Nr. 237.

Sonnabend, den 10. Oktober 1885.

II. Jahrg

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt00

99

erfcheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Bostabonnement 4 Mr. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illuftr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.)

Redaktion: Beuthstraße 2.

Die Wahlen in Frankreich .

Wir haben früher schon einmal in diesen Blättern aus­geführt, daß das in der französischen Republik eingeführte Listenstrutinium in seiner politischen Bedeutung eine verzweifelte Aehnlichkett hat mit den berüchtigten zwei Dritteln des Nationalkonvents vom Jahre 1795. Als der Nationaltonvent sich auflösen mußte, beschloß er, daß zwei Drittel der neuen Boltsvertretung aus den bisherigen Ron­bentsmitgliedern gewählt werden müßten, weil man wußte, daß die Stimmung des Landes gegen den reaktionär gewor Drittel" war so start, daß sie einen Aufstand der Pariser Bürger hervorrief, der bekanntlich von Napoleon Bonaparte mit Rartätschen blutig niedergeworfen wurde. Wie damals der Konvent, so haben jetzt in Frankreich die aufeinander­folgenden republikanischen Regierungen die öffentliche Stim mung gegen fich aufgebracht. Man fühlte und wußte dies und führte deshalb das Listenskrutinium ein, eine Idee" Gam­betta's, die darauf berechnet war, die oppositionellen Minoritäten völlig zu erbrücken. Aber die Sache schlug in's Gegentheil um; die erste Probe mit dem Listenffrutinium brachie eine un­gebeure Verstärkung der Monarchisten; daneben eine ge­ringere Stärkung der Radikalen und Beides auf Kosten der sogenannten Opportunisten, der sich gemäßigte Republi­faner" nennenden bürgerlichen Mittelpartei, die unter ver­schiedenen Namen in Frankreich seit dem Sturze Mac Mahons existirt hat. Es stehen noch eine Menge von Stichwahlen aus;

Gestrickte Socken u. Frauen- Strümpfe, a Paar 50, 60, 75, 80, 1,00, 1,25 Mr. O Wollene gestrickte Gamaschen, a Paar 50, 80, 1,00, 1,25, 1,50

50

3,50

entscheiden sich diese, was bei der nun einmal vorhandenen Strömung sehr leicht möglich, gleichfalls zu Gunsten der anti- republikanischen Parteien, dann wird das honette" Ministerium Brisson teine sichere Majorität mehr haben

und wird nicht weiter regieren fönnen. Was bann tommt, barüber läßt sich heute noch nichts sagen. Man sieht aber, baß es in Frankreich nicht des so oft als Gespenst an die Wand gemalten fiegreichen Generals," der seinen Degen in die Wagschale wirft, bedurfte, um das herrschende System zu erschüttern.

Die Franzosen fönnen aus diesen Wahlresultaten zunächst ersehen, wie gefährlich es ist, mit Wahlsystemen nach Gam­ betta 'scher Manier hastig nnd unüberlegt zu experimentiren. Wir find überzeugt, die Staatsmänner, bie so eifrig für das Liftenffrutinium eingetreten sind, würden jetzt viel barum geben, wenn sie dessen Einführung rückgängig machen und bie alte Wahlkreiseintheilung wieder herbeiführen könnten. Aber das können sie nun nicht mehr. Sie hätten aber aus der französischen Geschichte wahrlich genug Belehrung dar über schöpfen können, daß die Plebiszite in Frankreich ein Ding find, auf die sich keine Gewalt verlassen kann. Der Feuilleton.

Rubend serbotex.]

77]

Das Mormonenmädchen.

Amerikanische Erzählung

DON Balduin Möllhausen

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( Fortsetzung.)

