SS Nr. 79 Sonnabend, den 3 April 1886# III. Jahrg. crlinrcMstilgll Brgsn für dir Inlrrrssen der Ardeiter. 4 DNliimrMlislhtt Kustii«!>. Die erregte« Szenen im R ichiiage bei der zweite« Berathung des Sozialistengesetze» ließen mit Sicherheit erwane«, daß gewissewohlgesinnte" Blätter die Telegen- beit beruhen wüidev, um der Lmke« etwa« am Zeuge zu fbdk« und die Schuld an dem ganzen Lärm auf vere» Schultern zu wälzen. Da« ist den« auch nicht ausgeblieben und dieMagdeburgische Zeitung' beginnt damit, ein Jammergeschrei über dieVerwilderung der parlamentarischen Sitten" zu erhebe«, da» in de« konservative« B.äuera eine» beieitwilligen Wider- hall findet. E« wird außerhalb der»ationallibeiale« Partei wenige Leute gebe«, die e» ernsthaft»rhmen, wenn dieMagde- durgische Zeitung" in dem Brustto«sittlicher Entrüstung" redet. Das steht diesem Blatte, da« noch nie Grundsätze pehabt, sondern sich immer»ach der jew.iligen herrschenden Wmdricktung von eben her gedreht hat, so schlecht an, daß t# nur komi,ch wirken kann. Aber die Linke trägt auch reineSwegS die Schuld an jenen turbulenten Szenen. Die Schuld trägt einzig und allem Herr Stöcker,, der den Versuch machte, den wüste« Ton und da« anstößige Gebahren der Antisemnen-Versammlunaen in de» Reichstag   zu verpflanzen. Was er damit bezweckte, ist klar. Er wollie da« leck gewordene Schiff seine« Rufe« wieder auSbcffern und dazu sollten ihm die Verhandlunge» über da» Sozialistengesetz diene». Der Versuch mißalückte so kläglich, al« e« überhaupt möglich war. Herr Stöcker steht heute in der öffentliche» Meinung nicht günstiger, al« vor diese« Verhandlunge«; eher noch weit ungünstiger. Uno wie unternahm er den Versuch seiner politischen R«> babrlrtatio»? Er war es, der zuerst die private» und per- sönlichen Ve>hält»iffe vo« einzelnen Abgeordnete» in der gehäsfigste« Werse   in die Debatte hineintrug und der mit seinen Verdächtigungen selbst dann nicht aufhörte, al« die- selben sachlich zurückgewiesen worden waren. Er hielt sich für berufe«, allen Parteien, denen er gegenübersteht, die heftigste» Vorwürfe zu machen u«d schließlich in ei» Klage- lied über den sittlichen Verfall unserer Epoche aus« zubrechen. Wen« man bedenkt, daß e« gerade Herr Stöcker war, der da« Alle« that, so kann man sich doch sicherlich nicht wundern, daß sich«uf der Linken wied« holt die Zeichen der lebhasttste« Entrüstung kund« gabt« und daß da« Untnfange» de« Herrn Hofpredign« in nicht gerade sanften Ausdrücken zurückgewiesen wurde. Zm Uebrigen wird u«S versichert, daß auch bei de« «ationall berale« Abgeordneten sich unverkennbare Zeichen der Entrüstung über da« Austreten de« Herr» Stücker kund- gegeben haben. Die Vemnglimpfunge», welche dieMag- Meuilleton» Der Trödler. Roma» vo« A. E. Brachvogel. (Fortsetzung) Niemand sah aber da«««änderte Benehme« Zosua'« ,.,......