gänzlich ausgeschlossen. Wir haben zwar von allen Parteien den stärksten Anhang im Volke, und man sollte meinen, deshalb müßte auch im Heere eine außerordentlich große Zahl Sozialdemokraten stecken. Allein erstens rekrutirt sich das Heer verhältnißmäßig mehr aus der konservativen Landbevölkerung, als aus der sozialdemo- kratischen Jndustriebevölkerung; zweitens aber tritt in den Gesinnungen von neun Zehnteln der Leute, welche für uns wählen, eine Aenderung ein, so lange sie im bunten Rock stecken. Der soldatische Geist ist eine nicht zu unter- schätzende Macht. Ja, wenn alle sozialdemokratischen Wähler zielbewußte und energische Sozialdemokraten wären; wenn alle Leute im Stande wären, sich von dem Geist der Umwelt frei zu halten und also den soldatischen Geist nicht auf sich wirken zu lassen und wenn alle Leute den Muth hätten, ihre Ueberzeugungen auch praktisch zu machen. Der einzige Erfolg wäre, daß einzelne besonders tüchtige Genossen, die den Muth hätten, ihre Absicht durchzuführen, erschossen würden, daß in einigen Kom- pagnien vielleicht Tumulte vorkämen, die gleichfalls auf die probate militärische Manier beigelegt würden und das wäre eben alles. Aber was sollen wir denn nun thun? In der angenommenen Resolution wird darüber nichts gesagt, und wir stimmen da mit Nieuwenhuis voll- kommen überein, daß das etwas wenig ist. Daß die Kriege erst aufhören, wenn die Sozialdemokratie zur Herrschaft gelangt ist, halten wir zwar für sehr richtig. aber wir glauben, daß das schon Jeder vorher gewußt hat, und daß man deshalb keinen internationalen Kongreß zu besuchen braucht. Nach unserer Meinung ist die Resolution deshalb von so ungenügender Allgemeinheit, weil die Frage zu allgemein gefaßt war.Der Krieg" ja, darüber läßt sich eben alles sagen, und deshalb läßt sich nichts darüber sagen. Wir glauben nicht, daß es die Aufgabe eiues Kongresses sein kann, sich in derartigen Allgemeinheiten zu ergehen. Hätte man einfach gesagt:der nächste Krieg". Der geht uns ja doch blos allein an; was nachher kommt, darüber können wir ja sprechen, wenn es so weit ist. Nun, und da hätten sich wohl eine ganze Menge positive Resultate ergeben. Im Interesse des Proletariats liegt es, daß der nächste Krieg Rußland unschädlich macht. Zu dem Zweck hat das Proletariat in allen Ländern alle Mittel aufzu- wenden, die es aufwenden kann: erstens Frankreich an einem Bündniß mit Rußland zu verhindern, eventuell zu einem Bündniß mit Deutschland zu bringen, und zweitens England zum Anschluß an die russenfeindlichen Mächte zu bewegen. Wir verhehlen es uns durchaus nicht, daß der Ein- fluß des Proletariats auf derartige Haupt- und Staats- aktionen nur sehr schwach ist. Aber geschickt angewendet, kann es doch etwas erreichen. Daß sich die deutsche Regierung die Sache überlegen wird, wenn das Proletariat häufiger Sympathie-Kund- gedungen für Frankreich macht, glauben wir ganz be- stimmt; und daß die französischen Arbeiter in ähnlicher Weise auf ihre Regierung drücken können, ist auch sicher. Irgend eine Grenze hat die Widerstandskraft; und so ganz werthlos ist die Ansicht des Proletariats denn doch nicht die Soldaten sind eben auch Proletarier; und wenn es auch nicht gerade zum gröve militaire kommt, so genügt doch schon, daß sie mit Widerwillen in die Schlacht ziehen, um die Regierenden ihre Ohren ihren Wünschen nicht ganz zu verschließen. Das englische Proletariat aber hat es in der Hand, im Kriegsfall durch Streiks eine Pression auf ihre herrschende Klasse auszu- üben. Wie gesagt, viel ist das ja nicht; aber es