Nr. 69.

Dienstag, den 23. März 1886.

III. Jahrg.

Berliner Volksblatt

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Boltsblatt

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Fefttagen. Abonnementspreis für Berlin frei a's gaus sierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Bf. Boftabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 6 Pf. Sonntags- Nummer mit illuftritter Beilage 10 f. ( Eingetragen in der Postzeitungspreislifte für 1886 unter Nr. 769.)

Chauvinismus.

Redaktion: Benthstraße 2.

Der tolle Déroulède hat auf seiner Rundreise durch Europa , um", wie der Herwegh 'sche Trompeter, alle Völker der Erde herbei jest gegen die Deutschen " zu blafen," feine erste Station in Turin gemacht. Dann sette er sein Geblase in Genua fort, wo er Deutschland mit Trompetengeschmetter die Spree - Hyäne" nannte.

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Ueber solches Gebahren muß jeder verständige Mensch lachen. Besonders da es bekannt ist, daß der Chauvinismus im französischen Volke immer mehr im Aussterben be­griffen ist.

Daß unter den sogenannten befferen" Klassen in Frankreich noch ab und zu in Deutschenhaß gemacht" wird, ift gleichfalls bekannt, jedoch findet diese Heßerei nicht mehr den nöthigen Antlang und wird bald schon im Sande ver Laufen.

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Bei uns in Deutschland giebt es im Volke selbst feinen Frembenhaß, den man im Großen und Ganzen nur als Afterpatriotismus betrachten muß, genau so gut, wie den Patriotismus" des Herrn Deroulébe, des Präsidenten der französischen Patriotenliga. Wenn nun im deutschen Volke keinerlei Chauvinismus vorhanden ist, so findet man benfelben aber noch unter den sogenannten befferen" Gesell schaftsklassen. Da wird noch immer vom ,, Erbfeind gefafelt, da werden noch immer die albernsten Antifranzosenlieder ge fungen und dieser Chauvinismus wird leider noch genährt durch zahlreiche, in den sogenannten gebildeten" Kreisen hochangesehene Preßorgane. Unter denselben zeichnen sich besonders die Preußischen Jahrbücher", die" Kölnische Beitung" und das bekannte Krieg in Sicht". Organ, die " Post", aus.

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Die Preußischen Jahrbücher" haben ihre Leser schon fortwährend mit Korrespondenzen und Artikeln überschüttet, in denen die Revanchestimmung", welche in Frankreich herrschen soll, mit did aufgetragenen Farben gekennzeichnet wird. Die Kölnische Beitung" hilft nun mit ähnlichen Artikeln weiter aus, die Post" aber nimmt diese Artikel alle zusammen, rührt sie eifrig um und macht daraus den schönsten Revanchebrei

Die Post" will nicht immerfort bie Revanche stimmung" in Frankreich signalisiren, sie hält es aber für unverantwortlich, dieselbe zu verschweigen.

Dann ruft das Krieg in Sicht" Organ mit Pathos aus:" Der deutschen Nation aber muß zugerufen werden, daß sie sich zu sammeln hat; denn es ist vorbei mit der Hoffnung, die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland durch die Mittel der Vernunft zu Stande zu bringen.

Wie tief beleidigend und beschämend zugleich diese

Er

Feuillefon

Der Trödler.

Roman von A. E. Brachvogel.

( Fortsetzung)

Insertionsgebühr

beträgt für die 4 gefpaltete Betitzeile oder deren Raum 40 Bf. Arbeitsmarkt 10 Bfennige. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 he Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Bimmerstraße 44, sowie von allen Annoncens Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Zimmerstraße 44.

burch nichts motivirte Behauptung des konservativen, chauvinistischen Organs auch für bie deutsche leuchtet sofort ein. Nachdem faft Nation ist, sechszehn Jahre seit dem legten deutsch - französischen Kriege vergangen find, nachdem die beiderseitigen Regie­rungen fich in dieser Seit lediglich vertragen haben, nach­bem die Republik in Frankreich , die nur im Frieden nad durch den Frieden existiren kann und will, nachdem diese Regierung, unterstützt durch das arbeitende Bolt, zu wieder­holten Malen chauvinistischen Schreiern in Frankreich den Mund gestopft hat, sollte man doch sagen, daß nunmehr bei einigermaßen gutem Willen auch seitens des Deutschen Reichs ber bauernde Frieden zwischen diesen beiden, wohl den edel sten Nationen des Erdballs, leicht hergestellt werden könnte.

