fie daS Chliflenthum leugnen, daß ihre Lehre zur Beseitigung der Monarchie und zur Är flösung aller Eigentburrsverhällniffe führen muß. Deshalb find auch alle anderen Parteien im Hause bereit, wo fich nur ein Anlaß dazu findet, die Sozial- demolraten ausS Enlschiedenste zu bekämpfen; und wenn die osfiziöse Presse von Bündnissen zwischen Sozialdemokraten und anderen Parteien spricht, und namentlich, daß ich persönlich dabei detheiligt sei, so find daS durchaus tendenziös in die Welt gestreule Behauptungen. Wir erkennen aber andererseits an, daß manche der sozialdemokratischen Bestrebungen auch ge- rechifertigt find, und so weit wir dieS anerkennen, werden wir fortfahren, für die Perbefferung der Lage der Arbeiter zu wirken. Auch die Regierung fordere ich auf, fich diesem Ge- biete zuzuwenden und nicht erst abzuwarten, biS sie von den Parleien auf dem Wege der arbeiterfreundlichen Gesetzgebung zum Vorwärtsschreiten angefeuert wird. Die Regierung»er- langt immer nur Mittel, um in der Lage zu sein, gemalt- samen Widerstand zu unterdrücken; ich sage aber: nicht auf die Macht, den Widerstand zu drecken, kommt es an, sondern da- rauf, daß man die Weisheit und den Verstand hat, die Dinge so zu leiren, daß überhaupt kein Wiverfiand entsteht.(Zu- stimmuna im Zentrum.) Gerade deshalb bedaure ich so sehr, daß die Regierung neuerdings mit aller Starrheit an ihrer ur- sprünaUchen Vorlage festhält und selbst die Frage der Dauer der VerlängerungSsrist als ein noli wo tangere hinzustellen scheint. Ich bedaure ferner, daß der Minister noch nicht ein« mal auS den Ereignissen in Belgien die Nutzanwendung zieht, daß vor allen Dingen alle Hmdeimsse aus dem Wege geräumt werden müssen, welche bei unS noch für die Entwickelung der religiösen Anschauungen und Institutionen bestehen(sehr wahr! im Zentrum); das wäre das wirksamste Kampfmittel gegen die Sozialdemokraten. Ader die Regierung ist noch immer nickt zu dieser Erkenntniß gelangt; und wäbrend doch die Sozialdemokratie vor der Thür steht, treibt ihr die Regierung die katholische Ardeiie»bevölkerung noch direkt in die Arme. Sie sehen in Belgien die Folgen solcher Politik; dort herrscht seit vielen Jahren ein absoluter Liberalismus, ein freimaurrriiches Regiment!(Zustimmung im Zentrum; leb- hafter Widerspruch rechts.) Ich wiederhole, ein Regiment der Freimaurer , und so lange Sie mir diesen Satz nicht bündig widerlegen, halte ich ihn aufrecht. Die jetzigen Ereignisse in Belgien find die Schuld der dort zur Zeit Regierenden; und wenn die Herren in Frankreich fortfahren, so zu regieren wie es jetzt geschieht, so werden wir dort noch ganz andere Dinge erleben, als gegenwärtig in Belgien . Es ist bekannt genug, daß unter diesen Völkern die Nachwirkungen der großen Revo« lution des vorigen Jahrhunderts noch nicht überwunden find, daß dort die Lehren Rousseau's und Voltaire'S noch eine bedeutende Kraft befitzen und genährt werden von den Liberalen und von den Freimaurern. Bekämpft wurden fie stets von den Konservativen, die dort jetzt in der Minorität find, und dieser Kampf ist die Fortsetzung tcS Kampfes gegen die Revolution deS vorigen Jahrhunderts, die be« kanntlich auch in Berlin mit besonderen Liebhabereien be» grüßt wuide, indem von sehr hoher Stelle auS mit den treibenden Elementen dort Verbindungen unterhalten wurden. (Unruhe rechts.) Wenn man so argumentirt, wie es heute der Minister g-than hat. so kann man es mir nicht verargen, wenn ich hier mit voller Offenheit mich