Ur. 273.

Sonntag, den 21. November 1886.

3. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit der illustrirten Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1886 unter Nr. 769.)

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Redaktion: Beuthstraße 2.-

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Expedition: Bimmerstraße 44.

Zur österreichischen Arbeiter-| Ich all in der Magdalenenstraße ein feiner Herr ange- fürwortete. Man nannte damals diese Zukunfts" gruppe

wird uns geschrieben:

bewegung

II.

So lagen die Verhältnisse im Jahre 1880, als eines schönen Tages ich in Wien zu einer Zusammenkunft einge­laden wurde. Ich folgte der Einladung und wir kamen etwa 30 Genossen zusammen. Da machte uns Herr Grosse die Mittheilung, daß er von Dr. Kronawetter eine Buschrift erhalten, in welcher er ersucht wurde, ihn zu besuchen, was er auch in Begleitung eines anderen Genossen gethan. Dr. K. erinnerte ihn nun daran, daß, wie er wohl wissen dürfte, nächstens in Wien eine große Kundgebung von Seiteu der Liberalen beabsichtigt würde. Er habe den Auftrag erhalten, mit der Arbeiterpartei zu unter­handeln, ob diese nicht gewillt sei, eine Gegenfundgebung ins Werk zu sehen. Die Kosten des Unternehmens würden durch seine Vermittelung gedeckt werden; 200 fl. dazu her­zugeben, sei er bereits ermächtigt. Es würde den Rednern vollständige Redefreiheit garantirt, fein Redner solle wegen seiner Aeußerungen in dieser Versammlung strafrechtlich ver­folgt werden; es würde auch der Arbeiterpresse größere Freiheit gestattet, das Vereins- und Versammlungsrecht in größerer Ausdehnung gewährt werden und schließlich wurde in Aussicht gestellt, daß die in Untersuchungshaft befindlichen 14 Genossen auf freien Fuß gesetzt würden. Grosse war, ohne weiter Jemanden in Wien davon Mittheilung zu machen, uach Graz gefahren, um mit den dortigen tüchtigsten Ge­noffen die Sache zu besprechen. Er berichtete, daß man in

fahren, der direkt aus der Hoffanzlei war und nahm dem Versammlungsleiter das Versprechen ab, daß er seinen ganzen Einfluß aufbiete, um eine Demonstration zu ver­hindern, d. h. zu verhüten, daß die von zirka 10 000 Personen besuchte Versammlung von Schwender zum Sophiensaale( woselbst der deutsch liberale Parteitag stattfand) marschire, was denn auch unterblieb. Der damalige Polizeipräsident Mur sowie sein Stellvertreter, Hofrath Weiß, boten Alles auf, die Versammlung unmöglich zu machen, aber sie fand statt, weil Graf Taaffe der Veranstalter war. Daß diese Thatsachen Dr. Kronawetter nicht gewußt haben follte, kann nicht geglaubt werden, denn woher hätte man sie sonst erfahren können?

die Radikalen", während die anderen die Gemäßigten" waren, aber sie gehörten alle zur sozialdemokratischen Partei. Im November 1880 waren diese Differenzen feineswegs scharf ausgeprägte; es gab noch eine eiuheitliche Partei und die Leiter derselben waren auch diejenigen, die das Ab­kommen mit Kronawetter getroffen. Das ist der wahre Sachverhalt; die Handlungsweise war keine korrekte aber sie war auch keine schlechte. Graf Taaffe hat natürlich seine Versprechen bezüglich Breßfreiheit und weniger Beschränkung des Vereins- und Versammlungsrechtes nicht erfüllt.

Bon einem wirthschaftlichen Auffchwung

ist jetzt in einem großem Theile der Preffe die Rede. Derselbe und dann nach dem Kontinent springt.

soll sich besonders in Amerika zeigen, von wo er nach England

Dieselbe Erscheinung ist in den letzten Jahren schon mehr­beobachtet worden; aber leider war die Beobachtung immer eine trügerische.

