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Nr. 197.

Freitag, 21. November 1884.

L. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das ,, Berliner Boltsblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin   frei in's Haus vierteljährlich 3 Mart, monatlich 1 Mart, wöchentlich 25 f. Einzelne Nummern 5 Pf. Postabonnement pro Quartal 3 Mart.( Eingetragen im VIII. Nachtrage der Postzeitungspreisliste unter Nr. 719a.)

Insertionsgebühr

beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Bf. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin   SW., Simmerstraße 44, sowie von allen Annoncens Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Redaktion und Expedition Berlin   SW., Bimmerftraße 44.

Die Beschränkung der Tanzvergnügen. Um das unartige Bolt zu bessern, wird man nicht müde, die verschiedensten Vorschläge zu machen.

Gegenwärtig tagen oder es haben kürzlich getagt die Provinzial- Synoden, die ihre Ausschüsse für innere Mission u. f. w. besigen, welche mit vielerlei Mitteln zur Heilung der Volksschäden hervortreten. Natürlich stüßen sich diese Ausschüsse meist bei ihren Vorschlägen auf die Polizei und nicht auf die chriftliche Liebe; so soll zum Beispiel bei der Befämpfung der Trunksucht lediglich die Polizei einschreiten burch Ronzessionsverweigerungen und Konzessionsentziehungen, die paar Wärm- und Kaffeestuben, welche nebenbei die innere Mission empfiehlt, bleiben meist auf dem Resolutions­papier stehen und treten nicht in die Wirklichkeit.

in den niederen Ständen bekämpft werden und dazu Ueber die Trunksucht soll aber auch die Unfittlichkeit empfiehlt die innere Mission die Beschränkung der Tanzvergnügen.

Aus diesem Borschlage sieht man so recht, wie wenig die Herren vom Volfsleben verstehen.

Bunächst sei bemerkt, daß die Tanzvergnügen, an welchen sich das arbeitende Volk betheiligt, äußerst selten find, in Berlin   sowohl, wie auswärts, so daß eine weitere Beschränkung derselben einem absoluten Berbote

gleich fäme.

Diejenigen Tanzvergnügen aber, besonders in Berlin  und den großen Städten überhaupt, welche der Völlerei und Unzucht Vorschub leiften, werden von Arbeitern faum be sucht, bort findet man vielmehr die jeunesse doree, die reiche, müßiggängerische Jugend. Wenn die innere Mission fich gegen solche Tanzvergnügen wenden will, so haben wir gewiß nichts dagegen.

Aber wenn sie dem Volte die wenigen Vereinsfestlich­feiten, die wenigen Tanzvergnügen noch zu verkümmen sucht, dagegen erheben wir lauten Protest! Sie, die innere Miffion, weiß aber nicht, was sie ihut.

Ganz abgesehen davon, daß das Volt, welches Jahr aus, Jahr ein festgehalten wird an der harten, einförmigen Arbeit, auch einmal sich erheitern will, ganz abgesehen da= von, daß das arbeitende Volt auch ein Anrecht an die Fröhlichkeit hat, so gut wie der Wohlhabende, wird es durch ein fröhliches Fest mit oder ohne Tanzvergnügen wieder er­muntert zu weiterer entfagungsvoller Arbeit. Naubt man aber dem Bolte seine Fröhlichkeit, raubt man ihm die wenigen Stunden geselliger Heiterkeit, so macht man es mürrisch und noch unzufriedener, wie es jezt in Folge der uzulänglichen Verhältnisse leider schon ist.

Will das die innere Mission? Sollen deshalb die Tanz­vergnügen beschränkt werden?

Radbrud verboten.]

17,

und fich

Feuilleton.

Gesucht und gefunden.

Roman von Dr. Dur.

( Forseßung.)

Das wichtigste Geschäft für Cordelia war jetzt die Restauration ihrer Toilette; und mit anerkennenswerther Routine hatte sie es schon nach furzer Seit dahin ge bracht, daß alle Farben ihres Antliges im schönsten Glanze strahlten, daß die Schönpflästerchen effektvoll plazirt waren, pollster Schönheit zeigte. ibre Persönlichkeit überhaupt in wirkungs Sie trug ein ausgeschnittenes Kleid, dessen weite Spisenärmel über die mehr als mageren Arme malerisch herabfielen und das mit einer langen, rauschenden Schleppe versehen war. Nachdem sie die Sände in graue Handschuhe geſtedt hatte, ergriff fie einen Fächer und rauschte nun hinaus, um vor der Tafel noch Lucien einen Besuch zu machen. Eine halbe Stunde hatte sie dort geweilt, da wußte fie Afles; und hätte die Schminke es nicht verhindert, man würde Die Bornesröthe auf ihrem Antlig haben flammen sehen; und bätte sie die Thränen nicht gewaltsam unterdrückt, weil die Farben ihrer Wangen nicht wasserecht waren, so hätte fte vor Mitleid und Born geweint.