ausspreche. Ohne irgendwie die Greuel in Belgien in Schutz nehmen zu wollen, muß ich beklagen, wie jene unglücklichen Arbeiter fich irreleiten und be- thören lassen, das zu zerstören, worauf fie allein gerade anae- wiesen find. Ich habe nicht zu untersuchen, wie weit die dortigen Autoritäten die Schuld an den Vorkommnissen tragen; aber er ist nicht ohne merlwürdigen Zusammenhang, daß gerade in Lüttich , der Vaterstadt deS Frsrc Orban, der Aufstanv be» gönnen hat. Uebrigeni kann der Minister nicht ohne Weiteres auS dem Umstände, daß irgendwo eine Revolution ausbricht, folgern, daß fie auch in einem anderen Lande autbrechen werde; eS ist insbesondere nicht zu verkennen, daß in Belgien nicht die Sozialdemokraten als solche an der Arbeit find, son- dern die Anarchisten. Meine Freunde und ich find bereit, jede nothwendige Maßregel gegen den Anarchismus zu unter- stützen. Sehr zweifelhaft erscheint mir die Behauptung des Ministers, daß daS, wai in Belgien geschehen sei, fich als Folge der dortigen Gesetzgebung darstelle, und haß eS umgekehrt eine Folge des Sozialistengesetzes sei, wenn derartige Dinge bei unS bisher nicht vorgekommen find. Ich glaube, wenn die Sozialdemokratie bei uni in Deutschland einmal zur Gewalt schreiten will, wird fie über daS Sozialisten­gesetz nicht stolpern. Man kann sogar sagen, daß daS So­zialistengesetz gerade den Anarchismus fördert' denn eS zwingt die Sozialdemokratie, fich in ein gewisses Dunkel zu hüllen, und alle Bewegungen dieser Art, die im Dunkel geschehen, haben den starken Abtrieb in fich, in verbrecherische Umtriebe auszuarten. Andererseits wird die Bekämpfung der sozial» demokratischen Ideen durch dieS Gesetz viel mehr erschwert, als gefördert, weil man fie kaum mehr in öffentlichen Versamm- lungen offen diSkutiren kann. Endl.ch wird das Sozialisten- gesetz auch nicht allein unannehmbar gefunden von der Sozial- demokiatie, sondern vom gesammten Ardeiterstande, auch von den Arbeitern, die ihr vorläufig noch fernstehen; fie finden in dem Gesetz eine ungerechte Beschränkung ihres Wirkungskreises zu Gunsten der höheren Stände (sehr richtig! im Zentrum), und die Sozialdemokraten find klug genug, gerade dieses Moment für ihre Agitation am meisten auszunutzen. Wie weit die Regierung selbst durch ihr Verhallen die sozialistischen Ideen gefördert hat, theilS da- durch, daß fie selbst solche Ideen, soweit fie nurWissenschaft- lich" ausgesprochen werden, fich aneignet, theilS dadurch, daß fie ruhig zufleht, wie in Wort und Schrift unsittliche und irreligiöse Dinge verbreitet werden, daS will ich heute nicht erörtem. Ich hoffe, mein« Ausführungen weiden der Arbeiter- bevölkerung klar gelegt haben, daß wir bereit find, dieses Aus- nahmegesetz allmälig wieder zu beseitigen. Wir wollen nicht den Zuständen, die einmal durch dies Gesetz geschaffen find, sofort und jäh ein Ende machen, weil dieS ebenfalls gefährlich sein könnte; und ich hoffe, Ihnen durch meine Anträge, die durchaus wohlgemeint find, den richtigen Weg angegeben zu haben. Weist man unsere Anträge zurück, so wird man dafür die Verantwortlichkeit zu tragen haben.(Beifall im Zentrum.) Minister v. Puttkamer : Ich erkläre nochmals aus- drücklick: die verbündeten Regierungen halten die Anträge Windthorst für durchaus ungenügend. Der Vor- redner sagt, die Regierungen müßten von dm Parteien erst auf dem Wege der arbellerfreund- lichen Gesetzgebung angefeuert werden; umgekehrt, die Re­gierungen marschiren an der Spitze der arbeiterfreundlichen Bewegung, und e» wird ihnen nur leider durch die MajoritätS» Parteien dieses Hauses sehr schwer gemacht, auf diesem Wege fortzuschreiten.