früher der Reichskansler selbst gesagt, daß, wenn die Sozialisten nicht wären und nicht Viele fich vor ihnen fürchteten, wir auch Die geringen Anfänge von Sozialreform nicht gemacht hätten. Wenn unser Arbeiterschußgeset lein befferes Schicksal gehabt bat, so beweist das nur, daß die Majorität und namentlich die Ronservativen nicht geneigt find, an und für sich berechtigten Fo derungen zuzustimmen, sobald fte von uns ausgehen. Wir mögen uns so oder so stellen, wir finden vor Ihren Augen leine Gnabe. Unser Redenhalten muß denn doch von einem anderen Gefichtspunkte aus betrachtet werden, als es Herr von Boetticher that; nicht wir haben der Regierung, sondern fte bat uns dafür dankbar zu sein, daß wir noch den Damm halten Welche gegen das Ueberfluthen der sozialen Strömung. Früchte das Redenhalten Stöckers und Liebermanns von Son nenberg getragen, hat man deutlich gesehen: Aufhebungen, Exseffe gröblichfter Art, Verbrechen, Widerstand gegen die Staats gewalt in bedenklichster Form. Was das Koalitionsrecht, die Streiffrage anbelangt, so hätten die Herren, welche fich immer fo rühmen, mit unserer Literatur vertraut zu sein, doch auch wiffen können, daß überall und allezeit darin vor dem muth willigen Eintritt in einen Streit gewarnt wird. Diese Stel lung zur Frage haben wir von jeher eingenommen, und trop dem will man uns hier vor dem Lande für alle Streitausbrüche verantwortlich machen. Wie loyal das Gesez in Berlin auß. geführt wird, charakterifirt sich durch die Thatsache, daß man Leute einfach bei der Arbeit aufgreift, auf das Polizeipräsidium bringt und ihnen dann die Ausweisung anlündigt. Bu dieser ungeseglichen Freiheitsberaubung vor der Ausweisung hat die Polizei nicht das mindefte Recht. Es scheint, als habe man fich einem blinden, niedrigen Rachelrtege ergeben, den man diejenigen fühlen lassen will, welche nicht zu Kreuz friechen wollen. Wir friechen nicht zu Kreuz, wenn auch der Rachelrieg noch so brutal und rücksichtslos gegen uns geführt wird. ( Beifall der Sozialdemokraten.)

Damit schließt die Debatte.

Persönlich bemerkt Abg. Hasenclever( Soz.): In dem Rechenschaftsbericht betr. Spremberg werde ich genannt als der Redner einer 1883 in Spremberg stattgebabten Ver fammlung, welche durch den überwachenden Bürgermeister aufgelöst werden mußte und nach deren Schluffe Gewaltthätigkeiten gegen das Haus des lepteren verübt wurden." Man sollte nun meinen, ich hätte aufreizende Rebensarten gebraucht, da gegen muß ich mich entschieden verwahren. Nach übereinstim menden Berichten der Zeitungen, der Buhörer und nach meiner eigenen Erinnerung habe ich gefagt: Ich halte mit Laffalle den Staat nicht für einen Nachtwächter, sondern... Hier erfolgte die Auflösung.( Große Heiterfeit links.) Ich wollte natürlich fagen nicht für einen Nachtwächter, der bloß das Eigenthum Schüßen, sondern für einen solchen, der soziale Reformen durch führen foll." Aber da mußte" der Bürgermeister auflösen. Das wollte ich blos fonfiatiren. Dummejungenftreiche sind es gewesen, die in Spremberg verübt worden find; ein Dummer jungenfireich ist auch die Verhängung des fleinen Bes lagerungszustandes über Stremberg!( Unruhe rechts; der Präsident ruft den Redner des legten Ausdrucks wegen zur Drdnung.)

Der Präsident erklärt, daß durch die Vorlage der bei­den Darlegungen den geseglichen Vorschriften genügt_ift.

Es folgt die zweite Berathung des G. E., betreffend die Besteuerung des Branntweins.