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,, Armes Kind," sagte fie, Lucie umarmend. D, diese Amberg's! Diese Leute sind die bösen Dämonen der Familie. Aber seien Sie rubig! Ich räche Sie und mich!"

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Das Weihnachtsfest im Schulhause hatte nicht die Feier­lichkeit, welche man fich von demselben versprochen. Vom Schloffe war als die einzige Vertretung der Herrschaft Fräulein Cordelia anwesend. Lucie hatte es nicht über sich vermocht, an der Feier theilzunehmen. Rodenburg war ebenso wenig in der Stimmung und Emmy   betheiligte sich überhaupt nicht an solchen Bettlerfesten, wie sie sagte. Auch Ehrlich und Prediger Wilhelmi waren in feiner Feststimmung. Cordelia hatte ihnen Alles erzählt, was im Schloffe vorgefallen und hatte die Nache des Himmels und

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Man wird uns entgegenhalten, daß es auf den Volks­festen und auf den Voltsbällen aber nicht immer sitisam her gehe, daß in der ausgelassensten Weise getollt und spektaku= lirt werde. Im Allgemeinen ist diese Ansicht eine grund­falsche. Ausnahmen mag es dabei geben, Ausnahmen giebt es eben überall.

Aber wenn dem wirklich so wäre! Wer trüge dann die Schuld? Antwort: Der Kastengeist, der Sondergeist, der in die Menschheit gefahren ist und der die Menschen selbst bei unschuldigen Vergnügen streng scheidet und feine wahrhaften

Voltsfeste zuläßt.

Weshalb werden denn keine gemeinsame Tanz­vergnügen aller Klassen und Stände arrangirt? Dann würden die etwaigen sogenannten Rohheiten, welche man den Arbeitern so gern aufbürdet, von selbst aufhören, aber auch die Besitzenden, die Vornehmen" würden viel lernen tönnen von dem natürlichen Anstande, von der Bescheiden­heit der Arbeiter.

Aber das geht doch nicht, hören wir die Frau Rom­❘merzienräthin rufen, meine zarte, parfümduftende Ella fann doch nicht mit unserem Wertmeister oder gar mit einem der Eisenarbeiter tanzen! Und auch der noch selbstständige Hand­werfer bewahrt feine Tochter vor den Berührungen eines Lohnarbeiters. So ist es nun leider.

Würde die innere Mission nicht besser daran thun, den Hochmuthsteufel bei den Befizenden auszutrei ben, als dem armen Bolte seine geringen Vergnü­

gungen zu rauben?

Würde die innere Mission nicht besser daran thun, durch die Idee der Bruder- und Nächstenliebe, welche sie ja ver­fechten muß, die Schäden der Gesellschaft heilen zu helfen, als durch fortwährendes Rufen nach der Strenge des Gesezes und nach Polizei?

Sie würde besser daran thun, aber sie wird es nicht! Glücklicher Weise hat diese starre, orthodoxe Gesell­schaft nur noch geringen Einfluß im Volle, so daß sie auch nur noch geringen Schaden anrichten tann. Wer immer und bei jeder Gelegenheit ruft, der hat sich übrigens auch des Rechts begeben, eine eigene Meinung zu besitzen.

Wir würden deshalb schon diesen neuen, polizeilichen Vorschlag der inneren Mission" gar nicht einer Besprechung gewürdigt haben, wenn nicht zahlreiche Blätter aller Farben bie betreffende Resolution mit einem gewissen Behagen an­gedeutet hätten.

Das Volt aber möge dessen eingedenk sein, daß man in weiteren Kreisen die Absicht zeigt, ihm noch die geringen Vergnügen zu verfümmern, denen es jetzt noch nachgehen fann.

Berichtigung. In dem Artikel: Fleiß und Sparsam

Ich muß das gute Kind trösten," sagte sie zu Rodenburg, den fie im Vorbeigeben begrüßte. Sbr Barbaren habt Ihr das Herz gebrochen. D. Ihr habt Alle fein Herz, und wenn fte hier feinen Freund mehr hat, so will ich ihr eine Freundin sein."

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Ste rauschte über den Korridor und klopfte leise. Es Noch folgte teine Antwort. Sie wiederholte ihr Klopfen teine Antwort.