(Sehr richtig! recht«.) Wie also Herr Windt- hörst zu seinem Vorwurf kommen kann, ist mir vollkommen un- erfindlich. Er hat dann den ferneren schweren Vorwurf, der fich insbesondere gegen meine Amtsführung richtet, erhoben, daß wir ruhig zusehen, wie in Wort und Schrift unfittliche und irreligiöse Dinge verbreitet werdm. Weiß er denn nicht, daß gerade diejenige Gesetzgebung, die unter seiner Mitwirkung zu Stande gekommen ist, der Machtvollkommenheit der Re- gierung, der Verbrettung solcher Dinge entgeaenzutretm, die allerengsten Grenzen setzt(sehr richtig! rechts), daß aber inner- halb dieser Grenzen die Regierung so energisch vorgeht, wie nur möglich? Wie beschaffen der Zusammenhang zwischen der deligischen Bewegung und der deutschen Sozialdemokratie ist, vermag ich im einzelnen natürlich nicht nachzuweisen; in den Zeitungen habe ich aber allerdings gelesen, daß wesentlich an der Spitze der Arbeiterbewegung Belgiens deutsche Elemente stehen. Wie weit daS der

Fall ist, weiß ick nicht. Nach meiner Auffassung trägt auch die mangeldaite Gesetzgebung Belgiens mit die Schuld an den dortigen Vorgängen. Ich fetze voraus, daß die sozialdemokra� tischen Abgeordneten fich mit großem Eifer verwabren werden, daß fie mit der belgischen Bewegung solidarisch find; wenn wir Ihnen aber vollen Glauben schenken wollen, dann müssen Sie un« festere Büi gschatten für Ihr Verhalten geben, als bis her. Man weiß bei Ihren AuSjührungen nie, ob Sie die ge waltsame Revolution wollen, oder nicht. Ihr offizieller Moni- teur, den Hen Bebel als solchen selbst anerkannt hat, hat fich in seiner Nummer vom II. März d. I. nicht gescheut, als er vom Geburlstage der Pariser Kommune sprach, diese letztere lebhaft anzugreifen. Weshalb? Weil fie zu nachläsfig verfahren sei!(Hört! hört!) Herr Windthorst hat dann wieder daS Sozialistengesetz gewissermaßen alS die Hebamme deS Anar- chiSmuS dargestellr, was doch völlig den Thatsachen widerspricht, denn vor dem Erlaß deS Sozialistengesetzes war ja die ganze sozialdemokrattiche Partei, auch in ihrem parlamentarischen Austreten, eigentlich eine anarchische. Ich erinnere Sie an die Verherrlichungen der Pariser Kommune , die wir damals von Herrn Bebel gehört haben. Gerade in Folge des Sozialisten- gesctzes hat fich die Haltung der Herren geändert; fie haben den Anarchismus gewissermaßen ausgemausert aus ihren Reden. Ob es gelingen wird, mit dem Gesetz allen Stürmen auf dem Gebiet der Arbeiterbewegung vorzubeugrn. lasse ich dahingestellt; aber das Gesetz ist der Ausfluß einer wesentlich arbeiterfreund- lichen, vorfichligen Politik, nelche die Arbeiter aus den Bar den der wüsten sozialdemokratischen Agitation befreien will. Tai Gesetz ist ein Gesetz für die Arbeiter, nicht gegen die Arbeiter; wir wollen, daß daS Urthcil der Arbeiter nicht getrübt werde durch die Agitation von Leuten, die meist kein anderes Jäter- esse haben, als fich an den Streiklcssen zu mästen. Seit acht Jahren leben wir ruhig unter dem Gesetz; waS nach einer etwaigen Abschaffung drsselten über unS verhängt wird, daS mag Gott wissen; ich aber halte eS für die Auigabe einer patriotischen Volksvertretung, die Regierung gerade jetzt nicht im Stich zu lassen.