Beilage zum Berliner Volksblatt.

Dr. SS.

Dienstag, den 23. März 1886.

HL Mass,

Dw Arbrilwstmii und du SlmKidn. Ein Vorurtheil. welches nicht entschieden und nachdrücklich genug bekämpft werden kann, offenbart sich in der in den Herr. schenden Gesellschaftskreisen noch recht häufig anzutreffenden Sin- ficht:Der Slrdeiterstand sei der Si» der Unw.ffenhert. der Verderdthcit und Unsittlichkeit und deshalb nicht fähig, selbst. ständig an der Reform der Gesellschaft Theil zu nehmen." Dieser Anficht gegenüber ist zunächst mit vollem Rechte geltend zu machen: Der Ardeiterstand ist nicht verderbter, un. wrffender und unfittlicher alS irgend ein anderer Stand; im Gegentheil, er hat in dieser Hinstcht große Borzüge vor andern Ständen; von seinen Fehlern ist ihm nicht ern�einzrger eigen. thümlich, er theilt fie höchstens mit andern Standen, die nur zu oft, wo nicht durchweg, das schlimmste Be,>prel geben, wie die tägliche Erfahrung zur Genüge lehrt. Unser großer Denker Fichte, der gewiffenhasteste Kritiker seiner Zeit und selbst einem höheren Smnde angehörend, hielt sich verpflichtet, unumwunden zu erklären: daß die Schlechtig­keit nach Verhältniß des höheren Standes zunehme und zwar in Folge des Egoismus der Höberen Stände. Diese Ursache der zunehmenden Schlechtigkeit ist heutzutage noch vre! starker und rückfichtsloser wirksam, als zu Fichte« Zert. Der Egcismus hat fich zu einem Fehler der herrschenden Klaffen herausge- bildet; mögen einzelne Glieder dieser Kwffe noch so selbstlos sein, die Klaffe alS solche kann von der Selbstsucht nicht frei- gesprochen werden; dieser Fehler, der seine» Aarfsten Aus. druck auf wirthschaftlichem Gebiete erhält, ist die Bedingung der Existenz der Klasse, damit aber auch daS größte Hmderniß für die Entwicklung d-S Volkslebens, die Hebung der Wrssenschaft, der Verallgemeinerung der Bildung, kurz für alle Fortschritte der Kultur, für alle Siege deS geschichtlichen Lebens. Anders bei den unteren Klassm. Allerdings findet fich auch in ihnen noch viel, sehr viel vernunftswidriger Egoismus vor, aber doch immer nur als Fehler der einzelnen Jdrviduen, nicht aber alS der notwendige Fehler einer Klasse. Der Geist der Solidarität, der Gemeinsamkeit ist in der Arbeiterklasse stärker und- edler als irgendwo anders; ebenso der Drang nach Wissen und Bildung. Hinfichtlich der Fähigkeit zur Aufnahme der Bildung steht er andern Klaffen wenigstens "'�Roch heute g'lt, was Fichte w seinen Reden an die deutsche Nation den herrschenden Kreisen zurief:Mit wenigen Ausnahmen seid ihr aller Wissenschaft von Herzen Feind, seichte Schwätzer und aufgeblasene Prahler, Halbgelehrte, die durch die Schule nur durchgelaufen, blinde Zutapper und Fortschleicher im alten Geleise und die sonst nichts wollen oder Selbst ein so entschiedener Vertheidiger der bestehenden Gesellschaftszustände wie der Professor von Treitschke, der be- kannteSozialisten tödter", muß zugestehen:Heute, wo die gute Gesellschaft einen gewissen Grad von Kenntnissen und Belesenheit an Jedermann alS selbstverständlich voraus- setzt, ist eS ein Gewohnheitslaster der höheren Stände geworden, fich mit dem Scheine der Bildung zu schmücken und der ehrliche Blick erschrickt vor dem Wüste von Unwahrheit, der durch solche Unart in die Welt gekommen."

Verstmpelung", der Unfähigkeit, die von unseren geistigen Heroen vollbrachte innerliche Weltwende zu begreifen und der die Stelle des Wissens vertretenden lächerlichen Selbstzufriedenheit desMeinens" zu zeihen. Man täusche fich darüber nicht, daß die Bildung der herrschenden Kreise in erster Linie auf die Erkenntniß und Wahrung der Einzelintereffcn, die mit dem Bestehenden zusammenfallen, berechnet ist; die Bildung er. schrint da nicht um ihrer selbst willen gegeben, sondern ledrg. lich als Mittel zu dem Zwecke, einem Sondervortheile der Klasse oder eines dem Kreist derselben angehörigen Berufs- Die» Arbeiterklasse hat solch einen Zweck bei Erlangung von Bildung nicht im Auge, fie kann ihn gar nicht haben, denn alle» das. waS daS persönliche Interesse des Arbeiters bildet, die Verbesserung seiner Lage und darüber hm- aus die Anerkennung seines Berufes und der Ver- lvirklichung feines vollen und ganzen Menschenrechts,

Erste Liebe.

