mußte. An demselben Nachmittage fiel der Arbeiter Witt schen in Moabit beim Absteigen von einem in der Fahrt be findlichen Pferdebahnwagen zur Erde und erlitt dabei eine an­scheinend schwere Verlegung am Hinterkopf, so daß er mittelst Droschte nach seiner Wohnung gebracht werden mußte.- An demselben Tage Abends entfand in der Trockenkammer der Hutfabril, Waffergaffe Nr. 30, wahrscheinlich durch Ueberheizen des Trockenofens, Feuer, durch welches ein Theil des Dach­stuhls zerstört und die Thätigkeit der Feuerwehr auf eine Stunde in Anspruch genommen wurde.

Gerichts- Zeitung.

Prozeß Graef .

Dritter Verhandlungstag.

Bei Beginn der Sigung theilt Staatsanwalt Heinemann mit, daß gestern der Angeklagten Bertha Rother auf dem Gange nach dem Untersuchungsgefängniß ein Rosenbouquet zugesteckt worden sei. Er müffe dies als durchaus ungehörig bezeichnen und biste den Vorsitzenden, Anordnungen zu treffen, um eine Wiederholung solcher Zwischenfälle zu vers meiden. Der Vorsitzende ordnet in Folge dessen eine schärfere Bewachung an.

Die Beweiserhebung wird mit der Verlesung der vers schiedenen Briefe und Korrespondenzen begonnen, welche fich auf den Hammermann'schen Fall beziehen. Da find zunächst zwei ganz übereinstimmende Briefe an die Profefforen Kretschmer und Graef , in welchen Hammermann dieselben flehentlich bittet, ihre Beihilfe zur Abfaffung eines Gnaden­gefuchs zu gewähren. Die Briefe find in überaus überschwäng lichen, phantastischen und affektirten Worten abgefaßt und bitten, unter lebhafter Schilderung des Elends, welches bei der Hammermann'schen Familie eingezogen sei, tausendmal um Entschuldigung für das Ungemach, welches Helene den beiden Brofessoren bereitet habe. Das Mädchen sei von Gewissensbiffen gefoltert und gepeinigt und bereue tief die Lügen, die fie fich ausgedacht. Der Schreiber bittet die lieben guten Herren", die hochverehrten Herren Profefforen", Die hochverehrten, hochgestellten, hoffähigen Herren" doch bei einem Gnadengefuch an den lieben guten Kaiser mitzuwirken und dem Ihrem Wohlwollen in banger Erwartung entgegen sehenden" Schreiber baldigft Bescheid zu schreiben. Es folgen zwei Briefe, welche Helene Hammermann an die beiden Brofefforen gerichtet hat. Dieselben sind voll rhetorischen Schwunges und sehen gar nicht so aus, als ob fte ein dreizehn­jähriges Mädchen geschrieben haben tönnte. Sie beginnen mit dem Spruch: Ein gut Gewissen ist ein sanftes Rubelissen" und dann reihen sich die schwulstigsten Phrasen an einander: Was wir in schwerer Arbeit erworben, ist schon zum Theil verloren gegangen, das lebrige wird wohl der Gerichtsvollzieher für die Gerichtstoften abholen". ,, Wer trodnet die heißen Thränen, wer heilt den großen Seelenschmerz meiner lieben, lieben Eltern", ,, balo habe ich meinen herrlichen Glauben an den lieben, guten Gott verloren", wenn Sie diesen Brief verbrennen, verbrennen Sie meine Thränen mit." Die Verlesung dieser Briefe übt auf die Thränendrüsen der Familie einen mächtigen Einfluß aus und die Mitglieder der Familie halten wieder­holt das Taschentuch vor die Augen. Auf den Präsidenten bagegen üben die Briefe einen ganz anderen Eindruck aus, denn derfelbe inquirirt das Mädchen recht eindringlichst, ob fie denn wirklich solche Briefe allein geschrieben hat?- Helene H. erwidert: Ich habe so geschrieben, wie mir's ums Herz war, ganz allein und in der Nacht." Auch der Vater Hammers mann bestreitet, feiner Tochter bei den Briefen geholfen zu haben. Prof. Graef schreibt unterm 13. Juni 1883, daß er gern dazu bereit sei, das Gnadengeſuch zu unterstüßen, wenn es in seiner Macht liege, da er das Unglück der Familie nicht wolle. Unter dem 19. Juni erhält dagegen Graef einen Brief von Hammermann, der keineswegs mehr so freundlich lautet, sondern schon versteckte Drohungen enthält. Hammermann schreibt darin, daß er viel Neues über das Verhältniß Graef's zu Bertha Rother erfahren habe, was die Erwägung nabe lege, ob man nicht anstatt eines Gnadengesuchs ein Wiederaufnahme- Berfahren inszeniren wolle. Dieser Brief schließt: Sie sagen, Sie wollen unser Unglück nicht, nun, ich will das Jhrige auch nicht." Beuge Hammer mann meint, daß er eine Drohung damit nicht habe aus­Ende Juni wurde Frau Hammermann sprechen wollen. wegen Krankheit ihres Kindes aus der Haft entlassen; fte be­nugt sofort die Freiheit, um in einem langen Schreiben den Eindrud des legten Briefes ihres Mannes an Prof. Gr. zu verwischen, ihm das Elend der Gefangenschaft in den schreiendsten Farben zu schildern und um eine Summe Geldes zu bitten, um nach Amerika auswandern zu können.. Der Brief schließt: Verstoßen Sie mich nicht und erinnern Sie sich meiner, der liebe Gott wird es ihnen lohnen."- Bräs.: Wie famen Sie denn dazu, diesen Brief an den Mann au schreiben, deffentwegen Sie verurtheilt worden find?- Frau H.: Ich dachte, ich würde sein Gewissen so rühren fönnen, daß er sich zur Hilfe bereit erklärt.- Präs.: Warum haben Sie fich denn nicht an Prof. Kretschmer mit Ihrer Bitte gewandt?- Frau H.: Der war mir zu grob gekommen. Bräf.: Sie meinten also, Profeffor Graef hätte ein weicheres Herz?-Beugin: Ja wohl. Mit dem Gelde, Mit dem Gelde, welches zur Reise nach Amerifa begehrt wurde, entwickelt sich nun

