Oeibkatt zur Ikrliucr Düllis-tEritiiiue
31.
Sonnabend, den 1. August 1891.
V. Jahrgang.
Fra« FitiKettstei« an ihre Tochter Ena. Höre, Kind, und laß dir sagen, Was zu dir die Mutter spricht: Einen Namen sollst du tragen, Einen Namen von Gewicht! Herr von Prittwitz-Prattwitz-Prottwitz— Warb vertraut um deine Hand, Dem die Kittwitz-Kattwitz-Kottwitz, Hörst du? Kottwitz!— stammverwandt. Und vernimm, was ich dich lehre! Wisse, Tochter, solch ein Mann Ist die allergrößte Ehre, Die uns widerfahren kann. Alter Adel— welche Wonne! Blaues Blut— nun wird es dein! Herrlich strahlt des Glückes Sonne Ueberni Hause Finkenstein. Eva, Eva, laß dich preisen, Zogst du doch ein großes Loos, In den allerhöchsten Kreisen Trägt man nun dich auf dem Schooß. Der Gesellschaft stolze Spitzen Küssen— Evchen!— dir die Hand, Deine Diamanten blitzen Weit hinaus ins Vaterland. Keiner fragt, was wir gewesen, Wenn der Herr uns so erhöht, Daß im Winkel hinterm Tresen Tüten, Tüten wir gedreht. Keiner fragt, wie wir geworden, Was wir, Gott sei Lob, nun find, Vor dem Glänze unsrer Orden Werden alle Eulen blind. Was verziehst du so dein Mäulchen? Daß nicht jung mehr der Gemahl! Ach, du bist ein kindlich Veilchen— Daß sein Witz ein wenig schal? Geistreich strömt's von allen Seiten Für süperbe Kost dir zu— Kleinigkeiten, Kleinigkeiten! Welch ein dummes Ding bist du!
So, jetzt laß ich dich alleine— Prottwitz bleibt nach dem Souper; Du verstehst wohl, was ich meine? Sprich nur Ja— noch mal: o je?! Seufzer sind hier überflüssig, Laß doch den Poetenkohl! Dein Papa und ich find schlüssig, Das genügt dir, lebe wohl! Carl Henckell.
Mas sollen Wir also thnn! Bon Graf Leo Tolstoi . Deutsch von August Scholz. in. Als ich an jenem Abend aus dem Ljapinschen Hause zurückgekehrt war, traf ich einen Freund und erzählte ihm von meinen Eindrücken. Mein Freund, ein Städter von Geburt, sagte mir nicht ohne Genugthuung, daß dies nne durchaus natürliche Erscheinung des städtischen Lebens sei, daß ich nur von meinem beschränkten Pro vinzialstandpunkte aus etwas Besonderes an der Sache fände, daß es immer so gewesen sei und immer so sein werde, daß es so sein müsse, und daß es eine unaus- bleibliche Folge der Civilisation sei. In London lägen die Dinge noch ärger.... es sei also nichts Schlimmes dabei, und ich hätte keinen Grund, mir die Sache nahe gehen zu lassen. Ich begann meinem Freunde zu widersprechen, und Zwar mit solchem Eifer und solcher Heftigkeit, daß meine Frau aus dem Nebenzimmer herbeieilte und fragte, was ks denn gebe. Es stellte sich heraus, daß ich, ohne es selbst zu bemerken, mit thränenerstickter Stimme auf weinen Freund losschrie und dabei die heftigsten Arm- bewegungen machte. Ich schrie:„So darf man nicht leben, man darf es nicht, darf nicht!" Man tadelte mich wegen meines überflüssigen Eifers, sagte mir, oaß ich über nichts in Ruhe sprechen könne, daß meine Aufgeregtheit einen unangenehmen Eindruck wache und bewies mir schließlich, daß daß Vorhandensein solcher Unglücklichen mir durchaus keinen Grund gebe, das Leben mir nahestehender Personen zu vergiften. Ich fühlte, daß alle diese Vorhaltungen ihre Be- s�chtigung hatten, und ich schwieg. In der Tiefe meiner Seele aber hatte ich das Gefühl, daß auch ich Recht hatte, und ich konnte mich nicht beruhigen. Das Leben der Stadt, das mir bereits vorher recht absonderlich und seltsam vorgekommen war, ward mir letzt so zuwider, daß alle jene Annehmlichkeiten eines üppigen Lebens, die nur früher als Annehmlichkeiten erschienen waren, jetzt förmlich zur Qual für mich wurden. Und so sehr ich mich auch bemühte, in meiner Seele auch nur eine Spur von Rechlfertigung für unser üppiges r-eben zu finden, so konnte ich doch weder unseren eigenen voch einen fremden Empfangssalon, weder ein? sauber gedeckte herrschaftliche Tafel noch eine Equipage mit wohlgepflegten Pferden u.:d feinstem Kutscher, weder e>nen Schauladen noch ein Theater oder ein Klublokal sehen, ohne eine lebhafte Aufregung zu enipfinden. Immer . ud immer wieder mußte ich neben all diesen Dingen �ve hungrigen, erfrorenen, tief erniedrigten Bewohner
