Beiblatt zur Berliner   ilollis-Criliäue. Nr. 41. Sonnabend, den 10. Oktober 1891. V. Jahrgang.
Steuerliches. Es ist bestimmt im hohen Rath, Daß man von allem, was man hat, Giebt Steuern. Du zablst von jedem Gegenstand Ein Pflichttheil Deinem Baterland, Dem theuern. Du ißt, Du trinkst ein Gläschen Wein. Du rauchst in Deinem Kämmerlein wo einsam,- Es steht der Staat an Deiner Thür Und ißt und trinkt und raucht mit Dir Gemeinsam. Er kommt gefälligst in Dein Haus, Zählt freundlich ote Familie aus Nach Köpfen, Um zu dem Heil für SecT   und Leib Kind, Kutscher  , Köchin, Mann und Weib Zu schröpfen. Theilnehmend prüft er den Besitz, Ob Schulden Dich und Defizits Belasten,- Darum verschweig' ihm keine Last Und sag' ihn, deutlich, was Du hast Im Kasten: Bon Silber, Gold, von Schaf und Schwein, Von Austern, Spiritus und Wein, Vom Brode; Von Seid' und Lein', von Knopf und Band Gieb dem geliebten Vaterland 'ne Quote. Der Staat, er braucht es nicht zum Staat, Wenn er den Steuerapparat Läßt rollen? Drum sollst Du, wenn er, was ihm taugt, Mit Gier in alle Poren saugt, Nicht grollen. Willst Du geboren sein, so zahl', Zahl' auch, wenn zwang die letzte Qual Zum Sterben: Zahl' fort und fort nach Recht und Pflicht, Dann können einst die Deinen nicht Was erben.
Mai» sollen mir also tJjnnl Bon Graf Leo Tolstoi  . Deutjcb von August Scholz  . XIII. Ich erinnere mich, daß ich während der ganzen Dauer meines erfolglosen Versuches, den unglücklichen Stadtbewohnern Hilfe zu bringen, mir selbst wie ein Mensch vorkam, der einen andern aus dem Sumpf ziehen möchte und dabei selbst auf moorigem Grunde steht. Jede Anstrengung von meiner Seite ließ mich die Unsicher- heit des Bodens fühlen, auf welchem ich stand. Ich fühlte, daß ich selbst im Sumpfe steckte; aber dieses Gefühl veranlaßte mich damals gleichwohl nicht, genauer unter meine Füße zu sehen, um zu erkennen, worauf ich stand; ich suchte immer nur äußere Mittel, um dem außer mir existirenden Uebel abzuhelfen. Ich fühlte damals, daß ich ein schlechtes Leben führte, und daß ich so nicht weiterleben durfte. Dies veranlaßte mich jedoch nicht zu der einfachen und klaren Folgerung, daß ich ein besseres Leben beginnen müsse, sondern ich zog daraus den eigenthümlichen Schluß, daß ich, um selbst eiu besseres Leben zu führen, das Leben Anderer verbessern müsse. Ich lebte in der Stadt und wollte das Leben von Stadtleuten verbessern, doch überzeugte ich mich bald davon, daß ich dazu nicht im Stande sei, und ich begann mich uun mehr in die Ggenthümlichkeiten des städtischen Lebens und der städtischen Armuth hinein- zudenken. Was ist dieses städtische Leben und diese städtische Armuth? Weshalb konnte ich, der in der Stadt lebte, den städtischen Armen nicht helfen? So fragte ich mich immer wieder. Die Antwort, die ich mir gab, lautete dahin, daß ich deshalb nichts für sie thun konnte, weil ihrer erstens allzuviel an einem Orte angehäuft waren, und weil zweitens diese städtischen Armen durchaus nicht von der Art waren, wie die Armen im Dorfe. Weshalb gab es ihrer hier so viel und worin bestand ihr Unter- schied von den Dorfarmen? Beide Fragen sind durch eine einzige Antwort erledigt. Es sind ihrer deshalb in der Stadt so viele, weil sich hier uni die Reichen alle diejenigen Leute sammeln, die auf dem Dorfe nichts zu essen haben, und ihre Eigen- thümlichkeit besteht darin, daß diese Leute vom Dorfe nach der Stadt gekommen sind, um hier ihren Lebens- unterhalt zu finden, d. h. sich satt zu essen; und wenn es Stadtarme giebt, die in der Stadt geboren sind, so sind jedenfalls deren Väter oder Großväter nach der Stadt gekommen, um in derselben ihren Lebensunterhalt zu finden. Was heißt das nun aber:.seinen Lebens- unterhalt in der Stadt finden?" Wenn man sich in diese Worte vertieft, so findet man in denselben einen ganz absonderlichen Sinn, der fast auf einen Witz hinausläuft. Vom Dorfe also, d. h. von denjenigen Oertern, an denen es Wälder und Wiesen, Getreide und Vieh giebt, an denen aller Reichthuin der Erde aufgehäuft ist von
