Nr. 75.
Sonntag, 29. März 1885.
II. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
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Am 1. April werden wir mit der Veröffentlichung eines böchft intereffanten und spannenden Romans aus der Feder Friedrich Geritäder's
beginnen.
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Im Eckfenster
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Die neuen Kolonien.
Aus Westafrika kommen mehrfache Mittheilungen des Inhaltes, daß nicht nur in den englischen, sondern auch in den deutschen Befißungen sich unter den Eingeborenen eine tiefgehende Strömung der Unzufriedenheit fühlbar macht. Erklärlich ist das; gegenüber dem überall mit Macht an dringenden europäischen Rolonifirungssystem fühlen sich die Eingeborenen in ihren Traditionen nnd Gewohnheiten be einträchtigt; es wird ihnen unbehaglich, diese Traditionen und Gewohnheiten mögen an und sich noch so toll und so unberechtigt sein, sie wurzeln deshalb nicht minder tief und üben eine nicht geringe Macht aus, als die Gewohnheiten
Nachdruck verboten.]
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Feuilleton.
Gesucht und gefunden.
Roman von Dr. Dur. ( Forsegung.)
,, Es waltet über dem Verhältniß zu dieser Person ein fennt. Geheimniß, das, wie es scheint, Niemand Nur, wenn ich dieses Geheimniß ergründen könnte, wäre Hilfe möglich; ich habe aber eingesehen, daß es unmöglich ist, hinter das Geheimniß zukommen."
"
Ein Verhältniß des Grafen zu der Bettlerin! D nein Friz, ein solches hat nicht existirt, da thuft Du dem Grafen Unrecht; fo weit hat er sich nie vergeffen."
Ich weiß, Dntel Habicht, daß Dich dieser mein Ver bacht beleidigt; Du sprachst schon einmal Deinen Un willen darüber aus, wie ich mich erinnere... Lassen wir
es dahingestellt sein; jedenfalls existirt ein Zusammenbang."
,, Das ist richtig, Friz!"
Man könnte vielleicht dem Uebel Einhalt thun, wenn man die Alte finge und auf immer aus der Nähe von M'Donuil verbannte. Wie Du aber selbst fagtest, und wie ja auch Segal versichert, hat es der Graf streng verboten, ihr ein Leid zu thun."
,, Das ist der Fall!"
Nun, wie soll ich also helfen? Was kann ich Euch nüßen?... Nichts, gar nichts! Es wäre ein großes Unrecht von mir, wollte ich von hier fortgehen, wo meine Anwesenheit so dringend nöthig ist, um dort nuplos die Beit zu verbringen."
,, Das ist wohl wahr, Fris, Du bist hier in ber Anftalt ein Segen für die unglücklichen Kranken, aber auch uns bist Du ein Troft. Schon der armen Romtesse Agathe wegen müßtest Du es thun; Du glaubst nicht, Frig, welches Vertrauen fie in Dich feßt, und wie sie schon eine Beruhigung darin findet, daß Du da bist, wenn Du auch wirklich nicht solltest helfen tönnen, was ich indessen nicht glaube."
" Ich will Dir etwas sagen, Habicht, vielleicht kommt
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bei uns. Eine weise Politik wird diese Gewohnheiten schonen, um teine Verwirrung anzurichten, nachdem die Ges biete in Westafrita nun einmal besetzt sind.
Die Art, wie von europäischen Raufleuten der Handel nach Kolonialgebieten der in Rede stehenden Qualität bes trieben zu werden pflegt, ist auch nicht gerade angethan, die Eingeborenen mit rosigen Vorstellungen von dem Uebergewicht des europäischen Einflusses zu erfüllen. Die Indus strieprodukte, die dahin gebracht werden, sind zu einem großen Theil Schleuderwaaren und Schun d. Man giebt den Negern schlechten Schnaps, der fie torrumpirt und ruinirt, farbige Tücher niedrigster Qualität, Schmuck- und Spielsachen, wie sie bei uns auf dem Jahrmarkt des elendeften Dorfes nicht mehr verkauft werden können, Messer aus schlechtem Metall, Gewehre, die nicht losgehen, und Pulver geringwerthigfter Qualität. Dafür tauscht man Naturprodukte ein, die sich oft sehr gewinnbringend verwerthen lassen, wie z. B. bas Elfenbein. Die Neger geben ihr gutes Palmöl für schlechten Fusel bin.