Da öffnete fte die Thür. Das Zimmer war leer; Lucie war nicht anwesend.

Wo ist denn bloß das gute Kind geblieben," dachte Cor­belia. Eine unerklärliche Angst überkam sie. Wieder rauschte fte über den Korridor.

,, He, Charlotte, Friederike, Dorothea!" rief fie nach allen Seiten hin, und bei dem Ton ihrer aufgeregten und gebieterischen Stimme erschien das Gesinde.

Wo ist Fräulein Lucie? Sie ist nicht in ihrem Bimmer!" forschte Cordelia in höchster Aufregung.

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Nicht in ihrem Bimmer?" wiederholten Alle überrascht. ,, Nein, ist finster dort, und Niemand hat mir geant­wortet, als ich hineinrief."

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Man brachte Licht. Das Zimmer war in der That leer. Schränke, Kommoden und Schubladen standen offen. Lucie's Habseligkeiten waren alle dort, wie Charlotte sofort konstatirte; nur dasjenige fehlte, was sie mit ins Haus gebracht hatte. Es find Diebe hier gewesen! Man hat sie ermordet!" schrie Cordelia. Auf allen Gefichtern lag der Schrecken; selbst Charlotte Brand allein blieb und Emmy   sahen sehr betroffen aus. ruhig ernsten und traurigen Antliges stand er da. Fräulein Cordelia," sagte er, nicht Diebe, welche nach ihrem Vermögen trachteten, sondern solche, welche versuchten, ihre Ehre zu rauben."

Er war der einzige, welcher um ihre Flucht wußte. Er hatte sie die Hintertreppe hinabgehen und durch den Garten cilen schen; der alte Gärtner batte fie begleitet und ihr mit Thränen in den Augen zugerufen:

Gott verzeihe Denjenigen, welche Ihnen Unrecht gethan

haben!"

Das ganze Schloß war über diese Flucht in Aufregung. war für ihn vernichtend.

aller Menschen auf das Haupt der Schuldigen heraufbeschworen; Rodenburg war der Leste, welcher davon erfuhr; der Schlag

Als

Sie hatte mit Ehrlich ein Komplott auf Tod und Leben ge schloffen, um die Unglückliche zu schüßen und zu rächen. fie nach dem Schlosse zurückkehrte, war ihr erster Gang auf

Lucien's Bimmer.

,, D Himmel" ächste er, gieb, daß ich mich nicht zum zweiten Wale an meinem Bruder versündige!"

feit?" in Nr. 195 muß es in der zweiten Epalte, 9. Beile von unten anstatt Regulation heißen Population.

und unklar ist,

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Politische Uebersicht.

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und

Die Berbreitung der Gesezestenntniß in der Bes völkerung. Wir leben in einer Zeit, welche in Bezug auf die Schaffung neuer Geseze Vieles und Mannigfaltiges leistet. Jede, selbst die unbedeutendste Seite des bürgerlichen Lebens erfährt mehr oder weniger eine gefeßliche Regelung", die aller dings oft genug für den gewöhnlichen Laienverstand dunkel denn die juristische Scholaftit, welche diese Regelung vornimmt, pflegt sich der Gemeinverständlichkeit nicht zu befleißigen. Es wäre geradezu lächerlich, anzunehmen, daß es genug sei, ein Gesez in ordnungsmäßiger Weise zu Stande zu bringen, es einfach in Kraft treten zu lassen gegebenen Falles zu handhaben. Das Gesez erhält vielmehr zur Kenntniß und zum Verständniß der Bevölkerung gebracht wird. Die Zeiten, wo die Geseßeskenntniß ein Privilegium einzelner Stände war, sind vorüber. Der Staat verlangt fate­gorisch von jedem seiner Bürger die Kenntniß des Gesetzes, und die Justiz verfährt rücksichtslos nach dem Sap: Ge­segesunkenntniß schüßt vor Strafe nicht" kaum, daß fie diese Unkenntniß einmal als mildernder Umstand gelten läßt. Uns will es nun scheinen, daß derselbe Staat, welcher unter Androhung von überaus empfindlichen Vermögens- und noch schwereren Nachtheilen diese Forderung aufstellt, auch verpflichtet wäre, Jedermann die Möglichkeit zu bieten, sich diese Kenntniß zu erwerben. Durch Veröffentlichung der Gefeße im Reichs­gesetzblatte oder Veranstaltung billiger Gefeßausgaben entspricht Der Staat dieser Verpflichtung nicht, denn der nackte Wortlaut der Gesetze wird den meisten unverständlich bleiben, praktisch darum werthlos sein. Der Staat tönnte seiner Verpflichtung, den Bürgern, von denen er die Kenntniß der Geseze verlangt, diese Kenntnis zu verschaffen, nur dadurch gerecht werden, wenn er in der Volksschule, das geltende Recht als obligaten Lehrgegenstand proflamieren würde. Von sehr maßgebender Seite wurde auch wiederholt eine Aenderung des Lehrplanes in den untersten Schulen angeregt und namentlich auf die Nothwendigkeit, die Kenntniß des Strafgeseyes allen zugänglich zu machen, hingewiesen. Zweifelsohne ist das Strafgefegbuch das wichtigste Gesetzbuch und am meisten zu empfehlen für den allgemeinen Unterricht, denn wir leben in einer Zeit, wo die Kenntniß dieses Gesetzes zum Range einer Bürgerpflicht erhoben wurde, und die gegenwärtige Generation wird in dem Zeichen des Staatsanwalts geboren. Es wäre endlich viel vernünftiger und der staatsbürgerlichen Idee, welche doch auch in der Schule gepflegt werden soll, viel entsprechender, die Kinder in Rechts- und Gesetzesfragen zu unterrichten, statt ihr Hirn mit Bibel- und Katechismusversen zu sättigen.