Während der ersten halben Stunde senkte sich der Boden ber Rinne, in welcher sie sich fortbewegten, nur ganz all. mälig; bafür aber befanden sie sich unausgesetzt zwischen haushohen, lose liegenden Felsblöcken, die theils von gänzlich zerstörten Resten des Hochlandes herrührten, theils von den unterwühlten Plateaus losgebrochen und in die Tiefe hinabgestürzt waren. Diese nackten furchtbaren Gesteinsmassen, welche im Sturz zu den bizarrsten Gebilden zerschellt waren, verliehen ber Umgebung einen überaus troftlosen, beängstigenden Cha­rafter. Von Vegetation war nirgends die geringste Spur zu entdecken, ebenso mangelte das allerdürftigste Thierleben, und einen seltsamen Kontrast bildeten zu den starren Gebirgs­trümmern die allmälig versiegenden Bächlein, die in den glatt gewaschenen steinernen Rinnen munter dahin sprudelten und murmelten. Je weiter die Flüchtlinge sich von den Basen der Pla­teaus entfernten, um so spärlicher und fleiner wurden die Beröllblöcke und in um so höherem Grade fenkte sich auch Der Weg vor ihnen. Doch wie der Boden der Schlucht sich fentte, erweiterte sich dieselbe auch, während die hochgelegene Sandsteinebene mit ihren regelmäßigen Hügeln und Thälern nicht wenig einer ziegelfarbigen, turmbewegten See glich, welche ein mächtiger Wille plötzlich zum Stillftehen gebracht. Die Wanderer, wenn ihre erstaunten Blicke sich auch hierhin und dorthin wendeten, und vielleicht selbst 3weifel n ihnen aufstiegen, ob sie je ihren Weg wieder aus diesem urchtbar verworrenen Labyrinth herausfinden würden, vers folgten unverbroffen ihre vielfach gewundene Straße. Kairuk chaute weber feitwärts noch hinter sich; er schien seiner Sache zu gewiß zu sein; und so ging es fort und immer

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Insertionsgebühr

beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 the Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annonces Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Bimmerstraße 44.

jezige Präsident Grevy hat dies in der Nationalversammlung von 1848 mit großer Schärfe ausgeführt, und damals den Antrag gestellt, die Präsidentenwahl nicht durch das Land, fondern durch die Nationalversammlung wählen zu laffen. sondern durch die Nationalversammlung wählen zu lassen. Das war nicht gerade demokratisch, aber es entsprach der Situation. Indem man den Antrag Grevy's bas mals ablehnte bahnte man dem Prinz Präfi­denten Louis Napoleon den Weg zum Kaiserthum.

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Nicht wir allein, sondern hundert und tausend andere Blätter haben unzählige Male darauf hingewiesen, daß die Franzosen , wenn sie ihre Republik befestigen wollten, dazu machen. Das war nicht unmöglich und nicht allzu schwierig. vor allen Dingen nöthig hätten, fie beim Volke beliebt zu Sie mußten mit der traditionellen Politik der Bonaparte's , der Bourbonen und der Orleans vollständig, und, unbes fümmert um das Geschrei der Säbelrassler und militärischen Abenteurer, auch unbekümmert um das Geschrei von Chauvinisten à la Deroulède, brechen und ihre äußere Politik zu einer vollständig und aufrichtig friedlichen Politik zu einer vollständig und aufrichtig frieblichen machen. Dann handelte es sich um innere wirth­schaftspolitische Reformen, um Verminderung der Steuers last und Hebung des Unterrichtswesens, um Ver­ringerung der Militärlaften und endlich um eine energische Arbeiter und Sozialgefeßgebung. Alle Regierungen haben dergleichen versprochen, aber feine hat etwas davon ausgeführt, eine nicht allzu bedeutende Aufbesserung des Volksschulwesens etwa ausgenommen. Das öffentliche Wohl trat hinter dem persön lichen oder Parteiinteresse zurück. Man erinnere fich nur, wie Gambetta als Kammerpräsident eine Regierung nach der anderen stürzte, um die ihm im Wege stehenden Staatsmänner abzunuzen". Daß die öffentlichen Ans gelegenheiten Frankreichs dabei in Verwirrung geriethen, war dem einstigen Diktator von Tours offenbar gänzlich gleichgiltig. Er wollte dies Frankreich zu seiner Verfügung haben, wie es Robespierre und die Napoleonen zu ihrer Verfügung gehabt hatten. Und als endlich der große Tag anbrach, an dem der politische Koulissenschieber selbst die Regierung übernahm, wie wurde da der Mund voll genom men! Ein Füllhorn voll Reformen von großartigster An­lage sollte über das glückliche Frankreich ausgeschüttet wer ben. Und was kam? Nichts, gar nichts! Als der Diktator Ministerpräsident geworden, gipfelten seine Anstrengungen dahin, Frankreich schleunigst in einen afrikanischen Krieg zu verwickeln. Das hatte eben Gambetta mit allen anderen Regierungen gemein, daß er glaubte, ohne Gloire" nicht regieren zu können. Diese fich als Republikaner geberben den französischen Liberalen könnten ohne Krieg sich so wenig ein glückliches Frankreich denken, wie Napoleon III. Während er aber seine Truppen nach der Krim , nach Italien und Mexiko sandte, sandten sie die ihrigen nach Madas