Aus: Auf der Fahrt. Kurze Erzählungen von Rudolph Linda«. Unsere Fahrt nahte ihrem Ende. Wir durften hoffe», die Westküste von Amerika am nächste» Tage zu erblicken. Wir saßen auf unserm alte« Platz hinter dem Mann am Steuer. ES war spät geworben. Die Nacht war wunder« bar schön; die Luft mitde und so klar, daß bei dem Scheine der am tiefe» Himmel leuchtenden großen Sterne die Ge« fichtszüge eine« jeden von uns deutlich zu erkenne» waren. Unser alter Kapitän Mac Gregor blies nachdenklich den Rauch seiner kurze» Pfeife vor sich hin; Ugly Tom war sanft eingeschlafen; der stille Paffagier, den wir den Stutzer nannten, lag in chinesischem Schlafanzüge auf seinem großen Bambussessel lang ausgestreckt, die nackte», magern Arme Unter dem Kopfe zusammengeschlagen, das Gesicht ganz still, die Auge» weit geöffnet und uaverwaodt auf einen fernen Punkt am Nachthimmel gerichtet; unser irländischer Gefährte, Cuninaham, stand hinten am Schiff, an der Brüstung ange- lehnt, anscheinend mit de» Augen die glitzernde Silberfurche verfolgend, die der scharfe Klipper rn da« dunkle, stille Meer zog. Endlich wandte er sich um, näherte fich seinem Sessel und ließ fich behaglich darauf nieder. Nachdem er lange Weile, leise vor sich hinpfeifend dagesessen hatte. reckte ee sich wie ein müder Mann unv sagte:Giebt es heute keine Geschichte zu hören?* und als nach einigen Sekunde« kein« Antwort erfolgte, fuhr er fort:Dann will ich zum Schluß eine zum Beste« geben." Zch führe seit Jahre« ei« unfiäte« Lebe» und bin weistens auf Dampfschiffe«, in Eisenbahnwagen, Wartesäle», Tasthöfe» und Restaurationen z« Hause.- Wie da« so ge­kommen ist, weiß ich nicht. Schickung! Aber das thut auch nichts zur Sache. E« handelt fich«rcht um eine Ge. schichte au« meinem Leben, sonder« aus dem eines wert ältere» Mannes. Er war ei» Deutscher, glaube ich; wenigstens klang sei» Name deutsch , und wir sprachen ge. wöhulich deutsch miteinander: ei» großer, hagerer, vor- «ehmer Mann, mit schlichtem, weichem graue« Haar, das