diesen Oertern kommen die Menschen an denjenigen Ort, an dem es weder Bäume, noch Gras, noch überhaupt Aecker   giebt, sondern einzige Steine und Staub! Was bedeuten diese Worte:seinen Lebensunterhalt in der Stadt suchen", welche beständig als etwas durch- aus Klares und Verständliches theils von denjenigen. welche den Unterhalt suchen, theils von denen, die ihn gewähren, im Munde geführt werden? Ich erinnere mich all der Hunderte und Tausende von Stadtleuten theils solcher, die behaglich, theils solcher, die ärmlich lebten mit denen ich darüber gesprochen habe, weshalb sie eigentlich in die Stadt ge- kommen sind, Und sie sagten mir alle ohne Ausnahme, daß sie deshalb vom Dorfe hierher gekommen wären, um ihren Unterhalt zu finden, daßMoskau   nicht säe und nicht ernte und doch herrlich und in Freuden lebe", daß in Moskau   Ueberfluß sei an allem, und daß man nur in Moskau   das GAd erwerben könne, welches man im Dorfe gebrauche, um ein Haus, oder ein Pferd, oder Getreide, oder andere nothwendige Dinge anznschaften. Nun ist doch aber das Dorf die Quelle aller Reichthümer, dort nur sind alle Schätze der Erde, sind Wald und Getreide und Pferde zu haben. Weshalb denn erst in in die Stadt gehen, um das zu erhalten, was das Dorf selbst bietet? Und weshalb vor allem alle jene Dinge, die der Dorfbewohner nöthig hat Mehl, Haser, Pferde, Vieh überhaupt in die Stadt bringen? f undertmal sah ich aus den Gesprächen, welche ich iesen Gegenstand mit den zugezogenen Dorfbewoh- nern führte, sowie aus meinen eigenen Beobachtungen, daß die Anhäufung jener in den Städten theils gezwungen ist, indem sie sich auf andere Weise nicht zu ernähren vermögen, theils freiwillig indem sie sich von den Lockungen des Stadtlebens verführen lassen. Es steht fest, daß die Lage der Bauern eine derartige ist, daß sie, um die Ansprüche zu befriedigen, welche an sie im Dorfe gestellt werden, ihr Getreide und Vieh nach der Stadt verkaufen müssen, dasselbe Getreide und dasselbe Vieh, welches, wie sie wohl wissen, sie bald wieder nöthig brauchen und gezwungenerweise in der Stadt zurückkaufen werden. Es steht jedoch eben so fest, daß der verhältnismäßig leichtere Geldverdienst und das lustige Leben in der �tadt den Landbewohner hierher lockt, und daß er unter dem Vor- wände, seinen Unterhalt zu suchen, oftmals nur deshalb nach der Stadt geht, um leichtere Arbeit zu finden, besser zu essen, dreimal täglich Thee zu trinken, den Stutzer zu spielen, sich zu betrinken und ein ausschweifendes Leben zu führen. Die Ursache der wie der andern Erscheinung ist ein und dieselbe: sie liegt in dem Uebergang der Reichthümer aus den Händen der Produzenten in diejenigen der NichtProduzenten und in der Anhäufung derselben in den Städten. Kaum ist der Herbst angebrochen und der Reichthum des Jahres in den Dörfern eingesammelt, so treten sogleich allerhand Anforderungen an den Dorf- bewohner heran: Staatssteuern und Grundabgaben werden eingetrieben, die Rekrutirung beginnt. Dazu kommen die Schenken, die Hochzeiten, die Feiertage mit ihrem Anreiz zum Laster. Allerhand Händler rncheinen auf den Dörfern, und der ganze Vorrath an Getreide und