-

Familie musikalische Bildung haben muß. Bei mangelndem Talent ist dies namentlich bei Mädchen oft Grund zu schweren Nervenerkrankungen. Ueber den unverantwortlichen Raub­bau, den die Mittelschule mit den noch unentwidelten Ge­hirnen unserer Jugend treibt, hat Professor Roßbach in Würzburg ( neben vielen andern Autoritäten) sich rücksichts­Ios geäußert. Eine frante Generation geht aus diesen Gymnasien und Realschulen hervor; die Militärbehörden flagen bereits über allgemeine Untauglichkeit dersel­ben, die Augenärzte berechnen das Verhältniß ihrer Kurzsichtigkeit mit 60 bis 80 Prozent, und Don Jahr zu Jahr steigt die Bahl der Selbstmorde in den Gym­nasien. Die moderne Mittelschule fchädigt Geist und Körper" das ist schlechterdings nicht zu leugnen. Nur in dürren Worten können wir die detailreichen, beredten Aus­führungen Krafft - Ebing's hier berühren; wir übergehen ganz feine Rapitel von den Gemüthsbewegungen, von förperlicher Anstrengung, modernen Ehen, hygienischen Schädlichkeiten u. 1. w. Nicht übergehen können wir aber, als besonders braftisch, die verkehrte Weise, in der sich der moderne Rul turmensch erholt". Krafft ist natürlich für die( jetzt so viel besprochene) Sonntagsruhe, doch behauptet er, daß der Er­holungstag meist mit Beschäftigungen zugebracht wird, die feine Erholung find: Orgien, Völlerei, Hazardspielen und bergleichen können die Nerven nicht herstellen. Auch der Urlaub" wird meist ganz verkehrt benutzt, statt zu beschau­lich ruhigem Naturgenuß zum Herumreifen mit Rourier zügen und Nachtfahrten in halb Europa , wobei besonders die geräuschvollen Großstädte mit ihren anstrengenden Ver gnügungen( Konzert, Theater, Galerien, Kongressen) aufge­fucht werden. Ebenso unsinnig ist es, wenn muskelschwache Bureaumenschen sich plöglich auf Alpenfegerei werfen und vier Wochen lang Lunge und Herz anstrengen, um Lungen­Emphysem und Herz Hypertrophie einzuwirthschaften. Wirk lich nutbringender Erholung, wirklichen Hirnferien" ent­sprechen am besten die Sommerfrischen in den Gebirgen Deutschlands , Desterreichs, der Schweiz und an der Meeres­