Kommunales.

w. Bom Mühlendamm. Die mit den betreffenden Be figern seitens des Magistrats gepflogenen Verhandlungen über Den Anlauf des zur Freilegung der Südseite des Mühlendamms erforderlichen Grundstüde find nunmehr zum Abschluß gelangt Sämmtliche zwischen der Fischerstraße und dem Polizeipräfidial gebäude gelegenen Grundstüde find freihändig erworben wor den und müssen, soweit dies nicht schon zum 1. Juli d. J. ge fchehen kann, spätestens am 1. Dtober 1886 an die Stadt gemeinde aufgelaffen werden. Die Miethsverhältnisse in diesen Grundstüden find berart geregelt, daß im Oktober d. J. der Abbruch dieser Häuser erfolgen fann. In dem zwischen der Fischerbrüde und dem Polizeipräfidialgebäude belegenen Häuſer fomplere befteht noch ein Miethsvertrag bis zum 1. April 1887; es flebt jedoch zu erwarten, daß auch dieser Vertrag schon zum 1. Dttober 1886 wird aufgelöst werden lönnen. Mit den Eigen thümern der von dem Polizeipräfidialgebäude überbauten Läden, Mühlendamm 32b- 32f, hat bei den enormen Forderungen der Eigenthümer eine Einigung nicht erzielt werden tönnen. Es muß deshalb gegen dieselben das Enteignungsverfahren durch geführt werden, welches so schleunig betrieben werden soll, daß Die Läden spätestens zum 1. April 1887 in das Eigenthum der Stadtgemeinde gelangen und dann als Kolonnaden dem Ver tehr freigegeben werden können. Die Kosten belaufen fich bis jegt auf 879 000 DR.

w. Die Errichtung eines städtischen Laboratoriums bat der Verein zur Wahrung der Intereffen der chemischen Industrie Deutschlands ( Sektion Berlin ) beim Magiftrat bean tragt. Der Antrag, bem auch das fönigl. Polizeipräfidium zugestimmt hat, führt aus, daß hinsichtlich chemischer Unter fuchungen auf dem Gebiete der Nahrungs und Genußmittel Polizei, des Konzeffionswesens 2c. Der jeßige Bustand ein wenig befriedigender sei, da namentlich die Auswahl der chemischen Sachverständigen vielfach zufälligen Einflüssen ausgesezt sei. Es würde unzweifelhaft eine derartige öffentliche Untersuchungs. Anstalt von privater Seite fich einer großen Jnanspruchnahme zu erfreuen haben, da das Publikum fich erfabrungemäßig nur ungern und ausnahmsweise an Privatchemiter wende. Des Wetteren wird ausgeführt, daß schon die vielen im öffentlichen Gesundheitsinteresse au veranstaltenden Untersuchungen bes Wafferleitungswaffers sowie der öffentlichen Straßenbrunnen eine einheitliche Behandlung, wie fte ein öffentliches Labora torium ermögliche, wünschenswerth machen. Der Magiftrat bat befchloffen, dem Minifter für Medizinal 2c. Angelegenhetten Mittheilung von der Sache zu machen und dabei zugleich auf Die bier bereits vorhandenen großen chemischen Laboratorien Der Universität, des Reichsgesundheitsamtes c. mit dem Be merlen hinzuweisen, ob es fich nicht empfehlen dürfte, diese großen bewährten Institute zu den in dem Antrage des Vereins angeführten Sweden beranzusieben.

Nach Mittheilung des Statistischen Amts der Stadt Berlin find bei den hiesigen Standesämtern in der Woche vom 13. Juni bis intl. 19. Junt cr. zur Anmeldung gekommen: 211 Ebeschließungen, 870 Lebendgeborene, 49 Todtgeborene, 725 Sterbefälle.

Lokales.

