Kurven auch bei schnellerer Fahrt zu vermeiden. Vom Minister derlöffentlichen Arbeiten wurden vorerst sechs Lokomotiven mit der neuen Vorrichtung in der Schwarzkopff'schen Maschinenfabrik in Bestellung gegeben. Dieselben find bereits abgeliefert, und später soll die Vorrichtung, wenn fie eine Beitlang auch auf den Staatsbahnen sich bewährt hat, nach und nach allgemein eingeführt werden.

Auf dem alten Viehhof an der Brunnenstraße find jetzt faft alle dort augenblicklich nicht anderweitig benutten Räume in Getreidespeicher verwandelt, und auch die großen Hallen am ehemaligen Börsengebäude werden gegenwärtig für diese Zwecke baulich verändert. Zu den äußeren Seitenwänden werden zementirte Platten verwendet, zu den Zwischenwänden gewelltes Eisenblech oder Mauerwerk. Viele Arbeiter find beschäftigt, das hoch aufgeschüttete Getreide durch häufigeres ,, Umschippen" vor dem Verderben zu schüßen. Die des Tages über theil­weise offenstehenden Kornkammern werden von dem überaus zahlreichen Spaßenvoll, das in dem angrenzenden Humboldt­hain und auf dem Viehhofe nistet, sowie von Feldlerchen schaarenweise zur Schnabelweide besucht. Die braunberodte Gesellschaft scheint zu wissen, daß man sie selbst nicht aufs Korn" nehmen darf, und mästet sich daher nach Herzensluft.

i. Ein entsetzlicher Unglücksfall mit tödtlichem Aus­gange ereignete sich vorgestern Nachmittag auf dem Anbau zum statistischen Amte, Lüßom Ufer 7. Aus bisher noch nicht ermittelten Ursachen stürzte der Maurer Geißler aus Moabit  von dem Gerüst des zweiten Stockwertes auf das Pflaster herab. Hierbei erlitt er so schwere innere Verlegungen, daß der hinzugerufene Arzt Dr. Blastus konstatirte, daß der Ver­legte nur noch wenige Stunden leben könne. Da es zu um ständlich gewesen wäre, den polizeilichen Krantenwagen zu requiriren, so wurde schnell aus Leitern eine Tragbabre her geftellt, auf welcher die Ueberführung in das Elisabeth- Kranken­haus bewerkstelligt wurde. Der Verunglückte ist in der ver gangenen Nacht hierauf verstorben. Er hinterläßt Frau und vier Kinder. Der Wohlthätigkeit ist hier ein Feld zur Unter stügung geboten.

Ein Novum unter den Heirathsgesuchen darf immer Anspruch auf Beachtung erheben. In der Profeffor Jäger'schen Beitschrift für seine Getreuen wird einem Einsender im Brief­fasten vom Herausgeber eröffnet, daß er sehr bedauere, sein Heirathsgesuch, worin er eine Anhängerin des Wollregimes als Lebensgefährtin sucht, nicht aufnehmen zu tönnen. Es liegen bei aller Anerkennung für diesen Schritt prinzipielle Gründe vor, nach denen solche Annonzen nicht Aufnahme finden können. Schade! Es wäre sicherlich interessant, wenn in den Heiraths anzeigen neben der Aufzählung der geistigen und lörperlichen Anforderungen, welche an das gesuchte Ehegefpons gestellt werden, auch die Geheimnisse der Toilette nähere Erwähnung

fänden.

Um das Einfangen der Hunde durch die Scharfrichter. gehilfen für die betreffenden Thiere weniger qualvoll zu ge stalten, soll befanntlich die ominöse Drahtschlinge, welche jetzt in Gebrauch ist, durch einen andern, in seiner Wirkung nicht so schonungslosen Fangapparat ersetzt werden. Es finden zu diesem Behufe, wie das B. T." berichtet, allerlei Versuche statt, die indeß bis jetzt noch kein befriedigendes Resultat er­geben haben. So wurden jüngst auf dem Grundstücke der fis­Talischen Abdeckerei in der Joachimstraße in Gegenwart meh­rerer höherer Polizeibeamten Fangversuche mit einer Art Laffo unternommen, einer über Draht geflochtenen längeren Hanf leine, die an dem einen Ende zu einer Schlinge gefügt ist. Auch diese Versuche find mißglückt. Ob überdies ein solcher Lasso ein den thierschußfreundlichen Intentionen entsprechender Ersatz für die Drahtschlinge wäre, glauben wir bezweifeln zu müffen, denn auch die Hanfschlinge würde das damit einge­fangene Thier über Gebühr würgen. Man sollte es daher end­lich einmal mit den Nezen versuchen, die z. B. in Brüssel   zum Hundefang benugt werden.