der Sieg seines Prinzip?, olles daS steht nicht etwa im Gegensatz zu den Interessen der Gemeinsamkeit, sondern fällt zusammen mit den Forderungen, die die Vernunft an die Ge- meinsamkeit stellt,mit dem zuckenden Pulsschlag der Geschichte, mit dem Lebensprinzip der sittlichen Entwicklung." Die höchste Bildung und die höchste Fähigkeit fie zu ver- allgemeinern, ist immer auf der Seite» wo die höchste Vor­stellung vom Wesen und Beruf der Gemeinsamkeit, des Staates, herrscht; wo das Staatsprinziv in seiner ganzen Reinheit, Sittlichkeit und Hoheit zur Erscheinung kommt. Diese Vorstellung, diese Erscheinung ist so recht eigentlich die Quintessenz aller Bildung, ihr letzter und höchster Zweck. Was hätten denn sonst alle Bemühungen um die Wissenschast zu bedeuten? WeShalb werden fie fortgepflanzt von Geschlecht zu Geschlecht? Doch offenbar nur, wie Fichte sagt um zu reckter Zeit daS allgemeine Leben und die ganze mensch- liche Ordnung der Dinge zu gestalten. DieS ist ihr letzter Zweck. Wo aber finden wir die von der Wissenschast auS dem Borne der geschichtlichen Erfahrung sowohl wie auS den Lehren der Vernunft geschöpfte höchste Vorstellung vom Wesen und Beruf deS Staates? Gerade im Arbeiterstande! Und eS ist wahrlich nicht daS geringste Verdienst des Sozialismus, sie aus dem Instinkt der Massen herausgebildet unv zur Erkenntniß gebracht zu haben, um fie immer mehr zum dewußten Zweck der Gesellschaft herauszuringen. Schon ein sehr mäßiger Instinkt, um wie viel mehr die tägliche Erfahrung lehrt den Arbeiter, daß der Einzelne von ihnen ohnmächtig ist im Ringen nach einem besseren Loose. Das Gefühl der Solidarität ist die natürlichste aller Eigen- schaften des Ardeiterstandes! Nichts liegt ihm näher alS die Erkenntniß: das der Staat, d. h. die alle Einzelkräfte nmfaffende und dieselben millionenfach vermehrende Einheit der Individuen zu einem fittlichen Ganzen eS ist, welcher die Funktion hat, die Ent- wicklung des Menschengeschlechts zur Freiheit und Wohlfahrt zu vollbringen. Demnach also ist der Zweck deS Staates nicht der, dem Einzelnen nur die persönliche Freiheit und das Eigenthum zu schützen, es ist vielmehr gerade der, durch diese Vereinung die Einzelnen in den Stand zu setzen, eine solche Stufe des Da- sein! zu erreichen, die fie als Einzelne niemals erringen können; fie zu befähigen, eine Su nme von Bildung, Macht und Freiheit, geistiger unv materieller Wohlfahrt zu erlangen, die ihnen sämmilich als Einzelnen schlechthin unerreichbar ist. Der Staat hat die hohe Aufgabe, das menschliche Wesen zur posttiven Entfallung, zur fortschreitenden Entwicklung zu dringen, mit andern Worter: die menschliche Bestimmung, d. h. die Kultur, deren daS Menschengeschlecht sähig ist, zum wirklichen Dasein zu gestalten. DieS ist so sehr die fittliche Natur des Staates, seine wahre und höchste Aufgabe, daß fie deshalb seit allen Zeiten durch den Zwang der Verhältnisse selbst vom Staate, auch ohne seinen Willen, auch unbewußt, auch gegen dm Willen seiner Leiter, mehr oder weniger ausgeführt wurde. Während die Etaatsidec des durch die franzöfische Re- volutton zur Herrschaft gebrachten Kapitalismus in dem Grundsatze gipfelt,daß ausschließend nichts Anderes als die ungehinderte Selbstbethätigung seiner Kräfte jedem Einzelnen zu garantiren sei," macht der Sozialismus geltend alS Inbegriff der StaatSidee des Ardeiterstandes:daß das freie Spiel der individuellen Kräfte nicht ausreiche, daß zu ihm in einem fittlich geordneten Gemeinwesen noch hinzutreten müßte die Solidarität der Interessen, die Gemeinsamkeit und Gegenseitigkeit in der Entwicklung." Um dahin zu kommen, muß die Produktionsweise, das ganze wirthschaftliche Leben der Nation geregelt werden. DaS Alle« haben die Arbeiter viel besser erkannt, als ir- gend ein anderer Stand, und diese Erkenntniß legt für ihre Bildung und ihre Fähigkeit, fördernd und regelnd im Jnter- esse wahrer Kultur in die Entwicklung der Dinge einzugreifen, daS beste Zeugniß ab!_

zokale».

Die Markthallen werden vorauSfichtlich anfangs April fertig gestellt und bald darauf eröffnet werden. Gegenwärtig werden die letzten baulichen Arbeiten ausgeführt und gleich- früher braun gewesen sein mochte, gute», ehrliche« Augen und alles in allem mit einem Gesichte, das wohlwollend und ernfi aussah. Wir trafen unS in London in einem Klub, in de» ich eingeführt worden war, und schloffen u»S an- einander an, obgleich ein großer Altersunterschied zwischen un« bestand, und wir in uvsern Beschäftigungen nichts ge- meinfam hatte«. Er war«in Gelehrter nutzloser und ltebenS- würdiger Art, der nur lerne» wollte, um zu wisse«, nicht um andere zu belehre« oder vor andern mit seinem Schatze von Kenntnissen zu glänze». Ich war gern bei ihm, denn sei» Zimmer war das behaglichste, daS ich in London kannte; mittelgroß, mit hübschen Bilder» und seltene» Bücher» angefüllt, warm, mit guter, reiner Lust, den bc- quemste» niedrigen Sesseln, die einen sozusagen festhielte«, wenn man sich einmal darauf niedergelassen hatte, und mit einem Feuer im Kami», das alle» Gebräuche« zuwider, wirklich wärmte und niemals rauchte. Als ich ihn eines Abends besuchte, fand ich ihn, wie dies häufig vorkam, weit von der Lampe , die auf dem Tische brannte, am Kamin sitzend und damit beschäftigt, das Feuer zu unterhalten, wobei er großes Geschick an den Tag legte. Er begrüßte mich artig, lud misfi et», neben ihm Platz zu nehme«, bot mir«ine Tasse Thee an, ftagte nach dem Wetter, als wäre er den ganze» Tag über zu Hause geblie« ben und hätte seit frühem Morgen niemand von draußen gesehen, und versank sodann wieder in träumerische Nach- denklichkeit, aus der ihn mein Komme» geweckt zu habe« schien. Sie sind heute sehr mittheilsam,* sagte ich nach einer längeren Pause..Woran denken Sie eigentlich?* Ich dachte soeben an meine erste Liebe," antwortete er einfach. Ich sah ihn verwundert an, denn es war nicht seine Art, von sich zu spreche«.Da? muß eine etwas alte Ge- schichte sein," sagte ich. Ja, eine ganz alte Geschichte.* Und Sie denken noch immer daran?" Nicht immer; nicht einmal häufig; aber von Zeit zu Zeit, wie heute Abend zum Beispiel, wenn ich lange allern gesessen habe und zu müde zum Lesen geworden bin und

