Effekten feststellen(äffen. Ungleich größer sind jene Ein- büßen, welche an den Börsen tagtäglich in Form von Differenzen entrichtet werden, und zwar nicht von den effektiven Inhabern der Objekte, sondern von den Spielern selbst. Was effektiv in der Spekulation verloren wird, das muß auch effektiv in ihr gewonnen werden. Die Diffe- renzen des Zeitgeschäfts sind immer effektive Gewinne oder Verluste. Nicht so diejenigen des Komptantgeschäfts. Nehmen wir z. B. an, daß Jemand, der 30 000 Berliner Handelsantheile vor 3 Jahren zu 130 pCt. angelegt hatte, dieselben noch heute besitzt, so hat dieser in der Zwischenzeit den Kurs der Aktien auf 210 pCt. gesehen, ohne eine Hand zu rühren, er sieht den Kurs heute auf 150 pCt. und wird ihn in Bälde vielleicht wieder aus 130 pCt. sehen. Dieser hat in der Wirklichkeit weder von der Steigerung Gewinn, noch von dem Fallen Verlust gehabt. Er hat die Bewegung Passiv gemacht und nur in der Illusion gewonnen und gewonnen und verloren. Er träumte sich einst reich, er bildet sich jetzt vielleicht ein, ärmer zu sein, in Wahrheit hat er die ganzen Kurs- schwankungen illusorisch durchlebt, er hat nur den Sinnen- kitzel der Spekulation und deren Aufregungen gehabt. Solcher passiver Leute giebt es Viele. Daher wäre es falsch zu glauben, daß jede Kursschwankung nach der einen oder der andern Richtung stets Gewinn oder Verlust bedeutet. Wohl aber bedeuteten die Schwankungen des Zeitgeschäfls immer wirklichen Gewinn oder Verlust. An lebhaften Börsentagen kommt es meist vor, daß ein im Zeitverkehr stehendes Papier 10— 15 pCt. an einer Börse hin und her schwankt, und daß der Aktien- Umsatz zugleich das Vielsache des überhaupt in Wirklich- keit vorhandenen Aktienmaterials beträgt. Das ist dann schlechterdings nicht mehr Handel, das ist Pharao . Von der Oesterreichischen Kredit-Aktie z. B., einem internatio- nalen Spielpapier, giebt es im Ganzen nur 250 000 Stück Aktien, wovon nur ein winziger Theil im öffentlichen tondel zirkulirt. Nun werden aber an einem einzigen age und an einer einzigen Börse oftmals drei- und mehrfach höhere Beträge dieser Aktien umgesetzt. Wo bleiben da die Kriterien eines zu Recht bestehenden Handels- geschästs? Die Vertheidiger der Spielhöllen, genannt Börsen, behaupten zwar kühn und siegessicher, daß sich jedes Geschäft an der Börse unter den strengen Kriterien von Kauf und Verkauf vollziehe. Denn wer beispielsweise 50 Kredit-Aktien kauft, in der Erwartung, später für die- selben einen höheren Kurs zu erzielen und dadurch eine Differenz einzustreichen, der hat die Kredit-Aktien entweder baar zu bezahlen oder er muß seinen Kredit ausnutzen, um dieselben abnehmen zu können, selbst wenn er die ganze Transaktion wirklich Anfangs nur der zu erhoffen- den Differenz wegen unternommen hat. In der Form betrachtet kann also dreist behauptet werden, jedes Zeit- geschäft sei ein Effektivgeschäft, da man auf der Abnahme der Stücke laut Schlußschein bestehen kann. Wie ganz anders aber verhält sich die Sache in Wirklichkeit! In Mehr als 99 von 100 Fällen ist es auf die Differenz abgesehen. Und wenn der Käufer sich in der Konjunktur geirrt hat und das Zeitgeschäft abgelaufen ist ohne einen Gewinn zu ergeben, so ist die Differenz nicht etwa fällig und zahlbar. Der Käufer nimmt seinen Kredit in An- spruch und giebt die Aktien einem Kapitalisten— der von solchen Durchschiebungen lebt und zwar ganz gut lebt— in Kost oder, wie der technische Ausdruck lautet, in„Re- Port". Dazu braucht der Käufer nicht besonders kredit- würdig zu sein, denn der Kostnehmer ist schon zufrieden. wenn er für die voraussichtlichen Schwankungen des Effekts gedeckt ist. Wünschen nun die Matadore eine Hausse, bei der es lustig zugeht, so stellen sie den Reporteuren jede Summe Geldes für diesen Zweck zur Verfügung, d- h. sie schaffen den Kreditsuchenden jede Erleichterung, sie tragen ihnen den