Nr. 76.Donnerstag, 3. Juli 1884I. Jahrg.Krgan für die Interessen der Arbeiter.Das„»erlittet SolkSblatt"erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlinfrei in'S HauS vierteljährlich 3 Mark, monatlich 1 Mark, wöchentlich 25 Pf. EinzelneNummern 5 Pf. Postabonnement pro Quartal 3 Mark.(Eingetragen im VHI. Nachtrage der PostzeitungSpreiSliste unter Nr. 719a.)JttsertiottSgebührbeträgt für die 3 gespaltene Petisteile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Pf.Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 UhrNachmittags in der Expedition, Berlin SW., Zimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen«Bureaux, ohne Erhöhung deS Preises, angenommen.WeöccKtion und KXpeöiLion WerLin SW., Iimmerstraße 44.Abmemeuts-Emlildilug.Zum neuen Vierteljahr erlauben wir uns alle Ar-beiter Berlins zum Abonnement auf dasBerliner Volksblatteinzuladen.Die Reichshauptstadt hatte bislang kein Organ, welchesden Interessen der werkthätigen Bevölkerung diente. DaS„Berliner Volksblatt" füllt diese Lücke aus, es bedarfaber, um seiner Aufgabe voll und ganz gerecht werden zukönnen, der nachhaltigsten Unterstützung der Arbeiter.Wer der Sache der Arbeiter dienen will, helfe einUnternehmen befestigen, welches bestimmt ist die berechtigtenForderungen und Wünsche der Arbeiter zum Ausdruck zubringen.Suche ein Jeder von unseren bisherigen Anhängern indem Kreise seiner Freunde und Bekannten das„BerlinerVolksblatt" zu verbreiten und sehe darauf, daß jeder neugefundene Gesinnungsgenosse sein Versprechen zu abonniren,auch wirklich hält.Unsererseits werden wir bemüht sein, den Inhalt un-sereS Blattes immer reichhaltiger zu gestalten.Ganz besondere Sorgfalt werden wir auch auf dasFeuilleton verwenden und in den ersten Tagen des neuenQuartals mit der Veröffentlichung twes höchst Mter-efsanten und spannenden Romans beginnen.DaS„Berliner Volksblatt".kostet für daSganze Vierteljahr 3 Mark, für MonatJuli, frei ins Haus, 1 Mark.Bestellungen werden von sämmtlichen ZeitungSspediteuren,sowie m der Expedition, Zimmerstraße 44, angenommen.Für Außerhalb nehmen alle Postanstalten Abonnementsfür daS nächste Quartal zum Preise von 3 Mark entgegen.ttnbeftiedigt.AlleS ist unbefriedigt auseinandergegangen; unbefriedigtsind die Regierungen, der Reichstag, daS Land und— dasVolk. Unbeftiedigt von Allem, was geschehen ist. Werkönnte es auch verlangen? Soll etwa„der arme Mann"befriedigt sein von dem, was für ihn geschehen oder kanneine Regierung befriedigt sein, die mit soviel Opposition zukämpfen hat? Oder können die Parteien selbst zufriedensein mit dem Resultat dieser langen Session, nachdem aller-seits die Gegensätze schärfer, die Jnteressenkämpfe heftigergeworden sind?ES geht ein gewaltiger Riß durch unsere Gesellschaft,durch unsere ganze Zeit; das mag wohl Niemand mehr zuleugnen versuchen. Die Philister und Spießbürger klagenüber Ungemüthlichkeit und Unbehaglichkeit; ein sicheresZeichen, daß unsere politischen Kämpfe sehr ernster Natursind und d«ß die großen Fragen, um die sie sich drehen,über den Horizont des AlltagSmenschen hinausgehen. DieFanatiker der„Gemüthlichkeit" müsse» eben nunmehr dafürbüßen, daß sie Allem so lange Zeit träge zugesehen undallem Uebel seinen Lauf gelassen haben, ohne auch nur imGeringsten sich darum zu bekümmern, wie das Uebel ab-gestellt werden könne.Die Fragen, um die sich heute die politischen Kämpfedrehen, sind allerdings die wichtigsten und einschneidendstenfür den modernen Menschen. Der große Gedanke der Zeitist die— wenn auch allmählige— Beseitigung deS Elendsund der Armuth und die Anerkennung der fleißigen Handde» Arbeiters in ihrem ganzen gesellschaftlichen Werthe.Diese große Frage steht nicht zum ersten Mal auf derTagesordnung; man viSkutirt sie seit Jahrhunderten. Aberman kam selten über HumanitätSphrasen oder haltloseUtopistereien hinaus. Wie die antike Welt das Sklaventhum alz eine für den Bestand der Gesellschaft nothwendigeInstitution