________,_ aae der Dinge durchschaute und in seiner beliebte« Weise auf der Lauer lag, um im rechten Augenblick das Te- wicht seine« rücksichtslosen Entschlusses in die Wagschale zu ««fe  «. Die Gelegenheit hierzu sollte sich bald genug finden. Anfang« Mai, mithin ei« Vierteljahr vor de« Te- richtsferien, welche, wie Josua meinte, den Sohn in'« Vaterhau« zurückführe» und forta» an dasselbe fessel« sollten, da da« Affessorexame«, welchem Edmund nahte, i» der Residenz B..... abgemacht werde» mußte, fühlte Vorboten einer schleichenden Krankheit, und es schien, al« solle die feine, vurchdringende FrühlingSluft seine Säfte ga», verzehren, und der Kuß, welcher die ganze Natur zu rascherem Pul»schlag rief, seinm letzte« Augenblick herbei- führe». Nachdem er Tage und Nächte lang mit sich zu Rothe gegaugen, gar oft da« vergessene, unausgefertigte Testament durchlest» und stet« mißmuthig bei Seite gelegt hatte, schickte er eine« Tage« Beate« zu Schätzlein« mit der Bitte hinunter:Mamsell Mathilde wöge doch auf eine halbe Stunde zu dem kranken Herr» komme», er habe mit ihr Ranch«!« zu reden.' Justus sah Beaten v«dutzt an. Mathilde«röthete, und Christine stand zög««d da, sie wußte»ich», wie ste sich ia Gegenwart ihre« Manne  « be- »ehme» sollte. deburgische Zeimng' der Linken applizire» möchte, falle« somlt auf die natronallrberale Partei zurück. Wer mit unserer parlamentarischen Geschichte einiger- maße» vertraut ist, der weiß, daß die Nationallrberalen auch»icht den mindesten Grund haben, andere Parteien über parlamentarische EiUen belehre» zu wolle». Als diese Partei«och Regierungspartei war und im Reichstage über eine große Mehrheit v«fügte, nutzte sie ihre Macht so bmtal aus, wie e« niemals eine andere Partei wieder ge- than hat. Damals war e« Sitte, die politische« Gegner niederzuschreien: um ein Beispiel anzuführen, eriunern wir a» die bekannte Szene mit dem elsässer Abgeordnete« T e u t s ch. ES waren die Natiovalliberale», aus deren Munde gegenüber einem Redner, der ihnen nicht gefiel, einmal im Reichstage der Ruf: H a u t i h« I" vernom- me» wmde. Die Geschäftsordnung ist gegenüber de« politische» Gegner»«och vo« kein« Partei so terroristisch gehandhabt worden, wie vo» den Nationalliberalen. Over hat man schon vergesse«, d«ß Herr Valentin ein Mit- glied der«atio»alltb«alen Partei war, jener famose Valentin, welcher stets eine Anzahl gedruckterSchluß- a n t r S g e vor sich liege» hatte, um mit Zustimmung seiner Partei dem politische» Gegner beliebig da« Wort ab- zuschneiden? Ma» kann sonach, ohne sich ein« Uebertreibung schuldig zu mache», sagen, daß sich die parlamentarische« Sitten entschieden gebessert habe«, seitdem die national- lib«ale Majorität verfchwunde» ist. Wen» trotzdem die nationalliberale» Größen in ihren Blätter« al« diean- ständige» Elemente" bezeichnet werde», d«e« Gesicht«« mandie Entrüstung über oa» Treiben d« Linken' ange- sehe» habe» will, so macht uns dies« Kasu« lachen. Diese H«ren Nationalliberalenentrüsten' sich auch gar zu leicht; sie machen J«Entrüstung" auf Befehl oder ftei- willig, je nach Bedürfniß. Möge» sie sichentrüsten", so viel ihnen immer beliebt! Sie wnde« dadurch den komischen Eindruck de« Schauspiel«, da« sie der Oeffentlich- keit darbiete«,»icht abzuschwächen vermögen, de« Schauspiel« ein« Partei, die sich einbildet, etwa« zu sein, wa« sie längst nicht mehr ist. E« ist ei» wahrer Genuß für de» Zuschau«, diese nationalliberale« Staatsmännche» zu beobachte«, wie sie im Bewußtsei» ihrer imaginäre« Größe umherstolzire« und e» für sehr staatSmänoisch erachte«, der Reginuvg gegenüber bei jed« Gelegenheit die tiefsten Bücklinge zu mache», selbst dann, wen« sich die Regierung vo» diesem