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Sonnabend, den 24. Oktober 1885.
II. Jahrg
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
Das Berliner Volksblatt
scheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 f. ftabonnement 4 Mr. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illuftr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in ber Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.)
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Redaktion: Beuthstraße 2.-
Reform der Strafprozekordnung!
So tönt es jetzt laut durch die ganze liberale Preffe, und wer nicht weiß, mit wem er es zu thun hat, der könnte glauben, es sei ben Nationalliberalen wirklich darum zu thun, eine volksthümliche Aenderung der Strafprozeßordnung zu bewirken. Der Prozeß Graef hat den Anlaß zu dem gegeben und man fönnte die Sache in Bezug auf die aufgeworfene Streitfrage vielleicht interessant finden, wenn Herr Frenzel, der Feuilletonist der„ National- Beitung", wären. Wenn diese Leute sich mit einem Staatsanwali Banten , muß es eine ganz besondere Angelegenheit sein, und ta ber That weiß man nicht, ob man darüber lachen oder trauern soll, wenn jene beiden Herren sich einem Staatsgegenüber als die Vertreter der ,, unabhängigen Presse" geberben. Daß ein Staatsanwalt einen Prozeß, in dem er als Ankläger fungirte, in einer Broschüre beschreibt, balten auch wir nicht für angebracht. Aber dieser Fall ist schon mehrfach dagewesen, namentlich bei politischen Proeffen, und wir haben nicht gehört, daß ein Lindau oder ein Frenzel sich dagegen aufgelehnt hätte. Diesmal hat der Fall einen Rünstler betroffen und daher der Lärm. Herr Frenzel und Herr Lindau scheinen der Meinung zu sein, für Künstler dürfe es fein Strafgesetz geben, und Herr Frenzel meinte fogar, ein gewöhnlicher Mensch" sei, wenn ermo ter betrunken sei, eben betrunken, der betrunkene Künstler sei aber nur" begeistert". Nun, wir gewöhnlichen Menschen" 23 I wären sehr begierig, den physiologischen Nachweis zu erhalten, daß der Alkohol auf das Künstlergehirn eine besondere Wirkung ausübt. Sonst kann man den von Herrn Frenzel produzirten Unsinn ruhig zu dem Hebrigen legen; wir trößten uns damit, daß die beiden Herren für ihre tieffinni gen Betrachtungen über den Prozeß Graef nur jenes gläubige und andächtige Publikum finden werden, das die kläglichen Theaterstücke der Lindau und Blumenthal, begeistert" unvergleichliche Kunstwerke verehrt.
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Doch wollen wir einmal untersuchen, welchen Werth bas aus einem so sonderbaren Anlaß hervorgegangene Verlangen nach Veränderung der Strafprozeßordnung hat.
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Insertionsgebühr
beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 P Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Wh Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Simmerstraße 44, sowie von allen Annonces Bureaux , ohne Erhöhung des Preises, angenommen.
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ten Mängel in die Gerichtsverfassung hineingebracht, bei jener schönen Gelegenheit, als sie in der dritten Lesung das Gegentheil von dem votirten, was sie in der zweitene fung beschlossen hatten? Den Nationalliberalen ver banken wir bas Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft, die vorläufige Beschlagnahme, den 3eugniß zwang; wir verdanken ihnen auch den Umstand, daß die Preßvergehen den Geschworenen entzogen find. Geschwäßige liberale Advokaten schufen die hohen Anwaltsgebühren, deren nachtheilige Wirkungen man vergebens dadurch zu verhüllen strebt, daß man ohne Unterlaß auf die hohen Gerichtstoften losschlägt, während doch bei dieser Doppelbes lastung der eine Theil für den kleinen Handwerker und Arbeiter ebenso drückend ist, als der andere.
Wir können es dem Liberalismus nicht glauben, daß es ihm Ernst ist mit einer volksthümlichen Reform der Gerichtsverfassung. Es ist schon bezeichnend genug, daß man die Initiative in dieser Angelegenheit der Regierung überläßt. Was wird da tommen? Das Reichsjuftizamt wird einige unwesentliche Abänderungen beantragen und damit wird die Sache wieder auf längere Zeit erledigt sein.
das Armenrecht in Anspruch nimmt. Damit würde Herr Frenzel sicherlich dem Publikum einen besseren Dienst leisten, als mit seiner übertriebenen Verherrlichung des Künstlerthums. Man kann der Kunst und den Künstlern die volle Verehrung zukommen lassen, die sie verdienen, und fann babei boch ganz vernünftig bleiben.
