Berliner

Volks- Tribüne.

V

Sozial- Politisches Wochenblatt.

Die Berliner Dolks Tribüne" erscheint jeden Sonnabend früh. Abonnementspreis für Berlin monatlich 50 Pf. pränumerando( frei in's Hans). Einzelne Nummer 15 Df.

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duktion und Technik.

Gedicht.

Redaktion und Expedition: SO.( 26), Elisabeth- ufer 55.

Ausgabe für Spediteure: ,, Volksblatt", Beuthstr. 3.

Inserate werden die 4 spaltige Petitzeile oder deren Raum mit 20 Pf. berechnet. Dereins- Anzeigen: 15 Pf.- Arbeitsmarkt: 10 Pf. Inseraten- Annahme in der Expedition: Elisabeth- Ufer 55. Die ,, Berl. Volks- Tribüne" ist unter Nr. 893 der Zeitungs- Preisliste eingetragen

Sonnabend, den 21. November 1891.

V. Jahrgang.

Politische Notizen. Die Entwicklung der sozialen scheinen werde, indem er sich auf Artikel 31 der Reichsverfassung theilung hatte der Abg. Arendt in seinem Deutschen Gegensähe und das Verhältniß zwischen Bourgeoise berufe. Darauf erhielt Wurm ein Schreiben des Fürstl. Reuß. Wochenblatt" gemacht in Bezug auf Herbert Bismarck . Amtsgericht, gezeichnet Alberti, in dem ihm mitgetheilt wurde, und Proletariat. Der Krach der Schwindler.- Pro- daß das Amtsgericht seine Auffassung nicht theile und einen Derselbe soll seiner Zeit die Engländer aufgefordert neuen Termin anberaumen werde. Gleichzeitig kam wieder eine haben, die von Dr. Peters geleitete Emin- Expedition zu Die Münchener Neuesten Nachrichten" - Novelle.- Die Demokratie in der male erklärte Wurm in einem Briefe an das Fürstl. Reuß. bezeichnen es als sehr auffallend, daß bezüglich dieser Die Demokratie in der Vorladung vor das Schöffengericht zum 3. November. Aber vernichten. Schweiz und die Arbeiterbewegung I. Sozialismus Amtsgericht, daß er so lange diesen Anforderungen nicht Folge und Revolution.- Die soziale Lage des Fabrik- leisten werde, bis die Genehmigung des Reichstages eingeholt Mittheilung weder ein Widerruf noch eine Aufklärung arbeiters. Verschiedenes. sei. Diesen Dienstag, am 3. November, fand nun die Sigung erfolgt ist. Selbst in solchen Kreisen, die bisher die des Schöffengerichts statt. Zufällig war der Belastungszeuge, Ueberzeugung gehegt haben, es werde dem Grafen leicht ein Oberwachtmeister, nicht erschienen, der dafür zu 10 Mart werden, sich von der gegen ihn erhobenen Beschuldigung Geldstrafe event. 5 Tage Haft verurtheilt wurde. Es wurde

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Politische Notizen.

Aehnliche Aussprüche des Kaisers hat die Freiſinn. Zeitung" gesammelt:

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Bei seinem Münchener Aufenthalt hat der Kaiser rath Alberti vertrat nach wie vor seine Ansicht, daß Wurm er- daß von jener Seite kein Wort verlauten wolle. Wir dann das Schreiben des Abgeordneten Wurm verlesen. Justiz- rein zu waschen, wachse das peinliche Befremden darüber, in das Gedenkbuch der Stadt einen Spruch einge- scheinen müsse und erklärt, daß, wenn die Zeugen anwesend find, finden die Sache auch sehr auffallend". Es scheinen tragen: ,, suprema lex regis voluntas", deutsch : auch ohne den Beklagten zur Verhandlung geschritten werden ja immer schönere Sachen ans Licht zu kommen! " das höchste Gesetz ist der Wille des Königs", franzö- Abgeordneter Wurm, in seinem Rechte sei, wenn er verlange, könne. Dagegen erklärte der Amtsanwalt, daß der Beklagte, Ueber Agrarier als Börsenspekulanten tauchen sisch: ,, l'état c'est moi." daß zu seiner Verfolgung erst die Genehmigung des Reichstages immer von Neuem Notizen in der Presse auf. So hielt eingeholt werden müſſe. Da nun der eine Belastungszeuge nicht der deutsch - freisinnige Reichstags- Abgeordnete Friedländer erschienen war, vertagte Justizrath Alberti die Verhandlung. Das Amtsgericht in Chemnitz und das Amtsgericht in Gera einen Vortrag, in dem er, wie die Vossische Zeitung" In ähnlicher Weise forderte der Kaiser auch am 21. Fe- haben also beide die Immunität eines Reichstagsabgeordneten ausführt, aus eigener Erfahrung zwei Fälle anführt, in bruar 1891 auf dem Bankett des brandenburgischen Provinzial nicht anerkannt. welchen Großgrundbesizer in unsinnigster Weise Getreide­landtags die Anwesenden auf, ihrem Markgrafen durch Dick Die Lust am deutschen Reich zeigt sich am spekulationen gemacht hätten. Der eine sei ein Ver­und Dünn zu folgen." Es ist dieselbe Denfungsart, welche auch wieder zum Ausdruck gelangt in der bekannten Unterschrift besten in der Zahl der jungen Leute, welche sich dem trauensmann des Fürsten Bismarck, der des Fürsten auf dem Bilde im Kultusministerium: Sic volo sic jubeo". Dienst in den Ferienkolonien", nämlich den Kasernen, Güter revidirte und die Wirthschaft kontrollirte, der Auch bei dem Bankett des brandenburgisa en Provinzialland­tages am 5. März 1890 äußerte der Kaiser: Diejenigen, welche entzogen haben und unerlaubt" ausgewandert sind. andere ein Großgrundbesißer des Ostens, welcher über fich mir bei dieser Arbeit entgegenstellen, zerschmettere ich." Da- Wegen solcher unerlaubter Auswanderung", sind im 85 000 Morgen besize und, nach, wie er annehmen mals wurde die Aeußerung allerdings auf die Opposition des Jahre 1890 20 251 Mann verurtheilt, in absentia dürfe, zuverlässigen Mittheilungen" jezt über siebe: Fürsten Bismarck bezogen, und folgte ja auch wenige Tage natürlich, 15 178 sind deshalb noch in Untersuchung." Millionen an der Börse verspielt habe. Aehnliche Notizen darauf die Entlassung des Fürsten . Am 4. Mai 1891 äußerte Also über 35 000 junge Leute ein ganzes Armee- tönnte man haufenweise sammeln, wenn man etwa einmal der Kaiser in einem Trinkspruch auf dem Bankett des rheinischen forps sind in einem Jahre dem deutschen Reich aus dem eine Psychologie des Agrariers" schreiben wollte. Und Provinziallandtages: Einer nur ist Herr im Lande, und das bin ich. Keinen Andern werde ich neben mir Wege gegangen, weil sie gar keinen Begriff haben von das sind dieselben Leute, welche immer über die Un­der Lust Soldat zu sein"! Sittlichkeit des Börsenspiels" und die Brotvertheuerung durch die Börse" schimpfen. Schöne Gesellschaft!

dulden!"

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Getreide und andere landwirth­schaftliche Produkte. Speziell Roggen

Mark

114 596 002 41 745 620

Die Aussprüche sind jedenfalls sehr klar und un­Die Zolleinnahmen des Deutschen Reiches be­zweideutig, und, was mehr ist, sie entsprechen den That trugen im Jahre 1890 nach der Statistik des Deutschen sachen. In Wirklichkeit haben wir nicht den Kon- Reiches" 395 874 601 Mt.( gegen 360 276 038 in 1889). stitutionalismus, sondern den Cäsarismus, dank der Im Einzelnen vertheilte sich die Summe wie folgt: jammervollen Feigheit unserer Bourgeoisie. Freilich genirt das die Leute, wenn es so offen und ohne Be­schönigung gesagt wird. Auf die Sache haben sie ja verzichtet, leichten Herzens; aber den Schein möchten sie doch retten, und Bismarck war ja auch seiner Zeit gutmüthig genug, durch Schaffung des Reichstages die Fiktion zu wahren. Jetzt wird von energischer Hand der Schleier herabgerissen nun, uns fann es nur recht sein; je klarer und unverhüllter die Verhältnisse sind, desto besser ist gegen sie anzufämpfen.