Was die in jenem Artikel erwähnte Bedingung an­langt, so kann ich mich nicht genau mehr erinnern, ob be­dingt wurde, daß jene Säße in die Resolution aufgenommen werden mußten, sie sind aber so, daß ich sie auch heute noch unterschreiben würde, denn sie sind für die österreichi- fach schen Verhältnisse ganz treffend und korrekt. Wäre die Auf­nahme dieser Säge in die Resolution abgelehnt worden, ich halte mich überzeugt, daß Dr. Kronawetter und seine Auf traggeber auch dann die gemachten Zugeständnisse nicht ver­Uebrigens ist die weigert hätten. die Hauptresolution, die in zehntausend verbreitet wurde, Exemplaren nicht in Wien , sondern Graz verfaßt wor­Unbekannt ist mir, daß die Wiener offi­ziösen Zeitungen zur unentgeltlichen Aufnahme von Auf­rufen zur Volksversammlung sich angeboten haben.

den.

Man mag nun über diese Versammlung urtheilen wie man will, sie war großartig und hatte allerdings agitatori­

Graz sich damit einverstanden erklärte und große Volksver- schen Erfolg, aber darüber sind sich die österreichischen So­jammlungen in dieser Angelegenheit in Graz, Brünn , Prag , zialisten ohne Ausnahme klar, daß dieser Patt ein Reichenberg 2c. abgehalten werden sollten. Um die Kosten zu bestreiten, sollten noch 300 fl., also insgesammt 500 fl., gefordert werden. Nach Anhörung dieses Berichts

Fehler, politische Unfug be it war. Doch man hatte, von der ehrlichsten Absicht beseelt, gehandelt, man wollte ja der Partei nüßen. Einen Gewinn hatte Niemand davon, es wurde in einer Zusammen­

Und bei all diesen Betrachtungen, welche die sogenannte gutgefinnte" Preffe anstellt, fallen Seitenhiebe auf die Ar­beiterpreffe, welche den Aufschwung leugne, um Unfrieden unter den Arbeitern dadurch zu stiften. Als ob die Arbeiter nicht selbst an ihrem Lohne, an ihrer ganzen Lebenshaltung ein viel fichereres Barometer für wirthschaftlichen Aufschwung und Niedergang befäßen, als es ihnen die Preffe bieten kann!

Aber wir, als ein Organ der Arbeiterpartei, haben in der That auch gar fein Interesse daran, daß ein wirthschaftlicher Niedergang vorhanden ist; wir ganz besonders würden uns über einen großen wirthschaftlichen Aufschwung aus den verschie densten Gründen zu freuen haben.

Zuerst würde es uns eine große Freude bereiten, wenn wir sähen, daß unsere Mitmenschen überall Arbeit, Beschäftigung hätten. Schon aus reiner Humanität würden wir zum Beispiel bei einem wirklichen wirthschaftlichen Aufschwung den Niedergang des Bettlerthums und der Vaga bondage begrüßen. Wenn auch schließlich mit den erhöhten Löhnen, welche ein wirthschaftlicher Auf schwung im Gefolge hat, die Waaren- und Lebensmittel­

tunft Rechnung gelegt über alle Ausgaben und ein Ueber­schuß von 60 fl. wurde zur Unterstüßung von Familienpreise gleichfalls in die Höhe gingen, so wäre doch inhaftirter Genossen verwendet.

Wenn diese 500 Gulden- Geschichte, die ununterbrochen

wurden mehrere der Anwesenden geradezu wüthend, sie verrathen u. 1. w. Doch nachdem der Gegenstand in etwas ruhigerer Weise diskutirt worden, wurde beschlossen, den Antrag als ein ausgezeichnetes wirf= sames Agitationsmittel Neu ist mir in Dr. Kronawetter's Berichtigung im Eri halten muß, du Peuple ", daß sein Auftraggeber Schueid v. Treuen Graf Taaffe der eigentliche Arrangeur sei und er ist es unleugbar auch gewesen. Am Sonntag, den 10. November 1880, fand die Versammlung in Schwender's Roloſſeum statt, am Sonnabend Abend kam zu Mar

[ Rachbruck verboten.]