ist das Einzige, was wir thun können. Die Entscheidung über Krieg und Frieden im Drogrammentwurf. Ein Beitrag zu seiner Kritik. IL H. M. In unserem ersten Artikel führten wir den Nachweis, daß die Forderung des Programmentwurfs: Entscheidung über Krieg und Frieden durch die gewählten Vertreter des Volks" sowohl vom praktischen wie prin- zipiellen Standpunkte beurtheilt, durchaus unzulänglich fei und als ein verfehlter Kompromiß Niemanden be- friedigen könne. Die Frage ist nun, was wir an die Stelle jener unhaltbaren Forderung setzen sollen? Die Programme der französischen, österreichischen, schweizerischen und amerikanischen Sozialdemokratien (andere sind uns im Augenblick nicht zur Hand) machen sich die Sache in diesem Punkte bequem; sie gehen mit Stillschweigen darüber hinweg. Von ihnen also können wir uns keinen Rath holen und nichts Neues lernen. Da fragen wir uns denn zunächst: sollen wir die Forderung des alten Gothaer ProgrammsEntscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk!" in das Nene hinübernehmen? In seiner Kritik des Parteiprogramms auf dem Hallenser Kongreß wußte Liebknecht gegen diesen Satz nichts anderes zu sagen, als daß erZukunftsmusik im verwegensten Sinne des Wortes" sei. Uns will es bedünken, daß das kein besonders ge- wichtiger Vorwurf für eine sozialdemokratische Programm-

forderung ist. Wenn man nichts anderes gegen sie sag.n konnte, so könnte man sie getrost in das neue Programm hinübernehmen, denn alle Forderungen des letzteren sind doch ohne Ausnahme Zukunftsmnsik! Was nun den Einwand betrifft, der, gestützt auf den Stand der modernen Kriegstechnik, die Nothwendig- keit einer schnellen Entscheidung geltend macht,*) so würden wir es begreifen, wenn er von einem Gegner der Sozial- demokratie und einem Freund des Militarismus erhoben würde. Unbegreiflich aber ist es uns, daß ihn ein Sozialdemokrat und ein Gegner des Milita- rismus, daß ihn ein Bebel erheben kann! Stellt man sich auf den Standpunkt des modernen Militarismus, so ist jener Einwand durchaus richtig und zutreffend. Für einen General, der den Krieg als eine Nothwendigkeit, wenn nicht gar als eine Wohlthat an- sieht, und der die stehenden Heere erhalten will, ist die Logik Bebels zwingend. Ein Mensch mit solchen An- sichten kann nicht anders, als die Forderung:Ent- scheidung über Krieg und Frieden durch das Volk" als unzweckmäßig und utopistisch verwerfen. Ein Sozial- demokrat aber steht doch nicht auf dem Standpunkte eines Generals, sondern auf einem gerade entgegengesetzten, er will die stehenden Heere abschaffen, nicht erhalten, den Krieg unmöglich machen, nicht ihn herbeiführen. Er muß auch bei der Beurtheilung von Forderungen von seinen Prinzipien ausgehen, nicht von denen des Generals. Dabei ist es vollkommen gleichgiltig, daß die Prinzipien des Generals Fleisch und Blut angenommen haben, in der Wirklichkeit herrschen, während die des Sozialdemokraten nur erst in seinem Kopfe existiren. Die Forderungen der Sozialdemokratie dürfen nicht nach der Wirklichkeit beurtheilt werden; wollte man das, so müßten wir sie sämmtlich verwerfen, denn sie stimmen nicht mit ihr überein, sie alle sind in der heute bestehenden Gesellschaftsordnung thatsächlich unmöglich. Den Maß- stab für die Beurtheilung unserer Forderungen bilden unsere Prinzipien, deren Realität wir in Gedanken voraussetzen müssen. Lassen sich mit diesen unsere Forderungen vereinigen, dann sind sie für uns zulässig, dann dürfen wir sie erheben; aber stimmen sie mit diesen nicht überein, so müssen wir sie verwerfen. Es