-

-

eine Komödie der Jrrungen und es scheint faft, als hätte Frau Hammermann immer die Wege zwischen Prof. Graef und Prof. Zhumann gemacht und hat dann jedem der Beiden das be richtet, was in ihrem Intereffe fag. Angell. Graef : Die Frau hat von mir direkt 1000 Mart verlangt. Ich habe ihr erklärt, daß ich am wenigsten in der Lage sei, ihr das Geld zu geben und meinte, daß fie fich doch an die Herren wenden folle, bei denen ihre Tochter Modell gestanden. Dabei ist wohl unter anderen der Name des Prof. Thumann gefallen. Frau H. hat dies aufgegriffen und auch schleunigst sich an Profeffor arm. Thumann gewandt. Beuge Prof. Thumann: Am 5. Juli tam Frau. zu mir und sagte, Herr Prof. Graef, schicke ste" und ließe sagen, ich möchte ihr doch unter meinem Namen das Geld nach Amerika senden. Natürlich weigerte ich mich, indem ich sagte, daß so etwas doch höchst eigenthümlich sein würde und da ich in jenem Prozesse als Beuge fungirte, auf mich ein falsches Licht werfen würde. Wenn Prof. Graef etwas von mir wünscht so sagte ich der Frau dann wundert es mich, daß er Sie herschidt und fich nicht direkt an mich wendet. -Prof. Graef: Die Frau hat mir immer gesagt, Herr Prof. Thumann wolle ihr das Geld geben und Herrn Thumann hat fte von mir dasselbe gesagt. Thatsächlich scheint dann Frau H. wieder zu Graef gegangen zu sein und ihm gesagt zu haben, daß Thumann das Geld geben wolle, wenn Graef ihn zuvor besuchte. Graef hat fich dann bei Prof. Thumann angemeldet und trat bei Profeffor Thumann mit den Worten in die Stube: Also Sie wollen der Familie Hammermann das Reisegeld nach Amerita geben? Als Prof. Thumann seine Verwunderung über diese Bumuthung ausgesprochen, brach Brof. Graef ein weiteres Eingehen auf dieses Thema mit den Worten ab: Also wieder Schwindel! Alles Schwindel! In der Korrespondenz folgt dann ein Brief des in Wildungen schwer frank darnieder liegenden Prof. Kretschmer an Graef , weil ihm Hammermann mitgetheilt hatte, daß Graef geneigt sei, ein Begnadigungsgesuch zu unterſtüßen. Prof. Kretschmer schreibt darin, daß er dies nur widerwillig thun und der Sache ruhig ihren Lauf laffen möchte, aber der überlegenen Einsicht seines Freundes" fich anschließe. Dann wandte fich Hammermann wieder einmal an Graef mit der Bitte um Hilfe, indem er sich auf die Bereitwilligkeit des Pro feffor Thumann berief, peluniäre Hilfe" zu leisten.