erklärte— ein ungeheurer und unheilvollerZrrthum, in dessen Bann sogar so edle Geister wie Platound Aristoteles fielen— so ist bis in unsere Zeit derKöhlerglaube lebendig geblieben, daß die Armuth ein LebenS-bedingmß für die menschliche Gesellschaft sei. Die„oberenZehntausend" verwechseln sich auf die Höhe ihrer Macht undihres Einflusses eben gern mit der ganzen Gesellschaft.Diesem Köhlerglauben von der„Nothwenvigkeit" der Ar-muth wird heute mit wissenschaftlichen Systemenzu Leibe gegangen und das ist der große Fortschritt unsererZeit.Daß die Beseitigung der Armuth möglich sei, warfrüher ein Traum der Poeten. Viktor Hugo, der ehrwür-dige Nestor der lfterarischen und politischen DemokratieFrankreichs, hielt vor mehr denn dreißig Jahren, als ernoch konservativ war, eine Rede, in welcher er erklärte, seinHerz sage ihm, daß die Beseitigung der Armuth und desElends möglich sei. Der Traum deS Dichters hat sich heutein ein wissenschaftliches Problem verwandelt, an dessen LöS-barkeit kein Einsichtiger mehr zweifelt.Der große Gedanke hat seine Zeit erfaßt und reißtdie Widerstrebenden mit sich fort. Man fühlt, daß mandiesem großen Problem nicht mehr ausweichen kann, daß eSin alle Fragen eindringt, daß man überall auf das bleicheAntlitz der Armuth stößt, welche wie eine verzauberte Prin-zessin des Märchens unablässig mahnt: Wann werdet Ihrmich erlösen? Und daher kommt das allgemeine Unbeftie-digtsein; man fühlt, daß das, was man gethan und geleistet,so wenig dem großen Gedanken entspricht, der unsere Zeitdurchdringt. Man vergeudet kostbare Tage in zwecklose»Zänkereien.Wenn das anders werden soll, so wird man sich aberbemühen müssen, unsere großen Zeitfrage nicht nur zu ver-stehen, sondern auch die Konsequenzen eines solchen Verständ-nisseS zu ziehen und darnach zu handeln.Ein Rückblick auf den„Kulturkampf.Beitrag zur Geschichte der Reaktion.Wenn gegenseitig von liberaler Seite über Reaktion ge-klagt wird, so thut man gut daran zu erinnern, wer es dennist, der die Reaktion geschaffen hat. Als die preußische Re-gierung den„Kampf mit Rom," den„Kulturkampf", wie ihnder Fortschrittler Virchow nannte, begann, da waren es dieLiberalen vom rechten bis zum linken Flügel, welche aufSeiten der Regierung in allen ihren Polizeimaßrcgeln stand,ohne auch nur im mindesten sich von Rechtsfragen beirren zulaffen, ohne auch nur irgend welche Garantie sich zu ver-schaffen, daß dieser Kamps nicht gegen die fteistnnige Richtungdes Volkslebens ausgenutzt würde. Nachdem das Reich dasAusnahmegesetz gegen �den Jesuiten und verwandten Ordengegeben hatte, führte die preußische Regierung in Preußen nochden Kampf auf eigne Hand weiter, unterstützt von der liberalenMajorität des Landtages. Es wurden Gesetze gegeben, wo-durch Geistliche abgesetzt werden konnten, widerstrebendeGeistliche mit Geld- und Gefängnißstrafen belegt, ohnedaß dieses gegenüber der katholische» Kirche half. Während inWahrheit gegenüber dem Volke die Kirche alle Macht deSStaates auf ihrer Seite hatte und behielt, wurde der vomStaate abgesetzte Priester, der sich unterfing, nach wie vor dieSakramente auszuspenden, dem gläubigen Sterbenden dieletzten Tröstungen seiner Religion zu bieten, wie ein Ver-brecher verfolgt. Man denke sich, welche Wirkung es in einerwirklichen gläubigen Gemeinde haben muß, wenn sich folgendeSzene aufspielt. Ein Mann, der vollständig befangen ist inden Satzungen der Kirche, liegt sterbend in seiner Hütte. Einalter greiser Priester, der im Konflikt mit der Regierung abge-setzt ist, erscheint in Nacht und Nebel mit den Weihgefäßen derKirche, um ihm die letzte Oelung zu ertheilen, von den Ge-meinde-Mitgliedern find nach allen Richtungen Posten aus-gesandt, um zu spähen, daß er nicht von Gensdarmenüberrascht werde, es mißglückt dieses vielleicht undder greise Priester wird wie ein Verbrecher nach demGefängnisse geführt— man denke sich dieses alleö,und die Kirche weiß derartige