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Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Nothwehr.

Dienstag, den 24. November 1896. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Da der Justizminister seine Behauptung nicht durch| Verkehr mit Rekruten zur Anwendung zu bringen pflegen. nähere Angaben über den bestimmten Fall gestützt hat, find Etwas ganz anderes, von grund auf Verschiedenes, ist die Der Fall Brüsewitz hat deshalb eine so tiefe und nach- wir nicht in der Lage, zu prüfen, ob er nicht etwa eine Gewaltthat gegenüber dem Beleidiger. Die gesteht unser haltige Aufregung im ganzen Volte erzeugt, weil in der falsche Auffassung von dem Vorkommniß gewonnen hat. Recht dem Beleidigten nicht zu. Sie ist nur gestattet zur unseligen That des Lieutenants selbst wie in der Be- Aber zugegeben, daß die Rechtsprechung genau in der Weise Abwehr eines thätlichen Angriffs, fällt erst dann unter urtheilung, die sie in militärischen und militärfrommen verfahren ist, wie Herr Schönstedt sich zu erinnern glaubte, den Begriff der erlaubten Nothwehr und ist auch dann Kreisen gefunden hat, der militärische Kaftengeift einen alles so paßt doch der Fall in Auseinandersehung darüber, ob straflos, wenn sie mit dem Tode des Angreifers endet, Rechtsgefühl und alle Menschlichkeit schroff verletzenden Aus- auf bloße Beleidigung die Nothwehr durch die That statt vorausgesetzt, daß nicht anders daß nicht anders der Angreifer ab­druck gefunden hat. Dagegen empört sich das Volksbewußtsein. haft sei, wie die Fauft auf's Auge. zuwehren war, oder daß das Herausgehen über die Grenzen der Vertheidigung durch Bestürzung, Furcht oder Schrecken" erklärlich gemacht wird.

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Politische Neberlicht.