Feuilleton.

Im Hanse des Verderbens.

Kriminalroman.

Jahre 1880

spukt und bei jeder Gelegenheit zu Manipulationen her­so ist das das nicht gerechtfertigt. Im gab es in Desterreich noch keine Anarchisten, es waren nur zwischen einer Anzahl Personen Meinungsdifferenzen vorhanden in Betreff der Haltung der Zukunft", welche bei Besprechung des Wydener Kongresses die Ausschließung Most's und Hasselmann's heftig tadelte und allerdings eine schärfere Tonart" be=

gefischt und ich für meine Person hielt, offen gestanden, die ganze Mühe für eine nutzlose 3eitvergeudung, da, im letzten [ 32 Augenblick, wird das Ding zu Tage gefördert, von dem ich wirklich noch nicht weiß, was ich daraus machen soll! Was halten Sie davon, Herr Amtsrichter?"

Von Reinhold Ortmann. Nikolaus glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. War das derselbe harte, in seinen starren Vorurtheilen so unbeugsame und mitleidsloſe Mann, der ihn vor wenigen Tagen wie einen frechen Dieb von seinem Grund und Boden gejagt

zu ergreifen; aber er wagte es nicht, um sich nicht eine zweite Zurückweisung zuzuziehen, die ihm jetzt noch uner­träglicher gewesen wäre, weil er nichts darauf hätte erwidern

tönnen.

in einer ganz ähnlichen Lage zu befinden. Merkwürdiger Weise schien sich Herr von Nuggenhagen Er wandte sich wiederholt nach der Thür des Nebenzimmers, ohne doch ben begonnenen Weg zu vollenden und warf dabei ganz eigenthümliche Blicke auf Nikolaus, bis er plöglich mit einem raschen Entschlusse auf ihn zutrat, ihm beide Hände auf die Schultern legte und mit einem Zone, bei dem um die Herrschaft stritten,

Jagte:

Brauchen mir nicht mehr böse zu sein wegen der neu­lichen Heftigkeit und wegen der dummen Geschichte mit dem ein Ehrenmann! Habe Hoch­Werden uns weiter sprechen!

Adieu!"

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-

Er hatte bei diesen Worten einen kunstvoll gearbeiteten Revolver enthüllt, denselben, den Namfeld am verflossenen Abend in den Teich geworfen hatte, und erstaunt betrachtete auch der Untersuchungsrichter die Waffe.

Er kann erst furze Zeit im Wasser gelegen haben, sonst" müßte er verrostet sein, also steht er mit unserer Affaire in irgend einer Verbindung. Ich rathe Ihnen nun doch, ohne Verzug nach der Hauptstadt zu reisen, um dort genauere Erkundigungen nach dem Vorleben dieses Herrn Doktor Ramfeld einzuziehen!"

XXIV.

Mit größter Aufmerksamkeit und nicht ganz ohne eine gewisse Beklemmung hatte Ramfeld während der ersten Hälfte bes Tages den Gang der rasch fortschreitenden Untersuchung verfolgt.

Während des Diners schwanden alle seine Besorgnisse, denn der Polizeikommissar sowohl wie der Untersuchungs­richter behandelten ihn mit solcher Unbefangenheit und 3u­vorkommenheit, baß an das Borhandensein eines Verdachts

unter feinen Umständen zu denken war. Ramfeld athmete erleichtert auf. Jetzt fonnte er es getrost wagen, Branden­stein auf einige Stunden zu verlassen, um zur Ordnung ge­wiffer Angelegenheiten in die Stadt zu fahren. Es konnte ja in seiner Abwesenheit nichts geschehen, das ihm Schaden bringen fonnte. Wenn Juanita nicht noch unter dem Ein­fluß der ersten Erregung ihren Vorfah ansgeführt hatte, so war es wohl überhaupt nicht mehr zu befürchten. gerade in demselben Augenblid, in welchem er sich bequem