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Ueber die Verbindung des Grunewalds mit Berlin wird geschrieben: Eine vorläufig vielleicht ausreichende Ber bindung besteht bisher nur für den südlichen Theil Berlins , zu dem die Berlin Weglar und die Potsdam Magdeburger Babn in zablreichen Haltestellen den Bugang zum Grunewald vermittelt. Recht stiefmütterlich aber ist in dieser Beziehung noch der nördliche Theil behandelt, der gerade für den Berliner , der mit seiner Familie eine freie Sonntag Nachmittagsstunde braußen im Grünen froh verbringen will, der wichtigste, meil nächstgelegene ift. Moderne Verkehrswege, b. b. folche, die schnell und bequem eine direkte Verbindung des Herzens der Stadt mit diesen Außenpunkten vermitteln, fehlen hier noch gang. Will man von Berlin aus die beliebten Vergnügungs. orte Schildhorn, Pichelsberge, Bichelswerder oder den Bock erreichen, so tann man nur bis Bahnhof Grunewald resp. Westend fahren, um dann für die ersteren drei Drte eine Stre de von mehr als einer Stunde zu Fuß zurüdlegen bestebungsweise für letteren Drt sie Pferdebahn benußen zu müssen. Namentlich

der Bod ist bekanntermaßen einer der besuchtesten Buntte;| einer anderen Seite verzeichnet ist, dann ,, Rüdersdorferstr. 37" neben ihm erhöht die Rennbahn Westend besonders an Sonn

tagen den Verkehr nach jener Richtung wesentlich. Was es nun beißt, an solchen Tagen, besonders mit Familie die Hin und Rückfahrt zu bewerkstelligen, welche unangenehmen, häufig lebensgefährlichen Situationen dabei auf Stadtbahn und Pferdebahn, namentlich für das weibliche Publikum und die Kinder entstehen, weiß Jeder, der die Fahrt einmal gemacht hat.

Ein neues Syftem von Holzpflafter ist dem Magiftrat von einem Unternehmer angeboten worden, welches sich von Den bisher angewendeten Holzpflasterarten namentlich dadurch unterscheidet, daß die Holzflöße nicht dicht nebeneinander, son Dern in Zwischenräumen von 1 Bentimeter gefeßt werden. Die Blöde in einer Stätte von 22X8X10 werden mit Kreosot ges tränkt und auf eine Beton Unterlage gefeßt. Die Zwischen fugen von 1 Bentimeter Breite werden bis zu 15 Millimeter Höhe mit Pech ausgegoffen und der übrige Naum mit Sand und Bement ausgefüllt. Es wird hierdurch ein vollkommen ebenes wasserdichtes Pflafter hergestellt, auch wird dadurch ver mieden, daß bei einem etwaigen Quellen der Holzblöde, was indeffen laum möglich ist, ein heraustreiben der einzelnen Blöde stattfindet, wie dies z. B. in der Oberwallstraße mehr fach beobachtet werden tann.

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In einen interessanten Prozeß wird die in Berlin er scheinende Pharmazeutische Zeitung" durch ihren Kampf gegen das Geheimmittelmesen verwidelt werden. Das genannte Das genannte Blatt brachte im Laufe des legten Quartals eine Anzahl von Aufsägen über die Schlafmittel Goudensed Beer" Dopfein". In diesen Abhandlungen waren eine Anzahl von Analysen veröffentlicht, auf die fich ein sehr absprechendes Ur theil über die beiden Präparate stüßte. Auszüge aus diesen Auffäßen wurden auch in der Tages preffe veröffentlicht. Wie nun die Pharmazeut. 3tg." aus dem Drgan des Schweizer Apothekervereins erfährt, beabsichtigt der Fabrikant der Schlafmittel, gegen den Redakteur ber Pharmazeut. Btg." wegen Betriebsstörung auf 10 000 Frants Schadenersas flag bar zu werden.