Wir begreifen schon, daß Herr Paul Lindau und Kons forten beständig fich auf die Jagd nach„ Sensation", resp. nach sensationellen Stoffen" befinden. Darin wollen wir sie nicht stören. Aber dann sollen diese Sensationsjäger ihre Hände aus den politischen Angelegenheiten lassen und sollen nicht glauben, daß das große Publikum nur eine TheaterKlique sei.
Politische Uebersicht.
Dem Bundesrathe sind nunmehr die Spezial- Etats pro 1886/87 zugegangen. Wir entnehmen denselben, daß die Erträge der Zölle und Verbrauchssteuern für das nächste Etatsjahr zusammen auf 383 406 500 M., um 43 954 000 Mart mehr als im Etat für das laufende Jahr, veranschlagt find, die Gesammteinnahmen aus Stempelabgaben auf 30 387 000 Mt.(+9980 500 M.) In diesem Plus ist als Mehrertrag in Folge der diesjährigen, die Börsengeschäfte stärker heranziehenden Stempelgesegnovelle die Summe von 9 874 000. enthalten. Von der Einnahme an Zöllen, Tabaksteuer und den bezüglichen Aversen verbleiben der Reichstaffe nur 130 000 000 M. Der diese Summe übersteigende bevölkerung überwiesen.
Die Nationalliberalen resp. die in dieser Angelegenheit sonderbarer Weise zu Stimmführern gewordenen, der großen literarischen Versicherungs- Gesellschaft auf Gegenseitigkeit der Reflame angehörigen Schriftsteller Lindau und Frenzel hätten doch wahrlich nicht den Prozeß Graef abzuwarten brauchen, um sich über die Mängel unserer Gerichtsverfassung zu ins formiren. Das alltägliche Leben bietet darüber der Beleh- eag wird den Bundesstaaten nach Maßgabe der Matrikularrung wahrhaftig genug. Wir müssen gestehen, daß uns die Frage der Entschädigung unschuldig Verhafteter und Verurtheilter unendlich wichtiger ist als alle die Fragen, die man in Folge des Prozesses Graef aufwerfen zu müssen geglaubt hat. Wo sind denn aber die Herren, die jetzt den Mund so voll nehmen, gewesen, wenn von der Einführung dieser Entschädigung die Rede war? Wer hat da von Lindau und von Frenzel etwas gehört? Freilich sind, wenn es sich um volksthümliche Reformen handelt, für den Herrn Paul Lindau keine so feine so interessanten Studien zu machen, wie im Prozeß Graef. Würde sich doch der Hers ausgeber von Nord und Süd" einmal um die tausend Sorgen bekümmern, die dem Handwerker, überhaupt dem kleinen Mann" erwachsen, wenn er genöthigt ist, zur Rechtspflege seine Zuflucht zu nehmen! Wenn Herr Frenzel, statt zu untersuchen, ob ein betrunkener Künstler wirklich betrunken oder nur begeistert" ist, doch lieber einmal bars über nachdenken wollte, ob es nicht möglich wäre, die armen Mann so der Eventualität zu entziehen, daß er seine
"
Von wichtigeren Vorlagen für den Reichstag ist dem Berl. Tagebl." zufolge, der Entwurf, betreffend die Ausbehnung der Unfallversicherung auf die land- und forst wirthschaftlichen Arbeiter bereits fertig gestellt, und dürfte dem Bundesrathe in nächster Beit zugehen. Die Ausdehnung der Unfallversicherung auf die Seeleute ist vor Weihnachten nicht mehr zu erwarten, da erst nach dem Abschlusse der Be rathungen der Seeschifffahrts- Kommiffion die völlige Ausarbeitung des Gefeßentwurfs in Angriff genommen werden kann. Neben der in letter Beit vielgenannten Vorlage, betreffend die Budersteuer, welche auch erst im nächsten Jahre an den Reichstag gelangt, wird das Wiedererscheinen des Post spars lassen Gesezes allgemein als wahrscheinlich bezeichnet.