So war er denn davon gefahren, ohne zu ahnen, daß

in die Polster des Wagens zurücklehnte und die wohlriechen­

ein anständiger Mensch achtung vor Ihnen! Er schwenkte rasch ab in das Nebenzimmer, in welchem htte in bas Parterre- Seman rück, dessen Thür, der Weifung des Untersuchungsrichers gemäß, hinter ihm nicht wieder verschlossen wurde. In das Verhörzimmer trat wenige den Wolken seiner Havanna- 3igarre in die Luft blies, der Minuten später der Polizeikommissar, der in ziemlicher Auf- Untersuchungsrichter in der Hütte der Binsen- Marthe aus regung einen eingewickelten Gegenstand aus der Tasche seines Juanita's Munde die Geschichte seiner Vergangenheit erfuhr. In aller Gemüthlichkeit besorgte er seine Obliegenheiten in 3wei Stunden hatten wir vergebens im Teich herum- dem Städtchen, und die Nacht war bereits angebrochen, als

zunächst die Uebergangsperiode für die Arbeiter eine ersprießliche; sie würde die Ansprüche der Arbeiter an das Leben erhöhen und dieselben vielfach aus der Lethargie erwachen lassen, in welche sie durch Noth und Elend geschleudert worden sind.

Der Appetit kommt bekanntlich beim Essen. Die Arbeiter würden bei einem Geschäftsaufschwung immer weitere Forde­rungen in wirthschaftlicher Beziehung stellen. Und diese For derungen könnten von den Unternehmern nicht so leicht zurück­gewiesen werden, wie jetzt. Bei einem wirthschaftlichen Auf­schwung brauchen die Arbeiter auch nicht so leicht und oft zu der zweischneidigen Waffe des Streifs zu greifen, wenn sie aber

sein Wagen wieder auf die Rampe von Schloß Branden­ stein fuhr. Die Hilfe des Dieners ablehnend, sprang er heraus und schickte sich an, leichten Fußes die Treppe hinauf zu eilen. In demselben Augenblick aber öffnete sich die Thür des Gemaches, das von Beamten als Verhör- und Konferenzzimmer benutzt wurde und mit ernstem Gesicht trat der Polizeikommissar heraus. Die Pflicht der Höflichkeit nöthigte Ramfeld, stehen zu bleiben, obwohl er am liebsten mit furzem Gruße weiter geeilt wäre; denn trotz seiner 3u­versichtlichkeit flößte ihm die Gegenwart des Beamten immer einiges Unbehagen ein.

Sie sind noch immer auf, Herr Kommissar?" fragte er im gewöhnlichen Konversationston, und wie es scheint, immer noch in amtlicher Thätigkeit. Meine enge Verbindung mit unserem unglücklichen Baron recht­fertigt vielleicht die Frage, wie die Sachen augenblicklich liegen?"

"

Es hat sich noch mancher bedeutsame Fingerzeig gefunden," sagte der Polizeibeamte ruhig und kalt. Sie werden morgen ebenfalls über das Nähere dar­über unterrichtet werden, Herr Doktor! Für heute er= lassen Sie mir wohl, Ihnen ausführliche Mittheilungen zu machen."

O, gewiß! Kann ich doch sehr wohl begreifen, daß Sie müde und abgespannt sind nach der aufregenden Thä­tigkeit eines solchen Tages. Auf morgen also und angenehme Ruhe, Herr Kommissar!"

Der Angeredete antwortete nur mit einer Verbeugung, und während Ramfeld schnell die Treppe hinaufging, wen= dete er sich an den Gendarmen, der im Gespräch mit einem Diener in der Portiersloge saß, und sich bei der Annäherung seines Vorgesetzten respektvoll erhob.

Sie werden während dieser Nacht auf dem Posten

bleiben," ſagte ihm der Kommiſſar mit leiser Shorter.

" 1

Wenn der Doktor Ramfeld irgend einen Befehl giebt, oder sich vielleicht aus dem Schlosse entfernt, so haben Sie mir ungesäumt davon Mittheilung zu machen. Ich lege mich nur auf das Sopha meines Bimmers, und Sie haben keine Rücksicht darauf zu nehmen, daß Sie mich vielleicht zu wiederholten Malen wecken müßten."