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Auch in der letten Bersammlung der vereinigten Berliner Sargtischler wurde wieder über den Küfter der Starttee, Herrn Moris, Klage geführt, indem derselbe nach den Anführungen des Eargfabrikanten Herrn Herzog den Ange hörigen eines in der Charitee Verstorbenen erst fürzlich nicht allein feine Särge aufs Dringendfte empfohlen, sondern die selben auch veranlagt hat, den Leichenwagen von der Anstalt zu nehmen, mit dem ausdrücklichsten Hinweise, daß der billigste Leichenwagen 8 Mart loftet. Jeder Sargtischler hätte denselben mit nur 3,50 Mart berechnet! Wegen verschiedener Mißstände bei dem Krankenhause Bethanien wurde eine Eingabe an den Kultusminister beschlossen, nachdem sich die bisherigen Mag­nahmen wegen Abstellung derselben als erfolglos erwiesen baben. In Bezug auf die Empfehlung von Sarglieferanten auf den Standesämtern ist folgender, von Herrn Aug. Kaiser vorgebrachter Vorfall recht draftisch: Auf dem Standesamte in der Jüdenstraße wird jede Person, welche einen Todesfall meldet, in anerkennenswerther Weise sowohl vom Vorsteher als beffen Stellvertreter im Bureau des Standesamtes ausdrücklich vor den bas Standesamt umlagernden Sarglieferanten ge warnt. Nichtsdestoweniger gelettet aber dann der Standes amtsdiener die Personen bis zur Thüre und empfiehlt ihnen warm bie schönen und billigen" Särge eines Tischlers W., Deffen Adresse er angiebt.

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Ein eigenthümliches Verfahren ist, wie die Bolls­Beitung" aus diretter Quelle erfährt, am 22. b. M. auf der Anhalter Bahn gegen mehrere nach Eger reisende Damen in Anwendung gebracht worden. Dieselben wollten, da das Frauen und Nichtraucher Koupé befest war, in ein fast unbe­legtes Roupé zweiter Klaffe fteigen, als der hinzukommende Inspektor dies mit dem Bemerken verbot, die Insassen des Roupés hätten für die erfie Wagentlaffe bezahlt, daher sei dieses Roupé als eines der ersten Wagentlaffe anzusehen. Die Damen fahen fich in Folge deffen genöthigt, in ein Rauch Roupé ein­zufteigen. Bugegeben nun, daß die Roupés erster Klaffe voll. ftändig besest waren, so daß einige Baffagiere mit Billets erfler Klaffe einen Wagen zweiter Klaffe benugen mußten, so bleibt es immer befremdlich, daß Inhabern von Billets zweiter Klaffe die Benutzung dieses Wagens verboten wurde. Sollte aber der Wagen ausnahmsweise für einen solchen erster Klaffe gelten, so hätte dies doch mindestens durch eine Aufschrift und bergl. angedeutet werden müssen. Gegen den betreffenden Bes amten ist von den Begleitern der Damen, um Aufklärung in Dieses auffallende Verfahren zu bringen, sofort der Beschwerde weg betreten worden.

Hunderte von ärmeren Leuten finden jegt einen Ber Dienst durch das Sammeln von Erdbeeren in den umliegenden Waldungen. Diese wohlschmeckende Frucht( die gemeine Erd. beere ist zwar die fleinfte unter den Erdbeeren, aber die beste und würzigfte) ift in diesem Jahre in ziemlich großen Mengen vorhanden. Dabei ist die Abgabe, welche man für das unbe belligte Suchen an die Försteret zu zahlen hat, äußerst gering. Ein sogenannter Beefingsschein, durch welchen das Suchen nach Beefingen und Erdbeeren zugleich geftattet ift, loftet für den ganzen Sommer 5 Pf. Jn der nächsten Woche werden die Beefinge gereist sein und dann geftaltet fich das Suchen noch erfolgreicher.

Ein Stallgebäude auf dem Grundstüd Naunynftr. 85 dient einem Handelsmann zur Unterbringung seines Gespanns und als Lager für die Futtervorräthe; neben dem Pferdeftalle ift außerdem ein fleiner Raum durch Bretter abgeschlagen, in welchem der Rutscher schläft. An letterer Stätte entstand am Donnerstag Abend fura vor 11 Uhr aus bisher nicht ermittelter Ursache ein Brand. Die sofort alarmirte Feuerwehr fand bet ihrem Eintreffen die Flammen bereits faft über das ganze Erdgeschoß verbreitet und es lag Gefahr vor, daß fie fich nach dem überliegenden Futterboden durchbrachen. Die Pferde hatte man glücklicherweise schon vorher in Sicherheit ge bracht. Mit einer Sprize wurde zunächst die Gefahr einer Weiterverbreitung des Brandes auf das Dachgeschoß verhütet, worauf seine endgiltige Bewältigung fich bewirten ließ.

