheit: etwas tinwahrscheinlich: Eltern: etwas kindermäßig: Kinder: etwas altersschwächlich: Steh ndes Heer: etwas gefräßig: Bürger: etwas nebensächlich: Staatsweisheit: etwas willkürlich: Freiheit: etwas unterdrücklich--- Allgemein jedoch natürlich Erde: himmlisch, Bölker: glücklich!
Ulk.
Die UihUistenjagd oder: Mie ein wirklicher Geheimer Rath Prügel bekommt. Bon Schtschedrin Aus dem Russischen von Paul Styczuski. (3. Fortsepmig.) Weiter! Weiter! „Er" war offenbar eiu Philosoph und unterzog sich der Mühe, uns zu überzeugen und zu belehren. — Mir scheint es, meine Herren,— sprach er.— daß Sie in Ihrem Verfolgungswahn auf eine ganz falsche Fährte gerathen sind. Wenn Sie in dem Interesse, welches wir dem Fortschritt der Wissenschaft widmen, eine der Gesellschaft drohende Gefahr sehen, so denken Tie. glaube ich, von dieser Gesellschaft schlechter, als sie , ks verdient!... Sind denn in der That die Funda- wente der bürgerlichen Gesellschaft so schwach, daß sie den Ansturm der neue» Ideen nicht den geringsten Widerstand leiste» kann, daß es vor allem das Interesse für diese Ideen ist, vor dem sie bewahrt und beschützt werden muß?.., Warum denken Sie, daß die Fin- sierniß, die Barbarei das einzige Mittel sind, die Ge- lellschaft zu erhalten? Warum sind es gerade die edelsten Menschen, welche den Muth haben, eine eigene Ansicht M haben und auszusprechen, warum sind es gerade diese Menschen, die bei jeder neuen Verwirrung Ihrem Miß- traue» zu allererst zum Opfer fallen? Sie müssen doch lklbst zugeben, daß mau eine solche Erscheinung einzig Und allein durch die tiefe Verachtung erklären kann, welche Sie gegen die Gesellschaft und gegen sich selbst rwpfiudeu... Ich hörte mit Interesse zu. Wie sollte ich auch Utcht?! Au Cond il y a du vrai dans tout ceci... Manchmal treiben wir es mit der Verfolgung aller Bil- Mug zu weit. Es ist, als wollten wir der ganzen Welt irigen, daß das Lernen nur für die Schuljungen gut ist, man damit aufhören soll, sobald nian die Schulbank hinter sich hat. Ich mußte unwillkürlid) leise aufseufzen, als ich äaran dachte. Der Philosoph fuhr fort: — Rehmen wir jedoch an, daß die Bildung wirklich Schaden bringt; jedenfalls ist es in diesem Falle ein Schaden, der sich nur einigen wenigen fühlbar macht; 'u die Massen des Volkes kann er ja nicht eindringen. ?ie sagen: Unsere Gesellsäsaft kann nur glücklich sein, 10 lange sie in dem Zustand der Barbarei verharrt. Run gut! Woraus entnehmen Sie denn, daß die Ge- tchaft in ihrer Barbarei so sehr empfänglich ist für das Enidringen der Bildung? Zweitens aber: Ist die Ge- Mschast wirklich so tief verwildert, so sehr in Gedanken- jchigteit versunken, daß sie die Finsterniß, die Gedanken- ivsigkeit für die beste Bürgschaft ihrer Ruhe, ihres Elückes halten sollte? Wie wollen sie dann jenen uu- ?ez>vinglichen Bildungsdrang erklären, der angeblich so Üark und so gefährlich ist, daß zu seiner Zurückhaltung außergewöhnliche Maßnahmen nvthig sind? Es war wirklich eine Lust, den Manu anzuhören; fr fuhr fort — Eins von beiden ist also nur möglich: entweder Erlangt die Gesellschaft nach Bildung und ist im Stande, Ük zu ertragen oder sie verabscheut die Bildung,— und äärd in diesem Falle selbst stark genug sein das Palla- .um ihrer Unwissenheit zu schützen; sie wird selbst stark genug sein, ihr Anrecht auf die Immunität gegen �tldnng und Gesittung zu wahren. Um das Wohl der Gesellschaft so sehr besorgt sein, zu seinem Schutze künst- ttche. aber nicht immer gerade schlaue und gut durchdachte