­Ein ganzes Net von Briefen und Anschreiben des Hammer­mann spannt fich dann um die beiden Prof. Kretschmer und Graef , um dieselben zu bewegen, das Reisegeld nach Amerika zu geben. Diese sämmtlichen Briefe find voll der schwülstig ften Phrasen und es athmet aus ihnen der Duft einer ge fünftelten Biedermeierei, doch haben sie eine gewiffe Ab­wechselung in der Abtönung, denn wenn der eine Brief so devot wie möglich war, enthält der nächste immer eine versteckte Drohung. In einem langen Schreiben vom 1. Auguft bittet H. den Prof. Kretschmer um ein Darlehn von einigen Hundert Mart. Bitte, bitte so heißt es darin laffen Sie uns nicht den Wehmuths- Becher bis zur Neige leeren, sondern füllen Sie uns einen fühlen Becher mit erfrischenden Lebensgeistern." Es scheint fast, als menn Herr Hammermann seine Briefe hettographirt hätte, denn jedesmal, wenn der eine Profeffor einen solchen erhalten hatte, langte auch bei dem andern ein Brief mit genau denselben denselben Phrasen an. Schreiben an Graef vom 1. August ist der Paffus angefügt, daß die Anna Rother eigentlich schon im Termin am 6. Juni wegen Meineids hätte verhaftet werden können. In diesem Briefe ist auch von der bestimmten Summe von 1000 Mt. die Rede. Präs.: Wie tommt es denn, Beuge Hammermann, daß Sie nun wieder diesen Brief plöß­lich in einem so bittenden Tone abgefaßt haben? Beuge H.: Herr Rechtsanwalt Bernstein hatte mir gerathen, nicht so schroff aufzutreten. Er meinte, ich folle mir die beiden Herren nur zu Freunden halten, denn es sei nicht so leicht, Jemand meineidig zu machen. Am 3. September erhalten beide Pro­fefforen wieder ganz gleiche Briefe, welche eine im Wortlaute vorgeschriebene eidesstattliche Versicherung enthielten, wonach beide Herren erklären sollten: Sie hätten f. 8. bei dem Be suche der Frau Hammermann die Ansicht gehabt, daß dieselbe im guten Glauben gehandelt habe." Präfident: Wie tamen Sie denn wieder zu dieser Manipulation? Beuge H.: Da es mit der Auswanderung nach Amerita nichts geworden war, so wollte ich auf Grund einer solchen Erklärung Durch den Rechtsanwalt Sello, an welchen ich mich gewandt hatte, versuchen, die Wiederaufnahme durchzusetzen. Graef wandte fich deshalb an den Justizrath Simson und da dieser verreift war, vertröstete er den Hammermann auf einige Beit. Vierzehn Tage später wiederholt lezterer sein Gesuch und die Erklärung und am 30. September kommt er in einem Briefe an Profeffor Graef wieder auf das Gnadengesuch als einziges Rettungsmittel zurück und bittet um eine dazu nöthige Erklärung.- Graef ver weigerte seinerseits die Annahme des Briefes, Herr Hammer­mann wußte aber ein Aushilfsmittel. Er ging zu seinem Rechte beistand Dr. Bernstein, wußte demselben ein Kouvert mit Firma zu entlocken und fandte unter dieser Envelope seinen Brief an Graef . Nunmehr theilte Profeffor Graef dem Hammermann mit, daß er nach Rücksprache mit seinem Rechtss beistand die gewünschte Erklärung nicht abgeben fönne. Halte beistand die gewünschte Erklärung nicht abgeben fönne. Salte Rechtsanwalt Dr. Sello eine solche für unumgänglich, so bäte er um deffen eigenes Verwenden. Rechtsanwalt Sello lehnte