wäre noch schöner, wenn wir die bürgerliche Gesell- schaftsordnung mit ihren Gebrechen und Auswüchsen zum Maßstab unserer Forderungen machten, dieselbe Gesell- schaftsordnung, die wir beseitigen wollen. In diesen gröbsten aller Fehler verfällt aber Bebel, indem er den Grund gegen eine sozialdemokratische Forderung dem Militarismus entnimmt, dem- selben Militarismus, den er verwirft, bekämpft, beseitigen will! Das macht doch gerade den Sozialdemokraten aus, daß er die Welt nach sozialistischen Grundsätzen beurtheilt und umzugestalten strebt. Das giebt ihm das Recht, macht es ihm aber auch zur Pflicht, bei seinen Bestrebungen nichts mit in den Kauf zu nehmen, was diesen Grund- sätzen zuwider läuft. Er soll und darf sich, wo es sich um prinzipielle Prvgrammforderungen handelt,der Wirk- lichkeit" nicht anpassen; thäte er das, so wäre er kein Revolutionär mehr, sondern nur ein armseliger Reformer! Ist es aber etwas anderes, als ein Anpassen an die Wirklichkeit", wenn Bebel aus den von ihm an- geführten Gründen nicht mehr das Volk über Krieg und Frieden entscheiden lassen will, sondern seine Ver- treter? Wir halten nach dem Gesagten die Bebel'sche Kritik der alten Forderung: Entscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk, nicht nur für vollkommen ver- kehrt, sondern auch für unsozialistisch Damit wollen wir uns aber durchaus nicht zu ihrem Vertheidiger aufgeworfen haben. Auch mir sind gegen die Entscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk, ab.r aus ganz anderen Gründen, als Bebel, Liebknecht und die übrigen Verfasser des Pro- grammentwurfs. Sie scheint auf den ersten Blick recht unschuldig, bieder und demokratisch, hat aber trotzdem eine ganz b'e- denkliche Seite. Wenn wir die Entscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk verlangen, so gestehen wir diesem damit das Recht zu, ein anderes Volk beliebig anzugreifen. Wir proklamiren es gleichsam als ein Souveränetätsrecht des Volkes, zu den Waffen zu greifen, wenn es ihm gefällt, und zum Krieg auszuziehen. Denn darf das Volk überhaupt zwischen Krieg und Frieden wählen, so hat es doch ein Recht zum Krieg. Wir stellen uns damit auf den Boden des heutigen Völkerrechts, ja

*) Bebel äußerte sich in seiner Rede über den Programm- entwurf am 16. Juli d. I., die er in einer Versammlung des sozialdemokratischen Wahlvereins für den ersten Berliner Reichs- tags-Wahlkrcis hielt, über die in Frage stehende Programm- sorderung solacndermasten:Wir verlangen jetztEntscheidung über Krieg und Frieden durch die gewählten Vertreter des Volkes", mährend es früher hieß:durch das Volk". Das frühere ist falsch- Durch das Volk Krieg zu erklären oder Frieden zu schließen ist nicht durchführbar. Man denke sich der Sachlage gegenüber, wir geriethcn mit einem anderen Volk in Streit, der durch einen Krieg geschlichtet werden müßte. Wollte nian da nun erst das ganze Volk über Krieg oder Frieden abstimmen lassen, so würde man es auch erst über die Streitfrage aufklären müssen; das erfordert aber bei einem Volke von 50 Millionen Wochen und Monate, und unterdessen würde der Feind einen bedeutenden Vorsprung gewinnen und das ctgcne Volk durch seine Abstimmung benachtheiligt sein. Für den Kriegsfall würde man den gewählten Vertretern des Volkes auch wirklich die Ver- tretung des BolkeS einräumen, damit die Regierung wenigstens nicht allein über Krieg und Frieden zu entscheiden hat. Vor- läufig hat die Volksvertretung bei Kricgsftagen weiter kein Recht, als die Gelder zu bewilligen".(Vgl.Vorwärts" Nr. 165 vom 18. Juli 1891.)