Einen wahrhaft balsamischen Duft verbreiten jetzt be­sonders an den Abenden die blühenden Lindenbäume am Leip­siger Blat und Unter den Linden . Wenn man sich noch wettab von denselben befindet, bringt den Passanten schon der berau fchende Duft der Lindenblüthe entgegen. Am prächtigsten mit Blüthen bedeckt find die reichgeäftetem und mächtigen Linden­bäume am Leipziger Blas, welche denn auch iegt den Wall fahrtsort zahlreicher Personen am Abend bilden.

Auf der Brandstätte in der Schinfeftraße beginnt man bereits wieder mit dem Aufbau der Ruinen. Hoffentlich buldet man dafelbft nicht wieder ein solches Konglomerat von feuergefährlichen Etablissements. Ist man in Berlin vielleicht darin sogar zu peinlich, so ist man in der Umgegend desto weitherziger.

Eine umfangreiche Anklage gegen den Stellenver­mittler Stermann, deffen Treiben schon vielfach in der Breffe besprochen worden ist, wird am 6. und 7. Juli d. J. am bie figen Landgericht verbandelt werden. Die Verhandlung wird, da es fich um eine ganze Reihe von Betrugsfällen handelt und eine große Anzahl von Beugen zu vernehmen ist, im fleinen Schwurgerichtssaale ftattfinden.

Die Leiche einer Persönlichkeit, welche unzweifelhaft nach Berlin gehört, wurde Ende vorigen Monats an der Pfaueninsel , unweit vom Lande im Waffer der Havel gefun­der, ohne daß es bisher gelungen wäre, deren Jdentität feftzu stellen. Bei dem Verstorbenen, dessen Leiche bereits start in Vermefung übergegangen und der 1,63 Mtr. groß war, fand man u. 2. ein Notizbuch, auf deffen zweiter Seite fich einzelne Adressen befinden, wie Kreuzfir. 9", welche auch noch auf

und ,, Charlottenftr. 6a". Eine andere Seite enthält die Notiz, Daß ein Komiter und Pianist Karl Leine, Kielerstr. 16, beim Reftaurateur Julius Bock im Keller zum Matrosen, Alt Moabit 6, einen Roffer in einem Hause der Bionskirchstraße abges geben, aber die Nummer des Hauses vergessen habe."

Polizei Bericht. In der Nacht zum 25. b. M. erhängte fich ein geiftestranter Mann in seiner in der Mitterstraße bes legenen Wohnung. Zu derselben Beit machte ein Lehrling in der Bergstraße aus unbekannt gebliebener Veranlassung den Versuch, sich mittelst Salzsäure zu vergiften. Er wurde noch lebend nach dem Lazarus Krankenhause gebracht. -Am 25. d. M. Nachmittags stürzte der bei dem Neubau Schüßenstraße 74 beschäftigte Maurergeselle Kuschner in Folge eigener Unvorsichtigkeit aus der Höhe des ersten Stockwertes zu Boden und starb auf der Stelle. Die Leiche wurde nach dem. Leichenschauhause gebracht.

Gerichts- Zeitung.