-

-

-

Einem

-

-

-

-

-

jedoch jede Betheiligung an dieser Sache ab. Dafür wandte fich nun Rechtsanwalt Bernstein an Prof. Graef um seine Mitwirkung bei dem Gnadengesuch, dieser aber antwortete, daß Hammermann fich zulegt so betragen habe, daß er ein solches Gesuch nicht mehr zu befürworten in der Lage sei. Graef erläutert dies dahin, daß sich Hammermann höchft ungebührlich benommen habe. Beuge H.: Das ist eine ganz infame Lüge! -Präs.: Na, na, nur ruhig! Das ist eben auch ungebührlich. Was war mit Prof. Graef vorgefallen? Zeuge H.: Ich hatte Herrn Prof. Graef gebeten, doch endlich in dieser Sache etwas zu thun und angedeutet, daß ich ihn doch schon längst hätte meineidig machen können. Angell. Prof. Graef: Meine Frau hatte in meiner Krankheit einen Brief von H. erhalten, der so ungebührlich war, daß fie ihn sofort zerriffen hat. Beuge H.: Der Brief ist nicht vorhanden? So! So! Präs. Beuge, benehmen Sie fich hier so, wie es fich bei einer so ernsten Sache gebührt. Sie haben sich schon zweimal wider die Schicklichkeit vergangen; sollte dies noch einmal vor­tommen, dann würden wir Sie in Strafe nehmen müssen. In der Verlesung folgt dann die nach dem Diktat des Vaters von Helene H. geschriebene Erklärung, daß alle ihre Beschuldi gungen gegen die beiden Profefforen zu dem Zwede erfunden feien, um von dem Modellstehen los zu kommen und fich der so sehr geliebten" Schneiderei zuwenden zu können. Auch die gefälschte Erklärung der Franziska Lehmann wird verlesen. Präs. Beuge Hammermann, hielten sie diese Manipulation mit falschen Erklärungen für ein ganz anständiges Verfahren? -Beuge H.: Das gerade nicht, aber es blieb mir nichts übrig, wenn ich meine Frau retten wollte. Außerdem war die Franziska ja noch nicht 15 Jahre alt, fie fonnte also schwerlich bestraft werden. Präs.: Nun, das wäre traurig, wenn man in allen solchen Fällen immer etwas Ungesetzliches unter nehmen dürfte.

-

Als die Verhandlungen wieder aufgenommen werden, be­merkt der Vorfigende: Es find wieder die gröblichsten Unge­hörigkeiten bei Vorführung der Angeklagten vorgekommen; ich werde an die Polizei die Bitte richten, uns die nöthigen Schuß­mannschaften zu gewähren, damit derartige Ungehörigkeiten uns möglich find.

Es folgt nun der Theil der Anklage, in welchem es fich darum handelt, ob Prof. Graef mit der Bertha Rother ein Verhältniß gehabt hat. Erster Zeuge ist der Kutscher Lehmann. Derselbe deponirt: Ich war Modell beim Bildhauer Brunow, wo der Vater der Nother Modelldiener war. Da hat er mir legt erzählt, daß seine Tochter Bertha vom Prof. Graef aus gehalten werde. Graef habe auch seiner Frau ein Geschäft eingerichtet, während man ihn selbst hinausgeworfen habe. Eines Tages, als ich Bierfahrer in der Habel'schen Brauerei war, lam Hammermann an mich heran und fragte mich, ob ich nicht wüßte, daß die Bertha mit Prof. Gr. ein Verhältniß ge­habt habe. Ich theilte ihm nun mit, was mir der Vater Rother erzählt hatte. Als ich später dem Vater Rother mittheilte, daß in dem Termin vom 6. Juni sowohl die Anna Rother, als auch Prof. Graef von einem Verhältniß des lettern mit Bertha Rother nichts wissen wollten, habe der Vater Rother gesagt: Dies sei falsch und er begreife nicht, wie die Anna so etwas beschwören könne, denn fie liege doch den ganzen Tag bei der Bertha. Die Angell. Bertha Rother läßt den Beugen darüber befragen, ob er seine Aussage ohne Groll und Haß abgegeben habe, was dieser bejaht. Präs.: Was verstehen Sie unter Aushalten"," Verhältniß"? Meinen Sie daß ein ganz inniger Verkehr stattgefunden und dafür der Angeklagte Graef die Koften des Unterhaltes bestritten hat?