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R. Ein Racheatt. Der Zionskirchplag 2 wohnende Käse­händler Schulz war gestern Nachmittag damit beschäftigt, feinen Kunden Waaren zuzuführen und hielt mit seinem Wagen in der Kastanien- Allee. Während nun Sch., um einen Kunden zu bedienen, den Wagen verlassen und sich in ein Haus be geben hatte, vollführte ein bisher Unbekannter einen gemeinen Racheatt. Als nämlich Sch. aus dem betreffenden Hause zu rückkehrte und die soeben entleerte Rifte auf den Wagen stellen wollte, wurde er zu seinem Schreck gewahr, daß 3 seiner Kisten mit Käse inzwischen mit Petroleum begoffen waren, so daß Riften und Waate völlig werthlos geworden.

R. Gin rascher Tod ereilte gestern Vormittag um 11 Uhr den Arbeiter Weichmann im Bureau des Bauinspektors auf dem Neubau des Neuen Backhofes am Lehrter Bahnhof  . Wei mann wurde dort vom Monteur Hoppe beschäftigt und erbat vom Bauinspektor eine Auskunft, als er, plöglich vom Herz­schlag getroffen, todt zur Erde niederftürzte. Obgleich der Ver­ftorbene ein fleißiger und ordnungsliebender Mann war und bei seinem Vorgefeßten gern gefeben, so find die Verhältnisse, in denen er seine Frau und drei kleine Kinder hinterläßt, die denkbar armseligsten, und wäre der Berlebergerstraße 38 woh nenden Familie wohl zu wünschen, daß sich ihrer der so oft schon bewährte Wohlthätigkeitsfinn der Berliner   annähme.

Mit der Fürstin Pignatellt geht es immer mehr bergab. Nachdem sie eine Beit lang in Moore's Academy of Mufic gesungen und in ihrer prachtvollen Robe mit der eingestickten Fürstenkrone über die Bretter gerauscht ist, welche die halb. welt bedeuten, hat sie wieder einen Schritt nach unten gethan und ein Engagement im Café Sédan" in der Ziegelstraße angenommen, wo für ein Entree von fünfzig Pfennigen die Damen mit den verschminkten Gefichtern und den kurzen Röden einem wenig wählerischen Publikum mit dem üblichen heraus­fordernden Lächeln die üblichen keuschen Lieder vorsingen und dafür den üblichen johlenden Beifall ernten. Welch' ein Weg von dem eleganten Café Konzert der Pariser Stala, wo Madame princesse Pignatelli de Cerchiara" vor einigen Jahren vor einem glänzenden Publikum debutirte, bis zu dem fleinen Berliner   Tingel- Tangel in der Ziegelstraße, dessen Be sucher mit den Fäusten auf den bierbeneßten Tischen den Takt schlagen und Bigarren paffen, welche so wenig an das edle Kraut der Havanna   erinnern!