zeitig die Verkaufsstände aufgestellt. Am weitesten vorae» schritten ist die Halle Nr. 3 in der Ztmmerstraße. Betritt man dieselbe vom Haupteingang, so zeigen fich die verschiedenen Stände in nachfolgender Reihenfolge: Links Fische, Fleisch, Obst und Vorkost, rechts Fleisch, Wildprct, Holzwaaren, Blumen und Vögel sowie Vorkost. Links hinten befindet fich die Re- stauration, rechts führt ein Ausgang in die Mauerstraße. Hier, wie auch in den andern Hallen, bestehen die Fischbehälter ouS karrarischem Marmor, die Fleischer stände aus eisernen Gestellen mit Drahtgittern. Die Halle in der Friedrichstraße verbindet letztere bekanntlich durch eine Passage mit der Lindenstraße. Sie befitzt von jeder dieser Straßen Eingänge, von denen derjenige in der Lindenstraße durch das Gebäude der Handwerkerschule führt. Letzteres ist mit einer großen Eandsteingruppe, Bero- lina, Handwerk und Künste beschützend, von Professor Lürssen geschmückt. Den Eingang von der Fttedrichstraße vermittelt eine Rotunde, welcher fich eine Anzahl von Läden anreihen. Dann bemerkt man beim Eintritt links eine große GlaShaUe für den Eingroshandel mit Blumen. Ein Aufzug stellt die Verbindung mit den Kellern her, welche zum Aulbewahren der nicht verkauften Maaren dienen. Im Ganzen enthält diese Halle 76 FischbasstnS, 10 Seefisch-, 218 Schlächter- und 380 Grünkram- und Vorkoststände. Einen großartigen Eindruck macht die am Alexanderplatz belegene Zentral-Marktllalle mit ihren wei- ten Räumen und Galerien. Hier umfaßt die Mittelhalle allein 250 Quadratmeter, während der gesammle nutzbare Raum, aller- dings mit Einschluß der Stadtdahnbauten, eine Fläche von 11 600 Quadratmeter einnimmt und der unterkellerte Raum 10 000 Quadratmeter enthält. Was die innere Einrichtung dieser Halle betrifft, so besteht dieselbc auS 102 Ständen für Engrosschlachter, 107 Stände für Detailschlächter, 25 Wildpret-, zirka 50 Mehl- und Vorkostständen, 40 Ständen für Süß- wasserfische, 12 Ständen für Seefische und ferner aus 200 Ständen für Butter, Käse, Dtlilatessen, Grünkram re. Auch drese Halle, welche übrigens mit der Stadtbahn in Verbindung steht, so daß die Waaren von dort heruntergeschafft werden können, hat zwei Eingänge: von der Neuen Friedrichstraße und von der Kaiser-Wrlhelmstraße. An elfterem beträgt die Fassade 100 Meter, an letzterem inklusive der gemietheten Stadt- bahnviadukte 120 Meter. Die vierte und kleinste Halle in der Dorotheenstraße geht ebenfalls ihrer baldigen Fertigstellung entgegen. Bei Verausgabung falscher Thalerstücke wurde am 20. d. M. die unverehelichte L. detroffen. Sie gab an, daß fie das Geld von ihrem Onkel, dem Schlosser Uhde, mit welchem fie in der Schönholzerstraße zusammen wohnt, zum Zwecke der Verausgabung erhalten habe. Eine Durchsuchung der Uhde'« schen Wohnung führte zur Auffindung einer vollstänvigen Falsch- münzerwerlstätte und zahlreicher Falstfikate. Geständlich hat Uhde, ein 84jähriger bisher unbescholtener Mann, seit mehreren Jahren falsche Thalerstücke sächsischen Gepräges mit der Jahres- zahl 1839 wie er behauptet etwa 300 Stück aus ver- fftoettem.Messing durch Prägung hergestellt: und durch seine Nrchte bei Schlächtern, Bäckern, Kaufleuten rc. in Umlauf ge- bracht. Die Falsifikate sind so gut gemacht, daß sie fich als solche nur durch den duwpseren Klang, daS geringere Gewicht, das mattere Gepräge und die Undeutlichkeit des Äünzzeichens Ö. erkennen lassen. Die GeschäftSpraxiS des Kellnerinnen-EngagementS- bureanS von Uecker, Leipzigerstr . 127. Die Nachtseiten des Berliner Lebens in allen Nuanzen kennen zu lernen, hat wider Willen derjenige Gelegenheit, welcher, getrieben von der schweren Nolh der Zeit, fich auf der Jagd nach dem Glücke befindet der Stellungsuchende. Mit ängstlicher Hast durch- fliegt er die Spalten der Zeitungen nach paffenden Offerten, und hat er etwas gefunden, so eilt er hin in der Hoffnung, seine Arbeitskraft verwerthen und fich retten zu können auS der verdienstlosen, der schrecklichen Zeit. Doch ach, gar bittere Erfahrungen muß er machen und trübe Welt- und Menschen. kenntniß sammeln, denn waS fich oftmals unter einer Harm- losen Annonze verbirgt, das»scheint Vielen geradezu unglaub- lich. So erschien in voriger Woche mehrmals ein Inserat fol- »enden Inhalts:Ein junger Mann mit guter Handschrift, der auch Gelder einkasfiren kann, wird verlangt bei Uecker, Leipzigerstraße 127." So unscheinbar dieses Inserat auch an u2£ f1* war, so fanden fich doch Viele, welche auf diese Stelle" refikktirten und von schönen Hoffnungen beseelt traten fie die Wanderung nach der Leipzigerstraße an. Die gehegten