Keiner will der Erste sein? Ueber die von uns schon gemeldete Bertagung des gegen den Reichstagsabgeordneten Hasenclever angestrengten Diätenprozesses läßt
Daß die Strafprozeßordnung und überhaupt unsere ganze Gerichtsverfaffung reformbedürftig ist, das kann Nieenergischer betonen als wir. Seit Jahren sind wahr haft freistnnige Männer bemüht, die Mängel der Strafprozeßordnung zu beseitigen und die Gerichtsverfassung umzugestalten; aber diese Bestrebungen find regelmäßig ges jenigen Partei, deren Organe jetzt über den Fall Graef Rechtspflege überhaupt unentgeltlich zu gestalten und ben einen so großen Lärm erheben. Haben nicht gerade die Nationalliberalen die so vielfach angegriffenen und gerüg- politischen Rechte verliert, wenn er zu einer Prozeßführung lungstermine, Kenntniß davon erhalten konnte.
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werboten.]
Feuilleton.
Die Hand der Nemesis.
Roman
. ( Fortsetzung.)
fich die„ Volts- Beitung" aus der Provinz Sachsen folgendes schreiben: Vorwand der Vertagung ist eine Reise, die Juſtia
rath Schlickmann macht, so daß er an dem Verhandlungstage nicht in Halle ist. Der Entschluß ist ein plöglicher gewesen und dem Anwalt des Verklagten erst am 18. d. Mts. mitgetheilt worden, während der Verklagte selbst, der am 18. in Breslau war, erst am 20., also einen Tag vor dem VerhandEs ist ja
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bis unter das Kinn zugeknöpft, und in jeder Hand ein Bündel buoe nennen. Uralte, theils mit grellen Farben bemalte Kirtragend, das aus zusammengeknoteten, mit den verschiedenschenfiguren, Statuen bekannter und unbekannter Heiligen, artigsten Viktualien gefüllten Taschentüchern bestand so so steinerne Humpen und Krüge aus dem Mittelalter, Waffen, schritt Jakob Hochmuth langsam an den Reihen der Ver- die vielleicht in den Kreuzzügen schon geschwungen worden täufer vorbei, hier und da stehen bleibend, um nach dem waren, Möbel, die in ihrer Glanzperiode den Salon einer Preise eines Kohlkopfs oder irgend eines anderen ihn beson- Pompadour ergänzt hatten, große schwere Bücher in schweins ders ansprechenden Gegenstandes zu fragen. Erschien der lebernen Einbänden, pfundschwere Rittersporen und vergilbte geforderte Preis ihm unverschämt, so wanderte er mit einer Spizen, verblichene Teppiche und Reste einer goldgepreßten fehr groben Bemerkung weiter, im andern Falle bot er die Lebertapete, altdeutsche Gläser und bunt bemalte Basen Hälfte, und die Grobheiten zungenfertiger Verkäuferinnen, das Alles hing, stand und lag in bunter Unordnung hier die er täglich in reichstem Maße erntete, schienen ihm eher durcheinander, ein wahres Chaos von Ruinen aus verganein freudiges Behagen, als Merger zu bereiten. genen und vergessenen Seiten.
" Nichtsdestoweniger wäre es mir intereffant, ihn werthvollen Schah, der erst nach seinem Tode gehoben werden darf, so werden weder Bitten noch Drohungen ihn bewegen, fie bei Lebzeiten herauszugeben, und ich habe keine Luft, ihn darum anzusprechen, was in der Gesindestube ge rebet wird, darf mich ja nicht fümmern. " Ich werde sie mir zu verschaffen suchen!" finden. Prahlt der alte Schwäger noch einmal damit, so erhandeln, Suchen Sie nach und bringen Sie mir, was Sie brohen Sie ihm mit dem Untersuchungsrichter, damit wer ben Sie ihm voraussichtlich den Mund stopfen."