Kredit förmlich ins Haus. Jeder Kvimnis. der im gewöhnlichen Leben bei seinem Schneider nicht Kredit für einen Rock hat, kann in solchen Zeiten wit spielender Leichtigkeit fürHunderttausende vonPapieren diesen Kredit genießen. Er bezahlt ihn ja mit Zinsen, die, im gewöhnlichen Handel genommen, freilich einem bestimmten Paragraphen des Strafgesetzbuches feindlich gegenüberstehen würden. Da das Kreditgewähren neben- bei ein sehr einträglicher Geschäftszweig für die Kredit- gewährenden ist, so wird Reportkredit willig gegeben und Niemand braucht sich bei Abschluß eines Differenzgeschästs Sorge zu machen, daß der Verkäufer am Fälligkeitstermin Shylockallüren herauskehren würde. Das thut er erst, wenn er vermöge seiner Einsicht in die Situation der gethätigten Abschlüsse eine Gegenoperation großen Styls gegen all die Miniaturspieler ausgeführt hat. Dann hängt er diesen den Brodkorb hoch, indem er den Kredit künst- �ch so vertheuert, daß er nicht mehr zu erschwingen ist. Dadurch zwingt er die Käufer zur Liquidirung ihrer Po sitionen d. h. zur Entrichtung des Tributs. Denn, so er auf seinem Schein bestehen will, hat er ja das Recht bazu. Der Andere aber hat kaum die Mittel zur Be- Zahlung der Kursdifferenzen, geschweige zum Bezüge der Stücke selbst, er muß also das Feld räumen, er muß Dribut entrichten. Es nützt ihm nichts, wenn es der �örsenmagnat will, daß er ausgeplündert werde. Nach der anderen Richtung läßt sich die umgekehrte -Nanipulation noch viel leichter in Szene setzen. Ist der überwiegende Theil der Spekulanten nach unten— ä la oaisse— engagirt, so können die Matadore die im Markte Ichwimmende Waare einfach entfernen, indem sie die Stücke einsperren und dadurch einen künstlichen Stückenmangel �Zeugen. Die damit vernüpfte gewaltsame Kurssteigerung üt unter dem Namen„Schwänze" Allen bekannt, welche je für die Börsenvorgänge Interesse gezeigt haben. Und wer das Wesen einer solchen Auffchwänzung kennt, der weiß, welche enormen Summen durch diese einfache Mani- pulation den Leitern der Bewegung zugeführt werden und wieviel Existenzen durch solche Maßnahmen ruinirt werden. In Frankreich sind solche Vereinigungen durch Gesetz ver- boten. Indessen kommen dort trotzdem nicht weniger Ausschreitungen auf diesem Gebiete vor als bei uns, da das Gesetz wohl nie ernsthaft gehandhabt wird. Bei uns aber ist es sogar gestattet, daß Jobber die natürlichen Gesetze von Angebot und Nachfrage zu ihren Gunsten verschieben, dadurch die Effektenpreise zu ihrem Vortheil verändern und ungezählte Millionen einheimsen. Daß auch auf dem Getreidemarkt und in anderen unentbehr- lichen Lebensmitteln unter der Maske eines Lieferungs- Handels sehr oft ungeheuere Waarenmengen auf weite Termine hinaus gehandelt werden in der stillschweigenden Vereinbarung, daß wirkliche Waare weder geliefert noch gefordert, sondern lediglich die Differenzbeträge beglichen werden sollen, das bedarf keines Beweises, da es sich oftmals ja um solche Waarenmengen handelt, die in der ganzen Welt niemals vorhanden sein können. So wahr das ist, so darf doch nicht verkannt werden, daß es sich bei den Spekulationen in Getreide um unvermeidliche Auswüchse handelt, da der Terminhandel in Lebensmitteln per Saldo und Alles in Allem genommen mehr Nutzen als Schaden bringt. Wie wäre die Versorgung eines großen Landes mit Unterhaltsmitteln heute möglich ohne die Formen und Handgriffe des Spekulationsgeschäftes, und wie ohne diese Praktiken der Absatz der überschüssigen Getreidemengen? Daher auch ist es undenkbar, daß Herr Gamp für die Gestaltung der Preise des Roggens:c. ein" Art polizeilicher Sittenkontrolle einführe, wovon jüngst die Rede war. Bei dem Effektenverkehr aber ist die Terminspekulation ohne Frage überwiegend schädlich, ja sie ist einfach übrig. Wollte aber Jemand auftreten und die Forderung stellen, der Staat solle das Differenz- spiel in Effekten