Verhältnisse auszunützen— dann wird man es sich erklären, wie auch frei-finnige, nicht im Bann der Kirche stehende Personensich auf Seite ver verfolgten Kirche stellen. Die Regierungmußte sehen, daß mit bloßen Geld- und Gefängnißstrafen nichtauszukonimcn war, und so wandte sie sich an das Reich underwirkte das Reichsgesetz vom 4. Mai 1874, das sogenannteJnternirungs- und Expatriirungsgesetz, dessen Befestigung indem Reichstage in zweiter Berathung mit allen gegen dieStimmen der Nationalliberalen beschlossen wurde. Der Inhaltdieses Gescs war folgender: Geistlichen, welche nach Entlaffungaus dem Kirchenamt durch staatsgcrichtliches Urtheil, oder welchenach erfolgter rechtskräftiger Besttafung wegen Vornahme vonAmtshandlungen in einem ihnen staatsgesetzwidrig übertragenenAmte fich noch als Inhaber des ihnen entzogenen oder ihnennicht zukommenden Amtes geriren, kann durch die Landespolizeider Aufenthalt in bestimmten Orten oder Bezirken versagt oderausgewiesen werden. Besteht die Handlung in der ausdrücklichen Anmaßung oder in der thatsächlichen Ausübung desAmtes oder handelt der Geistliche der gegen ihn verhängtenAufenthaltsbeschränkung zuwider, so ist die Zentralbehörde be«fugt, ihm die Staatsangehörigkeit, womit dieselbe auch in jedemanderen Bundesstaat verloren geht, zu entziehen und ihn ausdem Reichsgebiet auszuweisen. Geistlichen, welche wegen Vor-nähme von Amtshandlungen in einem gesetzwidrig ihnen über«ttaaenen oder von ihnen übernommenen Kirchenamte zur Unter-suchung gezogen werden, kann nach Eröffnung des Haupt-Verfahrens bis zur rechtskräftigen Beendigung desselben derAufenthalt in bestimmten Bezirken und Orten untersagtwerden.Dieses Gesetz wurde im Reichstage endgültig in dritterLesung am 25. April 1874 mit 214 gegen 108 Stimmen angenommen. Für dasselbe stimmten außer den Konservativen dieLiberalen aller Schattirungen, die Fortschrittspartei mit einbe-griffen- Gegen das Gesetz stimmten außer dem Zentrum undden Polen, was ja selbstverständlich war, nur die Sozialdemo«kratcn und der Abg. Sonnemann.Wenn ein solches Gesetz von einer konservativen Regie-rung mit Hülfe, ja unter dem Jubelruf der Liberalen erlassenwerden kann, dann darf man sich nicht mehr über die reaktiv-näre Fortentwickelung wundern. Ein solches Gesetz erließenLiberale zu einer Zeit, wo unkirchliche Richtung trotz„Kultur-kämpf" verpönt war. Was einsichtsvolle Männer schon beiErlaß des Jesuitengesetzes erkannten, daß mit demselben derBoden des Rechts verlaffcn und der Weg gebahnt sei, auch fürandere Bevölkerungsklasscn Ausnahmegesetze zu erlassen, das hatfich bewährt und wird sich auch noch weiter bewähren. Wennaber von liberaler Seite der Weberuf über die Reaktion aus-gestoßen wird, dann sollten die Liberalen zuerst an ihre eigneBrust schlagen und rufen: Wehe, wehe Uns, wir haben sieselber groß gezogen.Politische tteberjicht.Unsere Maltheser. Folgendes köstliche Geschichtchen istin der„Post" zu lesen:„Die Abstimmung über das S o z i a«listen«Gesetz hat unlängst in der Versammlung derSchlesischen Maltheser-Ritter, deren Vorsitzender,Graf Praschma, im Reichstage seine Stimme gegen die Ver«längerung des Gesetzes abgegeben hatte, ein Nachspiel gehabt.Die Reichstagsmitglieder und Maltheser Graf Ballestrem,Graf Saurma, Graf Stolberg und Freiherr von Huene hattengegen die Sozialdemokratie gestimmt, nur der Vorsitzende mitGraf Chamarö und Herrn von Schalscha hatten den Muthgehabt, für dieselbe einzutreten. Dem Vorsitzenden wurde dasMißfallen über dieses Verhalten in unzweideutiger Weise kund-gegeben."— Die alten Maltheser, die heldenmüthigen Ver-theidiger von Rhodus, würden sich im Grabe herumdrehen,wenn sie durch die„Post" erfahren könnten, daß es in demberühmten Orden nur noch„drei muthige" Männergiebt. Die übrigen werden sich mit dem Verse trösten: Muthzeiget auch der Mameluk, Gehorsam ist des Christen Schmuck!