VMsBerlineruribNe.Tozial-Politisches Wochenblatt.politische Notizen.— Der faule Punkt.- DieFrau und der Zozialismu«.— Droduktion und Technik— Erklärung.Gedicht.— AoorUe.— Parteitag der sozialdemokratischen Partei Deutschlund« in Erfurt.Politische Uotizen.— Man wird sich der Entrüstung erinnern, welchedie gutgesinnte deutsche Presse seiner Zeit gelegentlich derWilsonskandale in Frankreich an den Tag legte. Eineziemlich gleiche Skandalgeschichte in Deutschland ist jetztenthüllt worden, in dem Prozeh Manche. Alier diesmalschweigen die Prediger, die damals so laut waren, fEin Fabrikant Thomas hatte theils am„Giftbaum",theils durch Geschicklichkeit im Mehrwertheinstreicheneinige Millionen erworben, für welches— oder welchen— Verdienst er einen Titel oder Orden erwartete.Seinen Schmerzen kam der biedere Rektor und AntisemitAhlwardt zur Hilfe, der eben seinen arischen Ver-zweiflungskampf gegen semitische Wucherer kämpfte.Er kannte einen Herrn Aron Meyer, der sich mit„Ver-mittlungen" beschäftigte. Zu diesem brachte er den ver-dienstvollen Mann, und dieser trägt gegen einen Soldvon 5000 Mk.. von denen der Rektor und Antisemit2000 abbekommt, die Wünsche des Herrn Thomas demGeheimen Hofrath Manchä vor. Der Herr Geh. Hof-rath glaubt, wenn Herr Tho"as 30 000 Mk. zu sogenannten wohlthätigen Zwecken spendet, so kann er dem gutenThomas den Kommerzienrathstirel verschaffen. HerrThomas spendet den„wohlthätigen" Obolus von30 000 Mk. und erwartet mit stiller Freude die Er-nennung. Als ihm die Sache aber zu lange dauert,geht er zu dem hofräthlichen Menschenfreund, welcher,um die Leiden der Armuth zu lindern, den reichenLeuten Titel verschafft, und verlangt sein Geld zurück.Herr Hofrath Manchä übergiebt ihm 20 000 Mk. insicheren Obligationen— die Coupons für das laufendeQuartal waren abgeschnitten, die Zinsen wurden aber inGeld ersetzt- und erklärt, daß er die übrigen 10 000Mark dem Polizeihauptmann Greiff zu„wohlthätigenZwecken" übergeben habe, welcher wieder die GräfinHacke, die Palastdame der Kaiserin Augusta, für den„Kommerzienrath" interessiren soll.Leider sind in dem Prozeß sehr viele dunkle Punktegeblieben, die durch weitere Vernehmungen leicht hättenaufgeklärt werden können. Je weiter hinauf auf dersozialen Stufenleiter wir kommen, desto zahlreicher werdendiese dunklen Punkte, so daß z. B. die Gräfin Hackegänzlich in mystisches Dunkel gehüllt erscheint.Ueber die„Nebeneinnahmen" des PolizeihauptmannsGreiff follen schon zu Lebzeiten des Herrn bei seinenBekannten kaum noch Zweifel bestanden haben. DasGehalt des Hauptmanns Greiff betrug zuletzt 4200 Mk.,dazu traten dann noch 400 Thlr. Wohnungsgeldzuschuß,immerhin waren die Lebensgewohnheiten des Herrn der-artig, daß sie zu diesem Einkommen in keinem Verhältnißstanden. Schon die opulente Einrichtung der mit 1500Mark ermietheten Wohnung ließ erkennen, daß HerrGreiff nicht allein auf sein Gehalt angewiesen war.Schon in einem früheren Prozeß, dem ProzeßReiter, hatte sich herausgestellt, daß im Zivilkabinet sichDinge ereigneten, für die eine parlamentarische Bezeich-nung schwer zu finden ist. Der Geh. Hofrath Bork.Korrespondenzsekretär Kaiser Wilhelms I.. wurde damalsdurch Vorlage einer beschriebenen Visitenkarte überführt,einem Betheiligten durch Vermittelung der Schwestereiner bekannten Hoftänzerin ein ähnliches verdächtiges»Geschäft" angetragen zu haben. Dem Bewerber hattedasselbe zuerst 50 Thaler gekostet, und als die Vermittlerin rundweg erklärte, der Herr Hofrath habe gesagt:»Das geht nicht!" gab er weitere 150 Mark. Dermachte es also billiger, wie Herr Manchö— auch hierdie leidige Konkurrenz, die auch den reellsten Geschäftenschadet!Bezeichnenderweise fallen die Zeitungen meistensüber den Rektor Ahlwardt her. Wir haben weder fürden Mann, noch für seine Ansichten Sympathien. Aberman muß doch bedenken, daß der Unglückliche damalsdurch die Wucherer an den Rand der Verzweiflung ge-trieben war, und wenn er da schließlich zu