ufvrinaliche» ServiliSmu« angewidert fühlt! Eehnsüchlig licken die strebsamen Staatsmännchen nach den Sitze« de« strebsame» Staatsmännchen nai fitzen. lange man nicht de» Math hat, gänzlich konservativ zu Bu»de«rath«, die zu erklimme« ihnen«icht vngönnt ist. Und e« wäre doch so schön, da oben zu fitzen. Ab« so Hm, hm!" räusperte Justus genug! Na, Kranke find»underlich, man muß mit auf.Da» ist eigen muß mit Eine Smpfehlurg, meine Tocht« ihnen ei« Einsehen haben. wird kommen!" Beate nickte und ging. Die gute Alte war selbst über diesen Auftrag erstaunt, hatte sie sich doch Henning»' Freund- lichkeit zu d« jungen Schätzlein in letzt« Zeit ohnehin nicht recht«klären könne«. Mathilde," sagte Justus«nst, al» die Wirthschasteri» v«sch»unden war.Du mngst gehe» und sehe«, wa« d« Alte will. Seit Edmund fort ist, hast Du Ma»ch«lei für Dich behalte«, wa« ich hätte«fahren müsse», ich kenne Euch Weib« aber, Ihr liebt die Geheimnißkrämnei. Glaube mir, ich weiß Alle«, mehr vielleicht, al« Ihr selber, und kann mir denke», wa« Henning« vorhat. Bish« habe ich mich«icht weit« in Deine Angelegenheiten gedrängt, als meine Pflicht als Bat« mich»öthigte, vo» jetzt an verlange ich ab« vo« Dir Offenheit, verlange, daß Du mir sagst, wa» Der da oben will, oder* sei» graue« Auge blitzte unheimlich fast,ich müßte der Liebe fluchen, die ich imm« für Dich gehabt Habel Hörst Du?!' Lieb«, gut« Justu«, ich bitte Dich Sei ganz ruhig, Mutt«!" rief S« Dich alber« genug bish« benommen, glai -!' Stzlein,Du hast test Deinem Kmde lg bish«._ zum Glück zu Handel», und e« ist nicht» wie Jamm«, bleiche Wangen und schlaflose Nächte dabei h«au«gekomme«! Willst Du offen sei», Mädel, ja oder nein?!' Er hatte Mathilden bei d« Hand gepackt, die Linke auf ihre Schult« gelegt und sah ihr starr, düst« in'S er­schrockene Antlitz. Langsam ran» eine verstohlene Thräne üb« seine Wange. Ja, lieb« Vater, ich will e«. Ach, ich könnt'««icht üb«'« Herz bringen, Dir alle» zu sage«!" Gut, Du hast noch nie gelogen! Geh' zu Henning« hinauf,«über ohne meine Eilaubniß versprichst Du ihm nicht»;»erstehst Du, nicht«! Dein Bat«»«bietet eS Dir, Dein Vater, d« Dein Glück will." Er drückt« ihr die Hand, preßte eine« heißen Kuß auf ihre Stirn, dann setzte er sich wie kraftlos in den alte» Ledttstuhl am Ladentisch. w«de», wird man sich'« wohl verkneife» müsse», sich würde- voll dort oben hin zu drapire«, und die Regierung hat mtt allzuschmiegsamen" Leuten auch nicht g«ne zu thu«. Keine Partei hat den Parlamentarismus mehr diskredittrt, al« die«atiovalllbctale, durch ihre» Wankelmuth, ihre Schwäche und ihre« Egoismus. Wenn ihre Anhäng« sich dennoch herausnehme»,parla- mentarische» Anstand" zu predigen, so können sie«icht ver- langen, daß ma» die», fall« man»icht einfach darüber lachen will, al« etwa« andere« betrachtet, denn al» die widerwärtigste politische Heuchelei. P-lMsche Ueberstcht. De« Nattonalliberale« war e» bei B e r a t h u n g de« Sozialistengesetze» vorbehalten, den Versuch zu machen, durch direkte Fälschungen gegen die Sozialdemokratie aufzuhetzen. Da ist ein Abgeordneter mit Namen Fritz Kalle  , der al» ein volkSwirthschastlichei Licht der Partei gilt. Derselbe wollte gestern eine große Vernlchtungsrede gegen die Sozialdemokratie halten, doch hatte er seine Rechnung ohne