„Arbeitsuchende haben ihre Gesuche portofrei schriftlicheinzureichen und Atteste nebst Lebenslauf beizufügen", so lauteteine Bekanntmachung der königl. Eisenbahn-Hauptwcrkstätte zuBuckau. Diese Werkstatt beschäftigt jetzt ca. 500 Arbeiter undwird, wenn die jetzt im Bau begriffenen Erweiterungen fertiggestellt sind, über 1000 Mann beschäftigen. Abgesehen davon,daß es ein recht sonderbares Verlangen ist, jedem Arbeitsuchenden Arbeiter zuzumuthen, daß er im Stande sein soll»eine Beschreibung seines Lebens abgeben zu können, so möchten.wir noch fragen: Was hat ein solches Schriftstück denn eigent-lich für einen Werth? Ist denn der beste Schreiber oderStilverständige der beste praktische Arbeiter? Keineswegs kWill man tüchtige Arbeiter haben, so wird man aus einerVorstellung und persönlichen Rücksprache mit denselben fichgewiß eher ein Bild von der möglichen Leistungsfähigkeit der«selben machen, als durch die Abgabe von Lebensbeschreibungen,die ganz beliebig, wie es dem Schreiber passend erscheint, her«gerichtet werden können. Solche Verordnungen, wie sie diekönigl. Hauptwerkstätte in Buckau erläßt, haben nicht den ge«ringsten praktischen Werth, sie erschweren den Arbeitem nurdas Arbettsuchen und verursachen denselben Verluste an Zellund Geld für Anfrage- und Antwort-Porto- Es wäre dringendzu wünschen, daß von Seiten des Herrn Eisenbahnministersdergleichen überflüssige Belästigungen der Arbeit suchendenArbeiter verboten würden.— Uebrigens müßten in der Werk«statt zu Buckau wohl noch extra einige neue Beamten an«gestellt werden, wenn das schriftliche Anfrageverfahren betreffsArbeit durchgeführt werden sollte; denn der einem künftigenArbeiterbestande v»n 1000 und noch mehr Personen dürste dasPrüfen der Atteste und Lebensbeschreibungen, Lesen und Be«antworten der Briefe so viel Zeit beanspruchen, daß hierzu ein„Extta-Arbeiter-LebenslaufprüfungS-Burcau" errichtet werdenmüßte.'Nach den neuesten Nachrichten aus Elberfeld weißman in dortigen maßgebenden Kreisen nichts, was das Gerüchtüber die bevorstehende Verhängung des Belagerungszustandesbestätigen könnte.Die Landgemeinden Mährens haben am 1. Juli gewählt»welche insgesammt31 Abgeordnete in den Landtag entsenden. Vonden Gewählten gehören 9 verdeutschen, 22 der czechischen Par«tei an. Im früheren Landtage war diese Gruppe durch 10deutsche und 21 czechische Abgeordnete vertteten und verlor da«her die Verfassungspartei diesesmal ein Mandat, das für denBezirk Datschiv-Jamnitz. Dagegen hat sie sich in zwei anderenhartbedrohten Wahlbezirken, jenen von Neutischein und Müglitz,zu behaupten gewußt. r �Als Norwegen erfuhr, daß ein liberales MinisteriumSverdmp gebildet sei, wurden von Kap Llndesnäs bis zumNordkap zur Bezcigung der Freude aller Orten die Flaggengehißt, zahlreiche improvisirte Volksversammlungen wurden ab-gehalten und jubelnde Begrüßungstclegramme un Sverdrupabgesandt. Die Bildung des Ministeriums Sverdmp, desersten parlamentarischen in Norwegen, ist die bedeutungsvollstepolitische Begebenheit seit dem Jahre 1314; die Jahrzehntehindurch seitens der Demokratie gegen die despotische Bureau-kratie und die pietistische Geistlichkeit geführten Känipfe sindendlich beendet und das Land wird auf den Weg der in allenVerwaltungszweigen so nöthigen Reformen geführt werden.Nur die Konservativen find äußerst mißvergnügt über den AuS-fall der Krifis. Das ultra-konsemative Organ der HauptstadtNorwegens, das„Morgenbl", vergleicht das neue Ministeriumin manchen Punkten mit dem-—2....«Di«»».-!..-."und mag demselben kein lanfür jeden Unparteiischen klar/.....ein schwach lonstruirtcs Kabinet ist, das schon bei seiner Zu-fammensetzung den Keim zu einem mehr oder weniger schnellen~ �' Jen haben dürfte.�~'''Tode in sich"getragen haben dürste." Anders das gemäßigtradikale„Dagblad, welches die Emennung des KadinetsSverdrup für„das bedeutendste Ereigniß in der norwegischenGeschichte seit dem Jahre 1814" anficht.„Das KabmetSverdrup ist das erste parlamentarische Ministerium Norwegens;