Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.
Nr. 17.
Vor allem, Theurer, lern tief dich bücken, Die personifizirte Reverenz!
Den ersten besten Frack wirf um den Rücken Und nimm zum Vorbild eine Excellenz. Denn an der Kutte wird der Mönch erkannt, Und nach der Tünche schätzt man ja die Wand.
Lern, wie die Klinken auf und ab zu gehn; Bu sehn, als sähst du nicht, mach dir zur Pflicht; So du gewiffen Zug du wirst verstehn Halbja", halb" nein", vielleicht Gewöhne jenes Sauer- süß dir an, Den Häscher dich und Höfling lehren kann.
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Sonnabend, den 25. April 1891.
Unterricht an einen Staatsbeamten.
vielleicht auch nicht."
Beileibe keinen Bart, will ich dir rathen! Denn selbstverständlich ist: die Angestellten Pflegen, je mehr sie aussehen wie Kastraten, Je mehr bei dem verehrten Chef zu gelten. Doch daß du hierin trefflich kannst bestehn, Hat schon die liebe Mutter vorgesehn.
Verfäume nie die Predigt und die Messe Und bete so, daß dich die Leute sehn, Auch sorge stets- so wills dein Interesse In deines Präsidenten Stuhl zu gehn. Steh Schildwacht am Portal, um, wenn er eben Der Schwelle naht, Weihwasser ihm zu geben.
Verschaff dir Zutritt und benut ihn häufig Bei einer Kletterpflanze von Minister. Je nach der Stimmung ändre dort geläufig Die Tonart deines Spiels und der Register. Wenn's angebracht ist, den Hanswurst zu machen, So mach' ihn nur und bringe sie zum Lachen.
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Bon Giuseppe Giusti. Aus dem Italienischen von Paul Heyse .
Gehts steifer zu, muß man beim Whist verstummen, So nimm die Karten flink als vierter Mann. Verliere tapfer, spiele ja den Dummen, Daß man mit deinem Pech dich hänseln kann. Pflegt er am Kartentisch dich auszuplündern, Wird er den Schmerz auf Staatsunkosten lindern.
Versorg' ihn stets mit frischen Klatsch, mit allen Stadtanekdoten, die man wissen muß, Mit allem Neuesten, was vorgefallen Vom Schußmann bis zum Senerissimus. Set's Amtspflicht oder Müßiggang Großwürdenträger flatschen alle gern.
die Herrn
Im Loben sei nur ja nicht rücksichtsvoll, Beräuchr' ihn gradeaus und um die Ecke Lob ihn, wenn er gescheit, und wenn er toll, Erreichte Ziele und verfehlte Zwecke, Auch wo das Loben weder Kopf noch Schwanz hat, Lob immerzu, und lobe nie dich ganz satt.
Fisch eine reiche Braut. Des Anstands( ohne Von Tugend erst zu reden) magst du lachen. Und woll'n dich deine gnädigen Patrone Mit einem kleinen Scheusal glücklich machen: Ist sie nur hübsch vergoldet, schlucke munter Die Bille ohne Maulverziehn hinunter.
Rühr dich so viel du kannst, sei stets parat, Und was auch kommen mag, sei dir willkommen. Doch mußt du bitten; nur weil sie nicht bat, Hat ja die Kröte keinen Schwanz bekommen Denn du begreifft: Wenn feine Bettler wären, Wie kämen da die großen Herrn zu Ehren!
Ich glaub an Mauth , Accise , Zoll und Steuern, An den Kataster auch und seine Sippe
Ich glaube, daß mein Kreuz nie wund zu scheuern, Ich glaub' an Stall und Krippe,
Und bete zu den Heilgen spät und frühe, Des Tages, wo ich mein Gehalt beziehe.
[ 1. Fortsetzung.]
Die papierne Passion.
Von
Arno Holz und Johannes Schlaf .
Ach ja!... Warum hat mir man unser Herrjott mein Marifen uich jelassen!"