Früchten und Vieh Roggen und Hafer, Buchweizen und Erbsen, Flachs und Hanf, Leinfamen und Hanfsamen, Butter, Eier und Hühner, Kälber und Kühe, Schwarz- vieh und Pferde alles geht in die Hände fremder Menschen über, wird zunächst in die Landstädte und von diesen in die Hauptstädte gebracht. Der Dorfbewohner muß alle diese Dinge hingeben, um die an ihn gestellten Ansprüche und sein eigenes Vergnügungsbedürfniß zu befrie- digen, und nachdem er seine Reichthümer hingegeben, muß er selbst Roth und Mangel leiden, die zu beseitigen er dahin gehen muß, wohin ihm bereits seine Schätze vorangegangen sind. Dort sucht er nun theils das Geld zu erlangen, dessen er zur Befriedigung seine hauptsäch- lichsten Bedürfnisse bedarf, theils macht er, von den Lockungen der Stadt verführt, sich selbst in Gemeinschaft mit den andern jene angehäuften Reichthümer zu nutze. Ueberall in ganz Rußland   und ich glaube, nicht in Rußland   allein, sondern in der ganzen Welt geschieht in dieser Hinsicht ganz genau dasselbe. Die Reichthümer der ländlichen Produzenten gehen in die Hände der Händler, Grundbesitzer. Beamten, Fabrikanten über, und die Leute, welche sich diese Reichthümer aneignen, wollen natürlich von denselben Nutzen ziehen. Das aber können sie nur in der Stadt in vollem Umfang zur Ausführung bringen. Erstens nämlich sind auf dem platten Lande, dessen Bewohner sehr zerstreut wohnen, die mannigfachen Bedürfnisse der Reichen nicht so leicht zu befriedigen, es fehlt da an allerhand Professionisten, Kaufleuten, Banken, Gasthäusern und Vergnügungslokalen. Zweitens fällt auf dem Dorfe eins der Hauptvergnügen fort, welche der Reichthum gewährt, nämlich die Befriedigung des Ehr- geizes und der Sucht, Andere in dieser oder jener Hinsicht zu überflügeln. Auch daran ist der Umstand schuld, daß die Landbewohner so weit aus einander wohnen. Und wer verstände sich wohl auf dem Lande darauf, all die Herrlichkeiten eines üppigen Lebens, die Pracht, der Wohnungen, die Gemälde und Bronzen, die Equipagen
und Toiletten zu bewundern? Der Bauer weiß alle diese Dinge nicht zu beurteilen und zu schätzen. Ja, der Besitz solcher Dinge ist für einen Menschen, der noch Gewissen besitzt oder von furchtsamer Natur ist, auf dem Dorfe sogar unangenehm und gefährlich. Es ist auf dem Dorfe etwas peinlich und heikel, sich in Milch zu baden oder junge Hunde mit Milch zu füttern, während die Kinder des Nachbars keine Milch haben; es ist peinlich und heikel, Pavillons und Treibhäuser mitten unter Menschen anzulegen, die in schmutzigen, ungeheizten Lehmhütten wohnen. Es giebt auf dem Dorfe keine genügende Polizei, welche die dummen Bauern nöthigen- falls zur Vernunft bringt, wenn sie etwa in ihrer Thor- heit alle diese schönen Dinge zerstören. Und darum thun sich die reichen Leute zusammen und schließen sich an ebensolche reiche Leute mit gleichen Bedürfnissen in den Städten an, wo die Befriedigung aller solcher Luxusbedürfnisse durch eine zahlreiche Polizei vollkommen geschütz ist. Die eigentlichen Urbewohner dieser Städte sind die staatlichen Beamten; in ihrer Nähe haben sich zunächst zahlreiche Handswerksmeister und Gewerbsleute niedergelassen, und ihnen schließen sich nun auch die Reichen an. Dort braucht der reiche Mann nur in Gedanken einen Wunsch zu hegen, und sogleich wird derselbe erfüllt werden. Dort kann er auch seinen Ehrgeiz befriedigen, kann er sich mit seinen Nachbarn im Luxus messen, findet er Leute, die er in Eerstaunen setzen und in den Schatten stellen kann. Namentlich aber wirö der reiche Mann das Leben in der Stadt des- halb angenehmer