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Beilage zum Berliner Boltsblatt.

Mr. 279.

Wie foll es erft im Winter werden?

So hört man täglich hunderte von Leuten in Anbetracht Der schlechten ökonomischen Verhältnisse, worin Arbeiter sowohl wie Geschäftsleute sich befinden, fragen. In der That, mit ge­wiffer Besorgniß muß man an die Zukunft denken, wenn man fieht, daß ein großer Theil unserer fleißigen Arbeiter feine Be fchäftigung hat und gezwungen ist, zu feiern. Schon wochen­lang gehen z. B. hunderte fleißige, brave Knopfarbeiter stellen­los umber, ohne zu wissen, wann sie wieder Arbeit und Brot finden. Diese Armen sind, obgleich sie gerne arbeiten möchten, zum Nichtsthun gezwungen, und vermehren das Straßenpubli fum. Da wird nun von den augenverdrehenden Muckern, deren wir im Wupperthal leider noch so viele haben, gesagt, die Arbeiter sollten sich in den guten Zeiten etwas sparen, da­mit sie in den schlechten zu leben hätten und nicht zu darben brauchten. Auch wir möchten wünschen, daß Jeder, der in der Lage ist, sparen zu können, dies auch thut, aber bei diesen Ar­beitern ist diese Theorie schlecht angebracht, es flingt das schon mehr wie Hohn. Angenommen, die Knopffabriken würden bald wieder gute Zeiten zu verzeichnen haben, daß wieder alle Arbeiter dieser Branche vollauf beschäftigt werden fönnen, ſo würden dieselben doch nichts zurücklegen können, denn das erste würde doch sein, was man auch von jedem Arbeiter verlangt, die während der Ar­beitslosigkeit gemachten Schulden zu bezahlen. In der Regel find lettere noch nicht ganz bezahlt, so beginnt die Geschäfts­flaue schon wieder, Dant dem Treiben der Herren Prinzipale und Wertmeister. Auch der Arbeiter treibt, er will und muß verdienen, deshalb nimmt er sich noch Arbeit mit nach Hause, Frau und Kinder werden angespannt und dann geht es die halbe Nacht durch, eine Nacht sowohl wie die andere. Diese wilde Jagd dauert einige Wochen, bis das verhängnißvolle Wort dem Arbeiter in die Ohren gellt: Die Kommission ist voll, wir müssen wieder halbe Tage mbchen!" In Folge dessen werden wieder viele Arbeiter entlassen und die alte Geschichte ist wieder da. Das Schuldenmachen fängt wieder auf unbe­stimmte Zeit an, und mit Thränen in den Augen hört man jeßt die Frau des Arbeiters inmitten ihrer Kinderschaar, welche die Händchen nach der Mutter ausstrecken, unwillkürlich aus­rufen: Wie soll es erst im Winter werden!" Diese Wechsel­wirkungen haben wir aber nicht bloß bei den Arbeitern dieser Branche zu verzeichnen, sondern sie werden alle mehr oder weniger davon berührt, aber besonders sind es noch die Weber und Wirfer, welche diesen Kelch bis zur Neige leeren müssen. Grade diese sind es, welche vor allen Dingen den Weltruhm des Wupperthals begründet haben, aber in welch' traurigen Verhältnissen finden wir zum großen Theil diese Leute. In ihren Wohnungen kann man sich faum bewegen und jeder Fremde, welcher sich nicht mit der edlen Kunst der Gymnastik bekannt gemacht hat, ist nicht im Stande, den Leuten eine Visite zu machen. Der Mann arbeitet allein in der Stube oder er hat im günstigsten Fall auf den zweiten Stuhl einen Gesellen, der häufig auch nicht weiß, wovon er fein Kostgeld bezahlen soll, weil die Ketten so furz sind, daß er alle Augenblick ein neues Muster einhängen muß. Hinter dem Webstuhl in der Ecke fizt die Frau, vielleicht noch ein Kind auf dem Schooße, am Spulrad. Es ist Mittags 11 Uhr oder Nachmittags 4 Uhr, die Kinder kommen aus der Schule, dann ist das Erste, sie wünschen ein Butterbrot. Die Mutter sieht