-

-

-

Als hierauf der Vater Rother als Beuge den Saal betritt, fliegt ein heiteres Lächeln über das Geficht der Anna Rother, was dem Präsidenten zu einer eindringlichen Rüge Veranlaffung giebt. Er müffe fich ein derartiges un paffendes Verhalten energisch verbitten. Ihm sei derartiges unschickliches Verhaiten, wie es die beiden Angeklagten Rother zeigen, vor Gericht noch nicht vorgekommen. Der Bater Rother macht hierauf von dem Rechte der Beugnißverweigerung Gebrauch Der Modellsteher Weber befundet unter anderen Ateliergerüchten und Modell Erzählungen auch die, daß die Angellagte Frau Rother eines Tages fich damit gerühmt habe, fie tönne fich sehr leicht von Prof. Graef 90 M. holen, denn menn er nicht geben wolle, brauche fie nur damit zu drohen, der Frau Profeffor über das Verhältniß mit Bertha Nachricht zu geben. Anna Rother bestreitet, je so etwas gefagt zu haben. Der Bildhauer Bruno und Maler Louis wiffen aus ganz unbestimmten Gerüchten, die unter Künstlern und Modellstehern zirkulirten, daß Prof. Graef irgend ein Verhältniß mit Bertha Rother habe. Die Plätterin sep. Beeslow wohnt seit drei Jahren mit dem Vater Rother zusammen und ist bei der Bertha Aufwärterin gewesen, als diese die Wohnung in der Brigwallerstraße inne hatte. Legtere war auf den Namen des Rother gemiethet.-Präs.: Warum war denn das geschehen, Bertha Rother? Angell.: Ich that es, weil ich meinen Bater etwas vom Trunte abgewöhnen wollte.- Bräs.: Um diese Abficht zu erreichen, brauchten fie doch nicht Ihre Woh nung auf den Namen Ihres Vaters zu miethen. Angeklagte Bertha Rother: Allerdings, Herr Bräfident, aber ich fann feine Erklärung weiter dafür geben. Mein Vater hat oft Wochen lang Tag und Nacht bei mir gewohnt. Präs.: Beugin Beeskow, hat Ihnen Rother davon erzählt, daß Profeffor Graef mit der Bertha R. ein Verhältniß habe. Beugin Beeskow : Nein; er hat mir nur gesagt, daß seine Frau vom Prof. Graef Geld auf Wechsel bekomme. Von seinen Kindern und den

-

-

-

-

-

war mehrfach betrunken und in diesem Zustande pflegte er mehr zu sagen, als er verantworten fonnte. Troß der Ver warnung seitens des Präsidenten vor dem Meineide verbleibt die Zeugin bei ihrer Aussage. Der Zeuge Künstler hat den Vater Rother nur hin und wieder über seine Familie sprechen hören, weiß aber nicht mehr Genaues davon und entschuldigt fich mit Gedächtnißschwäche. fich mit Gedächtnißschwäche. Die Schneiderin Anna Artlet, eine fleine flinte junge Dame, welche ihre Aussagen immer niffe in dem Rother'schen Hause vernommen werden. Sie hat schnell und ohne Befinnen herausstößt, soll über die Verhält

füste, aber wohlgemerkt: ohne Korrespondenzen, Börsende- Berhältnissen der Bertha hat er mir nie etwas erzählt. Er peschen und dergleichen. Selbst das Schach sollte gemieden werden, da ein großer Theil der Schachvirtuosen nerventrant wird. Endlich sei noch der verbreitetsten unserer Nerven­leiden gedacht, der sogenannten Nervenschwäche"( Neu­rasthenie), die" fo recht als eine moderne und Kulturkrankheit dafteht". Beard meinte, sie sei eine spezifisch amerikanische Krankheit, und in der That find ihre schwersten Formen drüben zu Hause, aber leider wimmelt es auch bei uns von Neurasthenikern jeder Schattirung und davon weiß besonders Krafft Ebing ein Lied zu fingen, dessen Rath speziell von diesen Kranken aus der ganzen Welt aufgesucht wird, so daß er Graz zu einem Wallfahrtsort für dieselben gemacht hat. In den mannigfachsten Formen tritt dieses Leiden auf, welches darauf beruht, daß im Nervenleben die Bilanz zwischen Produktion und Verbrauch von Nervenkraft nicht mehr herzustellen ist". Es befällt bald die Kopfnerven, bald