finden, weil er nicht mehr jenes peini- gende, unangenehme Gefühl hat, das er bei seinem üppi- gen Leben auf dem Dorfe empfand; es wird ihm im Gegentheil peinlich sein, wenn er nicht üppig leben, nicht auf dem gleichen Fuße existiren kann, auf welchem seine Standesgenossen existtren. Was auf dem Lande beängstigend und peinlich er- schien, das erscheint in der Stadt ganz natürlich. Unter dem Schutze der Gewalt genießen die' in der Stadt an- gesiedelten Reichen in Ruhe alles das, was vom Dorfe hierher gebracht worden ist. Und hierher muß nun der Dorfbewohner sich wenden, um theils sich von den Bro- samen zu ernähren, die von den Tischen der Reichen fallen dieser Reichen, die in einem Festschmaus ohne Ende dasjenige verzehren, was jenen abgenommen worden thcüs um sein eigenes Leben gleichfalls so einzurichten, daß er selbst weniger arbeite und mehr Nutzen von fremder Arbeit zieht, ein Wunsch, der bei dem Anblick des wohl- gesicherten und geschützten und von aller Welt gebilligten Luxuslebens der Reichen ganz naturgemäß in ihm er- wachen muß. Und so zieht er denn in die Stadt und läßt sich neben den Reichen nieder, indem er mit allen Mitteln das, was er nothwendig braucht, von ihm zurückzuer- langen sucht, und indem er sich allen jenen Bedingungen unterwirft, welche die Reichen ihm stellen. Er trägt mit bei zur Befriedigung aller ihrer Launen; er bedient sie in der Badestube und im Gasthaus, fährt sie als Droschkenkutscher, überläßt ihnen seine Tochter als Prosti- tuirte, fertigt für sie Equipagen nnd Spielzeug und Modeartikel und lernt von ihnen nach und nach ganz ebenso leben, wie sie selbst leben nicht durch Arbeit, sondern durch allerhand Kniffe und Listen, durch welche er andern die von ihnen angehäuften Reichthümer entlockt, und so fällt er der Verführung anHeim und geht zu Grunde. Und diese durch den städtischen Reichthum verdorbene Bevölkerung ist der Urquell jenes städtischen Elends, dem ich abhelfen wollte und doch nicht abhelfen konnte. Und in der That, man braucht sich nur hineinzu- denken in die Lage dieser Dorfbewohner, die in die Stadt kommen, um das zur Bezahlung ihrer Steuern oder zur Anschaffung von Saatgetreide nothwendige Geld zu ver- dienen, die nun sehen, wie rings um sie Tausende sinn- los verschwendet und Hunderte mit leichter Mühe verdient werden, während sie selbst für schwere, harte Arbeit in Kopeken bezahlt werden und man wird sich nur darüber wundern können, daß noch so viele von diesen Leuten ehrliche Arbeiter bleiben, und daß sie sich nicht alle auf irgend eine leichtere Art des Beutemachens legen etwa auf den Handel, die Aufkauferei, das Betteln, die Unsitt- lichkeit, den Betrug oder selbst den Raub. Wohl haben wir, die wir theilnehmen an jenem Festschmaus ohne Ende, der in den Städten beständig gefeiert wird, uns so sehr an diese Lebensweise gewöhnt, daß wir es durchaus natürlich finden, wenn ein einzelner Mensch allein fünf große Zimmer bewohnt, zu deren Heizung soviel Birkenholz nothwendig ist, als für zwanzig Familien zur Erwärmung und Nahrungsbereitung noth- wendig ist; daß wir nichts Besonderes daran finden, wenn jemand, um eine halbe Werst zu fahren, zwei Traber vor den Wagen spannen und zwei Leute auf den Bock steigen läßt, wenn derselbe Mensch den Parketfußbodcn seiner Zimmer mit kostbaren Teppichen belegt und fünf- tausend oder gar zehntausend Rubel auf einem Ball ausgiebt. Aber ein Mensch, der zehn Rubel braucht, um Brot für eine Familie zukaufen, oder der die sieben Rubel nicht verdienen kann, welche nothwendig sind, damit ihm nicht wegen eines Steuerrückstandes das letzte