(Beifall rechts.) Abg. v. Helldorff: Zu meiner großen Verwunderung bat der Abg. Windthorst wieder einmal in seiner bekannten Weise den Kultui kämpf in einem Augenblick berührt, wo, wie Jedermann weiß, ernste praktische Bemühungen aufgewendet werden, um auf diesem Gebiet allen gerechten Ansprüchen ge- recht zu werden und wirklich zu einem Frieden zu kommen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich diesen Ton von seiner Seite nicht mehr hörte und die Ueberzeugung gewänne, daß er ein emster Freund dieser friedlichen Bestrebungen wäre.(Oho I im Zentrum.) ES handelt sich bei diesem Gesetze einfach um ausreichende Vollmcchten für die Regierung, die Anträge Windthorst aber geben fie ihr nur zu halben Maßregeln, und deshalb find fie sür unS unannehmbar. Wir stimmen unbe- dingt für die Verlängerung deS SozialistengesttzeS. Die prinzipiellen Gegner dieses Gesetzes sprechen von einem Aus- nahmegesetz, daS dem deutschen Charakter widerspreche, wie ja auch daS Monopol dem deutschen Charalter widersprechen soll. Met dem Worte Ausnahmegesetz ist aar nichts gesagt. Wenn man zugiedt, daß unsere humanen Gesetze gemißbraucht wer- den zur Untergrabung unserer Gesellschaftsordnung, dann darf man auch vor R-vresfivmaßregeln nicht zurückschrecken. Selbst die prinzipiellen Gegner des Gesetzes haben eigentlich niemals das Bedürfniß, eine derartige Maßregel anzuwenden, geleugnet, sonst hätten fie, Freifinn und Zentrum, nicht die Abänderung deS gemeinen Rechts verlangt. Wer die Aushebung oder wesentliche Restriktion deS Gesetzes will, muß nachweisen, daß daS Gesetz entweder unwirksam oder schädlich sei, oder daß ein Bedürfniß nach demselben nicht mehr existirt. Dieser Nachweis ist nicht geführt worden. Daß dieses Gesetz auch gemrßbraucht worden ist, soll nicht bestritten werden, aber zweifellos hat eS vielen Schaden verhütet. Die Hauptsache bleibt immerhin, daß man unter demselben nicht ohne Roth die Geiichte in Bewegung gesetzt hat gegen die unschuldig Verführten, sondern mit aller Schärfe vorging gegen die Agitatoren von Beruf. Herr Viereck und seine Freunde sagen, daß fie nicht auf den Umsturz hinarbeiten, sondern die Massen wissenschaitlich belehren wollen. Die Thatsachen stehen dam t nicht im Einklang. Von dieser Tribüne hier haben wir oft Reden gehört, welche ledig- lich(in Appell waren an vre Leidenschaften der Massen, und die Enegung von Klassenhaß bezweckten. Die Herren vom Freifinn wollen durch ihre Reden innerhalb der arbeitenden Klassen die Gefahren der Sozialdemokratie überwinden. Eigent- lich find beide Parteien prinzipicll geschieden wie Feuer und Wasser.(Sehr richtig! links.) Die Auffassung der freifinnigen Partei von der äußersten Eniwicklung des Eigenthums- begriffs und des Individuums ist daS gerade Gegenthell von dem, waS die Sozialdemokraten wollen.(Sehr wahr! links.) Wir nehmen ja, wenn man will, die mittlere Richtung ein.(Heiterkeit links, Zustimmung rechts.) Wir glauben, daß diese Entwickelung des JndividualitmuS unddeS EigenthumSbegriffS, wie fie uns daS römische Recht gebracht, eine Remedur nach der Richtung der germanischen Auffassung erfordert, wonach der Staat, die Gesammtheit, auch für die wirthschaftlich Schwachen einzutreten hat. Wir schämen unS dieser Anschauung nicht, wir vertreten damit eine innerlich be- gründete Idee.(Beifall rechts.) Wie kommt es nun, daß trotz dieses Widerspruches der Prinzipien Fortschritt und Sozial- demolratie bei den Wahlen und sonst so freundlich zulammen- gehen?