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Herr Haase hüstelt. Er befieht sich etwas unruhig seinen Cigarrenstummel. " Det wah'n Kind! Jott! Idk sage!- Se hätt'n Na! man blos ihre Ogen sehn solln!- Ick.. wenn... mit eenem Worte... Sehn Se! So'nn Kind muß mir nu sterben un mit det riedije, ruppije Froonzimmer muß ich mir zu Schanden ärjern! Nee!.. ick... Jott! Ick sag schon!... Nee!"
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Sie kann nicht mehr weiter sprechen. Die Uhr tickt, das Feuer fnattert. Vorn von der Straße her ist jetzt das dünne, eintönige Geläute der Sophienkirche zu hören. Es ist Abendgottesdienst. Dazwischen, in der Belleetage unten, ein Klavier. Eine Dame singt. Ab und zu bleibt sie stecken; immer an der= selben Stelle. Aus dem asphaltirten Thorweg her wieder das dumpfe Trampeln von Pferdehufen und das Dröhnen und Klirren von Eisenstangen
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" Ich seh ihr immer noch! Sie lag schon in'n legten Ziejen!-Sehn Se! Da hat se mir noch getröstet! Weine doch nicht Mutterchen", sagte se Wat det Kind schon fier' ne Sprache hatte! Weine doch nicht, liebes Mutterchen! Mir ist ja wohl! Ich komme ja nun zum lieben Gott! Da sehn wir uns alle wieder!"
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Mutter Abendroth'n hat das langsam, deutlich gesprochen, als ob sie es aus dem Gesangbuch vorläse.
,, Na, wat meen' Se woll! So'nn Verstand von' zwölfjährijet Kind!- Ick denk so manchetmal: is det ooch recht von unsem Herrjott, det er mir det Würmken jenommen hat?.. Nee, wissen Se! det frißt mir noch uf! det frißt mir noch uf!"
Sie hat sich mit ihrer runden Faust mehrmals gegen ihre dicke, breite Brust geklopft, Herr Haase dampft und starrt mit großen Augen vor sich hin.
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V. Jahrgang.
Ministerseelen sind so ziemlich auch
Aus gleichem Thon geformt wie dein' und meine. So fühlt auch erst ein aufgeblafner Gauch, Der, wenn er spendet, nie verschenkt das Seine, Nur was so billig, wie die Sonn im Mai, Durch Dank der Bettler, daß er etwas set.
Und unser Mann an tauben Ohren Gehn ihm die schönen Lehren nicht verloren. Er eilt' hinweg und lernte Knie und Rücken Biegen und schmiegen und sich drehn und drücken. Hinlänglich dann gefonnt, gefiebt, gesichtet, Von Chef zu Chef sorgfältig zugerichtet, Nachdem er oft denselben Weg gegangen Und Taufe dann und Firmelung empfangen, Als Hartgesottner Schlaukopf und Filou, Kam er ins Amt, und nun gings lustig zu!
Daß nicht am Halse den Bestellungsbrief
Zu tragen üblich ist, Das schmerzt' ihn tief.
Doch überm Bette An würdiger Stätte Hängt er ihn auf, Und früh und späte Dies Stoßgebete Sandt' er hinauf:
Ich glaub an das allmächtige Gold und seinen Geliebten Sohn, den man den Gulden nennt; An Wechsel, Amtsgehalt und den Dreieinen, Heilgen Kontokorrent.
Ich glaub' an Kabinetsbefehl, Resfript, Und an den Thron, der mir ein Ansehen giebt.
So hoff ich, soll's mir mit der Zeit gelingen, Ganz sacht die höchsten Ehren zu erwerben, Vielleicht selbst in den Adelsklub zu dringen, Und endlich sanft zu sterben
Als Steuerrath, ein„ von" vor meinem Namen, Und mit dem Ritterkreuz im Knopfloch, Amen!
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so'n armes, unschuldijet Viehken davor! Aber Sie jloobn janich, wat det fier'n oller, jnazijer Bengel is! Na! Ich sag schon! Ich möcht' ooch schon lieber crepier'n, wah- wat?!" haft'jen Jott! als mal von den seine Inade leben!"