Aus dem Berliner   Leben. Baron von X. leinte vor einiger Beit auf der Straße eine junge Dame lennen, die ihm wegen ihrer sehr anmuthigen Erscheinung und ihres diftin guirten Wesens schon früher im Ausstellungspart aufgefallen war. Bwischen dem Baron und dem Mädchen, welches angab, aus einer abligen, aber verarmten Familie zu stammen und fich Klara von 2. nannte, entspann fich ein Verhältniß, welches so intim wurde, daß Beide sich in ihren Wohnungen gegen seitig besuchten und eine gemeinschaftliche Reise nach einem Badeort planten. Eine ältere Frauensperson, welche der Baron in der Wohnung der 2. traf, wurde von Letterer als ihre Haushälterin, und ein 10jähriger Knabe, welcher ihn aum Hause hinausließ, als Sohn der Haushälterin vorgestellt. Das Fräulein flagte ihrem neuen Freunde, daß sie durch ihrer Hände Arbeit ihre auswärts frant darniederliegende Mutter erhalten müsse, und daß einer ihrer Brüder, der vom Militär entlassen sei, neue Kleider bedürfe. Der Baron ließ fich durch Diese Klagen bestimmen, ihr einen seiner Anzüge für den Bruder zu übergeben. Allmälig tam ihm jedoch das Betragen des Mädchens, namentlich im Verkehr mit Herren, verdächtig vor, und er lenkte die Aufmerksamkeit der Bolizeibehörde auf die Klara von L., als er auch ihre Redlichkeit in Zweifel zu ziehen Veranlaffung zu haben glaubte. Die Kriminalpolizei stellte fest, daß die angebliche Klara v. L. die Tochter eines Dialers. ist, welche mit Prostituirten verkehrt und selbst in dem dringenden Verdachte steht, ausschließlich von dem

Ertrage der Prostitution zu leben, daß die angebliche Haus­hälterin ihre Mutter, und der Sohn der Haushälterin ihr Bruder ist. Gegen das Mädchen wird wegen Betrages und unberechtigter Führung des Adels strafrechtlich eingeschritten werden. Einee schwerere Strafe steht der Mutter bevor, gegen welche die Anschuldigung erhoben wird, daß sie das unfittliche Treiben ihrer Tochter begünstigt hat und fich dadurch des Verbrechens der schweren Kuppelei schuldig gemacht hat. Beide find verhaftet worden.

ar. Der Prozeß gegen die Heirathsschwindlerin Emilie Reiß wird noch ein Nachspiel erleben, indem die Ver­urtheilte, welche ihre zweieinhalbjährige Gefängnißftrafe gegen wärtig verbüßt, noch einmal sich vor dem Richter zu verant worten hat. In dem Termin am 23. Juni waren nämlich 2 wichtige Beugen nicht erschienen, so daß ein Hauptfall garnicht wichtige Beugen nicht erschienen, so daß ein Hauptfall garnicht zur Aburtheilung gelangen fonnte. Es handelt sich hier um einen böhmischen Fabrikanten, der durch ein vielversprechendes Inserat in einer Prager Zeitung veranlaßt wurde, fich an die Reiß zu wenden, die ihm 240,000 Mt. verfchaffen wollte und noch ein liebend Weib dazu! Der Mann aus den böhmischen Bergen betam denn auch in der That eine Braut, die recht ,, weit her" war; die Reiß erhielt ihr Liebeshonorar, und die Lange, welche auch hier die Rolle der Liebhaberin übernom men hatte, wußte ihren Bräutigam derart einzunehmen, daß er gar feinen Zweifel in ihre Worte sette. Es war sogar schon Der Tag für die Hochzeit angesezt; da zeigte es sich jedoch, daß die Papiere der Braut nicht in Ordnung waren, und so wurde denn allmählich das ganze Lügengewebe enthüllt. Termin gegen die Reiß und ihre Helfershelferin ist vor der 4. Straffammer auf den 10. Oktober angesezt.