(Abg. Richter: Magdeburg !) Die Erklärung ist einfach. Der Fortschritt wird immer mehr dazu gedrängt, fich auf die Massen zu stützen und ihre Unzufriedenheit lebendig zu erhalten. Nur fürchte ich, und daS sage ich als Warnung, daß die Sozialdemokraten fich als bessere Rechner erweisen werden. Denn wenn Sie(links) glauben, mit deren Agitation konkur- riren zu können, so befinden Sie sich in einem großen Irr- thum(sehr wahr! rechts, Ruf links: Zollagitation!) Meine Partei wird für die längere Frist dieses Gesetzes stimmen, um die sonstigen Verhandlungen über diese« Gesetz, welche doch nur als Agitationsmittel benutzt werden, zu vermeiden. Ich vermuthe sogar, daß Niemand unglücklicher wäre, wenn dieses Gesetz auf« geHoden würde, alS die Herren Sozialdemokraten selbst(Unruhe links), wie ich überhaupt den Verdacht habe, daß eS viele tapfere Männer in diesem Hause giebt, die gegen das Gesetz stimmen werden, weil fie der festen Ueberzeugung find, daß eS doch angenommen wird.(Beifall rechts.) Abg. CegielSki: Die polnische Fraktion wird gegen jede Verlängerung dieses Gesetzes stimmen. Obgleich den Eo- zialdemokraten wegen ihrer Unterstützung zu großem Danke ver- pflichtet, verdammen wir die Lehren der Sozialdemokratie als schädlich und gefährlich für Staat und Kirche und im Wider- spruch stehend mit dem von unS vertretenen unö heiligen Na- tionalitätsprinzip, an welchem der sozialdemokratische Ansturm bei unS bisher abgeprallt ist. Wir bekämpfen aber dieses Ge- setz als Ausnahmegesetz und weil eS mehr schadet als hilft. Aufhebung de« Kulturkampfes, aber für olle Provinzen, Beseitigung der SonntagSarbeit, überhaupt moralische Hebung de« ArbeiterstandeS, machen ein solches Gesetz über-

lbg. Bebel: Daß Herr CegielSki unS revolutionärer Bestrebungen bezichtigt, nimmt mich gerade von dem Vertreter der Polen Wunder; wer selbst im Glashause fitzt, sollt« doch nicht mit Steinen werfen! Im Uedrigen haben wir für die Polen weiter gar keine intimen Sympathien; unS trennt von ihnen ein ebenso weiter Raum, wie von allen anderen Parteien. Mit Henn von Puttkamer halte ich nun dafür, daß Windthorst und seine Partei nach seiner heutigen Rede gegen daS Gesetz stimmen müßte(sehr richtig! links); um so mehr muß eS unS auffallen, wenn er ein milderes, abgeschwächtes Uebergangsstadium befürwortet. Vor zwei Jahren schon haben wir dieselben Anträge hier verhandeln und schließlich zurückziehen sehen; soll fich dasselbe Spiel jetzt

wieder vollziehen? Unzweifelhaft wird der Vorgang derselbe sein, wie vor zwei Jahren. Gegen ein Gesetz, da« gegen unS selbst gerichtet ist, werden wir selbstverständlich stimmen, gleichviel in welcher Fmm eS angenommen wird, und da nach den Kommisstonsverhandlungen die Anträge Windthorst gar keine Autficht haben, so heißt deren Verhandlung eigentlich nur unsere Zeit vertrödeln und dem Volke Sand in die Augen st euen. Nach meiner Ueberzeugung wird das Ges-tz in der Gestalt, wie die Regierung eS verlangt, unter allen Um» ständen die Mehrheit erlangen, und das Zentrum wnd diese Mehrheit stellen, die gestellten Amendements bezeichnen lediglich die RückzugSlinie, welche den Wählem deS Zentrums gegenüber aufrecht erhalten werden soll. Der einzig korrekte Schritt, fich auf keine Adschwächung des Ausnahmegesetzes einzulvssen, sondern dagegen zu stimmen, um eS zu Fall zu bringen, paßt Ihnen gerade am alle, wenigsten, denn Sie find innerlich mit dem Gesetz einverstarden und wünschen seine Auirechterhaltung.