Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.

Nr. 52.

Die kranke Life. Weihnacht! die kranke Lise schreitet

Durch's Faubourg hin in banger Flucht, Sie hat zu Haus kein Bett bereitet Für ihres Leibes erste Frucht.

Wohl manches prunkt im Fürstensaale, Den stolzer Kerzen Glanz erhellt- Marsch, Life, weiter, zum Spitale! Dort kommt das Volk zur Welt.

Mein armer Weber mag nur zetteln, Sein Fleiß und Schweiß was helfen ste? Das Volk muß Sarg und Wiege betteln; Allons, enfant de la patrie!

Kind, dem sie unter meinem Herzen

Die Lust am Leben schon vergällt,

Geduld, bis wir im Haus der Schmerzen! Dort kommt das Volk zur Welt.

,, Sie feiern heut dem Gott der Armen,

Die reichen Herrn, ein Freudenfest:

Doch glaubt nicht, daß sich das Erbarmen An ihrem Tische sehen läßt,

Daß je in ihre Festpokale

Der Schimmer einer Thräne fällt

Marsch, Life, weiter, zum Spitale!

Dort kommt das Volk zur Welt.

Du machst mir wahrlich viel Beschwerden,

Der Liebe Kind, ich dacht' es nie;

Das wird ein wilder Junge werden: Allons, enfant de la patrie!

Für eurer Prinzen zarte Nerven

Ist Daun auf Daune hoch geschwellt:

Ich muß in einer Grube werfen

So kommt das Volk zur Welt.

" Kläng' noch die Trommel unserm Ohre

Ünd wär' noch eine Fahre rein:

Der Lappen einer Trikolore, Er sollte deine Windel sein;

Du wärst getauft, eh seine Schaale Ein Pfaffe dir zu Häupten hält Marsch, Lise, weiter, zum Spitale! Dort kommt das Volk zur Welt.

Wer wird so ungestüm sich melden? Mein kleines Herz, was suchst du hie? Nur noch zum Grabe jener Helden! Allons, enfant de la patrie!

Dort seh' ich in des Frühroths Helle Die Julisäule aufgestellt-"

Und nieder sank ste auf der Schwelle; So kommt das Volk zur Welt!

Bei Tisch.

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Von François Copée, übersetzt von E. A.

Sonnabend, den 26. Dezember 1891.

V. Jahrgang.

wollen in Blick und Lächeln. Uebrigens gleich nach dem welche aus offener See kamen, den Durchgang zwischen Chateau Yquem begann der Wiz zu sprühen. den Sandbänken zu bezeichnen; dann sah er auch wieder

Die Männer waren zum großen Theile alt, zum im niedrigen, von magern Schafen abgeweideten Grase mindesten sehr reif; alle an Rang oder Talent hervor- des Friedhofes die Grabsteine, auf welchen sich so oft ragend, sie hatten viel gelebt, waren reich an Erfahrung die düstere Inschrift wiederholte: auf dem Meere ge­und Erinnerungen, sie waren für die Konversation wie storben.

geschaffen und die Gegenwart schöner Frauen flößte Diese riesige Butte hatte den feinsten, köstlichsten ihnen den Wunsch ein, zu glänzen und regte ihren Wiz Geschmack, und die Krabbensauce, mit der sie gewürzt zu launigen Wortgefechten. war, bewies, daß der Koch des Herrn Grafen im Café

Kleine Scherzworte flogen, helle Geistesblize fuhren Anglais in die Lehre gegangen war und von diesen dazwischen. Es bildeten sich Unterhaltungszentren zwischen Studien Nußen gezogen hatte. Denn bei diesem Punkte zwei, drei Personen. Ein berühmter Reisender mit ist unsere verfeinerte Zivilisation angelangt, man erwirbt bronzefarbenem Teint, der erst fürzlich aus einem ent seine Grade der Kochkunst; es giebt Doktoren für das legenen Theil der Wüste zurückgekommen war, erzählte Braten- und Abiturienten für das Saucenfach. seinen beiden Nachbarn von einer Elephantenjagd, ohne jede Prahlerei, mit einer Ruhe, als hätte es sich darum gehandelt, auf Hasen zu zielen, anstatt auf Elephanten. Etwas weiter oben neigte sich das feine Profil eines berühmten Gelehrten heiter zur Gräfin, welche lächelnd Der Träumer hatte keinen Appetit mehr. Er war zuhörte; sie war sehr schlank und sehr blond, hatte im Gedanken noch bei den Bretagnern, bei den Leuten junge erstaunte Augen, ein herrliches Smaragdhalsband des Meeres, welche diese herrliche Butte vielleicht ge­um den schönen Nacken und eine Büste, wie die Venus fangen hatten. von Medici . Er erinnerte sich jenes darauffolgenden regnerischen,