Mittel in Anwendung bringen,— das heißt ja nichts anderes, als diese selbe vielgeliebte Gesellschaft unnütz in Ausregung versetzen, als ihr die Möglichkeit geben, Sachen zu hören und zu sehen, die sie niemals gehört und ge- sehen hätte, durch die sie nur noch mehr revolutionirt wird. Das sind die Wirkungen Ihres Diensteifers!... Mir wurde es immer angenehmer zu Muthe, wie er so sprach. Ich dachte nur: Ach, wie gut wäre es, wenn alle so dächten, wie er! Wenn doch alle einsehen lvollteu, daß es viel besser wäre, sich so zu verhalten, als ob es keine Bildung gäbe, anstatt diese so eifrig zu verfolgen... Bildung!... Ha! Was heißt: Bil- dung? Parlez rnoi de(ja! Qu' est que c' est, que votre„Bildung" et oü avez vous et6 peche cet ani- raal— lä.1) Das ist meiner Ansicht nach, die einzige Meinung, welche eine wahrhaft vorsichtige und um das Wohl ihrer Unterthanen besorgte innere Politik von der Bildung haben sollte! „Er" aber sprach noch weiter: — Zuletzt kommen wir aber zu dem Schlüsse,— und das muß man sich sagen, wie schwer es einem auch fallen mag!— Daß man ganz ohne Bildung doch nicht gut auskommen kann; daß die Völker, welche mit Ber achtung auf die Bildung herabsehen... Er hielt inne und brach plötzlich ab: er bemerkte offenbar, daß ich „ihm" mit Vergnügen zuhörte... — Gehn wir!— sagte er und setzte seinen Hut auf. Mar— r— sch! ** * Ich habe bemerkt, daß die Frauen im Unglück niemals so standhaft sind, wie die Männer: sie weinen sofort, oder— machen irgend eine Dummheit. Gewöhnlich sind sie sehr prahlerisch und vertheidigen in unverschämter Weise die Ansichten, die ihnen eingepaukt worden sind; handelt es sich aber um ihre wirklichen, eigenen Ansichten, dann werden sie verlegen und sehen verschämt zur Seite. So gerathen sie z. B. außer sich vor Eifer, wenn sie über das Eigenthumsrecht sprechen, oder über die Familie, als Grundlage des Staates,— oder überhaupt über alles, was sie persönlich nichts angeht. Man soll aber einmal versuchen, mit Ihnen z. B. über die Liebe zu sprechen!... — Sie sind eine kleine Nihilistin, mein Täubchen? Ja? fragte ich einmal ein hübsches Mädchen, das sich c.m Buckle halb verrückt gelesen hatte. — Und Sie sind ein Schuft, mein Täuberich! erwiderte sie nnd meinte wohl, mir mit diesem Schimpfwort sehr weh zu thun. Das ist ein Beispiel weiblichen Leichtsinns! Ich nenne sie eine„Nihilistin " und sie wirft mir einer „Schuft" an den Kopf. Sie begreift nicht, daß in dieser Zusammenstellung der beiden Begriffe mein ganzer Triumph liegt, daß sie mit ihren lieben, süßen Lippen selbst be- stätigt, daß die Begriffe„Nihilistin " nnd„Schuft" eins und dasselbe bedeuten... Ich machte sie aus diese logische Schlußfolgerung aufmerksam; sie versuchte, ihre Worte anders zu deuten, verwickele sich aber in immer größere Widersprüche. — Nein, das habe ich nicht gesagt! erhitzte sie sich: „Nihilismus" und„Schuftigkeit" haben mit einander nichts zu thun. Der Schuft— sind Sie! Sie war so schön, wie sie sich so ereiferte und ärgerte, daß ich sie am liebsten hätte küssen mögen... — Warum bin ich denn aber kein Nihilist? sragte ich. — Weil Sie ein Schuft sind— ein Schuft, ein Schuft! Prächtig!... Und welches sind Ihre Ansichten über die Liebe? fragte ich. Sie verlor alle Fassung vor Wuth... Ich habe schon oft die Beobachtung gemacht, daß„sie" diese Frage nicht gern beantworten und aufhören, liebenswürdig zu sein' so oft sie ihnen vorgelegt wird. - Nun gut! Meinetwegen! Sagen Sie mir wenig- stens, was man unter Kommunismus versteht? — Kommunismus, antwortete sie eifrig, ist eine in der Weise eingerichtete Gesellschaft, daß kein einziges Glied der Gesellschaft etwas besitzt, was es sein Eigenthum nennen könnte, ist eine Gesellschaftsform, in der alle Glieder derselben für die zur Produktion der Guter ge- leistete Arbeit ein gleiches Anrecht erhalten, die produ- zirteu Güter zu benutzen. — Hm... die Faulen, ebenso wie die Fleißigen. — Faule giebt's in der Kommune nicht. — Sehr schön! Ich möchte doch aber gar zu gern erfahren, was Sie über die Liebe denken. — Ich sagte Ihnen ja schon: Sie sind ein Schuft! War das nicht leichtsinnig von ihr? Aber so sind sie alle! Sie sind zu Opfern bereit, sind bereit ihr Leben in die Schanze zu schlagen, wenn es sich darum handelt ihr„Prinzip" zu wahren, wie sie es nennen— nennt mau aber dieses„Prinzip" beim richtigen Namen, dann
')„Lassen Sie doch diesen Unsinn! Was wollen Sic nur immer mit dieser Ihrer„Bildung" und wie haben Sie dieses Ding aussindig gemacht?"