Wieder ist es einen Augenblick still. Wally_hat sich gegen das Fenster gedrückt, sie schüttelt sich vor Frost.=
Auch'n bischen lahm!"
Nanu!? Det is ja't reene Lazareth! Sonst noch
" Sonst'n strammer Sieb'ziger!"
" 1
Na wissen Se!
„ Eh!... Aber
"
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Doch schlecht." Pinke hatter!"
Ah! Na, denn man ran!.. Ah- Sie.. Ne..!"
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Mutter Abendrothen lacht, daß ihr die Thränen in die
Die weiße Schneedecke über den leeren Flaschen, vertrockneten Blumenstöcken, Lappen und den in Zeitungspapier gewickelten Fleischstücken auf dem breiten, grüngestrichenen Fensterbrett draußen wird immer dichter. In den Ecken der Fensterscheiben häuft sich Augen kommen. der feine Schneeſtaub an. Das Licht, schräg von den hellen„ Jottedoch! Fenstern des Seitengebäudes, glizert drauf. In dem welken, muß sind!" beschneiten Laub der Blumenstöcke, raschelnd, der Wind.
uf!
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Ne! det frißt mir noch uf! Det frißt mir noch
"
Bing, zing!-""
Ach, Jottedoch! Ja!..."
Bing, zing!
Mutter Abendroth'n horcht auf.
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Na... ick sage immer ick sage immer... Spaß
Sie wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. Herr Röder ist wieder zeremoniell geworden.
,, Also: mit dem Abendbrot?" " Heite jiebt't Kartoffelpuffer!" Was??
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Ah! Sie!
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„ Na! Wiste ufmachen?! Hast' nich jehört, det't je- dicken, runden Arm pathetisch ausgestreckt. flingelt hat, olle Dromlade Du?!"
Wally ist zusammengefahren, sie drückt sich hinaus. Herr Haase athmet auf.
"
' N Abend, Mutter Abendroth'n!"
Nee!
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Junge
Frau! Das werd' ich Ihnen nie vergessen!" Herr Röder ist wieder in Extase gerathen und hat seinen Er sieht Mutter Abendroth'n ganz verliebt an. Seine runde, fleischige Hand hat er in der Herzgegend auf seinen dicken, braunen Winterüberzieher gelegt. Er seufzt.
Ein Kugelrunder, rother Kopf hat sich durch den Thürspalt geschoben. Hinter einem Kneifer vor ein paar kurzfichtige, zwin- Sie kernde Aeugelchen. Auf dem kurzgeschorenen, weißblonden Haar balanziert eine kleine, blaue Studentenmüße.
' N Abend Herr Röder! Na, wissen Se!. Mutter Abendroth'n bückt sich über die Schüssel nach vorn aus ihrer Heerdecke vor.
" Sie sind mir aber och'n scheener Rumdreiber! Wachten Se man!' N janzen Tag nich zu Hause jewesen!" Sie lacht und blinzelt Herrn Haase zu.
Na lassen Se nur jut sein! Hat alles seine juten
Seiten!"
Herr Röder hat sich hinter Wally her in die Küche geschoben. Guten Abend!"
"
Er macht vor Herrn Haase eine sehr cermonielle Verbeugung. ' N Abend!' N Abend!"
Herr Haase ist ein paar Mal hastig auf und nieder gewippt, er hat wieder beinahe seine Mappe fallen lassen. " Da- vor hab' ich..
Herr Röder läßt seinen Kneifer abschnellen und putzt ihn dem Taschentuche.
" 1\
mit ,, Aber, wissen See? Det Kind könnte heite noch... Da- vor hab' ich auch heute' n Mann für leben, sag ick! Ick jab ihr damals in de Diakonissen Sie jefunden!" anstalt, sehn Se! Un da habn se mir det arme Meechen Er hat den Kneifer wieder auf seine rothe, zerflicte Stumpfso jedrieselt! Ich hatte ja nich so det Jeld, sehn Se! nase geklemmt und gloẞt nun Mutter Abendroth'n groß an.