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hg. Walhalla  - Operetten- Theater. Am 1. September brachte uns die neue Direktion Steiner Die Glocken von Corneville" und am legten Mittwoch überraschte und dieselbe schon wieder mit einer Novität und zwar mit der Operette: Don Cesar". Text von D. Walther, Musik von Rudolf Dellinger  . Der Komponist dirigirte sein Wert selbst mit Um ficht und bestem Gelingen. Der Text ist, mit theilweiser Be­nugung eines Stoffes von Dumanoir, recht geschickt gemacht. Die Mufit des Herrn Dellinger ist ebenfalls geschickt gemacht, vortrefflich instrumentirt, aber weniger glücklich erfunden. Eine Ausnahme hiervon machen nur einzelne Solo- Nummern und fast alle Chöre. Die beste Mufit- Nummer ist nach unferer Meinung der große Ensemble- Sat: Das Glödlein läutet mit hellem Klang." Diefer Chor verräth Talent und Geschid. Die Mufit bringt viele Tanz Rythmen, leider fehlt denselben, bis, auf einen Walzer im dritten Akte,( Welche Bracht, ach!) alles Prickelnde und Piquante. Wir glauben faum, daß dieselbe populär werden wird. Gesungen und gespielt wurde vortrefflich! nicht einmal wurden wir an eine tana" prächtig; fie sang und spielte reisend. Gleich mit dem erste Aufführung erinnert. Fräulein Erdösy war als Mari­ersten Liebe( Bolero) eroberte fte sich alle Herzen. Bedauert haben wir, daß der Komponist das tertlich so gelungene Heimathlied nicht wirksamer in Mufit sezte. Frl. Erdösy hätte daraus ficher eine Glanznummer gemacht. Troz Harfe und Gloden war es ohne nachhaltige Wirkung. Frl, Seebold war als Pueblo ganz am Blaze. Die junge Künstlerin hat etwas Tüchtiges gelernt, ihr Gesang verräth eine gute Schule, ihr Organ ist wohltönend und ausgiebig. Herr Philipp als Don Cesar der eigentliche Held der Operette war ein flotter Lebemann, voller Laune und Humor. Er wurde viel­fach vom Publikum ausgezeichnet. Herr Link als Archivar" Don Ranundo hatte die Lacher auf seiner Seite, er wat in feber Szene prächtig. Sein Kouplet: at gar keinen Werth" zündete und entfesselte einen Beifallsstum, wie man dies nicht oft erlebt. Herr Lint ist eine große Stüge ganz besonders Dieser Operette. Herr Kroschen als König und Herr Worms als Minister waren wie immer lobenswerth. Der Chor und das Orchester gaben ihr bestens. Die Ausstattung, Kostüme und Dekorationen find großartig, man glaubt in einer großen Dper zu sein. Der Komponist hat allen Grund, fich bei Herrn Direktor Steiner und seinen vortrefflichen Künstlern zu bedanken.

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Die von uns bereits erwähnte dreiattige Gesangs­poffe ,, Berliner Sonntagsschwärmer" soll bereits morgen­nicht Sonntag, wie ursprünglich festgelegt war im Alhambra­Theater zur Aufführung gelangen. Die Hauptrollen befinden fich in den Händen der Damen Carlsen, Häser und der Herren Seefeld   und Theodor Bez. Dieser vom Publikum besonders bevorzugte Darsteller wurde kürzlich von dem Unfalle betroffen, feblzutreten und von mehreren Treppenstufen herabzuftürzen. Trogdem Herr Beg hierbei sich nicht unerheblich den Fuß ver­ftauchte, so ließ der pflichtgetreue Künstler es zu einem Ausfall Der Vorstellung nicht tommen, sondern nahm seine Thätigkeit, wenn auch mit Aufbieten aller Energie und unter Erdulden vieler Schmerzen, wieder auf.

Gerichts- Zeitung.