gehen eigentlich noch über dasselbe hinaus. Auch das moderne Völkerrecht gesteht jedem souveränen Staate das Recht auf Krieg(das jus armorum, wie Hugo Grotius es nannte) zu; aber es knüpft dieses Recht noch an ge- wi ie Bedingungen. Danach darf jeder souveräne Staat nur dann zu den Waffen greifen und Krieg erklären, wenn es sich um Vergeltung erlittener(thatsächlicher oder vermeintlicher) Rechtsverletzungen oder um Abwehr widerrechtlicher, gewaltsamer Angriffe seitens eines anderen souveränen Staates handelt. Das Völkerrecht findet also nur Vertheidigungskrieg für rechtlich zulässig, während in der FormelEntscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk" die rechtliche Verwerflichkeit von An- griffskriegen zum mindesten nicht ausgesprochen ist, und sie jedenfalls so gedeutet und ausgelegt werden könnte, als seien Angriffskriege nach ihr erlaubt. Wir wollen gerne zugestehen, daß die ganze Unter- scheidung von Angriffs- und Vertheidigungskriegen so gut wie gar keine praktische Bedeutung hat. Da die Staaten in internationalen Rechtsstreitigkeiten thatsächlich noch wenn auch nicht mehr moralisch ihre eigenen Richter und Kläger sind, so wird jeder von ihnen gegebenen Falles den unternommenen Krieg als einen ihm durch Beleidigungen, Drohungen oder Rechtsverletzungen auf- gedrungenen Vertheidigungskrieg hinstellen. Genug, wir wollen nur konstatiren, daß sowohl nach den Anschauungen des Völkerrechts als auch nach dem SatzeEntscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk" ein Krieg überhaupt rechtlich als zulässig zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten unter Völkern angesehen werden muß! Wir proklamiren damit das Recht der brutalen Selbst- Hilfe als Entscheidungsmittel bei internationalen Händeln, heiligen den Krieg in unserem Programm! Dürfen und können wir das als Sozialisten? Läßt sich das Recht auf Krieg mit den Rechtsanschauungen vereinigen, die wir über Beziehungen der Völker zu ein- ander haben? Wir glauben nicht; im Gegentheil sind wir der Meinung, daß die Sozialdemokratie den Völkern das Recht auf Krieg absprechen muß. Wir denken nicht daran, diesen Satz in der Art der alten Naturrechtslehrer zu begründen. Der Sozialismus erkennt seiner materialistischen Geschichtsauffassung gemäß einNaturrecht" nicht mehr an. Wir betrachten das Recht nicht als logische, sondern als eine historische Kategorie. Nach unserer Anschauung gehen alle Rechts- grundsätze aus dem ökonomischen Unterbau der jeweils bestehenden. Gesellschaft hervor und verschwinden auch wieder mit letzterer. Wenn wir daher oben den Völkern von unserem Standpunkt das Recht auf Krieg glaubten absprechen zu müssen, so geschah es, weil es unserer An- ficht nach mit einer sozialistischen Organisation der Geselsschaft unvereinbar ist. Der Beweis für diese Ansicht, die übrigens bei Sozialisten kaum auf Widerspruch stoßen dürfte, ist leicht und schnell geführt. Die sozialistische Organisation der Gesellschaft besteht in der planinäßig geleiteten und zu einem einheitlichen Organismus umgebildeten Wirthschaft der Kulturvölker. Diese erzeugt aber keine Gegensätzlichkeit der Interessen, sondern die Interessengemeinschaft. Alle haben ein Interesse daran, Störungen der genieinsamen Weltwirthschaft zu verhindern und aus dem Wege zu räumen. Ein Krieg*) aber wäre eine solche Störung; er würde nicht nur die Interessen der beiden kriegführen- den Völker, sondern auch diejenigen aller nichtbetheiligten, neutralen Nationen schädigen. Das ermöglicht, ja macht sogar eine friedliche Beilegung und Schlichtung der Streitigkeiten zur unumgänglichen Nothwendigkeit. Sie wird schon von der Macht der Verhältnisse erzwungen. Die Gewährung des Rechts auf Krieg in der sozialistischen Gesellschaft wäre einfach Selbstmord. Wenn aber das der Fall ist, so müssen wir auch im Programm unserer Partei den Krieg prinzipiell ver- werfen! Es wäre doch geradezu unsinnig, darin Rechts- Prinzipien und Grundsätze aufzustellen und auszusprechen, die mit einer sozialistisch organisirten Gesellschaft unver- träglich sind. Eine Forderung, die durch und durch unsozialistisch ist, darf in unserem Partei- Programm nicht stehen! Das ist doch das Mindeste, was man verlangen kann. Wir können uns also nicht dafür aussprechen, daß der SatzEntscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk" aus dem alten Programm in das neue hinüber genommen wird. Noch viel weniger aber sind wir dafür, daß man diegewählten Vertreter des Volkes" über Krieg und Frieden entscheiden lassen will. Gegen diese Forderung sprechen nicht nur die Gründe, welche wir gegen den Satz des alten Programms geltend gemacht haben, sondern auch noch diejenigsn, welche wir im vorigen Artikel dar- legten. Wir gelangen also zur absoluten Verwerfung der beiden Forderungen, welche sich auf die Entscheidung über Krieg und Frieden beziehen. An ihrer Statt schlagen wir vor: Abschaffung aller Kriege. Verfassungs- mäßige Verpflichtung der Staaten, ihre. Strei- tigkeiten einem internationalen Schiedsgericht zur rechtsverbindlichen Entscheidung zu unter- werfen.

*) Wir find übrigens der Anficht, daß es zu Kriegen in der sozialistischen Gesellschaft schon deshalb nicht kommen wird, weil jede Veranlassung zu ihnen fehlen wird. D. B.