Nun mögen die Bedürfnisse halb ober ganzwilder Neger thatsächlich auf sehr niedriger Stufe stehen; allein so dumm sind denn doch die Neger nicht, um nicht zu bemerken, daß sie mit den geringwerthigsten Waaren versehen werden. Sie haben doch Gelegenheit, bei den in Westafrika angesiedelten Weißen Waaren und Gebrauchsgegenstände von befferer, Waffen von überlegener Qualität zu sehen, und so müssen sie doch begreifen, daß man ihnen den Schund aufhängt, daher Mißtrauen gegen die europäischen Händler und Unzufriedenheit.
Wir sind mit der Rolonialpolitik in ihrer gegenwärtigen Gestalt, wie wir schon mehrfach ausgeführt, nicht einverstanden; nachdem aber jene Rüftenftriche einmal offupirt find, so handelt es sich doch offenbar auch darum, da s Verhältniß zwischen Europäern und Eingeborenen völlig zu regeln. Wir meinen, daß es doch keineswegs zulässig fein tann, die unwissenden und unerfahrenen Neger als Ausbeutungsobjekt gewissen europäischen Händlern und Spekulanten ohne weiteren Schuß zu überlassen. Daß die lettern sich wenig darum fümmern, ob die Neger physisch und moralisch zu Grunde gehen, nachdem man sie zu exzessiven Gewohnheiten verleitet, ist bekannt. Diese Herren tennen keinen anderen Maßstab, als den Handelsprofit. Man bente nur an die englischen Opium händler.
Bei dieser Gelegenheit aber wirft sich ganz von selbst die Frage auf: Wie gedenkt man seitens der deutschen Reichsregierung die öffentlichen Zustände in dem neuerwor
Euch die Hilfe von einer andern Seite, von welcher Ihr fie garnicht erwartet habt."
Wie meinst Du das?"
„ Nach Segal's Erzählungen scheint es, daß der Baronet O'Brian auf die Alte Jagd macht."
Der Baronet ist ein Spion!" fiel Habicht lebhaft ein. ,, Er wird nicht wiederkommen. Ich hörte die Komtesse ein mal eine Andeutung darüber machen; fie sagte, daß er nicht wiederkommen würde."
Das wäre zu ihrem Unglück. Was ihn auch bewogen haben mag, die Alte zu verfolgen, er hat, wie es scheint, sie stets aus Eurer Nähe vertrieben und das durch die glückliche Krisis der Krankheit des Grafen herbei geführt."
,, Das mag fein! So wie ich aber die Sache auffaffe, ift es nichts weiter als Neugierde; er hat hinter das Ges heimniß, von dem Du sprichst, fommen wollen. Das war sehr indiskret von ihm, und er hat dadurch die arme Gräfin, wie ich bestimmt weiß, geängstigt.
benen Rolonialgebiet zu organisiren? Wird man eine vollständige staatliche Organisation vornehmen? Wird man den Negern alle die Rechte verleihen und die Pflichten auferlegen, die dem deutschen Reichsbürger zu fallen oder wird man dem Neger nur die Stellung eines Reichsbürgers zweiter, britter oder vierter Klasse einräumen, während der in Kamerun oder Bimbia wohnende Weiße die volle Qualität eines Reichsangehörigen hat? Das lettere wäre sicherlich eine ungesunde und unhaltbare Basis für eine Rolonie; über die Seiten, da man solche Einrich tungen noch für nothwendig halten konnte, find wir denn doch lange hinaus.
"
Und was für Wohlthaten der Zivili= sation", von denen man doch so oft und so viel ge= sprochen, will man den Negern denn zugänglich machen? Soll ein öffentlicher Unterricht, eine Armenpflege, eine ge regelte Juftispflege und Verwaltung und was drum und bran hängt eingerichtet werden, so fegt dies eine völlige staatliche Organisation voraus. Db man Luft hat, eine folche einzusetzen, darüber muß uns die Zukunft belehren. Damit wäre freilich ein Umstand verbunden, der den Negern noch ziemlich fremdartig erscheinen dürfte, nämlich die Einführung von Steuern und Abgaben. Eine solche Wendung dürften sie ziemlich schwer begreifen, wenngleich wir Europäer uns alle darüber einig sind, daß kein modernes Staatswesen ohne Steuern bestehen kann. Allerbings könnten zweckmäßigere und nicht so sehr voltsbelastende Steuern an die Stelle der jezt üblichen treten.