Alle Gäste aßen lebhaft mit zarten Bewegungen, aber der gute Ton und die Gewohnheit exquisiter Kost. ließ sie nichts zu Gunsten des außergewöhnlichen Gerichtes offenbaren.

Dieses luxuriöse Mittagessen versprach auch ent- grauen Morgens, wo er neben den schweren, bleifarbenen schieden amüsant zu werden. Die Langeweile, dieser nur Meereswogen spazierte und den Leichnam des alten allzuhäufige Gast bei den Festen der großen Welt, sollte Fischers, des Familienvaters, welcher vor drei Tagen nicht dazu kommen, sich an diesen Tisch zu setzen. Diese im Meere verschwunden war, dieses grausige Ueber­Glücklichen sollten eine föstliche Stunde verbringen und bleibsel, das in Seegras und Meeresschaum gestrandet mit allen Sinnen schwelgen können. war, wieder erkannt hatte. Es war herzzerreißend, seine

Am selben Tische, an seinem äußersten Ende, an grauen, schwimmenden Haare voll Sand und Muscheln dem bescheidensten Blaze, saß stillschweigend ein noch zu sehen. junger Mann, der am wenigsten Beachtete, der Geringste Ein Schauer durchfuhr sein Herz.

von allen Anwesenden, ganz hingegeben seiner Einbildungs- Aber die Diener hatten bereits die Teller entfernt fraft und Träumerei, einer jener querköpfigen Grübler, und jede Spur des mächtigen Fisches verschwinden ge­die etwas vom Philosophen und Dichter an sich haben. macht. Während man ein anderes Gericht servirte, Durch das Ansehen seines Künstlerrufes in der hohen hatten diese eleganten, frivolen Speisenden bereits ihr Gesellschaft zugelassen, ein Aristokrat von Natur, aber Gespräch wieder aufgenommen. Der Hunger war schon ohne Eitelkeit, aus dem Volke hervorgegangen und es ein wenig gestillt, sie wurden lebhafter und sprachen mit nicht vergessend, sog er wohllüstig an dieser Blume der mehr ungezwungenheit. Zivilisation, welche die gute Gesellschaft heißt. Er fühlte mehr und besser als irgend ein Anderer, wie viel Alles Ah! die reizende, liebenswürdige Gesellschaft. in dieser Umgebung: der Reiz der Frauen, der Geist der Da packte den Träumer, den schweigsamen Gast, Männer, das glänzende Tafelgeschirr, die Einrichtung eine unendliche Traurigkeit; denn Alles, was an Arbeit des Saales, bis auf den sammetartig schimmernden Weiß- und Schmerz nöthig ist, um das Bequeme, das Wohl­wein, mit dem er eben seine Lippen netzte, wie all' dieses behagen zu schaffen, tauchte plötzlich vor seiner Vor­selten und gewählt war, und er freute sich, daß ein Zustellung auf.

Munteres Lachen ertönte.