P.ph. Die Beiseiteschaffung von Vermögensstücken wird nach den Konturs- Paragraphen des Strafgesetzbuches als strafbare Benachtheiligung der Gläubiger geahndet, aber auch außerhalb des Konkursgesezes stehende Schuldner laufen bei dem Bestreben, Theile ihres Vermögens den Fängen des Ges richtsvollziehers zu entziehen, Gefahr, mit dem Strafgesetz in die Brüche zu kommen. Eine gestern vor der Berufungs- Straf tammer des Landgerichts II wegen Betruges gegen die Kauf­mannsfrau Therese Schent, geborene Panfin, lieferte einen Beweis hierfür. Gegen die Angeklagte war am 24. März v. J. auf Grund eines vollstreckbaren Urtheils die Pfändung vorge nommen; nachdem die Angeklagte die Frage des Gerichtsvoll­ziehers nach etwa noch vorhandenen Pfandobjekten verneinte, entfernte fich der Beamte. Der Gläubiger brachte nun einige Zeit später in Erfahrung, daß seine Schuldnerin mit der dem Beamten gegenüber abgegebenen Erklärung wiffent lich die Unwahrheit gesagt, denn zur Zeit der Pfändung befand die Angeklagte sich nachweisbar im Befize von zwei ziemlich werthvollen goldenen Ketten, welche infolge der fälschlich abgegebenen Versicherung vor der Pfändung be wahrt blieben. Der Gläubiger denunzirte und die Frau Schenk hatte fich f. 3. vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts I  wegen Betruges zu verantworten. Gegen das freisprechende Urtheil dieses Gerichts legte der Staatsanwalt das Rechts­mittel der Berufung ein und nachdem dasselbe vor der Straf fammer des Landgerichts 1, Bestätigung gefunden, gelangte die fammer des Landgerichts 1, Bestätigung gefunden, gelangte die Sache nach eingelegter Revision vor das Forum der Straf­tammer Landgerichts II. Dieser Gerichtshof erblickte in dem Verhalten der Angeklagten die Kriterien des Betruges und erkannte -der Staatsanwalt beantragte 1 Woche Gefängniß- wegen Ver legung des§ 265 R.-St.-G.-B. unter Aufhebung des schöffen­gerichtlichen Urtheils auf 50 Mt. Geldbuße event. 10 Tage Gefängniß.

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einem einsamen Gehöfte wohnten. Diese Blutthat hat Neuß  allein ausgeführt und wurde er dieserhalb zum Tode und wegen einer Anzahl mit den Brüdern Bont ausgeführter Räubereien zu 15 Jahren Buchthaus verurtheilt. Er ist indessen zu lebendlänglichem Buchthaus begnadigt worden und fist wie fein Komplize Paul Bont, dem ebenfalls 15 Jahre Zuchthaus in zudiftirt wurden, der Strafanstalt zu Sonnen burg  . Wilhelm Bont erhielt damals sechs Jahre Zuchthaus. Der Lettere, welcher fich inzwischen zu einer wahren Hünenge­stalt entwickelt hat, scheint seinen würdigen Bruder noch über­treffen zu wollen, denn er hat sich wieder eines äußerst ver­wegenen räuberischen Ueberfalles schuldig gemacht. Sein Opfer, ein Uhrmacher Uthe, ist inzwischen leider verstorben. Der geftrige Termin sollte tros der Vertagung für den Angeklagten aber doch verhängnißvolle Folgen nach fich ziehen. Unter den vielen geladenen Beugen befand sich eine Frau, die den Ange­klagten lebhaft firirte. Dann ging fie auf den Richtertisch zu und theilte dem Direktor mit, daß der Angeklagte dieselbe, bisher vergeblich gesuchte Person sei, welche vor etwa Jahres frist sie überfallen und beraubt habe. Sofort wurde dem Un­tersuchungsrichter wie dem Staatsanwalt hiervon Mittheilung gemacht, der Angeklagte noch im Laufe des gestrigen Tages vernommen und der neuen Belastungszeugin gegenübergestellt. Aller Wahrscheinlichkeit wird somit gegen ihn noch eine Nach­tragsklage erhoben werden.