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Einen Beweis für die Jämmerlichkeit unseres Scheinfonstitutionalismus gab die Verhandlung gegen den Reichstagsabgeordneten Schmidt während der Ver­tagung des Reichstages, wodurch die ausdrückliche Er­flärung des Reichstages offenbar mißachtet wurde. Genau so wird jetzt gegen den Abgeordneten Wurm ver­fahren. Wir entnehmen darüber seinem Organ, dem Volkswille":

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Weizen Gerste Kaffee 2c. Petroleum 2c. Tabak und Fabrikate Wein, Most 2c.

Holz und Holzwaaren 2c. Schmalz

29 477 455

16 434 282

47 309 660

44 617 122

42 873 905

19 230 705

15 615 367

9 107 744 8 194 925 7324 914 6 801 968

Fleisch, Geflügel, Wild

5 463 482

4 691 273

3 869 176 3 748 024 3 722 800 3110 988

Eisen und Eisenwaaren Vieh

Branntwein

Baumwollengan

Reis

Gesalzene Häringe Gewürze

Seide und-Waaren

Die Zolleinnahmen betrugen: im Jahre

1878 111,5 Millionen Mark

1879 148,4 1880 166,8

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" 1

1881 192,4

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1882 202,8

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1883 209,7

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1884 220,9

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1885 241,7

1886 248,1

1887 270,1

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1888 290,1

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1889 360,3 1890 395,4

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" 7

" 1

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Die soziale Frage" der Pfaffen wird in einem amüsanten Artikel der Magdeburger Zeitung" erörtert, dem wir des Humors wegen einige Stellen entnehmen: Wenn in der preußischen Landeskirche ein offizieller Glückstopf etablirt ist, so darf man sich nicht wundern, wenn Manche herzhaft zugreifen, auch nicht, wenn Unliebsames dabei unterläuft.

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,, Und muß es denn nicht um von Anderem zu schweigen geradezu Verbitterung hervorrufen, wenn bei gleicher Arbeit der Eine von zwei benachbarten Geistlichen ein Einkommen von 36 000 Mt., der Andere ein solches von 9000 Mt. Hat; wenn der Erstere vielleicht noch dazu ein jüngerer Mann ist, der dieses Glück lediglich dem Umstande verdankt, daß der gnädige Herr Patron mit seiner Base bekannt war? Oder wenn unter fieben jungen Geistlichen, die zugleich ordinirt werden, sechs mit einem bescheidenem Anfangsgehalt beginnen und der Siebente in eine Stelle von 4000 Mt. einzieht, nicht aus Verdienst, sondern aus Gunst?

Es gereich: dem getstlichen Stande wirklich zur Ehre, daß er bisher vermieden hat, seine pekuniären Interessen vor der Oeffentlichkeit zu vertreten. Die überall geplanten Pfarrver­eine, welche wesentlich auf die Wahrung der materiellen Interessen abzielen, laffen erkennen, daß davon abgegangen werden soll. Man wird das beklagen dürfen. Es liegt aber auf der Hand, daß der Weg der Selbsthilfe, welcher jetzt beschritten werden soll, eine stille und um so beredtere Anklage ausspricht, daß die be rechtigten Interessen des geistlichen Standes bisher ungenügend vertreten wurden. Wir werden nun wahrscheinlich das Schau­spiel erleben, daß Lärm geschlagen wird. Das ist sicherlich kein ideales Vorgehen, aber es wird durch eine Nothlage wenigstens entschuldigt. Man wird der preußischen Geistlichkeit keinen Vor­wurf daraus machen können, wenn sie für berechtigte Interessen und für ihre Ehre, die durch das bestehende System zum Schaden der Kirche selbst beeinträchtigt wird, eintritt."