Selbst in Kreisen der Bourgeoisie will man es nicht gelten Erstaunlicherweise ist es dem Herrn Justizminister ganz laffen, daß unter Umständen ein Offizier das Recht haben entgangen, daß es sich nach seinen eigenen Angaben, soll, als Kläger, Richter und Henter in eigener Person wohlgemerkt garnicht um eine Anklage wegen Beleidi Die sogenannte Ehrennothwehr des Königs", die die einen wehrlosen Zivilisten niederzustechen. Denn darauf gung, sondern um eine Anklage wegen Störung des Brüsewizereien zu einer ständigen Einrichtung in unserem kommt die Lehre von der militärischen Nothwehr Gottesdienst es gehandelt hat. Wäre Anklage wegen öffentlichen Leben auswachsen lassen würde, kann das Volk " Ehrennothwehr des Königs" nennen sie romantisch an- Beleidigung des Pfarrers erhoben worden, so hätte der sich nicht gefallen lassen. Sorgen die, die es zunächst an­gelegte Leute bei Lichte besehen hinaus. Man darf sich Gerichtshof die gegenseitigen Beleidigungen einfach kom geht, nicht dafür, daß dieser falschen und gefährlichen An­durch die Verurtheilung, die der Degenstoß des Herrn pensiren oder dem Angeklagten den Schutz des§ 193( Wahr schauung im Offizierkorps ein Ende gemacht wird, so wird v. Brüsewiß auch in jenen Kreisen findet, nicht darüber nehmung berechtigter Interessen) zubilligen tönnen. sich im Volke die Ueberzeugung festsetzen, daß es sich gegen­täuschen lassen, daß diese Verurtheilung nur der Einen Fall der Nothwehr 3u erkünfteln, hätte über Leuten mit solchen lebensgefährlichen Ansichten und individuellen Uebereilung des Brüsewiz gilt. Die Wort- feinerlei Nothwendigkeit vorgelegen. Die Störung des Neigungen im Zustande beständiger wirklicher Nothwehr führer des Militärs nehmen fast durchweg für sich und Gottesdienstes war aber eine Nebenwirkung, die sich nicht befindet. ihre Standesgenoffen das Recht in Anspruch, unter Um- durch Kompensirung mit einer voraufgegangenen Be ständen, d. h. auch dann, wenn sie nur durch Worte sich leidigung aus der Welt schaffen ließ. Hat nun der Ge­beleidigt glauben, von der Waffe in der ausrichtshof die durchaus gerechtfertigte Freisprechung des giebigsten Weise, also bis zur Tödtung des angeb- Religionsstörers mit der Nothwehr motivirt, so geschah Berlin , 23. November. lichen Beleidigers, Gebrauch zu machen. Und nicht nur das, weil unserem Recht der Begriff der Abwehr durch Aus dem Reichstage. Die heutige Sigung war als ein Recht, fogar als eine Pflicht erscheint ihnen Worte" fehlt. Der Gerichtshof hätte unseres Erachtens wiederum bei schlechter Besetzung der Berathung der Justiz­diefe Sühne der angeblichen Beleidigung durch die blanke jedoch niemals zu Auskunftsmitteln greifen fönnen, wenn novelle gewidmet Die Regierung hatte ihren schlechten Tag. Waffe, als eine Pflicht, deren sich der angeblich Beleidigte der beleidigte Kirchenbesucher dem Pfarrer mit einem that Bu§§ 103( Durchsuchung einer nicht angeklagten Person), nicht entziehen darf, wenn er nicht selbst der Offiziersehre lichen Angriff geantwortet hätte. 114( Verkürzung der Polizeihaft), 137( Stempelfreiheit verlustig gehen will. Also, Herr Justizminister, Ihr Beispiel hinkt auf der Strafvollmachten), 140 und 144( Verbesserung der Das ist der klaffende Widerspruch der militärischen beiden Füßen. Es handelte sich in dem von Ihnen er- Offizialvertheidigung) wurden durchweg gegen die Plaidoyers oder, beffer gesagt, offizierlichen Auffassung von der Noth wähnten Falle garnicht um eine Anklage auf Beleidigung, ihrer Vertreter Anträge aus dem Hauſe angenommen. wehr und der bürgerlichen, von der Gesetzgebung aner für deren Abweisung die Geltendmachung der Kompenfirung Direkt zu einer gewaltigen Anklage gegen die heutige Rechts­tannten Auffassung, die die Nothwehr mit der Waffe bis und der§ 193 des Reichs- Strafgesetzbuchs ausgereicht pflege gestaltete sich die Debatte bei§ 112. Frohme und zur Tödtung des Gegners nur bei Bedrohung von Leib und hätte, sondern um Störung des Gottesdienstes. Und ferner Stadthagen hatten hier eine Erschwerung der Ver­bestand die mit sehr weitherziger Interpretation unter den hängung ungerechtfertigter Untersuchungshaft beantragt. Nach Als im Reichstag der Fall Brüsewitz zur Sprache Begriff der Nothwehr gebrachte Abwehr des Kirchenbesuchers dem Frohme wirkungsvoll den Antrag begründet hatte, bat kam, hat indeß kein geringerer als der preußische Justiz gegen die Beleidigung des Pfarrers in einem 3 uruf, der Regierungsvertreter um Ablehnung, weil ja schon jetzt minister den Versuch gemacht, diesen klaffenden Widerspruch nicht in einem thätlichen Angriff. Er hätte dem Pfarrer der Wunsch des Antrages durch den Buchstaben des Gesezes zwischen der militärischen und der bürgerlichen Auffassung mindestens ein messingbeschlagenes Gesangbuch oder sonst erfüllt sei. Daß nicht ohne das Vorliegen von in von der Nothwehr zu vertuschen, indem er ein Beispiel au em gefährliches Instrument an den Kopf werfen müssen, der Vergangenheit liegender Thatsachen Flucht­führte, das seiner Ansicht nach den Beweis liefern sollte, um es statthaft zu machen, daß seine That mit der Brüse verdacht angenommen und zu Verhaftungen geschritten daß die Rechtsprechung in Preußen auch ein Recht der Noth- wigerei halbwegs in Vergleich gestellt werden konnte. werde und daß nicht gar politische oder religiöse An wehr gegen bloße wörtliche Beleidigung anerkennt. Er Niemand würde es Herrn v. Brüsewiß oder irgend schauungen zur Begründung einer Untersuchungshaft vers fagte nämlich: einem seiner Berufsgenossen verargen, wenn er eine wendet werden, sei ja schon jetzt Sinn des Gesetzes. Ihr " Der Abg. Lenzmann meinte, bei Angriffen auf die Ehre gebe es überhaupt feine Nothwehr. Dieser Satz steht nicht auf ihm angethane Beleidigung, oder das, was er als eine sei nicht bekannt, daß dagegen gefehlt werde. Frohme der Höhe der Judikatur. Als ein Geistlicher von der Kanzel Beleidigung empfindet, mit Worten zurückweisen würde und Stadthagen seyten nun in unbarmherziger Weise herab einen Zuhörer beleidigte und dieser rief Das ist eine und seien diese Worte auch noch so kräftig, seien sie auch die Rechtsprechung, die nach dem Eingeständniß der Lüge", sprach das Reichsgericht den Zuhörer von der Anklage dem Wortschatze des Kaferuenhofes oder Stalles ent Regierung eine verfehlte ist, auf die Anklagebant. Die wegen Störung des Gottesdienstes frei, weil Nothwehr vorläge." nommen, den Offiziere wie Unteroffiziere hin und wieder im Regierung erhielt aus dem Hause keine Unterstützung, trotz