das

Dom Spulrad auf, aber damit der Mann oder der Gehilfe nicht auf Spulen zu warten braucht, muß sich der Junge oder bis Abends 8 Uhr, dann müssen die Kinder ihre Schulsachen machen. Als Nachteffen bekommen sie dann ein paar Kartöffeln mit der Schale und Kaffee, damit geht es dann in's Bett, um morgen die Komödie von Neuem zu beginnen. Diese Kinder brauchen nicht zu sagen: Schön ist die Jugend, sie kehrt nicht wieder." Die Ketten sind abgearbeitet, die ganze Familie ist froh, daß es wieder einmal Geld giebt. Ja, der Mann liefert, er bekommt sein Geld, aber der Vorschuß wird ab­gehalten; das schlimmste aber ist, er bekommt feine Rette, denn wie der Herr Fabrikant sagt, die Kommission ist voll. Sie müssen warten. Mit Bangen kommt der Mann nach Hause. ( Er hat auch unterwegs einen Schnaps getrunken, wer will ihm verargen.) Er zählt sein Geld auf den Tisch; ohne Abzug des Vorschusses hätte es gelangt, um die gemachten Schulden zu bezahlen. Aber keine Kette, seufzt die Frau, wie soll es erst im Winter werden? Diese hier geschilderten Zustände sind es, welche heute unsere Gesellschaft anklagen. Hunderte fleißiger Hände werden zum Müßiggang verdammt. Wäre es da nicht endlich an der Beit, hier Remedur zu schaffen. Unsere Herren Fabrikanten sehen das ebenfalls ein; hier muß etwas geschehen, fagen sie sich. Aber was? Auch die Geschäftsleute, Laden­befizer sehen ein, daß es nicht mehr weiter gehen kann, weil ihnen das Feuer auf den Nägeln brennt. Sie können nichts verkaufen, weil der Arbeiter nichts verdient. Anstatt daß aber diese Herren mit dem Arbeiter nach dem gemeinsamen Ziel hin­streben, stehen sie in den meisten Fällen demselben feindlich gegenüber. Ihre Aufgabe wäre es, mit dem Arbeiterstande zu fämpfen für wirkliche Reformen, welche geeignet sind, jedem die Griftenz zu ermöglichen, damit wir nicht immer vor die Frage gestellt werden: Wie soll es erst im Winter werden." ( Elberf. Fr. Pr.")

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Parlamentarisches.

Die Abgg. Rintelen, Munckel, Träger und Letocha haben beim Reichstage folgenden Gefeßentwurf eingebracht:

Sonntag, den 28. November 1886.

entwurf, betr. die Ergänzung des Strafgesetzbuches des Deut­schen Reichs vom 15. Mai 1871. Wir Wilhelm 2c. verordnen Einziger Artikel: Hinter dem§ 210 des Strafgesethuchs wird der folgende§ 210a eingestellt:§ 210a. Wenn zwei oder mehrere Personen übereingekommen find, daß ein im Voraus bestimmter Zufall darüber zu entscheiden habe, welcher von ihnen sich selbst tödten soll, so find dieselben mit Buchthaus bis zu 5 Jahren oder mit Gefängniß bis zu 3 Jahren zu bestrafen. Hat sich infolte eines solchen Uebereinkommens ein Theil selbst getödtet, so tritt Buchthausstrafe bis zu 10 Jahren oder Ge fängnißstrafe bis zu 5 Jahren ein. Die Aufforderung zu einem solchen Uebereinkommen ist als Versuch zu bestrafen. Die Theil­nehmer unterliegen den Bestimmungen der§§ 48 und 49 des Strafgesetzbuchs des Deutschen Reichs." Dieser Antrag richtet fich also nur gegen das amerikanische Duell, ein Ding, das vielleicht nur in der Phantasie eristirt.

Lokales.