Konservative unter sich. Die hochoffiziöse ,, Nord. Allg. Beitung" bringt folgenden Bericht von einer Versammlung des Vereins der Konservativen in Elbing  :

In Elbing   haben bekanntlich zwei Tonservative Kandi­Daten bei der Hauptwahl konkurrizt und sich sehr entschieden

Bwölftes Kapitel.

An dem Morgen desselben Weihnachtsheiligabends, an welchem im Schloß Rodenburg eine schändliche Intrigue er sonnen wurde, um ein unschuldiges Mädchen zu verderben, legte sich auch drückend und schwer eine Wolfe des Unheils über das Haus des Kaufmanns Amberg   in Berlin  .

Wir treten in eine Wohnung, deren Aussehen bürgerlichen Wohlstand andeutete. An einem Pulte fist der Kaufmann Amberg  , einen Brief nach dem andern öffnend und bei Seite werfend, und je mehr Briefe er öffnet und bei Seite wirft, desto düsterer umwölkt sich seine Stirn. Seine Frau Katha­rina ist mit dem Serviren eines Kaffeetisches beschäftigt. Von Beit zu Zeit wirft sie einen fummervollen Blick auf ihren Gatten. So sehr er sich auch bemüht, seine Nieder geschlagenheit nicht merken zu laffen, file weiß, was ihn be­Drückt.

Eine liebende Frau bedarf nur eines Blickes, um die Ge müthsstimmung des geliebten Mannes zu errathen. Herr Am berg ist erst eine furze Zeit verheirathet. Wie wir wissen, hat nicht Gut und Reichthum ihn diese heirath schließen lassen, sondern lediglich die Liebe.

Muthooll und mit Anstrengung aller seiner Kräfte war er den geschäftlichen Schwierigkeiten entgegengetreten, um seinem geliebten Weibe ein angenehmes, sorgenfreies Leben zu bereiten und zu sichern, und unbehelligt von den Schwierigkeiten finan­zieller Verlegenheiten das Glüd seiner jungen Ehe genießen zu tönnen. Vergebens! Das Unheil war unaufhaltsam hereingebrochen und der legte Ausweg zur Rettung hatte sich Die Briefe, die er las, gaben ihm die ihm verschlossen. Ueberzeugung, daß Alles verloren sei.

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,, Georg, mein Lieber," sagte Käthchen mit sanfter Stimme und einen Blick voll tiefsinniger Theilnahme auf den brütend da fizenden Gatten, der Kaffee is bereit. Willst Du nicht an meiner Seite Plaz nehmen?"

Er antwortete nicht. Seine Hand zerknitterte den letzten Brief, und mit einem Anfluge von Born schleuderte er den­selben von sich. Seine Gattin erhob sich, trat zu ihm und legte fanft ihren Arm um seine Schulter.

Georg! Was haft Du? Du bist verdrießlich!" Es war das erste Wal, daß er ihre Liebkosungen nicht erwiderte. In derselben Stellung verbleibend, murmelte er für fich:

,, Entseßlich! Ich kann es ihr nicht länger verbergen! Nun muß fie Alles wissen. Unglückliches Weib!"

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" Du antwortest nicht, Georg!" fuhr fte fort, seine Wangen