des Ljapinischen Hauses sehen. Ich konnte mich nicht von dem Gedanken losmachen, daß diese beiden Er- scheinungen im engsten Zusammenhang mit einander standen, daß die eine nur die Folge der anderen sei. Ich erinnere mich, daß jenes Gefühl meiner Mitschuld an diesen Dingen vom ersten Augenblick seines Entstehens an für immer in mir verblieb, daß jedoch zu diesem Ge- fühle sich sehr bald ein zweites Gefühl gesellte, durch welches jenes erste Gefühl gleichsam verschleiert wurde. Als ich mit meinen näheren Freunden und Be- kannten über die Eindrücke sprach, die ich im Ljapinschen Hause empfangen hatte, antworteten sie mir alle ganz dasselbe, was bereits mein erster Freund, gegen den ich so heftig gewesen, geäußert hatte. Doch fügten sie zu ihren Worten noch eine Anerkennung meiner Herzens güte und meines gefühlvollen Gemüthes hinzu und gaben mir zu verstehen, daß jener Anblick nur deshalb so tief auf mich gewirkt hätte, weil ich, Lew Nikolajewitsch, ein sehr gutmüthiger und weichherziger Mensch sei. Ich war sogleich geneigt, ihnen in dieser Hinsicht vollkommen Glauben zu schenken, und ehe ich mich versah, hatte sich jenes Gefühl des Vorwurfs und der Reue, welches ich Anfangs empfunden hatte, in ein Gefühl der Selbst- zufriedenheit, der Bewunderung meiner Tugend, und des lebhaften Wunsches, diese meine Tugend vor der Welt zu zeigen, verwandelt. In der That, sagte ich mir, ist wohl an jenem Gegensatz nicht so sehr mein üppiges Leben schuld, als vielmehr die allgemeinen und unveränderlichen Bedin- gungen des menschlichen Lebens überhaupt; eine Aenderung meines Lebens könne also jenes Nebel, das ich gesehen, nicht ändern. Wenn ich nun mein Leben ändere, mache ich nur mich selbst und meine Ange- hörigen unglücklich, während jenes Elend ganz genau dasselbe bleibt. Meine Aufgabe, so folgerte ich weiter, besteht also nicht darin, daß ich, wie ich anfangs wohl für noth- wendig gehalten hatte, mein Leben von Grund aus ändere, sondern darin, daß ich, soweit es in meinen Kräften steht, dazu beitrage, daß die Lage jener Unglücklichen, welche mein Mitleid erregt hatten, möglichst verbessert würde. Die ganze Sache läuft darauf hinaus, daß ich Persönlich ein sehr guter, weichherziger Mensch bin und den Wunsch hege, meinem Nächsten Gutes zu thun. Und ich begann einen groß angelegten Plan zur Ausübung von allerhand Wohlthaten auszuarbeiten, der mir die Möglichkeit geben sollte, meine ganze Tugend und Menschenfreundlichkeit an den Tag zu legen. Ich muß allerdings gestehen, daß ich auch beim Entwerfen dieses Wohlthätigkeitsplanes in der Tiefe meiner Seele beständig das Gefühl hatte, daß ich mich auf falschem Wege befinde, aber wie das so häufig geschieht, so übertönte auch jetzt die Stimme des Ver- standes und der Phantasie jene andere Stimme des sich in mir regenden Gewissens. In jener Zeit sollte gerade eine Volkszählung ab- gehalten werden, dieselbe schien mir zur Jnswerksetzung meines Planes ganz besonders geeignet. Ich kannte zahl- reiche Institute und Gesellschaften in Moskau , die sich mit dem Wohlthun