In welchem enormen Maße die Zolleinnahmen durch Die Immunität der Reichstagsabgeordneten ist durch das das seit 1879 mehr und mehr entwickelte Schußzollsystem Chemnizer Landgericht nicht anerkannt worden; es hat den Abgestiegen sind, lehren folgende Ziffern: geordneten Schmidt( Mittweida ) gewaltsam zur Verhandlung führen lassen und ihn am 2. November wegen Beleidigung, öffentlicher Aufreizung und Aufforderung zum Ungehorsam gegen behördliche Anordnungen zu einem Jahr drei Monaten Ge­fängniß verurtheilt. Aber nicht nur das Chemnitzer Landgericht erkannte die Immunität der Reichstagsabgeordneten während der Bertagung nicht an, sondern auch das Fürstl. Reuß . Amts­gericht, Abtheilung I für Untersuchungssachen, Vorsitzender Justizrath Alberti in Gera . Gegen den verantwortlichen Re­dakteur des Bolkswille", Reichstagsabgeordneten Wurm, hat die Polizei zu Gera eine Strafverfügung von 15 Mark er= laffen, weil Wurm am 3. Mai d. J. in einer nicht angemeldeten Versammlung eine politische Rede gehalten haben soll. Als Wurm diese Verurtheilung zugeschickt erhielt, mit der Auf­forderung, entweder 15 Mark in 10 Tagen zu bezahlen, widrigenfalls angenommen wird. daß er Berufung beim Schöffengericht einlegen wolle, erwiderte Wurm, daß er gegen Das deutsche Volf hat danach heute eine drei wollen. Ist jeder Arbeiter seines Lohnes werth, dann werden die Verurtheilung auf Grund des Artikel 31 der deutschen einhalbfach größere Last an Zöllen zu tragen auch sie verlangen dürfen, daß in einem geordneten Kirchen­die Genehmigung des Reichstages eingeholt worden sei. Darauf als 1878. An der Steigerung haben den größten An- wesen der verdiente Lohn nach gerechten Maßstäben bemeſſen erhielt Wurm für den 15. September eine Vorladung zum theil die Getreide- und Betroleumzölle, die mehr als ein werde. Wenn wir recht berichtet worden sind, so erfreut sich der Urheber jenes Ausspruchs einer Pfründe von über 10 000 Mt. Schöffengericht in Gera ; das gedruckte Formular war das üb- Drittel der gesammten Zolleinnahmen ausmachen und fast Solch einen Ausgleich zwischen Dienen und Verdienen kann liche; es stand also in demselben, daß, wenn Beklagter zum ausschließlich von den Arbeitern gerragen werden. Das man fich gefallen lassen." Termin nicht erscheine, er auf Beschluß des Schöffengerichts nennt man Sozialreform. zwangsweise vorgeführt werden könne. Wurm erwiderte hierauf dem Fürstl. Reuß. Amtsgericht, daß er zum Termin nicht er

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Ein Mitglied der letzten sächsischen Provinzialsynode wollte auch dieser Zeit der Geistlichkeit eingeprägt wissen: Du bist zu dienen da, nicht zu verdienen." Das erinnert an eine Art der Kanzelberedtsamkeit, die einer verblüffenden Wendung den Werth einer Wahrheit beimißt. Es ist keineswegs ein Vor­recht der Geistlichen, zu dienen da zu sein. Jeder andere Beamte, ja schließlich Jeder in einer Gesammtheit ist zu dienen da. Und das Darben und Sorgen wird man doch hoffentlich nicht als ein besonderes Vorrecht der Geistlichen bezeichnen

Bravo ! Das gefällt uns! Wollen die Herren nicht Eine eigenthümliche, sehr eigenthümliche Mit- einen Fachverein gründen? Wir können ihnen Organisa­