sammentreffen so liebenswürdiger und harmonischer Dinge Nur um zu ermöglichen, daß diese Leute von Welt, existire. Es war ihm, als wäre er in eine Fluth von mitten im Dezember, blos im dünnen Frack sein, damit Optimismus getaucht. Er fand es schön, daß es wenig- diese Damen ihre bloßen Arme und Nacken zeigen Die Gesellschaft war bereits vollzählig versammelt; ſtens irgendwo, wenigstens einigemal, in dieser traurigen fonnten, verbreitete die Luftheizung im Zimmer die der würdige gräfliche Kammerdiener in seinem weiten Welt, einigermaßen glückliche Wesen gab. Wärme eines Frühlingsmorgens. Aber wer hat die Kohle Gilet, mit dem gravitätischen, rothen, von einem weißen Wofera sie dem Mitgefühl zugänglich waren, mild herbeigeschafft? Der Verdammte aus dem schwarzen Backenbart umrahmten Gesichte, ein leibhaftiger englischer thätig- und sie waren es ja sehr wahrscheinlich, diese Lande, der unterirdische Arbeiter, welcher in der Hölle Pair , öffnete eben die Thürflügel des Salons und meldete Befriedigten-wen störten sie, welchen Schaden richteten der Kohlengruben lebt. Wie weiß, wie frisch ist doch die ste an? mit einer Baẞstimme, die ebenso sonor als respektvoll Haut jener jungen Dame, die so siegreich aus dem rosa klang: Es ist servirt". Da legten die Herren die Hüte diesen das Leben Gnade widerfahren lasse, daß sie immer Die menschliche Spinne in Lyon , der Hausweber, der welch' schöner tröstlicher Wahn, zu glauben, daß Atlas hervorleuchtet! Aber wer webte diesen rosa Atlas? auf den Vorsprung der Pfeilertischchen, die vornehmsten oder fast immer diesen sanften, heiteren Ausdruck im immer vei seiner Arbeit in den verseuchten Häusern des Gäste boten den Damen ihren Arm, und alle begaben Blick, dieses halb erschlossene Lächeln auf ihren Lippen ,, Croix Rousse" ſigt.

sich in den Speisesaal, schweigsam, wie bei einer Pro­

zession. Wie glänzte das Tafelgeräth, welche Fülle von behalten werden, daß sie so viel wie möglich die drin- Sie trägt zwei herrliche Perlen in ihren winzigen Blumen und Licht! Jeder Geladene fand ohne Mühe genden und entehrenden Nothdürftigkeiten, die verächtlichen Ohren, diese junge Dame. Welche Pracht, welche seinen Play; sobald er seinen Namen auf der glacirten Gebrechen aus ihrer Existenz verdrängen würden.

schimmernde Durchsichtigkeit, welche vollendete Form!

Karte gelesen hatte, schob ihm ein dicker Lakai in seidenen Derjenige, welchen wir den Träumer nennen wollen, beinahe kugelförmig. Die Perle, welche Kleopatra ge­Strümpfen einen weichen, gepolsterten Stuhl, mit der war eben hier bei seinen Betrachtungen angelangt, als schluckt, nachdem sie dieselbe in Essig aufgelöst hatte, gestickten Grafenkrone geziert, leise nach. der Diener, der großartige Diener feierlich vom Buffet und die 10 000 Sesterzen werth war, konnte nicht reiner Vierzehn Gäste, nicht mehr: vier junge Frauen, in fam; er trug eine große filberne Schüffel, worauf eine gewesen sein. stark dekolletirten Kleidern, und zehn Herren aus den Butte von fabelhafter Größe lag, eine jener phänomenalen Kreisen der Ariſtofratie des Blutes oder des Verdienstes.

Alle trugen an diesem Abende ihre sämmtlichen Orden,

zu Ehren eines fremden Diplomaten, der zur Rechten der

Hausfrau saß.

Fiſche, wie man deren auf alten Bildern sieht, welche die Fischerei darstellen, oder noch in der Auslage von Chevet, vor der eine Reihe erstaunter Gassenjungen ihre Nasenspißen gegen die Auslagefenster drücken. Man servirte.

Aber weiß die junge Dame, daß dort, weit weg, in

Ceylon, auf den Perlausterbänken von Arippo und Coatatchy die Hindu von der Indischen Kompagnie heldenhaft über 12 Klafter in die Tiefe tauchen, einen Fuß in dem schweren Ste gbügel, der sie zum Grunde zieht, in der linken Hand ein Messer, um den Haifisch zu befämpfen? Aber was! Man ist schön und gefall­süchtig, der Speisesaal ist warm und wohlriechend, man tann dort halb nackt, sehr geschmückt speisen und mit Welchen Zusammenhang,