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Daß aber solche Erklärungen und versteckte Drohungen gegen Frankreich , wie sie die" Post" leistet, nicht zum Frieden beitragen, ist einleuchtend, da es leider in Deutschland in ben sogenannten besseren" und gebildeten" Ständen noch eine große Anzahl von Beuten giebt, welche dera rtigen Deklas mationen gläubig lauschen.

Aber, so glauben wir zuversichtlich, wird sich hüben und drüben der Volksgedanke doch Bahnbrechen, daß aur Freiheit im Innern und Friebe nach Außen die Nationen zu Glück und Wohl, stand führen können.

Die Chauvinisten aber in Deutschland und Frankreich , die Kriegstrompeter hüben wie drüben, die französischen so wie die deutschen Déroulèdes, diese afterpatriotischen Schreier können wir dem Volke zur verdienten Verachtung über geben.

Politische Uebersicht.

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Sozialisten- Tumult in Berlin !? Das deutschfreifinnige Börsenblatt, der Börsen Kourier", schreibt in seiner Sonntagsnummer: Das Ereigniß des Tages ist der So. staliftentumult vom vorgeftrigen Abend, über den übrigens von allen Berliner Zeitungen unser Blatt allein gestern Morgen bereits ausführlich berichtete."- Das Börsen blatt rühmt fich also noch, daß es fofort bei der Hand ge­wesen set, Lügen der schlimmsten Art berichtet zu haben. Daffelbe schrieb nämlich in seiner Sonnabendnummer, nachdem es den Verlauf der Versammlung im Keller'schen Lokal, wo der Abgeordnete Bebel gesprochen, geschildert hatte, folgendermaßen:

Die Menge verließ den Saal mit Hochrufen auf Bebel und unter dem Gesange der Arbeiter Marseillaise . Während dies anfänglich in sonst ordnungsmäßiger

in solchen Sachen nur Dir allein zu trauen. Willst Du fie auf unser Geschäft etwa anlernen?"

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Na und wenn's wäre?- Nicht wahr, der Trödel fram ist Dir ein gar zu miserabel Geschäft? Und doch nährt's uns, würde Mathilden ebenfalls nähren, und sie brauchte fünftig Niemand ein gutes Wort zu geben um ihr Fortkommen. Der Trödel ist gar ein gut Handwerk, ahnst selber nicht, wer es Alles betreibt! Arm und reich, vornehm und gering, wo Du um Dich schauft, Alles ist Trödel, nur daß ihn Niemand an sich merkt, bis all' seine Habe bei Meister Justus ift. Du freilich willst oben' naus mit Dei Ach Mutter, wer ist nicht so thöricht wie nem Rinbe! Du? Wer will nicht, daß sein Fleisch und Blut es besser

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fonnte Pinkert nebst Familie einmal nicht leiben, nicht nur, weil derselbe wie seine Sprößlinge von ungefchlachtem Benehmen und wenig liebenswürdigem Aeußeren war, sondern auch weil ihn Schätzlein: einen erbärmlichen, rohen und verschmigten Gefellen hielt, wozu die Erinnerung an die Scherereien und Malisen bes felben von ehemals nicht wenig beitrug. Justus vergaß haben soll, als er felber? Kurz gefagt, ich hab' Mathilden babei freilich, daß er demselben jeben Schabernad reichlich zum Gesandten geschickt, weil sie Geschmack und rich Warum soll fie mir nicht sagen vergolten und den Rothkopf oft bis zur Kollheit gereizt tigen Blick hat. hatte. Mithin war Justus der entschiedenste Gegner jeber fönnen, was an den Sachen des Russen zu lutriren ist? Na ja, ich will's geftehn,' s ift Annäherung des feurigen Wilhelm", wie er den ältesten Du schüttelft den Kopf? Sohn desselben nannte, nur ein Vorwand gewesen. Ich möchte ganz ungestört mit verbot ihr strengslens, den Burschen nahe kommen zu lassen. Dir allein sein, denn ich hab'' was sehr Ernstes auf dem Sm Uebrigen beobachtete der Tröbler ein taltes, fast lauern Herzen, Mutter!" Du hast doch keinen Berluft gehabt, Juftus?" bie Leute durch stummes 3uwarten und Gewährenlaffen bes Benehmen gegen Pintert wie alle Uebrigen, jene Manier, Nein, nein! Seh' Dich nur her, Christine. Weil ich eben feinen Berluft haben will, muß ich mich aussprechen, ficher zu machen, um hinter ihre eigentlichen Wünsche und Mathilde hat mit dem jungen Hen Absichten zu kommen. ba's noch Zeit ift. nings ein Verhältniß! Du weißt drum und billigst es!" Mein Gott, Juftus, ich!" Christine wurde betreten, ihre Stimme versagte.