Leben gestattet.

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Rienzi.

Der letzte der römischen Volkstribunen. Roman von Edward Lytton Bulwer . Drittes Rapitel.

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Seine Erziehung, Erfahrung und sein Verstand die Wolfen lagen regungslos im Westen. Von fern ertönte hatten ihn weit über sein Alter gereift, und er sah das Geräusch des Lagers, das Wiehern zurückkehrender mit tiefer Verachtung auf die Schurkenstreiche und auf Pferde, der Ton einer Trompete und in regelmäßigen Bausen die niedrige Lift hin, mit denen italienischer Ehrgeiz den der Tritt der nahen Schildwache. Gegenüber, links vom Weg zur Macht suchte. Die Erhöhung und der Sturz Gebüsch, auf einer von Kräutern und Moos umzogenen Er­Rienzi's, welcher, was auch seine Fehler sein mochten, höhung, waren die Trümmer eines alten Gebäudes, dessen Getreue und unglückliche Liebe. Der Ehrgeiz überlebt wenigstens der reinste und ehrenwertheste der zur Macht ge- frühere Bestimmung unbekannt war. die Liebe. langten Herrscher der Zeit war, hatte dazu beigetragen, daß Der Anblick war so lieblich und wohlthuend, daß man Seit der schrecklichen Stunde, in welcher Adrian er am Erfolge edler Bestrebungen verzweifelte, indeß er vor kaum in demselben Augenblicke denken konnte, es hausten Colonna die leblose Gestalt seiner angebeteten Irene ge- jenen selbstsüchtigen Bestrebungen zurückbebte. Die träumerische dori wilde Räuber, denen Mord und Raub alltägliche sehen, hatte der junge Römer die gewöhnlichen Wechselfälle Schwermuth seiner unglücklichen Liebe entzog ihn noch mehr Lebensbeschäftigung war. eines wandernden, abenteuerlichen Lebens kennen gelernt. dem Treiben der Welt. Sein Charakter war voll Schön- Adrian, noch in Träume versunken und nachlässig Sein Vaterland schien seinem Herzen nicht mehr theuer. heitssinn und Poesie, obschon er für seine Empfindungen Steine in den rauschenden Strom werfend, hörte jetzt Sein Rang schloß ihn von der Stellung aus, die er feinen dichterischen Erguß fand. Oft malte er sich das jemand sich nähern. einst bei der Befreiung Roms zu gewinnen sich bemühte. Loos aus, das ihm mit Frene bevorstand, wenn das Hier ist ein schöner Ort, der Laute und den Balladen Er fühlte, daß, wenn eine solche Revolution je zu Geschick sie verbunden hätte, fern von dem unruhigen, eines Provençalen zuzuhören," sagte Monreal's Stimme, stande täme, sie von einem ausgehen müsse, für dessen wilden Treiben Roms, in stiller Einsamkeit, auf dem als sich der Johanniterritter auf den Rasen neben den Geburt und Sitten das Volk Mitgefühl empfände, der für heitern italienischen Boden. Vor seinen Augen malte sich jungen Colonna warf. daffelbe seine Hand erhöbe, ohne seinem Range abtrünnig die liebliche Landschaft, der Palast am Ufer des rauschenden und Richter seines eigenen Hauses zu werden. Er hatte Bergstroms, die Heimath, die Zuflucht aller Sänger und Adrian. mehrere Höfe besucht, auf mehreren Schlachtfeldern mit Liebe Jtaliens.