besteuern, so würde ein Schrei der Ent- rüstung durch die heutige Gesellschaft gehen und von allen Seiten würden die Beschützer der Börse hervortreten, um dagegen zu frondiren. Daher macht der Staat solche Versuche gar nicht erst. Besteuern thut er ja wohl auch das Zeitgeschäft. Wer z. B. 15 000 eines Papiers(das kleinste Quantum auf Zeit) ersteht, der hat an Stempel- abgaben, je nach der Kurshöhe 1 Mk. bis höchstens 6 Mk. zu entrichten. Ob das eine Steuer im Sinne der Steve- rung des Spielunfugs ist, das mag der Leser selbst be- urtheilen. Wer z. B. Mk. 15 000 Harpener Aktien handelt, eines Effekts, das in der Minute oft 3— 4 pCt. schwankt, in mancher Börse aber 20 pCt. und mehr Schwankungen macht, d. h. bis zu 3000 Mk. Differenzen, der wird die Steuer von 4 Mk. auf 15 000 Mk. Harpener Aktien doch gewiß als keine Last empsinden, sondern nur als Ironie. Aehnlich verhält es sich mit allen Werthen. Wer solche der Schwankungen von Hunderten und Tausenden von Mark wegen kauft, der wird sich durch eine Steuer von 4 Mk. ganz sicher nicht von dem Kauf abhalten lassen. Dieselbe müßte, wenn sie ernst wirken sollte, auf 50 und 100 Mk. gehalten sein. Hier könnte Herr Miquel eine sehr ergiebige Steuerquelle anbohren. Wir denunziren sie ihm hiermit. Das legitime Kassageschäft in Aktien aber könnte diesen Stempel auch ohne Schaden tragen. Den Stempel für Staalspapiere und andere festverzinsliche Werthe brauchte man ja nur niedriger zu halten. Doch wir wissen, daß der Börse kein Haar gekrümmt werden wird, da der Handel an derselben in so hohem Grade das Wesen der heutigen Gesellschaft ausmacht, daß er nur mit ihr zusammen fallen wird. Die Dinge liegen heute so, daß wir heute ohne Spekulation keinen für die allgemeinen Bedürfnisse ausreichenden effektiven Handel haben könnten. Daher fördert man, indem man diesen beschützt, zugleich den Spekulationshandel, ohne aber die Auswüchse des letzteren zu vernichten, was durchaus nicht so schwer wäre, als man sich das denkt. Das große Geheimniß des trefflich sicher arbeitenden Börsenorganismus aber ist die Börsenpresse, die das ganze Land umfaßt und durch und durch korrumpirt ist. Sie dient dazu, das große Publikum, das dem gedruckten Wort kritiklos vertraut, irrezuführen und nach derjenigen Richtung zu dirigiren, nach welcher die Börsenjobber es engagirt wissen wollen. Bekannt ist, daß die großen Börsenblätter ihren Handelstheil mit wenigen Ausnahmen nicht von den Redaktionen selbst herstellen lassen, sondern daß 9/io desselben von den Aktiengesellschaften, von den Direktionen der Banken, den Großspekulanten zc. gefertigt wird und daß die den Börsenblättern solchergestalt zuge- tragenen Mittheilungen— der terminus technicus hierfür ist Waschzettel— ohne Kritik Aufnahme finden, lind nun muß man bemerkt haben, wie fanatisch diese Tendenz- Nachrichten, die natürlich nur das enthüllen, was die Ver- fertiger für gut befunden haben, von jener urtheilslosen Masse gelesen werden und welches Unheil dadurch ange- stiftet wird. Selbstredend haben die„Eingeweihten" schon vorher darauf operirt, sodaß die Nachzügler die Geprellten sind. Giebt es doch allein an der Berliner Börse zirka 40 solcher„Fachblätter", welche von der Gnade und der Beute der Börsenbarone vegetiren. Das Vergnügen, gegen den Strich zu gehen, kann sich nur eine ganz große Zei- tung leisten, und auch dies geschieht sehr selten. Zuweilen kommt es aber doch vor, und in der Redaktion der.,Ber - liner Börsen-Ztg.", die sich so aufbläht, wenn von der Moral die Rede ist, soll das zuweilen der Fall sein. Natürlich ist eine dauernde Feindschaft zwischen Kapitalisten und Jobberzwecken dienenden Organe aber nicht denkbar und deshalb ist jetzt auch die harmonische Eintracht zwischen„Berliner Börsen-Ztg." und der Firma S. Bleichröder längst wieder hergestellt. Mitunter gebt die Prostitution der Kapitalistenpresse sogar