denSchuft«" ge« macht, dai heißt ohne eine Broschüre, d!e ein Pastor Schuster gegen die Sozialdemokratie vor längerer Zeit geschrieben hat. AuS dem kommunistischen   Manifest wollte nämlich He« Kalle beweisen, daß die Sozialdemokraten Weibergemeinschaft forderten; er nahm denSchuft«" zur Hand und laS einige Sätze, al» im kommunistischen   Manifest stehend, au« dem- selben vor. Sofort«scholl vielstimmig der Ruf bei den Sozialdemokraten: Erlogen! Steht nicht im Manifest l Gerade daS Gegentheil! Im kommunistischen   Manifest steht nämlich, daß bei den heutigen gesellschaftlichen Zuständen die Weibergemeinschaft thatsächltch bestehe, daß die Liebe käuflich sei und daß derartige Zustände abgeschafft werden müßten. Der nationallib«ale Redner wurde durch die energischen Zwischenrufe d«art perplex, daß er seineVernichtungSrede" mit Ach und Krach, begleitet von lautem Gelacht« kaum zu Ende führen konnte. Al«« die Tribüne verlassen hatte, wurde ihm daS kommunistische Manifest, welche« auS d« Bibliothek rasch herbeigeschafft worden war, unt« die Rase gehalten.- Wie ein--- Pudel drückte stch He« Kalle in seinen Sessel.   Die Herren Nationalliberalen ab« haben zu ihren früheren Heldenthaten eine neue, ihrer würdige hin» zugefügt. Die Berliner  VolkSzeitnng" gefällt sich neu«dings mehr und mehr im Eiertanzen zwischen deutschem Freist»« und Sozialdemokratie. So brachte fie erst gestern wieder einen Artikel, dessen stch kein Sozialist zu schämen brauchte, aber Mathilde ging langsam hinau«. Ab« Justu«,' sagte Christine beklommen, indem fie zu ihm trat,wie kannst Du so heftig und auß« Dir sei«, ich kann nicht begreife»" Ja, nicht begreife«! Daß Du nicht» begreife« kannst, das begreife ich I Wie'« kommen wird, sehe ich, und will dabei nicht ruhig sitze», will«icht mein Kind in'« Elend rennen sehn! Ihr habt diese dritthalb Jahre»ach Eurem Kopfe gehandelt, und dumm gehandelt, jetzt hört'« auf I' Er machte eine hastige Bewegung mit der Hand, und Christine verstand ihn zu wohl, um»och ein Wort zu äuß««. I» solche« Augenblicke« war Schätzlei» nie bei« zukomme». Indessen hatte Mathilde ihre einfache Toilette rasch in Ordnung gebracht und erschien bei Beaten, welche fie in Herr» Henning«' Wohnzimmer führte. Nur als Kind war fie in diesen Räume« gewesen. Alle« stand am alte« Platze und schaute fie mit d« Gravität verganaener Tage an. Gehen Sie nur imm« vorwärts, dort ist de» Herr« Schlasstubenthür, Tildchen,« liegt drinnen auf dem Sopha." Mathilde näherte sich zitternd d« Thür   und klopfte leise. Auf den Ruf Josua'» trat sie»«legen ein und blieb im Gefühl unwrllkürlich« Bangigkeit an der Thür  stehe«. Dn alte Herr, in de« Schlafrock gewickelt, mtt einem Marderpelz zugedeckt, lag auf dem Sopha, vor sich«ine« Tisch mit Bücher«, Arzeneie« und Zeitungen. Al« sie eintrat, wendete« hastig de« Kopf und sah fie vo« oben bi« unten mit dem eigenthümliche« Lächeln der Be» fnedigung an. Er«hob sich rasch zu einer fitzende» Stellung. Ach, da find Sie ja, Mathildchen I Das ist hübsch! Ich Hab' Sie schon recht erwartet. Aber wa« bleibe» Sie den» an der Thür   stehe». Kind, ich bi« kein Nabob, sondtt» ei« armer, alt« Mann, der Trost vo» Ihnen will. Da setze« Sie sich her, hier auf den Sessel «eben mich, daß ich Ihnen in die lieben Auge« sehen kann!"