an seine seine Tochter, und er

Einen noch gefährlicheren Widersacher bei Mathilden hatte Wilhelm aber an dem Sohne Hennings seniors selber, an Edmund, welcher nun ein strammer, leichtblütiger stu­diosus juris geworden war, der eben auf's Auskultators

examen Lossteuerte.

So ftanden um's Jahr 1840 die Verhältnisse im talten Stein"!

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Thr habt es mir verheimlicht, bis ich gestern Abend selbst hinter die Geschichte gekommen bin. Beate giebt ihre Stube zu Zusammenfünften her. Ist das recht? Du Stube zu Zusammenfünften her. Ist das recht? bist eine ganz thörichte, fchwache Mutter, die nicht weiß, was Es war an einem Auguftmorgen gebachten Jahren, als fie thut! Bei der Liebelei kommt nichts heraus, als Herz Mathilde auf den Wunsch ihres Vaters ausgegangen war, weh, und ein für alle Mal, ich will das nicht!"

nehmen, weil es wegen Abberufung seines Inhabers ver

fauft werden follte.

Daß Du das Rind einen solchen Geschäftsgang thun läßt, Juftus, wundert mich doch!" äußerte Chriftine, als bas Mädchen den Laden verlassen hatte. Du pflegft fonft

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Du willst es nicht, Justus! Und wenn die jungen Leute sich nun lieben, für einander geschaffen sind, willst Du sie auseinander reißen? Willst Du das Unglück Deines Kindes? Willst seine Jugendblüthe fniden? Kann das ein

Water?"

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Thu' mir den Gefallen und geh' nicht gleich aus

Weise geschah, entstand plöglich inmitten der noch An­wesenden ein Gedränge dem Podium zu, von welchem fich Bebel mit dem Bureau bereits entfernt batte. Ea war dies ein Theil der Buhörer, die ihrem Führer für feine nahezu einstündige, plößlich unterbrochene Rede huldigen wollten. Einer Aufforderung der den Saal räumen en Schußleute, sofort fich zu entfernen, leistete Die Mehrzahl Folge, und nur eine fleine Bahl zeigte fich renitent. Es entstand ein hin und Herwogen und in demselben wurde ein Schumann thätlich angegriffen. Es fanden in Folge dessen zwei Verhaftungen im Saale statt. Inzwischen hatte fich draußen vor dem Lokale in der Andreasstraße eine größere Menschenmenge angesammelt, die von Neugierigen und solchen, die feinen Einlaß mehr hatten erlangen fönnen, verstärkt, rasch auf mehrere tausend Personen anschwoll, unter ihnen viele Frauen und sogar Rinder. Die jest aus dem Eaale esfortirten Arrestanten wurden von dieser Menschenmenge mit Ge joble empfangen und die begleitenden Schutz­leute insultirt, ebenso die, welche zur Aufrechts erhaltung der Ordnung auf die Straße poftirt waren. Dichte Bollshaufen begleiteten unter o brenger­reißendem Geschrei die Arrestanten zur nächstge Legenen Wache. Inzwischen wälzte fich von der Langen­ftraße ber eine andere, mehrere tausend Röpfe zählende Menschenmenge bem großen Blaze an Der Kreuzung der Großen und Kleinen Andreas- Straße zu, der nunmehr der Schauplag eines förmlichen Tumultes wurde. Die in der Stärke von etwa 20 Mann, theils zu Pferde, theils zu Fuß anwesende Schußmannschaft, die sich die Drdnung herzustellen ver geblich bemühte, war dem Andrang der Maffen taum mehr gewachsen, und zwei berittene Schutz. Ieute wurden bei dem Versuche, die Men. schenmenge zurückzudrängen, von den Pferden gerissen. Den gröbsten Erzedenten gegenüber war ein Theil der Schußmannschaft genöthigt, von der Waffe Gebrauch zu machen, und Daraufhin erst und auf das energische Einschreiten des Bolizeilieutenants Mondorf von der Wache in der Klei nen Andreasstraße gelang es endlich, die erregte Menge zu zerstreuen. Eine Viertelstunde später hatte die Umgebung des Versammlungslokals thr ge wöhnliches Aussehen. Es wurden im Ganzen etwa sechs Verhaftungen vorgenommen. Von denen, die der Versammlung unmittelbar beigewohnt hatten, waren nur wenige an dem Tumulte betbeiligt, die Uebrigen alle batten fich mit Bebel, den fie die Kleine Andreasstraße binab begleiteten, entfernt. Lediglich der Geschicklichkeit und dem Tatte der Schußmannschaft ist es zuzuschreiben, daß die nächtlichen Ausschreitungen nicht ernstere Di menfionen angenommen haben."