Ein schwaches, jugendliches Mädchen mit einnehmens den Bügen faß am 23. Juni in Budapest , der furchtbarsten. Verbrechen, des Mordes und des Raubes, beschuldigt, auf der Antlagebant. Es erscheint fast unglaublich, daß ein so zartes, faft schüchternes Wesen eine solche That begeben konnte, wie sie die Anklage ihr zur Laft legt. Der Sachverhalt ist in Kürze folgender: Am 21. Dezember vorigen Jahres wurde die auf dem Dachboden des Hauses Nr. 44 in der Großen Johannesgaffe wohnhafte Milchmeierin Therese Kallat, geborene Bendit, von den Hausbewohnern todt aufgefunden. Die an der Leiche wahrgenommenen Kontuftonen ließen mit Gewißheit darauf schließen, daß die Kallai einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Als Thäterin wurde die in derselben Gaffe wohnhafte Dienstmago Marie Pöz ermittelt. In der That legte Die Bög in der Untersuchung ein umfassendes Ge ftändniß ab. Nachdem die Anklage verlesen worden, die auf Verbrechen des Mordes und des Raubes lautet, beginnt das Verhör. Präfident: Ist es wahr, daß in Folge Ihrer gewalts famen That die Kallai the Leben eingebüßt bat?- Angeli.: Ja, ich habe babe fte erdrosselt. Präsident: Haben

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Ange Präfident

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Sie Werthsachen Don thr weggetragen? flagte: Vierzehn Gulden und Ohrringe. ( aur Angeklagten): Geben Sie umständlich an, wieso Sie Dazu gelommen, die Kallai umzubringen?- Angell: Meine Mutter schrieb mir, fte werde in einigen Tagen in die Haupt­ftadt kommen, um mich und meine Geschwister zu besuchen. Ich wollte mich vor meiner Mutter nicht in dem ärmlichen Bu stande, in welchem ich war, zeigen.- Präs.: Also, was dachten Sie damals? Angell.( heftig weinend): Ich dachte daran, daß ich von der Milchmeierin Kallai, von der ich schon einmal vergeblich Geld verlangt batte, mir fünf Gulben ausleihen werbe. Sollte fie mir fie nicht leiben wollen, dann so dachte ich mir dann werde ich fte.. Präs.: Sezen Sie nur fort. Angell.: Dann werde ich fie erwürgen und ihr Geld zu mir nehmen.( Bewegung.) Die Kallai fagte, fie fönne mir nichts geben, da ihr mehrere Geld schulden. Ich warf mich auf die Kallai, die einen Leuchter in der Hand hieit, um das Feuer im Dfen anzuzünden. Sie fiel um und mit ihr der Dfen. Es entstand ein großer Qualm. Ich schleppte die Kallat, die um Hilfe rufen wollte, in die Küche hinaus, ftedte ihr ein Kopftuch in den Mund, damit sie nicht schreien fönne, und blieb bei thr, bis fte todt war.( Bewegung.) Sie wollte mit den Füßen Strampeln, um Lärm zu machen, ich hielt ihr jedoch die Füße fest, indem ich mich auf fie legte.( Während dieser Erzählung der Angeklagten ist das laute Schluchzen der nächsten Angehörigen der Ermordeten vernehmbar.). -Präs.: Was thaten Sie nach verübter That? Angell.: Ich löfte meinen verpfändeten Koffer aus. Jn demselben waren vier Gulden, die ich meinem Quartiergeber auf dessen Ber langen gab, da ich demselben ohnebies das Quartiergelb schuldete. Am nächsten Morgen faufte ich amel Kerzen und ging in die Kirche, wo ich die Kerzen anzündete und für das Seelenbeil der Kallai betete.( Bewegung im Auditorium.) Bräs. Was lauften Sie noch für das geraubte Geld? Angell.: Einen neuen Koffer um 3 fl., ferner Kleiber und Schuhe. Präs.: Hörten Sie von der Mordthat erzählen?- Angell.: Ja, der Spiger las aus der Beitung vor. Präs.: Erwachte da nicht die Stimme des Gewiffens in Jhnen? Angell.: Dja. Ich war ja leinen Moment ruhig, ich sprach und that nicht so, wie sonst. Hierdurch verrieth ich mich auch. - Präs.: Sie verriethen fich durch Ihre Ausgaben. Sie schwiegen auch, als Sie davon hörten, daß eine Unschuldige, Die Marie Boguar, der That beschuldigt wurde. Auch Ihr Liebhaber Alexander Nabovßly wurde in haft genommen. Angell.: Ich wußte nicht, daß der Nabovßly verhaftet wurde.