Empörende Mißhandlungen, von einem Meister an feinem Lehrling begangen. gelangten gestern zur Kognition der 93. Abtheilung des Schöffengerichts. Im Februar v. J. sandte der in Holzminden   wohnhafte Schneider Hohmann seinen 14 jährigen Knaben Karl zu dem hierselbst in der Melchior­straße 44 domizilirten Drechslermeister Fror. Strohmeyer in die Lehre und glaubte um so eher sein Kind in guten Härden zu wiffen, als der Lehrherr gleichzeitig der Onkel desselben war. Schlechter hätte der arme Junge es aber schwerlich treffen fönnen. Am 26. November Morgens vier Uhr traf der in der Invalidenstraße patrouillirende Nachtwächter einen vor Kälte und Entbehrung halbverkommenen Knaben an, welcher auf Be­fragen einräumte, daß er seinem Meister entlaufen sei. Da der Junge nicht zu bewegen war, dessen Namen zu nennen, so lieferte der Wächter ihn auf dem Polizeibüreau ab. Hier fan­den die Beamten den Knaben aber in einem Zustande, daß fte es für erforderlich hielten, denselben sofort der Charitee zu überweisen. Wie ein ärztliches Attest bezeugt, ist der Körper des Lehrlings über und über mit Striemen, blutunterlaufenen Stellen und Beulen bedeckt gewesen, die Kopfhaut wies mehrere kaum vernarbte und frische Wunden auf und der rechte Daumen war in Folge einer Quetschung sehr angeschwollen. Wie die Anklage behauptet und wie in der geftrigen Verhandlung festgestellt wurde, hat der Drechsler meister Strohmeyer seinem Lehrling diese Verlegungen bei gebracht. Er hat denselben, wie eine Anzahl Beugen, sämmtlich Bewohner des Hauses Melchiorstraße 44, befunden, in barba­rischer Weise malträtirt. Schläge ins Gesicht, daß das Blut aus Nase und Mund floß, waren etwas Alltägliches für den armen Lehrling, zwischendurch wurde er mit einem Schirm­stod, stock, einem Rauchtischleuchter oder was dem Meister gerade in die hand tam, gezüchtigt und behaupteten einige Hausbewohner, ste hätten eines Tages während zwei Stunden mit furzen Unterbrechungen die Schläge des Meisters und das Schreien des Knaben gehört. Während einer Reise des ersteren hatte es sein Geselle, Rudolf Elger, für seine Aufgabe erachtet, den abwesenden Meister insofern nach Kräften zu vertreten, als er den Lehrling zu wiederholten Malen übertrieben gezüchtigt hatte. In Folge dessen stand er gestern neben seinem Meister vor dem Schöffengerichte. Die Angeklagten führten zu ihrer Entschuldigung an, daß der Lehr­ling Hohmann ein Inbegriff von allen Untugenden und Laftern gewesen, jedoch unterstüßt die Beweisaufnahme diese Behaup tungen in feinem Buntte. Der Staatsanwalt beantragte gegen Strohmeyer wegen der an den Tag gelegten beispiellosen Bru talität eine Gefängnißftrafe von 18 Monaten, gegen Elger drei Wochen Gefängniß. Das Schöffengericht erkannte gegen ersteren auf 4 Monate Gefängniß, gegen letteren 20 M. ev. 5 Tage Gefängniß.

Ein Serviettenmarder wurde gestern der zweiten Strafs fammer des Landgerichts I   in der Person des Handelsmanns Friedrich Becker vorgeführt. Der Angeklagte verkehrie im Juli d. J. viel in den Restaurationsräumen der Bößow'schen Brauerei, er nahm ein Glas Bier zu fich und außerdem so viele Servietten, wie ihm dies unbemerkt möglich war. Das Geschäft muß ziemlich lukrativ gewesen sein, denn im Juli verkaufte der Angeklagte einer Frau Schulz 21 Stück und im Auguſt einer Frau Geyer 28 Stück Servietten. Als der Ange­flagte merkte, daß man in der Bößow'schen Brauerei anfing, ihm auf die Finger zu sehen, blieb er fort und beglückte von nun an den Prälaten" mit seiner werthen Kundschaft. Hier legte er sich mit Vorliebe auf die Mitnahme von Messern und Gabeln und bald hatte er so viel zusammengestohlen, daß er der Frau Anna Berger annähernd zwei Dugend Baar verlaufen fonnte. Unter diesen befand sich sogar ein Paar von Silber. Die Käuferinnen dieser Sachen mußten ebenfalls auf der An­flagebant Plaz nehmen, denn die Staatsanwaltschaft erblickte in dem Anlaufe der Sachen die Kriterien der Hehlerei. Der Angeklagte war nur theilweise geständig und wollte einen Theil der Sachen im großen Seidel" in der Königstraße, jenem bekannten Lokal in welchem täglich Ramschverkäufe von Waaren zweifelhaften Ursprungs stattfinden, gekauft haben, er fonnte aber einen Beweis für diese Behauptung nicht er­bringen. Dagegen gelang es den drei der Heblerei angeflagten Frauen, denen Rechtsanwalt Wronker als Vertheidiger zur Seite stand, den Gerichtshof von ihrer Unschuld zu überzeugen, fte wurden freigesprochen, während den Hauptangeklagten eine Gefängnißstrafe von einem Jahr und drei Monaten und zwei­jähriger Ehrverlust traf.