So liebt Ihr noch immer Eure Boltsmelodien?" sagte

" Ja, meine ganze Jugend habe ich noch nicht über­lebt," erwiderte seufzend Monreal . Doch, woher es auch fomme, obschon ich Jongleur und Minnesänger willkommen heiße, so lasse ich doch immer ihre neu est eu Lieder fingen. Ich wünsche nie wieder die Poesie zu hören, welche ich in meiner Jugend gehört habe!"

, Entschuldigt," sagte Adrian mit großer Theilnahme, kaum hätte ich es gewagt, Euch nach der unglücklichen Dame zu fragen, die vor sieben Jahren mit uns im Mond­schein auf die duftigen Orangenhaine und die stille Küste von Terracina blickte."

Ruhm gefochten. Geliebt und geehrt war er überall, wo Colonna, vielleicht auch jetzt von solchen Phantasien er sich eine Weile niederließ, doch hatte kein Wechsel der erfüllt, welche der Name von Irene's Bruder herauf Szene seine Melancholie verscheucht, teine neue Bande die beschworen, verharrte in Gedanken vertieft, bis ihn sein Erinnerung an die Verlorene vertilgt. In jener Beit eigener Knappe störte, der von Monreal's Dienern begleitet, leidenschaftlicher und poetischer Romantik hatte die Liebe ein reichliches Mahl auftrug. Flaschen voll des schönsten schon einen zarteren Charakter anzunehmen begonnen, als Florentinerweines, Speisen, mit all der Kunst zubereitet, er je vorher bekannt gewesen. welche man in Italien jezt leider nicht mehr findet, Kelche Adrian dachte oft, wenn er auf seiner Pilgerschaft von und Schüsseln von Gold und Silber, verschwenderisch mit Land zu Land an den Mauern eines ruhigen, einsamen Edelsteinen geziert, zeigten den fürstlichen Lurus, welcher Klosters vorbeizog, an seine Gelübde und beschloß im im Lager der großen Kompagnie herrschte. Doch Adrian Innern, in seinem reiferen Alter sich in ein Kloster zu be- fab in allem nur die Beraubung seines erniedrigten Bater- Monreal wandte sein Antlig ab; er legte seine Hand geben. Doch hatte die Abwesenheit von fünf Jahren in landes, und dieser Glanz erschien ihm fast als Beleidigung. auf Adrian's Arm und murmelte in tiefem heiseren Tone: etwas die Zuneigung zu seinem Vaterlande wieder erweckt, Sein einsames Mahl war bald beendigt, und von der" Ich bin jetzt allein!" und er wünschte noch einmal die Stadt zu sehen, in der Kühlung des Abends angelockt, ging er hinaus. Er schritt er zuerst Frene erblickt hatte. Vielleicht," dachte er, hat den Fluß entlang; bald fand er einen Ort, der etwas still die Zeit unverhoffte Veränderungen herbeigeführt, und ich und von der friegerischen Umgebung fern war, und warf fann noch meinem Vaterlande nüßlich sein." Doch war sich an das Ufer. mit diesem Patriotismus fein Ehrgeiz verbunden. Die legten Sonnenstrahlen zitterten auf den Wogen,

"

Adrian drückte stillschweigend seine Hand. Er schmerzte ihn sehr, den Tod eines so zarten, lieblichen und so un­glücklichen Wesens zu erfahren.

Die Gelübde meines Ritterordens," fuhr Monreal fort, verhinderten mich, Adelinen zu heirathen. Die Schande des