sind sie mit Thränen oder mit Schimpfworten gleich bei der Hand!... Ma— r— rsch! ** -i- Ein andermal ging es noch heißer zu. Ich saß zusammen mit einer hübschen Nihilstin(wie gut ihnen die frei herabwallenden Locken, die kurzen Kleider stehen, wie hübsch sie aussehen!) und beivies ihr, mit dem Degen und den Sporen klirrend, daß die Be- schäftigung mit der Anatomie einem gut erzogenen Mädchen übel anstehe, und daß sie in den Lehrplan nicht aufge- nommen werden dürfe. — Warum denn? fragte sie mich ziemlich uw verschämt. — Deshalb, weil die Anatomie ihre leicht erregbaren Gefühle reizen kann, mein liebes Täubchen! erwiderte ich! — Sagen Sie lieber, daß die Anatomie nur den aufregen kann, der keine Zelt und Lust hat, an anderes zu denken, außer an Schweinereien! — Na, na! Gleich:„Schweinereien!" Es kann doch aber sehr leicht zum„Lieben" kommen!... Ich gestehe, ich ging vielleicht zu weit! Durch das Gesprächsthema ausgeregt, durch die Schönheit der Patientin bezaubert, durch die kurzen Röcke, unter denen ein wundervolles Füßchen kokett hervorguckte, angezogen, ließ ich mich verleiten, mich ihr vielleicht ein werng zu sehr zu nähern... Ich wollte sie schon um die Taille fassen, da... Puff.. hatte ich eine Ohrfeige bekommen! Sage du selbst, geneigter Leser, war das nicht auch unvorsichtig? Sie predigen die freie Liebe und wenn man ihnen den Vorschlag macht, ihre Worte zn bethätigen, dann... Mar— r— sch! ** * Ach, wie führt ich mich nur damals auf! „Sie" saßen an einem großen Tische und machten Kartvn-Schächtelchen. Aus irgend einem Grunde erschien mir das im höchsten Grade empörend. Hätte ich mich aber mit diesem Gefühl begnügt! Aber nein! Ich hielt es für nöthig, die Kleider der Mädchen zu durchsuchen. O! Wie führte ich mich damals auf! ** * Der Leser wird mich vielleicht fragen: Wer erlaubte uns, in dieser Weise zu bummeln? Wo blieben die Be- Hörden, die es doch hätten verhindern können? Darauf kann ich nur eins antivorten: Der Bär war aufgewacht. So lauge der Bär auf seinem Lager liegt, und sich die Tatzen ableckt, da haben die Behörden leichtes Spiel mit ihm. Mit einem Stück Fleisch kann man ihn aus seinem Versteck locken und ihn sogar zum Tanzen bringen. Schlimm wird es erst, wenn er zu brummen anfängt... dann giebt es keine Macht, die ihn besänf- tigeu könnte. Mein Ruhm wuchs von Tag zu Tag. Meine Thaten wurden überall gerühmt... Ich vollführte sie selbst, aus eigener Initiative, ohne Jemandes Befehl und Hilfe. Das war großartig... Das war nicht blos großartig, das war einfach— übermenschlich. So groß ist aber die Macht der Selbsterhaltungsidee! Sie verleiht dem gewöhnlichsten Sterblichen, wenn er nur kein Herz und keiue Seele hat, Löwenlrallen. Unwillkürlich wurde es mir schwindelig vor lauter Enthusiasmus. In meinen Träumen erschien ich mir als der Gegenstand begeisterter Ovationen. Ueberall wurden Toaste auf mein Wohl aus- gebracht; in allen Gasthäusern des russischen Reiches wurde ich mit Champagner traktirt, überall wurden mir neue, und immer wieder neue Erfolge gewünscht, aus allen Ecken und Enden erhielt ich Beglückwünschungstelegramme. Ich war ganz Feuer und Flamme, ich glühte, ich brannte vor Arbeitslust, ich war immer kampfbereit. Ich konnte einige Tage hintereinander wütheu, ohne etwas zu essen und zu trinken. Meine Augen strahlten und wurden ganz roth und rund, der Haß in meinem Herzen ent- bräunt" immer stärker, so daß ich sagen kann: er ist es allein gewesen, der mich noch auf den Beinen erhielt. Ost kam es wie eine Offenbarung über mich: ich witterte und fand Nihilisten dort, wo andere nur wirkliche ge- Heime Räthe vermntheten! Anderseits aber verhinderte mich oft diese Extase, klar zu sehen, daß es unter den vielen, mannigfaltigen Formen, unter denen der Nihilis- mus und die Nihilisten erscheinen, einige giebt, an denen man vorsichtshalber am liebsten vorübergeht, ohne sich genauer mit ihnen zu befassen. Besondere Schwierigkeiten machen Einem die Formen des Nihilismus, die sonst unter dem Namen„wirsi. geh. Rath" allbekannt sind. Die Ovationen dauerten fort, Champagner floß nur so in Strömen, die Leiermänner spielten in den Gast- Häusern, es gab aber schon Kreise, in welche die Pest des Verraths bereits einzudringen begann. Man raunte sich hie und da in's Ohr, que je suis trop entier*), daß meine Ueberzeugungeu allzu grelle Farben, allzu scharfe Umrisse annehmen, allzu rücksichtslos bethätigt zu werden beginnen: das sei auch nicht gut, weil ein Mensch, der sich in seinen Handlungen durch irgend welche Ueber- „Daß ich zu eifrig bin."