beschäftigten, doch schien mir ihre ganze Thätigkeit sich in falscher Richtung zu bewegen, und überdies erschien sie mir recht armselig im Vergleich zu dem, was ich im Sinne hatte. Ich hatte mir Folgendes ausgedacht: ich wollte in den Reichen ein Mitgefühl 'ür diese großstädtische Armuth erregen, wollte Geld ammeln, wollte Leute um mich schaaren, die geneigt wären, mich bei meinem Werke zu unterstützen. Bei Ge- egenheit der Volkszählung nun wollte ich alle Schlupf- Winkel der Armuth aufsuchen und neben der Arbeit des Zählens in einen näheren Verkehr mit jenen Unglücklichen treten, ihre Roth mit allen Einzelheiten kennen lernen und ihnen mit Geld, mit Arbeit, mit Unterstützungen zur Heimreise, mit Aufnahme der Kinder in die Schulen und der Greise und Greisinnen in die Spitäler helfen. Ja, nicht genug daran, gedachte ich aus den Personen, die ich bei Gelegenheit der Volkszählung mit dieser Sache lesassen würden, ein ständiges Komitee zu bilden, welches 'ich über ganz Moskau vertheilen und darauf achten ollte, daß Elend und Armuth sich nicht einnisten, welches dem Elend schon in seinem Entstehen, sozusagen im Keime, auf den Leib rücken und nicht sowohl eine Heilung des lebels, als vielmehr eine Hygiene des städtischen Elends begründen würde. Ich stellte mir bereits vor, daß es, von den Bettlern zu schweigen, überhaupt keine Armen und Bedürftigen mehr in Moskau geben würde, und daß ich der Urheber dieses glücklichen Zustandes sein würde, und daß wir Reichen dann ruhig in unseren Salons itzen und Diners zu fünf Gängen essen und in prächtigen Karossen nach dem Theater und zu den Bällen fahren würden, ohne uns durch solche Bilder des Elends, wie ich sie im Ljapinschen Hause gesehen, fürderhin die Laune verderben zu lassen. Nachdem ich diesen Plan entworfen hatte, schrieb ich im Sinne desselben einen Aufsatz, den ich. bevor ich ihn in Druck gab, meinen Bekannten, aus deren Mit- Wirkung ich rechnete, vorlesen wollte. Zu allen, die ich an jenem Tage sah— und es waren zumeist reiche Leute sprach ich stets ein und dasselbe, und zwar deckten
sich meine Ausführungen fast vollständig mit dem Auf- satz, den ich später niederschrieb. Ich machte den Vor- schlag, die Gelegenheit der Volkszählung zu benutzen, um das Elend in Moskau kennen zu lernen und ihm theils durch Geld, theils auf andere geeignete Weise abzuhelfen, damit es in Zukunft in Moskau keine Armen mehr gäbe und wir Reichen mit ruhigem Gewissen die uns lieb ge- wordenen Güter des Lebens genießen könnten. Alle hörten mich mit Ernst und Aufmerksamkeit an, doch machte ich bei allen ohne Ausnahme eine und dieselbe Erfahrung. Sobald sie vernahmen, um was es sich handelte, machten sie ein verlegenes Gesicht, und zwar schienen sie Haupt- sächlich um meinetwillen verlegen zu sein— es war ihnen offenbar peinlich, mich Albernheiten reden zu hören, von denen man mir indessen nicht so ohne weiteres ins Gesicht sagen konnte, daß es Albernheiten wären. Irgend ein äußerer Grund zwang meine Zuhörer, zu diesen meinen Albernheiten ihre Zustimmung zu geben. „Ach ja! Ganz gewiß! Das wäre sehr schön," sagte man mir.