weiter fort und tiefer in die Erde hinein. Bald an schroffen Abhängen hinunter, bald über schräge Flächen hin, auf wel­chen fieffaum das Gleichgewicht zu halten vermochten. Höher thürmten sich zu beiden Seiten von ihnen die rothen Fels maffen über einander, schlanker erschienen die getrennt stehen ben Säulen, welche durch die Gewalt des Waffers von dem massiven Gestein losgewaschen worden waren, und schmaler wurde der Streifen blauen Himmels, der von oben herab zu ihnen niederschimmerte.

gaskar, nach China und Hinterindien , nach Anam und und Tongling. Da mag sich denn ein großer Theil des Voltes erstaunt gefragt haben: Sind denn das die ersten Segnungen des republikanischen Regiments, daß wir unser Geld und unsere Söhne hergeben müssen, um in fernen Ländern militärische Abenteuer zu bestehen, die, wenn fie gelingen, nur den großen Spekulanten Vortheil bringen? Diese Stimmung haben haben die reaktionären Parteien geschickt benutzt und die Folge davon ist das Wahlresultat vom 6. Oktober. Das Listenstrutinium, diese unheilvolle Erbschaft Gambetta's, hat sich gegen seine zigen, ob man nunmehr einsehen wird, daß es an der Zeit eigenen Väter gewendet. Ob man die Lehre, die in diesen Wahlen liegt, beher ist, die überseeischen Abenteuer einzustellen und sich endlich mit der bringenden Frage wirthschaftspolitischer Reformen zu beschäftigen. Vielleicht; wahrscheinlich aber nicht. Der französische Liberalismus, wenn er sich zur 3eit auch repu­blikanisch nennt, ist genau wie anderwärts; der Staat dient ihm nur dazu, seinen Waffeninteressen Genüge zu leisten. Das öffentliche Wohl" ist für ihn nur ein schöner, philo­sophischer Begriff; man führt es im Munde, um es Begriff bleiben zu laffen und bei jeder Gelegenheit hintan zu sehen.

Politische Uebersicht.

Der Sieg der modernen Technik und des Groß­Nachweislich wird das Segelschiff immer mehr durch das Dampf betriebes im Seewesen hat uns bereits früher beschäftigt. schiff verdrängt. In den 13 Jahren 1871-84 hat fich der Bestand der deutschen Rauffahrteischiffe um 660 Segelschiffe vermindert und um 456 Dampfschiffe vermehrt. Die kleineren Fahrzeuge find durch die größeren verdrängt, der Raumgehalt der Seeschiffe ist um 287 000 Reg.- Tons oder 29 pCt. vermehrt worden, die Tragfähigkeit ist sogar um 76 pCt. gestiegen. Folgende fleine Tabelle erläutert treffend diefen bigkeit von dem Großbetrieb aufgefogen wird. Es war nach fapitals über den Kleinbetrieb, welcher mit reißender Geschwin­Philippi in den Pr. Jahrb.( Septemberheft 1885) der Bestand am

Borgang, der nichts bedeutet, als die Ueberlegenheit des Groß.

Zahl der Segelschiffe Netto- Raumgehalt derselben in 1000 Reg. Tons Besatzung derselben Bahl der Dampfschiffe Netto Raumgehalt derselben

in Reg. Tons

Besagung derselben

1. Jan. 1871 1. Jan. 1884 3712

4372

900,4

894,8

34379

26937

147

603

82,0

374,7

4736

12678

Wir glauben, diese Bahlen beweisen! Sie zeigen, daß die deutsche Handelsflotte fich glänzend entwidelt hat zu Gunsten

schwarzes, unheilschwangeres und wetterleuchtendes Gewölk drohend und Alles verdunkelnd über einander.