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Staatsanwalt: Sagen Sie, Angellagte, wie fiel Ihnen gerade ein, die Kallai um ein Darlehen von 5 fl. anzugeben?- Angell.: Ih batte fte vorher zweimal gesehen und hoffte, von ihr Geld zu erhalten.- Staatsanwalt: Sie verlangten von Ihrer beften Freundin, von Ihrem Quartiergeber und anderen Be fannten, sogar von Ihrem Bruder Gelb, ohne daß man Ihnen welches gegeben hätte. Wie fonnten Sie zaran benken, von der Ihnen so gut wie unbekannten Frau Kallai Geld zu erhalten? Angell.: Ich war damals schon fest entschlossen, daß wenn ich kein Geld von ihr erhalten sollte, ich fie um bringen werde.( Bewegung.) Das geftehe ich, daß ich diese Abficht hatte, um da es anders nicht ging mir auf diese Weise Geld zu verschaffen. Staatsanwalt: Wie dachten Sie Die Kallat umzubringen?- Angell.: Ich dachte nur daran, fte zu erwürgen. An das Wie" dachte ich damals nicht.- Präs.: Wußten Sie, daß der Gatte der Kallat nicht zuhause war?- Angell.: Nein. Ich hörte blos, daß der Gatte der Stallai bei der Eisenbahn bedienstet sei.-Präs.: Dachten Ste an die Möglichkeit, daß noch Jemand bei der Kallat sein fönnte? Angell.: Ich dachte hieran bloß, als ich vor der Thür der Kallai'ichen Wohnung ftand. Wenn ich Jemanden dort gefunden hätte, wäre ich weggegangen. Staatsanwalt: Also Sie griffen die Kallat sofort an, nachdem Sie Ihre Bitte zurückgewiesen hatte. Versuchten Sie nicht vorher Ihre Bitte zu wiederholen, oder Ihre mißliche Lage auseinanderzusetzen? - Angell.: Nein; ich fürate mich auf fte sofort, nach bem fte mir mitthellte, daß fte mir tein Geld geben fönne.Vertheidiger Polonyi: Ist es richtig, daß Jore Quar tiergeberin Sie wiederholt aus der Wohnung hinaussperrte, well Sie Ihr Quartiergelo nicht bezahlten?- Angell.: Ja. -Beuge Rudolf Spiger, Quartiergeber der Böß, gibt an, daß er der Pöß wiederholt fündigte, weil dieselbe mit dem Quars tiergelde immer im Rüditande war. Als fte am Abend des 20. Dezember ihm vier Gulden übergab, fagte fie, daß fie das Gelb von ihrem Bruder erhalten habe. Davon, daß die Pöß im Wege eines Mordes zu dem Gelde gelangt war, hatte er auch nicht die entferntefte Ahnung.-Marie Budat, Kontu bine Epigers, erklärt, die Pög fet am Morgen des 20. De sember mit dem Versprechen von Hause weggegangen, daß fie nach ihrer Rückkunft den schuldigen Miethsins bezahlen werde. Beugin stellt die Angabe der Angeklagten, wonach fie wieder bolt wegen des rüditändigen Miethsinses bedrängt worden wäre, entschieden in Abrede. Angeflagte Marie Bös hält jedoch ihre Angabe aufrecht. Sie giebt an, man hätte ihr mit Hinauswerfen gedroht, wenn fte das Quartiergelb nicht bes gablen würde. Mathias Bög, Schneidergeselle, Bruder der Angeklagten, batte teine Kenntniß davon, daß seine Schwefter in der Großen Johannesgaffe wohnte und das Quartiergelb nicht bezahlen fonnte. Bwei Tage nach der Mordthat lam feine Schwefter zu ihm und bat ihn, für den Fall, als er zur Bolizei vorgeladen werden solle, au sagen, er habe seiner Schwester 8 Gulden geliehen. Schwester 8 Gulden geliehen. Alexander Raboogly jun., Bimmermeister, war der legte Liebhaber der Pög. Einige Tage

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