Wir enthalten uns eines Vorschlags zur Lösung der in den neuen Kolonien obschwebenden Fragen, nicht etwa, weil wir keinen Vorschlag wüßten, sondern weil wir die Lösung dieser Fragen gerne denen überlassen, bie sie angeregt haben. Aber wir wollten nur fonstatiren, daß diese Fragen bestehen, die doch für die Zukunft unserer Verhältnisse zu Westafrika maßgebend find, während eine Anzahl Blätter täglich von dem großen Segen der Kolonialpolitik redet, ohne jemals an jene Fragen gedacht zu haben.
Politische Uebersicht.
An der Krippe des Reptilienfond's herrscht große Aufregung, weil die kleine Exzellenz, der Abg. Windthorst, im Abgeordnetenhause einen Antrag auf Beseitigung des Sequester's über das Vermögen des früheren Königs Georg von Hannover einbringen will. Herr Windthorst will dabei Bezug nehmen auf einen dem Abgeord retenbause vorliegenden Gefeß ntwurf, rah welchem das her zog iche Haus von Schleswig- Holstein dafür entschädigt wer
denke, daß es nicht bloß der Graf ist, der von Dir Heilung erwartet, daß es auch der Komtesse Trost und Beruhigung gewährt, und daß endlich ich es bin, Friß, der die fefte Ueberzeugung bat, daß Du dort gebraucht wirft und nicht überflüssig bist."
Jm Nebenzimmer war inzwischen der Frühstückstisch gedeckt. Es fehlte auch nicht eine Flasche vom ältesten Sherry ; es fehlte auch nicht an den ausgesuchtesten Leders bissen eines Gaumens, der sich nur erst halb an den englischen Geschmack gewöhnt hat. Friz nahm den Arm seines Pathen, führte ihn in das Nebenzimmer und ließ ihn hier Plaz nehmen.
Achtes Rapitel.
Der Doktor Rodenburg hatte eben sein Glas eins geschenkt, als einer der Wärter erschien und in ein Papier gemidelt, einen kleinen Gegenstand vor ihm hinlegte.
"
,, Ah! ich hatte vergessen, über der Freude des Wieder sehens mein Experiment zu machen," sagte Friz.„ Du
Nein, der Baronet D'Brian wird M'Donuil nicht wieder fannst mir ein wenig bei dem Experiment affistiren, Onkel
betreten.
"
" Es geht dies Jahr absolut nicht, Pathe."
Warum nicht?"
" Ich habe vor allen Dingen die Aufgabe, hier eine Krante zu beobachten, die eben so unglücklich ist, wie der Graf, die, wie es scheint, Krankheitsanfälle zu ungefähr berselben Zeit hat, und der ich möglicher Weise Heilung bringen tann."
Rannst Du nicht die Behandlung dieser Kranken hinausschieben bis zu der Zeit, da der Graf Deiner nicht mehr bedarf?"
Das geht nicht!... Es handelt sich um eine Frau, welche den ganzen Sommer in der Anstalt sich aufhält, ohne daß sie Spuren einer Krankheit zeigt. Die Spuren einer Geisteskrankheit müssen sich nach meiner Ansicht aber gerade um diese Beit zeigen, und wenn ich nun von hier fortgebe, so kann ich die Symptome und den Verlauf der Krankheit nicht beobachten."
sich hin.
Ich sehe ein, Friß, daß Du nicht ganz Unrecht haft, baß es von uns selbstsüchtig wäre, wollten wir Dich Deinen Patienten entziehen. Ueberlege es Dir, mein Junge, be
Habicht," fügte er scherzend hinzu.
" Ich? Bei einem Experiment?"
" Ich werde Dir fogleich auseinandersetzen, um was es fich handelt."
"
Er wandte sich an den Wärter:
,, Gehen Sie und führen Sie den Patienten her, den ich zum Frühstück eingeladen. Es ist ein junger Affeffor," fügte er dann, sich wieder an Habicht wendend, hinzu, beffen Geist bis jetzt nur durch irgend eine unglückselige Wahnvorstellung nach einer Richtung hin firict ist. Wenn hier nicht schnell geholfen wird, so reißt das Uebel ein, es wird in der That, was mein Chef- Arzt schon jetzt fürchtet, unheilbar."
" Friß, Du bist ein gescheidter Mann. Wenn man Dich so reden hört, muß man vor Deiner Wissenschaft Respekt bekommen... Ich bin neugierig auf das Expe Respekt bekommen riment."
„ Das ist sehr einfach, Dnkel Habicht. Sieh' in diesem Papier befindet sich eine todte Biene."
Wahrhaftig! Und wozu dient die?"
" Das wirst Du schon sehen! Ich verlange nur infofern Deine Assistenz, daß ich Dich verpflichte, nicht zu lächeln über das, was Du sehen und hören wirst, Dich auch nicht