(Widerspruch im Zentrum.) Das ist meine Ueberzeugung, die Abstimmungen werden eS be­weisen. Wie find die Herren vom Zentrum, als die AuS» nahmegisetze gegen fie gemacht wurden, oegen diese Gesetze an- gegangen! W-s haben nicht Herr v. Mallinckrodt und Graf Ballestrem , derselbe, der vor fünf Jahren die unveränderte Verlängeiung des Sozialistengesetzes empfahl, an Entrüstungs» ausbrücden geleistet? Aechtunosgesetz, Proskription, B-steae» lung des Uirterganges der Freiheit, Mißgeburt von einem Ge- setz! AlleS das paßt auch wörtlich auf daS Sozialistengesetz. Graf Ballestrem sprach von der schiefen Ebene der Willkür« maßregeln. B findet er fich heute nicht gleichfalls auj dieser schiefen Ebene? Auch für daS Zenttum gilt der Satz, daß der Zwcck die Mittel heiligt; die Herren wollen ja, wie es heißt, in corpore für den Antrag Hertling auf zweijährige Verlängerung stimmen.(Abg. Racke: Nicht wahr!) Das Odium für die Verlängerung wird ledig- lich auf daS Zent um fallen; daS möge den Zentrums­wählern klar werden! Um die Entscheidung zu beschleunigen, werden wir unS der Abstimmung bei den Amendements ent« halten. Die Anträge Windthorst find nur eine scheinbare Kon» zesfion, auch nach Annahme derselben wird auf G und des§9 des GeietzeS eine Versammlurg in jedem Stadium wiukürtich aufgelöst werden können. Das habe ich vor Kurzem bier in Berlin erfahren. Ich sprach in einer Versammlung über Sozial- reform in mehr lehrhaftem als populärem Ton; und als ich erzählte, daß in einzelnen Textilindusttie-Bezirken bereits viel» fach die Frau den ganzen Tag in der Fabrik aibeite, währ-nd der Mann arbeitslos sei, sprang der Polizeikommissar auf und erklärte auf Grr nd deS erwähnten§ 9 die Versammlung für aufgelöst. Die erhobene Beschwerde wurde vom Polizeipi ästdium für unbegründet erachtet. Die Willkür, mit der der§ 9 ge» handhabt werden kann, ist das Gifährltchste und Vcradscheuungs« würdigste dabei. Solche Maßnahmen müssen Erbitterung in die Massen tragen.(Ruf: Keineswegs!) Die erwähnte Ver- sammlung war im ersten Moment nach der Schließung wie gelähmt; nach wenigen Sekunden aber gab fich die Entrüstung und der Unwille derselben in stürmischen Ovationen für meine Person und meine Partei dergestalt kund, daß ich mit diesem Erfolg nur zufrieden war.(Rufe rechts: Dann seien Sie doch zufrieden!) Wir wollen aber unter daS gemeine Recht gestellt sein; die Richter haben unS ja ebenfalls nie mit Milde behandel». Außerdem sollen auch nach den BntiägkN Windthorst die öffentlichen Aufzüge verboten bleiben, unter die auch die Leichenbegängnisse fallen. In Frankfurt hat fich die Polizeiwillkür ausS Nackteste gezeigt. Als dort kür, lich ein un« bekannter Tischler starb, der einer Krankenkasse angehörte, welche in ihrem Statut destimmt hatte, es sollten mindestens SO Mit- glieder der B-erdig ring beiwohnen, da verbot die Polizei die Betheiligung daran und wachte dieS durch große Plakate be» kannt. In Folge dessen eilten natürlich Tausende, um jene stille Leiche wenigstens von fern za beobachten.(Zwischenrufe rechtS.) Wir wollen keine Demonstrationen; wir wollen wie alle anderen Staatsbürger behandelt weiden. WaS die An­gaben deS Herrn v. Puttkamer bezüglich desSozialdemokrat" betrifft, so erwidere ich, daß dieses Blatt bei Besprechung der Pariser Kommune entwickelt hat, wie nach seiner Meinung die Sozialdemokratie Frankreichs hatte handeln müssen, wenn ste einmal in die Zwangslage gesetzt war, den Ausstand von 1871 vornehmen zu müssen. Sehr interessant, ist, daß Herrn Siöcker derselbe Artikel f. Z. die Gelegenheit gab, auf die Ver« bindung der Sozialdemokratie mit den Juden hin- zuweisen(große Heiterkeit links); denn wenn ste mtt diesen nicht in engem Zusammenhange gestanden hätte, würde ste vor den Geldschränken deS Herrn Rothschild nicht Halt gemacht haben. Herr v. Puttkamer führt aus, daS Gesetz sei noch noch» wendig, um die Entwickelung der Arbeitseinstellungen zu dämpfcn, um zu verhindern, daß die Agitatorer fich von den Strerlkassen mästen. WaS würde er sagen, wenn ich ihm vor» hielte: er und seine Genoffen mästeten fich aus den StaatS« kosten.