soweit, daß sie sich wie wirkliche Prostituirte einen Zuhälter halten, für dessen Interessen sie kämpfen, d. h. für den sie arbeiten, indem sie ihm die Opfer in die Netze locken. Und nennt man die besten Namen, so wird auch meiner genannt. mag sich das„Kleine Journal" sagen. Man sieht also. es liegt Methode und Gewinn in dem Gebahren unserer Bourgeoispresse. So arbeitet alles zusammen, Tradition, Gesetzgebung und Presse, um die Börsenspekulation zu einer Institution zu erheben, vermittelst welcher die mittleren Schichten ausgeplündert werden. damit einzelne Kapitalisten- gruppen und Börseninteressenten enorme Reich- thümer ansammeln. Und wenn das Börsengefüge bei uns auch noch nicht so vollendet raffinirt ausgebildet ist. wie in Amerika , so besorgt es doch ziemlich sicher und rasch die Konzentration des Kapitals, die Bereicherung eines kleinen Raubritterthums auf Kosten der Allgemein- heit, und deshalb begrüßen wir die Börse kollegialisch als den Todtengräber(der heutigen Gesellschaftsordnung. Haushaltungsbudget eines Handlungsgehilfe». In Leipzig wurde vor einiger Zeit von einem ein- fach lebenden jungen Kaufmann eine Zusammenstellung seiner Ausgaben gegeben, welche beweist, daß das Durch- schnittseinkommen der Handlungsgehilfen nicht ausreichend ist. Er stellt folgende Rechnung auf: Wohnung: inkl. Kaffee und Bedienung pro Monat Mk. 13,— Frühstück: pro Tag nur 15 Pf.„„„ 4,50 Mittagsbrot: inkl. 1 Glas Bier Wochentags zu 65 Pf., 27 mal 65— 17,55 Sonntags zu 75„„ 4= 3,— pro Monat Mk. 20,50 Vesper: pro Tag 15 Pf."mal 30—„„„ 4,50 Abendbrot: bestehend aus Butterbrot und Zukost, ohne Bier zu 20 Pf. pro Monat Mk. 6,— Kleidung: pro Jahr 1 Anzug zu 60 Mk. 1 Soinmeranzug zu 45 Mk. alle 3 Jahre 1 Winter-Ueberzieher zu 60 Mk. 1 Sommer-Neberzieher zu 45 Mk. pro Jahr 2 Hüte 6,— 12,— 1 Paar Stiefel 16,— 1 Paar Schuh 6,— 174,— pro Monat Mk. 14,50 Reparatur: an Schuhwerk„„„ 3,50 Wüsche inkl. Ausbessern pro Woche 75 Pf.„„„ 3,— Neuanschaffungen: an Wäsche, Strümpfen, Kravatten, Handschuhen, Unterkleidern pro Monat Mk. 2,— Steuern: Staatssteuer Mk. 12,— städtische Anlage»„ 12,— pro Jahr Mk. 24,— pro Monat Mk. 2,— Feuerung, Licht, Seife:c.„„ Mitgliedsbeitrag: beim Uuterstützuugs-Verein f. Hdlgsgeb. Mk. 3,— 2,- bei der Krankenkasse beim Verband deutscher Hdlgsgehilfen 16,- 5- Nothwendiger gesellschaftlicher Aufwand: 2 Abend in der Woche Bierflat 3 Glas Bier Mk.—.45 etwaiger Verlust,—,15 60 mal 9= Mk. 5,40 Sonntags: Besuch eines Konzertes oder Theaters durchschnittlich Mk.-,60 4 Glas Bier. — ,60 4 Cigarren ä 6 Pf.„— ,24 1,44 mal 4=„ 5,76 peo Tag 1 Cigarre, außer Sonntags (wird entweder mittags oder abends, ev. auch getheilt ger.) zu 6 mal 26— Mk. 24,- pro Monat 1,56 pro Monat 12,72 Summa. 94,77 Man sieht also, daß 100 Mark pro Monat Gehalt auch bei dem geringsten Kommis nur knapp ausreicht— und wie viele Kaufleute haben noch nicht 100 Mark monatlich?____(Wähler.) Die Kiihne in der englischen Tertil- Industrie. In seinen beiden soeben erschienenen Reports be- rechnet Giffen die Löhne der Arbeiter in der Textil- Industrie in England durchschnittlich auf: jährlich Erwachsene männliche Arbeiter 65 12 Jugendl. männliche Arbeiter. 24 4 Frauen........ 39 15 Mädchen....... 17 17--- Das„Handelsmuseum", das diese Zahlen mittheilt, hält dem die im Verhältniß dazu ungemein niedrigen Löhne auf dem Kontinent entgegen. Nach seiner Angabe verdient ein Wollsortirer in österr. Gulden jährlich in Bialystok 112,60—150. Bielitz . Biala, Troppau , Jägerndorf 150— 180. Reichenberg 154— 184. Brünn 175,40. Aachen 264. Cottbus 297. Verviers 337. Eldoeuf 684. Huddersfield 711. Leeds 794.,. Am schlechtesten rangirt demnach Rußland , dann kommt Oesterreich . Deutschland , Frankreich , und am höchst'.!: steht England wöchentlich Pfd.sh. d. 1 5 3 0 9 4 0 15 3 0 6 10
Ausgabe
5 (9.5.1891) 19
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