—„Es versteht sich von selbst, daß man sich für diese Idee interessiren muß. Ohne Zweifel, Ihr Ge- danke ist sehr schön, und ich habe mich schon selbst mit ähnlichen Plänen getragen, indessen... es giebt so viel gleichgiltige Menschen bei uns, daß ein großer Erfolg kaum zu erwarten ist. Uebrigens, was mich anlangt, so bin ich selbstverständlich bereit, mich an der Sache zu betheiligen." So oder ähnlich drückten sich alle aus. Alle zeigten sich bereit, doch schien mir ihre Bereitwilligkeit nicht aus Ueberzeugung und eigenem Wunsche hervorzugehen, son- dern aus einem rein äußerlichen Grunde, der ihnen nicht gestattete, sich auszuschließen. Ich ersah das schon aus dem einen Umstände, daß nicht ein einziger von den- jenigen, die mir für meinen Plan Geld zu geben ver- sprachen, selbst die Summe bestimmen wollte, die er zu geben bereit war, so daß ich selbst die Summe feststellte, indem ich fragte:„So kann ich also von Ihrer Seite auf 300, oder auf 200, oder auf 100, oder auf 25 Rubel rechnen?" Und nicht ein einziger von ihnen gab mir sogleich Geld. Ich hebe das deshalb hervor, weil doch die Leute, wenn es sich um eine Sache handelt, die sie ganz be- sonders wünschen, sogleich mit Geld bei der Hand sind, um sich den Besitz der gewünschten Sache nur ja zu sichern. So kann man, wenn es sich um eine Loge zu einer Vorstellung der Sarah Bernhardt handelt, nicht schnell genug sein Geld los werden, um nur ganz gewiß ein Billet zu bekommen. Hier aber beeilte sich von all den Personen, die mir Geld versprachen und auch ihre Sympathie ausdrückten, nicht eine einzige mit der Be- zahlung, sondern nur schweigend stimmten sie der Summe zu, die ich festgesetzt hatte. In dem letzten Hause, in welchem ich am Abend enes Tages war, traf ich zufällig eine große Gesellschaft. Die Besitzerin dieses Hauses beschäftigte sich bereits seit einigen Wochen mit allerhand wohlthätigen Veranstaltun- gen. Vor dem Hause hielten etliche Equipagen, im Vor- zimmer saßen ein paar Lakaien in theuren Livreen. In einem großen Gastzimmer mit zwei Tischen und etlichen Lampen saßen einige ältere Damen und junge Mädchen in feinen Toiletten und beschäftigten sich damit, kleine Puppen anzukleiden, während ein paar junge Leute für die Unterhaltung der Damen Sorge trugen. Die Puppen, welche von diesen Damen angefertigt wurden, sollten in einer zum Besten der Armen veranstalteten Lotterie ver- lost werden. Der Anblick dieses Gastzimmers und der in dem- selben versammelten Menschen machte auf mich einen sehr unangenehmen Eindruck. Ich will weder davon sprechen, daß das Vermögen dieser Leute mehrere Millionen be- trug, noch davon, daß allein die Prozente des Kapitals, welches hier auf Kleider. Spitzen, Bronzen, Wagen, Pferde, Livreen, Lakaien ausgegeben wurde, hundertmal mehr betrugen, als jener alberne Tant Werth war, den diese Damen anfertigten— von alledem will ich nicht sprechen, da ja doch schon das Geld, welches diese Damen und Herren bedurften, um ihre Handschuhe, ihre Wäsche, ihre Herfahrt zu bestreiten, welches die Wirthin ausgab, um die Kerzen, den Thee, den Zucker und das herum- gereichte Gebäck zu bezahlen, ganz allein hundertmal mehr betrug, als hier verdient wurde. Ich sah das alles und hätte mir wohl sagen können, daß ich hier für meine Sache kein Mitgefühl finden würde; allein ich war ein- mal hergekommen, um meine Angelegenheit zur Sprache zu bringen, und so schwer es mir auch wurde, brachte ich doch alles ganz genau so vor, wie bei den Andern, und fast Wort für Wort so, wie ich es später in dem Aufsatze niederschrieb. Von den Anwesenden versprach mir eine Dance Unterstützung durch Geld, indem sie hinzufügte, daß sie selbst wegen ihrer Empfindlichkeit nicht im Stande sei, Besuche bei den Armen zu machen. Geld, wie gesagt, wolle sie geben, aber wieviel und wann, daß verschwieg sie. Eine andere Dame und einer der jungen Herren versprachen mir. etwa nothwendige Besuche bei den Armen zu machen; ich sah mich jedoch nicht veranlaßt, von ihrem Anerbieten Gebranch zu machen. Die Hauptperson, an