(Sehr gut links.) Er würde daS voller Entrüstung alS Beleidigung zurückgewiesen haben. Ebenso weise ich seine Behauptung so lange alS verleumderisch zurück, di» er den Be» weis dafür elbringt.(Beifall links.) Im Gegentheil macht fich in den Arbeiterkreisen die Sparsamkeit oft in der kleinlich« sten Weise geltend. Daß Mißbrauch mit dem»usammenge» steuerten Geldc dennoch voikommt, soll unbestiitten sein. Wollten wir eine Liste aller Uebelthäter in dieser Richtung zu» sammenstellen, das Register auf Ihrer Seite würde unendlich länger werden.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Nun war ja vorauszusehen, daß fich die Regierung die auSgezerch- nete Gelegenheit, auf die Unruhen in Belgien hinzuweijen» nicht entgehen lassen würde. ES ist merkwürdig, die Reichs» regierung hat daS Glück, daß regelmäßig, wenn daS Sozia» listengesetz in Frage kommt, irgend waS pasfirt(Heiterkeit), und es genügt ihr dann, dies auszunützen. ES giebt ja kein wirksameres Mittel, um auf die Masse der Ungebildeten, namentlich auf die besttzenden Klaffen, die Philister, die Bourgeoisie zu wirken, alS daS Ausmalen deS rothen Ge« spenstes. Herr v. Puttkamer ist ja nicht so weit gegangen, zu behaupten, daß bei diesen Vorgängen in Belgien deutsche Sozialdemokraten irgendwie maßgebend thätig gewesen seien- Ein solcher Zusammenhang ist auch nicht nachzuweisen, denn wir haben mit jenen Leuten keine näheren Beziehungen und find außerdem von den Vorgängen ebenso überrascht, wie Sie. Welche Gründe haben denn jene bedrohlichen Ereignisse her» vorgebracht? In Belgien herrscht unbeschränktes Vereins- und Versammlungsrecht und Preßfreiheit, aber ebenso ist eS That» sache, daß der belgische Arbeiter mehr alS anverSwo in Europa von der Mitwirkung an öffentlichen Arbeiten ausgeschlossen war und ist. DaS Wahlrecht befitzen in BeKien nur 140000 Wähler, nur 2pCt. der Bevölkerung. ES ist ein hoheS ZmsuS Wahlrecht, welches der Bourgcoifie unbcschranlle Herrschaft veddht. Ob die liberale oder ultramonlane Bourgeoisie zur Herrschaft gelangt die Lage der Ardeiter dlerdl immer dieselbe. Nirgends ist Frauen- und Kinderarbeit so schau« derhaft verbreitet, wie in Belgien , in keinem katholischen Lande ist der Mißbrauch der SonntagSentheiligung so stark, one dort. Die Massen find deS ewigen Druckes, der ewigen Aus deutung müde geworden und waren zu Gewaltthätigkeiten ge trieben, wenn die herrschenden Klassen all und jeder Beftre bung auf Verbestcrung ihre« Looses fick feindlich gegenüber stellen. Von einer Revolution ist keine Rede, eS ist eine gan» gewöhnliche Revolte(Gelächter rechts). mit Nothwendigt-» hervorgerufen durch das tiefe Elend, die tiefe Roth, die groß Unwissenheit deS VolkeS. DaS ist ja die Sünde der liken, die jetzt in Belgien herrschen, daß fie jeden Versuch der VoltSautklärung wieder befestigt haben. UedriaenS bab wir in Deutschland nur in den gut katholischen Bezirken O. schlefienS, in Zadrze und Königshütte, elwaS Aehnl ch-s eri-°-. daß die ausgesogen« Bevölkerung auf dem Wege der Rc