die Rückenmarksnerven, bald die Herz- oder Magennerven und bildet das dankbarste Gebiet für ärztliche Schwindler jeder Art, welche diese Kranken in gewiffenloser Weise auss beuten. Dahin gehören auch jene spezifischen Furchterscheis nungen, Furcht vor Jrrfinn, Schlagfluß 2c., Furcht vor ge schlossenen Räumen, in die der Krante sich nur wagt, wenn er seinen Rückzug gesichert weiß, Furcht im Theater( wegen Brand, Deckeneinsturz 2c.), Furcht im Poftwagen oder Eisen= bahnkoupe zu fahren, Furcht vor Verunreinigung u. f. w. Sehr häufig ist die sogenannte Platfurcht, bei welcher der Krante unfähig ist, eine menschenleere Straße oder einen weiten Platz allein zu überschreiten, und wenn er es doch zwingen will, thätsächlich in eine hilflose Situation geräth. Andere Kranke fürchten das Erröthen oder Erblassen im Gespräch mit andern Leuten, oder beim Anblick von Waffen die Ver­suchung, fich oder Andere zu tödten, oder in der Kirche die Sucht, gottesläfterliche Worte auszustoßen, oder auf einem Thurm ben Drang, fich hinabzuwerfen u. f. w. Auch Hypo­chondrie und Hysterie sind Blüthen dieser spezifischen Zeit­frankheit.

die Bertha Rother in einem Theaterverein lennen gelernt und später für die Familie Rother in der Wohnung derselben ge= näht. Nach ihrer Schilderung muß der Hausstand ein ganz ausgedehnter gewesen sein, denn außer der Frau Rother und ihren Töchtern hat dort noch ein Geschäftsführer Ihlow , ein Dienstmädchen und eine unverehel. Marie Reine gewohnt. Tros ihres vielfachen Aufenthalts daselbst kann die Beugin fagen. Sie meint, weil sie ihre reichliche Arbeit gehabt habe. über die Vorgänge in der Rother'schen Wohnung nicht viel Den Graef habe sie einmal dort getroffen, fte habe

auch einmal fo nebenbei vernommen,

daß Bertha

Rother ein Verhältniß mit dem Prof. Graef habe, doch babe fie fich nicht darum gekümmert, weil die Geschichte fie nicht intereffirte." Frau Rother habe ihr gefagt, daß Prof. Graef aus ihrer Tochter ein ordentliches Mädchen machen wolle und dieselbe ausbilden laffe. In der Brigwalferstraße hat die Beugin 6 Wochen lang bei Bertha R. gewohnt, sonst wohnte

Niemand dort.

Der Vater Rother sei täglich dorthin ge fommen, niemals aber Prof. Graef. Das Geld zu der Woh­nung und ihrem Unterhalt habe fie von einem Referendar er halten, der von da ab ihr reguläres Verhältniß" bildete. Präs.: Was hat die Bertha R. nun dort eigentlich getrieben?

-

-

Beugin: Sie hat die Wohnung eingerichtet. Präs.: Und das dauerte 6 Wochen lang? Beugin: Es war ja ein ganz neues Haus und wir hatten Alles neu einzurichten. Staats anwalt Heinemann: Jft in der Prizwallerjiraße Hazard ges spielt worden? Wissen Sie, was das ist? Beugin: Nein!

-

Staatsanwalt Heinemann: Jst dort Karten gespielt worden? Beugin: Su meiner Zeit nie.- Staatsanwalt: Ift nicht der junge Mann, welcher mit der Bertha nun da