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So der Berliner Börsen- Kourier". Es ist übrigens be zeichnend, daß andere Blätter und auch die Polizei selbst von diesen Vorgängen absolut nichts wiffen. Die ,, Volts- Beitung"

Rand and Band! Ich bleib' ruhig, ob ich gleich Ursach zum Merger genug hätte, mäßige Du Dich auch,' s ist das Bernünftigste. Eben weil ich mein Rind so recht, recht glücklich machen will, wünsch' ich, daß diese Liebschaft nie existirt hätte, und da es nun' mal doch geschehen ist, daß sie je eher, je lieber aufhört!"

geh' doch, Du kannst nur Edmund nicht leiben, ich weiß es wohl!"

Von

" Nicht leiden? Was das für Neben find! Na meinet wegen ja, wenn Du's so nennen willst. Ich sage Dir jetzt meine offene flare Ansicht, und Du weißt, ich geh' richt davon ab, und wenn Du eine gute, rechtschaffene Mutter bist, wirst Du wissen, was Du zu thun hast! Edmund's vortrefflichem Herzen und ehrenwerthen Absichten reb' ich nicht. Er liebt Mathilden, ja boch! Donnerweiter, ich will den Menschen sehen, der die nicht lieben muß! Er ift aber der verzogene, verwöhnte Sohn eines reichen Man nes, von Eitelkeit, Sucht nach Luxus und grenzenlosem Leichtsinn erfüllt. Darum fann ich ihn nicht leiden! Seine Neigungen find wie Schaumblasen im Wasser, kaum steigen fie auf, so plazen fie! Er weiß weder, was Arbeit, noch was Ernst des Lebens heißt, und unglückselig ist das Weib, das so einen Mann hat! Hui, schon manch' größer Ver mögen, als wie im falten Stein" stedt, ist unter geschickten Händen klein geworden, und der sieht mir ganz so aus, als wenn er mit dem Seinigen bald genug fertig werden könnte. Edmund ist noch viel zu jung, um einen Charakter zu haben. Hat er sich einmal die Hörner abgestoßen, ift er ein respet tabler Mann geworden und blieb bem Mädel gut, na, so - so wollen wir das eben abwarten, weißt Du? Bis dahin wird ihm aber noch manches Frauenzimmer in die Quere kommen! Gefeßt auch, Alles stände bei Weitem

besser, ich litt's doch nicht! Schufter bleib' beim Zelften!

Der Sohn Jofua Henning's ist für keine Tröblersiochter! Still, Mathilde kommt schon wieder, ich seh' sie an der Ede."

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Thu' mir nur den Gefallen," flüsterte Christine rasch, und scheuche mir die jungen Leute durch keinen Standal auseinander, Justus!"

3, auseinanderbringen wird sie der alte Hennings und