Vorwärts ging es daher mit ungeschwächtem Muthe. Niemand sprach ein Wort; die Hike war zu erstickend in dem abgeschlossenen durchglühten Raume, dessen Atmosphäre außerdem noch durch das gewaltsame Verdunsten des Wassers verdichtet wurde. Selbst die Theilnahme, welche vorzugsweise Full und Weatherton in jeder anderen Lage ihrer Umgebung geschenkt haben würden, ging verloren, und vielfach glitten die Blide achtlos über Formationen hin, welche vielleicht auf dem ganzen Erdball ihres Gleichen

Bald waren es die schlanken Säulen mit ihren kolof= falen Boſtamenten und ben wunderbar geformten, oftmals schief hängenden Kapitälern, bald die pitto resten Gesimse, die sich hoch oben am Rande der Sandsteinfläche hinzogen, welche wohl eine aufmerksamere Beobachtung verdient hätten. Beobachtung verdient hätten. Hier öffneten sich wie­der luftige Thore und Fenster, aber unregelmäßig, wie bei zerfallenden alten Ritterburgen, dort schwarz gähnende unterirdische Gänge und Höhlen, welche einen Theil des niedergeflossenen Wassers in sich aufgenommen hatten, um es an einer anderen Stelle wieder zu Tage treten zu laffen.

So lange die hohen Seitenwände ihnen noch Schatten gewährten und die frische Feuchtigkeit noch Rühle in dem gewölbartigen Gange verbreitete, empfanben sie feine Be- fuchten. schwerden. Als aber gegen Mittag die fast senkrechten Strahlen der Sonne bis auf den Boden der Schlucht brangen und das farbige Gestein ringsum erhißten, da wurde die Gluth geradezu unerträglich, und schwerlich wären fie wohl ihrer Aufgabe gewachsen gewesen, hätten die in schats tigen Winkeln zurückgebliebenen Wasserpfuhle ihnen nicht hin und wieder Gelegenheit geboten, sich zu erfrischen und zu erquicken, denn das Wasser, welches immer spärlicher unter ihren Füßen dahinfloß, war so arm geworden, daß es schon deshalb fast ungenießbar wurde. Wo sie aber auch rasteten und sich erquickten, lange 3eit war ihnen nicht vergönnt. Kairut, dessen Sehnen aus gehärtetem Stahl zu bestehen schienen, trieb sie immer wieder empor, indem er mit der Hand auf die Sonne, die den empor, indem er mit der Hand auf die Sonne, die den 3enith schon längst überschritten hatte, deutete, und des Ro­lorado als eines noch sehr weit entfernten Punktes erwähnte. lorado als eines noch sehr weit entfernten Punktes erwähnte. So wurde der Marsch immer wieder mit erneuter Eile angetreten. Der Schweiß triefte Allen von der Stirn, die Sehnen erlahmten von dem vielen Klettern und Niederwärts gleiten, die Augen entzündeten fich durch das unausgesetzte Sinblicken auf das von der Sonne grell beleuchtete rothe Gestein, aber in den Schluchten drohte ein unabwendbares Berberben, wenn sie vielleicht abermals von einem Gewitter überfallen wurden, ehe sie einen Punkt erreicht hatten, auf welchem ihnen ein Pfad nach der Höhe hinauf offen stand.

Der Himmel war wohl klar, doch wer konnte dem Aussehen des Himmels trauen? Eine Stunde, und wo jetzt die Sonne mit vollster Kraft nieberbrannte, da thürmte sich dann vielleicht

Als fie aber endlich an einem umfangreichen thurm ähnlichen Ueberreft der Hochebene vorbeikamen, dessen sent rechte Wand gewissermaßen die Fortseßung der Schlucht bildete, in welcher fie fich dem Kolorado näherten, da wäre Falt nicht falt vorübergezogen, und wenn sein Leben auf dem Spiel gestanden hätte.

Was von der schwindelnden Höhe niedergebrochen und in die Schlucht hinabgestürzt war, hatten die Fluthen des schmelzenden winterlichen Schnees und der Wolkenbrüche bes Sommers allmälig bis auf vereinzelte zu schwere Blöcke wieder fortgespült. Auf diese Weise war daher ein wunder­bares Gebilde geschaffen worden, dessen südliche Mauern, dicht vor dem Wanderer dem Boden entsteigend, ohne nennenswerthe Unterbrechungen sich Tausende von Fuß hoch in ben blauen Aether hinein erhoben und sich dort in bläus lichem Duft zu verlieren schienen.