solchen„Schlepperdiensten" greift, so hat doch die wohlgenährteBourgeoismoral kein Recht, derartig über den Mannherzufallen. Daß er nachher sich weiß zu waschen sucht.ist doch schließlich auch keine ausschließliche Eigenthüm-lichkeit von ihm, das ist sehr allgemein menschlich.Dieser Pharisärismus gegen Ahlwardt ist auch einZeichen des Sumpfes mit, der hier enthüllt wird.Nachdem die Versuche um den Kommerzienrath miß-langen sind, weil es Herrn Thomas zu lange dauerte,weiß ihn Ahlwardt wenigstens zu trösten, indem er ihmden Kronenvrden verschafft. Er sammelt Unterschriftenvon Mitbürgern des verdienstvollen Mannes zu einerPetition, die auch von Erfolg gekrönt ist.Aber es kommt noch besser.Ein Zeuge Louis Cohen, vorgeladen, umden Nachweis zu führen, daß die Gräfin Hackemit dem Polizeihauptmann Greiff in Verbin-dung gestanden habe, erzählt, daß er seinerZeit Agent des Staatsministers a. D.(Finanz-minister von 1879— 82) Bitter gewesen sei. DerMinister habe sich in Wuchererhänden befundenund zur Auseinandersetzung mit den Wuchererndes Zeuge» Hilfe benutzt. Minister Bitterhabe sich, als er nicht mehr im Amte war, auchvielfach mit der Vermittlung von Titeln undOrden beschäftigt und zu diesem Zweck mehrfachGelder zugewiesen erhalten. Er habe dem Zeugenwiederholt zu verstehen gegeben, daß Polizei-Hauptmann Greiff und die Palastdame GräfinHacke der richtige Weg seien, solche Gesuche zurErfülung zu bringen. Er habe auch wieder-holt erfahren, daß Bitter Geld zur Verwen-dung für mildthätige Stiftungen aus Anlaßsolcher Gesuche erhalten habe; er entsinne sicheines Falles, in welchem Bitter ihm eineSumme von 20000 Mark, welche er auf dieseWeise erhalten, zur Bezahlung eines Wechselsüberwiesen habe. Der Zeuge behauptet auch,daß er mehrmals Geld zu Greiff gebracht, unddaß dieser ihm einmal gesagt habe, er müssenoch mehr Geld für die Gräfin Hacke und dieKaiser Wilhelmstiftung haben.Ein Berichterstatter der„Volkszeitung" behauptetgelegentlich des Prozesses sogar, daß Minister Bitterauch während seiner ministeriellen Thätigkeit„Personen,denen er gewogen war, Vergünsligungen habe zu Theilwerden lassen, die der altpreußischen Tradition derBeamtenbeförderung nicht entsprachen."Wir können nicht besser schließen, als indem wirdie Auslassung eines bürgerlichen Blattes, der„Voss.Zeitung", hier abdrucken:„Wenn aber in diesem Verfahren jedenfalls eine unent-chuldbare Thätigkeit des Herrn Manche gewiß, ja selbst ein un-rmrdiges Gewerbe des früheren Finanzministers Bitter wahr-cheinlich gemacht wurde, so fragt man erstaunt, wie abgestumpftZie sittlichen Empfindungen unter der Herrschaft des FürstenBismarck vielfach wurden, wen» solche Dinge vorkommenkonnten. Die Besetzung einer Berliner Professur mit einem viel-genannten Manne, die Verwendung des Welfensonds, die Fidet-kommißstempel-Erlasse, die Prozesse Manche und Reiter überOrden- und Titelschacher und manche ähnliche Dinge erinnernnur zu sehr an das„zäciris", den Morast, von dem man unterdem französischen Kaiserthum sprach, und die Nation ist zu-rieben, daß endlich ein neuer Kurs genommen wurde, unterdessen Herrschaft Nepotismus, Gevatterschaftswesen und Günst-lingswirthschaft hoffentlich nie wieder ihr Haupt erheben dürfen."„Mord des französischen Kaiserlhums,"„Nepotismus,Gevatterschaftswesen«nd Günstlingswirlhschaft"— dassagt man im Bürgerthum anderthalb Jahre nach Be-endigung des Regimes Bismarck!