mich zu träge fühle, um. noch auszugehen, und mir sage, daß, während es hier so still und einsam ist, draußen frisches, lautes, junges Leben herrscht." Ist es eine traurige Geschichte?" Traurig? Nun ja; aber doch die alltäglichste von der Welt." Erzählen Sie sie mir." Er wandte sich langsam zu mir und blickte mich mit gehobene» Augenbrauen aufmerksam an. Die Geschichte würde Sie nicht interessiren," sagte er. Doch!" Und Sie sind noch so jung. Sie werden mich nicht vetstehen.* Nun, ich bin in der That jung," antwortete ich;aber meine erste Liebe liegt doch schon fern hinter mir. Sie unterschätzen meine Erfahrungen und mein Berständniß für eine Liebesgeschichte." Sie glauben?" sagte er lächelnd. Darauf wandte er sich wieder dem Feuer zu und rieb sich langsam, wie die» seine Gewohnheit war, die hagere» Hände, und nach einer Weile begann er mit leiser Stimme, ohne mich anzublicken, gleichsam zu sich selbst redend: Wenn ich von meiner erste» Liebe spreche, so meine ich nicht die allererste. Diese hat mir seiner Zeit wohl auch viel Schmerzen und ängstliche Freude» bereitet; aber das ist längst vergesse». Wen» ich jetzt noch manchmal daran zurückdenke, so ist«S mir, als dächte ich an eines ander«, nicht an meine eigene Zugendgeschichte. Ich war damals vielleicht zwölf oder dreizehn Jahr alt, und sie war die Schwester meines Schulkamerade» Max. Ich begegnete ihr zum ersten Mal auf der Eisbahn, wo fie eines Nach- mittag» mit ihrer Mutter erschien, um ihre» Bruder zu sehen. Die ganze Schule hatte sich dort versammelt, und e« wüthete ein ergrimmter Kampf zwischen den zwei feind- lichen Parteien, in die wir gelheilt waren. In dem Augen- blick, al« ich sie erblickte, traf mich ein harter Schneeball an den Krpf, so daß ich betäubt niederfiel. Als ich«ach we- »igen Minute« wieder zu mir kam, saß ich auf einem Stuhl in der Nähe eine» auf der Bah« errichtete« Zeltes, und die