Ganze Büschel fleiner Orden drängten sich an den Als aber der Träumer vor sich, auf seinem Teller Knopflöchern; unter den Umschlägen von zwei oder drei ein Stück dieser riesigen Butte liegen sah, da rief der Fräcken glänzten diamantene Großkreuze. Ein schweres leichte Seegeruch in seiner Vorstellung, welche zu raschen Kommandeurkreuz ar rothen Seidenband breitete sich Ideenassoziationen leicht geneigt war, einen Winkel der seinem Nachbarn kokettiren. auf dem steifen Vorhemde eines Generals aus. Die Damen Bretagner Küste in die Erinnerung, ein mehr als arm frage ich Sie, fann man mit dem düstern Arbeiter haben, hatten ihrerseits alle Herrlichkeiten ihrer Schmuckkästchen seliges Fischerdorf, wo er sich im vergangenen Herbste der 50 Kilometer unter der Erde schanzt? Mit einem aufgesteckt. bis zur Zeit der Tag und Nachtgleiche verspätete, und vor seinem Webstuhl steif gewordenen Weber? Eine elegante, auserlesene Gesellschaft. Eine Atmo- wo er dem furchtbaren Wellenschlag des Meeres gelauscht einem Wilden, der in's Meer springt und es bis­Mit sphäre des Wohlbehagens in diesem hohen, gut temperirten, hatte. Er erinnerte sich plötzlich jener fürchterlichen weilen mit seinem Blute röthet? reich geschmückten Saale. In den 4 Wandfüllungen be- Nacht, wo die Barke nicht landen fonnte, jener Nacht, so traurige, garstige Dinge denken? Warum sollte man an fanden sich Stillleben in dem Prunkstyle von ehemals, in die er am Molo bei einer Gruppe von bestürzten Weibern Welche Abgeschmacktheit! denen Früchte, Wildpret und allerlei Lebensmittel durch verbrachte. Aufrecht stand er dort, der Sprühregen floß

Doch der Träumer wird von seiner fixen Idee ver­einander lagen. Die Bedienung geschah ohne Geräusch, ihm über das Gesicht, der Wind schien ihm die Kleider folgt. Seit einer Weile zerbröckelt er mechanisch, ohne es schien, als ob die Diener auf den dicken Teppichen vom Leibe reißen zu wollen. Welches Leben führen darauf zu achten, ein Stückchen des kleinen, goldgelb ge­nur dahinglitten. Der Mundschenk lispelte den Gästen diese armen Leute! Wie viele Wittwen gab es dort backenen Weißbrotes, das neben seinem Teller liegt. Oh! die Namen der Weine vertraulich ins Ohr, wie, wenn unten, alte und junge, welche für immer das schwarze das ist ein nichtssagendes Phantasie- Nahrungsmittel bei er ihnen ein Geheimniß entdeckte, von dem ihr Leben Umschlagetuch trugen. solch einem Mahle. Man muß unwillkürlich an das naive abhinge. Schon beim Morgengrauen machten sie sich mit Wort jener großen Dame denken, welche zu der unglück­Gleich bei der Suppe, einer fetten, nahrhaften einem Haufen Kinder auf den Weg, um ihr Brot zu lichen Brotlosen sagte, warum sie feinen Kuchen essen?" Kraftbrühe, welche den Magen mit Kraft und Jugend verdienen. Oh: Nichts als Brot! Sie arbeiteten in Aber dieser schöne Kuchen ist doch auch Brot, Brot, das erfüllte, begann das Gespräch zwischen den Tisch - dem efelerregenden Geruch von warmem Del, in der aus Mehl bereitet wurde, und dieses wieder ist aus Korn nachbarn. gemacht. Mein Gott ja, ja, -, es ist kurzweg Brot,

Sardinerie.

Zweifellos waren es erst die gewöhnlichen Gemein- In seiner Erinnerung tauchte wieder die Kirche auf, Brot wie das des Bauern, wie das Kommißbrot des pläge, welche halblaut ausgetauscht wurden. Aber welche die das Dorf beherrschte, in der Mitte der Felsenfüste; Soldaten. Damit es aber dahin, auf den Tisch des Höflichkeit in den einfachsten Bewegungen, welches Wohl- ihr Kirchthurm war weiß angestrichen, um den Schiffen, Reichen kommen konnte, bedurfte es der geduldigen Arbeit