— Ueber das Ergebnitz der Landtagswahlen imKönigreich Sachsen liegen nunmehr aussührliche Ziffernvor. Danach ist die Betheiligung an der Landtagswahldieses Mal etwa ein Drittel stärker gewesen als bei derfrüheren Wahl. Von der Gefammtzahl entfallen auf dieSozialdemokratie 35 650, gegen die frühere Wahl einMehr von 17 370 Stimmen, auf die konservative Partei35 250(mehr 8900), auf die freisinnige Partei 13 600(mehr 950) und auf die nationalliberale Partei 12 750(mehr 3900). Die stärkste Partei ist nach diesen von der„Leipz. Ztg." veröffentlichten Zahlen zufolge die Sozial-demokratie. wiewohl in Betracht kommt, daß alle Wähler,welche nicht drei Mark Staatssteuer zahlen, also dieWähler mit weniger als 600 Mark Einkommen von derWahlberechtigung ausgeschlossen sind, ein Umstand, dersich gerade in dieser schlechten Zeit geltend machte, wodie Einkommen tiefer stehen, wie sonst, bei allgemeinemStimmrecht mithin die Ueberlegenheit der Sozialdemokratieeine noch weit größere wäre. Auch jetzt ist die Stimmen-zahl derselben um 95, derjenige der nationalliberalenPartei nur um 40, die der konservativen Partei um 33und die der freisinnigen Partei um 8 pCt. gewachsen.Unser Bruderorgan in Leipzig schreibt dazu:Das Landtagswahlresultat ist ein schweres Urtheil für dieKartellparteien. Sieben Mandate hat die Sozialdemokratie vonden neu zu vergebenden dreißig, trotz Zensuswahl und Beamten-Hilfe davongetragen; vier wieder erobert und drei neue ge-wonnen. Außerdem ist die Stimmenzahl der Sozialdemokratiein allen Kreisen mächtig gewachsen, so daß mit nur wenigenStimmen Minorität unsere Kandidaten z. B. in Plauen t. B.und Glauchau unterlegen sind. In letzterem Kreise beträgt dieMinderheit gar nur 27 Stimmen.Wenn sich bewahrheitet, was uns über vorgekommene Un-rcgelmäßigkeiten bei der Glauchauer Wahl berichtet wird, mußein Protest zur Umstoßung derselben führen. Dann ist ein neuerSieg der Sozialdemokratie in jenem Kreise sicher.Ueber hundert Prozent gewann unsere Partei an Stimmengegenüber der letzten Wahl in denselben Wahlkreisen. Das istein sprechender Protest gegen die Unverfrorenheit, welche einzelneKarteUkandidaten und das„Leipziger Tageblatt" bezüglich derVerschlechterung des Wahlrechts an den Tag legten. Beständefür die Landtagswahl das allgemeine, gleiche, direkte und geheimeWahlrecht— durch die kuriosesten Stimmzettel wurde in etnzel-nen Kreisen das Wahlgeheimniß seitens der Kartellbrüder durch-brachen— mit Sicherheit wäre eine noch größere Anzahl geg-neriscker Abgeordneter aus dem Landtage hinausgeflogen.Stützten sie sich übrigens nicht gegenseitig, dann hätte schonjetzt die Sozialdemokratie als stärkste Partei im Lande mit dieMehrheit der Mandate erhalten— noch einmal: Trotz Zensus-wähl und Beamtenhilfe.Die Aufforderungen der Kartellblätter, das Beamtenthumsolle helfend eingreifen, sind vielfach befolgt worden. Gemeinde-dicner vertheiltcn Stimmzettel für die Kandidaten der Kartell-Parteien, Gcnsdarmen behandelten unsere Stimmzettelvertheilerin solcher Weise, daß schreiende Beschwerde bei den vorgesetztenBehörden erhoben werden wird, Wahlvorstände wagten es, dcuStimmzettelvertheilern das Betteten des Hauses, in welchem dieWahl stattfand- es war ein Gasthof— zu Verbteten und der-gleichen mehr.Nichts fruchtete jedoch alles dasl Der Unwille der Wählerüber solche Dinge wuchs und sie feuerten einander an, durch dieWahl des Sozialdemokraten Prolest gegen diese Dinge etnzu-legen. Und so mußten denn die Kartellparteien Niederlagen er-halten.— Vor einigen Tagen fand sich in den Zeitungeneine Ente, daß Deutschland mit den Ver. Staaten einenHandelsvertrag abschließe, wonach amerikanisches Getreidein Deutschland zollftei eingeführt werden solle. Wahr istan der Sache, daß, wie das„Reutersche Bureau" meldet,„Verhandlungen schweben". Man glaube, daß dieselbennoch vor Neujahr einen befriedigenden Abschluß gesundenhaben werden.— Wenn hier vom 1. Januar nächstenJahres geredet wird, so hat das seinen besonderen Grund,weil von diesem Datum dem Präsidenten der VereinigtenStaaten das Recht zusteht, auf Grund des Mc'Kinley-Gesetzes und des Fleischbeschau-Gesetzes den deutschenZucker mit Zoll zu belegen. Es scheint demnach, als obdie Absicht Deutschlands dahin geht, den VereinigtenStaaten dieselben Vergünstigungen in Bezug auf dieGetreide-Einsuhr zu gewähren, die Oesterreich-Ungarn indem neuen Handelsvertrage zugestanden wurden, undzwar für die Gegenleistung, daß auch fernerhin derZucker in Amerika zollfrei eingeht.Also dem Zucker zuliebe, der Latifundienbesitzer