Wegen Beleidigung des königl. Polizei- Präsidiums sowie des Kanzlei Inspektors Pohle stand gestern der Militär anwärter Ernst Schwarz vor der dritten Straflammer des Landgerichts I  . Der Angeklagte hat eine Beit lang als diätarisch besoldeter Kanzlist unter dem Ressort des Inspektors Pohle beim Polizei- Präfidium gearbeitet und aus eigenem An­triebe diesen Dienst quittirt. In dem ihm vom Polizei Präsidium auf Grund der beim Inspektor Pohle eingeholten Information ausgestellten Zeugniß ist der Paffus vermerkt, daß das dienstliche Verhalten des Angeklagten, welches an­fangs tadellos gewesen, in lepterer Zeit zu Ausstellungen Vers anlaffung gegeben habe. Hierdurch fand sich der Angeklagte zu Unrecht behandelt und in seinem Fortkommen behindert, in einer langen, an das Polizei- Präsidium gerichteten Beschwerdes schrift suchte er dies zu begründen und charakterisirte den Kanzleis Inspektor Pohle, als den intellektuellen Urheber des ange­fochtenen Beugnisses, als einen fochtenen Beugnisses, als einen ungerechten parteiischen Beamten. Am Schluffe des Schreibens wurde dem Polizei­Präsidium der Vorwurf gemacht, ein falsches Zeugniß aus. gestellt zu haben und bat der Angeklagte um Remedur. Der felbe batte zum Verhandlungstermine einen umfangreichen Beugenapparat zur Stelle gebracht, da er den Beweis der Wahrheit führen wollte, daß Kanzlei- Inspektor Poble thatsäch lich sich Eigenmächtigkeiten, Willkür und Ungerechtigkeiten seinen Untergebenen gegenüber zu Schulden lommen laffe. Dieser Beweis miglang aber, worauf der Staatsanwalt gegen den Angeklagten eine sechswöchige Gefängnißftrafe beantragte, wäh rend der Vertheidiger, Rechtsanwalt Wolfgram, auf Freis sprechung seines Klienten plaidirte, weil derselbe sich in Wahr nehmung berechtigter Interessen befunden. Der Gerichtshof war allerdings der Anficht, daß dem Angeklagten der Schut des§ 193 des Str. G.B. zur Seite stände, erblickte aber die Beleidigung in der gewählten Form und erkannte auf eine Gefängnißstrafe von 14 Tagen.

n. Der Gefährlichsten einer, der Arbeiter" Karl einer, der Arbeiter" Karl Friedrich Wilh. Bont, sollte fich gestern wegen Straßenraubes vor dem Schwurgerichte des Landgerichts I verantworten, es tam aber nicht zur Verhandlung, weil zwei der Hauptbelastungs­zeugen nicht erschienen waren. Die Persönlichkeit des Ange­flagten ruft in dem älteren Berliner   manche Reminiszenz an ein Räuber Konsortium wach, welche im Jahre 1874 die Um gegend der Residenz in Furcht und Schrecken versezte. Damals war der Angeklagte noch ein junger bartloser Bursche, als er fich mit seinem älteren, nicht minder gefährlichen Bruder Baul Bont und dem am meisten berüchtigten, dem Arbeiter" Neuß zu Raubzügen vereinte, bei welchen das Kleeblatt mit unerhörter Bewegenheit zu Werle ging. In jene Zeit fällt auch die Er. mordung der Sandfahrer Neumann'schen Eheleute, welche in der Müllerstraße, in der Nähe des Artillerie- Echießplages in Berantwortlicher Rebatteur R. Gronbet in Berlin  . Drud und Verlag von Mar Bading in Berlin   SW., Beuthstraße 2.

Sierzu eine Bellaes