Hatte er auf dem Markt seine Einkäufe besorgt, so wanderte er in die Verkaufsläden der Fleischer, Bäcker und Rolonialwaarenhändler, um auch seinen Bedarf in diesen Artikeln zu decken, und mit einer Unverschämtheit, um die manche schüchterne Hausfrau ihn beneiden konnte, wußte er auch hier das Beste für den niedrigsten Preis zu Jakob Hochmuth war in allen Straßen, in allen Läden eine bekannte Persönlichkeit, aber wovon er lebte, woher er
zur Bestreitung seiner Bedürfnisse nahm, wußten Seine Wohnung bestand aus brei Stuben und einer Küche, fie lag im Erdgeschoß eines Hauses, welches er ge= ritt in scharfem Trabe vor kauft, und bessen übrige Räume er an verschiedene Familien und alleinstehende Personen vermiethet hatte.
bie Reitpeitsche vom Schreibtisch und verließ das Rabinet feine Toilette beendet, er sette den Hut auf, nahm Wenige.
mit stolz erhobenem Haupt. bannen, den Weg zur Stadt einschlagend.
ben Gemüsemarkt in den Vormittagsstunden zwischen neun
In der Küche wohnte er, und in der höchst einfach ein gerichteten Wohnstube empfing er die Personen, die ihn be
Und diese Tröblerbude war für Jakob Hochmuth eine nicht zu verachtende Erwerbsquelle.
Er kaufte die Gegenstände von solchen Personen, die ihren Werth nicht kannten, die schon zufrieden waren, wenn fie für das alte Gerümpel einige Groschen erhielten, aber Diejenigen, denen er sie wieder verkaufte, mußten den vollen Werth zahlen, den sie für den Liebhaber und Sammler besaßen.
Welche anderen Geschäfte Jakob Hochmuth neben seinem
Antiquitätenhandel betrieb, wußten nur Diejenigen, die in engere Verbindung mit ihm getreten waren, allen Anderen blieb es ein Geheimniß.
Er fand ein besonderes Vergnügen daran, dem Spiel der Ratten in der Abenddämmerung zuzuschauen, und wenn
die Mitbewohner seines Hauses behaupteten, diese Thiere seien seine Lieblinge, so mochte diese Schlußfolgerung wohl der Entrüstung entspringen, die sie darüber empfanden, daß
Wenn man an den gewöhnlichen Markttagen der Woche suchten, aber auch nur solche Personen, denen er den Auf- er, nicht zufrieden damit, das Halten einer Kaße und die
enthalt in der dunklen, mit allen möglichen Düften anges
und zehn Uhr besuchte, so durfte man mit Zuversicht darauf füllten Küche nicht zumuthen durfte. rechnen, dem Manne zu begegnen, welcher der Generalin
gefchrieben hatte.
Aufstellung von Fallen streng zu verbieten, auch das Un= geziefer noch fütterte.
Das Schlafzimmer war ein schmaler, enger Raum, aus von Studmann den empörenden Brief über ihren Bruder dessen Fenster man die trostloseste Aussicht auf einen fleinen unsauberen Hof und speziell auf einen hohen, aus Asche, feiften, glatt rafirten Gesicht, einer unförmlichen, von unmäßi- dem zur Zeit der Abenddämmerung langgeschwänzte Ratten Eine breitschultrige Gestalt von mittlerer Größe, mit einem Küchenabfällen und Kehricht gebildeten Hügel genoß, auf kündigte. ger Spaniolverschwendung gerötheten Nase, lugen und ver- sich beluftigten. schmitten Augen, auffallend großen und von dem edigen Schä bel allzuweit abstehenden Ohren, den langen altmodischen Rod
Die dritte Stube, die geräumigste von allen, durfte man mit vollem Recht eine mit Antiquitäten gefüllte Tröbler
Er stand auch heute am Fenster seines Schlafzimmers und sah dem lebhaften Treiben gedankenvoll zu, als die Schelle an der Thüre seines Wohnzimmers ihm Besuch anLangsam schritt er durch die Küche, die zwischen den beiden Bimmern lag, in die Wohnftube, und als er die Thüre öffnete, stand der Gutsbefizer Rabe ihm gegenüber. Julius Tullius, endlich!" sagte Hochmuth lakonisch,