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Se hat nich die richtije Pflege gehabt, sag ick! D.
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„ Nanu?"
" Det wird'n scheenet Jemiese sind!"
" Na! Sagen Se nich!.... Er ist allerdings'n bischen bucklig!"
Mutter Abendroth'n lacht. Herr Röder lehnt sich mit seinem ick weeß ja! die Schwester Anna, det wah'n Aas! dicken, breiten Buckel gemüthlich gegen den Thürpfosten. So recht scheinheilig vor de Dogen, wissen Se! Aber dabei hatte se't hinter de Ohren! Na, wenn ich Ihn'n da erzehln wollte! Ich hätt det arme Kind ja Doch zu jerne hier behalten: aber jloobn Se? Mein Karl konnte ja det arme Wurm nich vor de Dogen ersehn! Gejentlich wah se ja ooch janich mein rechtet Kind! Ick hatte ihr von meine Schwester anjenommen. Det Weibs- ernst sticke hat elf uneheliche Kinder... Sehn Se! Un mein Karl sagte nu: wat brauch'n wir dem Weibsticke ihre in die Hände, sie erstickt bald vor Lachen.
Kinder ufzufuttern! Sehn Se! Deshalb kann er noch die
Wally nich leiden. Na, ick bitt Ihnen! Wat kann!
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Wally lacht. „ Na, heern Se mal!!"
"
Nee!... ick... ick schrei mir dot!... Ick. Mutter Abendroth'n legt sich hintenüber gegen die Wand. muß nach Luft schnappen.
" Guten Abend?"
' N Abend!' N Abend!"
"
Nee! Jottedoch! Ick.
Draußen schließt Herr Röder jetzt die Stubenthür auf. 1 " Frize, Frizze, Friedrich!
Bis doch nich so liederlich! Frize! Frize!
Dir wachsen ja die Haare aus der Mü- hü- Be!" Mutter Abendroth'n wendet sich, noch immer an ihrem Lachanfall laborirend, zu Herrn Haase.
„ Nu heer'n Se blos!"
Jm Entree klappt jetzt die Thür zu.
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,, Ach Jott ne!.. Na!.. Ick sage!...„ Is det ' ne Krufe? Jck könnt mir immer trudeln, schon wenn ick'n seh'!... Ach Jott nee! Ach Jott nee!... Hoch!... Lauter ruppijet Zeich hat er in Koppe!"
Endlich kratzt wieder die Kartoffel über das Reibeisen. Nebenan wird eine Operettenmelodie gepfiffen. Ein Stuhl wird gerückt, ein Stiefel ist gegen die dünne Wand gepflogen.
" Ibrijens! Hab'n Sie jemerkt? Uf die Nacht hat
er wieder so'nn ollet Froonzimmer dagehabt!... Na?! Wat haste denn zu jlubschen! Wat?!
Wally dreht sich schnell wieder gegen das Fenster um. Sie hat sehr aufmerksam zugehört.
„ Ja, wissen Se.
Mutter Abendroth'n flüstert nur noch.
„ Ich hab'n voch schon lange mal orntlich eens ufmeebeln woll'n! Aber denken Se, ick fann'n beifomm'n? Is nich! Wenn er so mit seine olle Flausen kommt, muß ick mir wieder halbdot lachen!... Na, Jott! Ick sag':
Auch Herr Haase lächelt jetzt höflich. Herr Röder ist ganz Schließlich hat Jeder seine Fehler! Sehn Se, drum drück geblieben.
"
Er ist auch'n bischen blind!"*
Wally hüpft jetzt vor Vergnügen auf und nieder. Sie klatscht
Hm! Det's'n Vorzug!" Mutter Abendrothen schmunzelt.
ick ooch lieber'n Doge zu! Junge Leute sind nu mal so!"
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Bing, zing!.... zing, zing!!""
Es hat draußen abermals geflingelt, Wally ist ins Entree gehuscht. Mutter Abendrothen horcht.
" Nanu?! Det jeht ja heite wie' ne Afzise!"