Zu den neueren Errungenschaften des ärztlichen Heil­verfahrens gehört auch die gegenwärtig vielfach gegen Nerven­und Muskelaffektionen angewendete Maffage- Kur, welche darin besteht, daß der Leidende an dem kranken Körpertheile von einem mit diesem Verfahren genügend vertrauten Heilgehilfen behandelt wird. An der leidenden Körperstelle soll durch Klopfen, Streichen, Kneten und ähnliche Manipulationen ein größeres Wohlbefinden sich erzielen lassen, und daß dieses Heilverfahren keineswegs vereinzelt angewendet wird, diese Kuren vielmehr in unserer Stadt sehr zahlreich angewendet werden, das ergiebt ein Blick in den Inseratentheil der für erflusive Kreise be stimmten Insertionsblätter, in denen Masseure ihre Thätigkeit anbieten. Die Leute laffen sich ihre Leistungen gut bezahlen und sie können dies, da sie an Konkurrenz nicht zu leiden haben. Angesichts des Umstandes jedoch, daß alle ärztlichen Autori­täten einig sind über die glänzenden Erfolge der Massage­Rur, muß es wünschenswerth erscheinen, daß die Vor­theile derselben auch Minderbemittelten zugängig werden, zu welchem Zwecke die Ausbildung einer größeren Zahl von Heilgehilfen in diesem Verfahren nöthig erscheint. Ein weiterer Uebelstand ist das Fehlen weiblicher Heilgehilfen für diese Kur. Bei dem ganzen Charakter dieses Heilverfahrens, das übrigens in den Anfangsstadien eines beginnenden Leidens am erfolg reichsten angewendet wird, können weibliche Kranke nicht wohl sich von männlichen Heilgehilfen behandeln lassen; eine Aus­bildung von Masseusen aber hat bisher fast noch gar nicht statt­gefunden. Von ärztlicher Seite wird deshalb die Ausbildung von Masseuren und Masseusen dringend gewünscht und für eine große Zahl unserer Hebammen dürfte das Erlernen dieser Kur nicht schwierig und doch sehr lohnend sein, was ihnen um so erwünschter sein dürfte, als die Zahl der zur Praxis zuge laffenen Hebammen in legter Beit eine sehr große geworden ist und diese Gewerbetreibenden unter dem Drucke der Konkurrenz zu leiden haben. Hier wäre in den Massagekuren ein Gebiet für eine neue, segensreiche und jedenfalls auch nicht uneinträgliche Thätigkeit gegeben.

Ueber die auch von uns mehrfach erwähnten Praktiken der großen Kohlengeschäfte wird uns von eingeweihter Seite geschrieben: Seht Euch vor beim Ankauf von Kohlen! So rufen zu Beginn des Winters fast sämmtliche Blätter ihren Lesern zu. Ueberzeugt Euch, wenn Ihr nach Gewicht kauft, daß die Kohlen nicht zu naß, wenn Ihr nach Maß kauft, daß fie nicht zu trocken find. Wiegt, zählt, meßt stets nach, denn nirgend wird mehr betrogen und 31 betrügen versucht, als bei den Kohlenlieferungen. Ach was, denkt der Eine, ich kann mich nicht hinstellen und nachmessen oder nachzählen, dazu habe ich feine Beit. Ja, lieber Freund, Du darfst Dich dann allerdings nicht beflagen, wenn Du betrogen wirst, bei Dir wäre es ja nach Ansicht der Kohlenhändler eine Sünde und Schande, den kleinen Verdienst" nicht mitzunehmen. Daß aber diefer kleine Verdienst" wenigftens 10 pCt. der bestellten und in Rechnung gesezten Kohlenmenge ist, das läßt Du Dir nicht träumen, auch wenn Du gewillt bist, den kleinen Nachtheil, den Dir nach Deiner Ansicht der Lieferant allenfalls zufügen könnte, eher zu ertragen, als Dir selbst Unbequemlichkeiten aufzuerlegen. Da ist Dein Nachbar, der Bäckermeister Bregel, doch ein vors fichtigerer Mann. Er weiß recht gut, wie viel ihm das Jahr hindurch das Feuerungsmaterial foftet, er ist ein tüchtiger Rechner, er sagt sich, wenn mir bei der Kohlenlieferung auch nur hektoliter fehlt, so macht dies das Jahr hin­nein, ich werde mich nicht durch so und so viel; nein, betrügen laffen, ich will schon aufpassen. Ich werde der Beitersparniß halber nicht jede Lieferung nach­messen, wohl aber einzelne zur Probe, vielleicht die zweite oder dritte jedesmal, da merke ich ja ebenso gut, ob Alles recht zu geht oder nicht. Gedacht, gethan; morgen hat Herr Brezel Zeit, morgen fommt eine Ladung Kohlen, da wird er selbst nach messen. Er mißt nach und findet statt der bestellten 20 Hefto­liter nur 18. Natürlich stellt er sofort den Kutscher des Kohlen­wagens zur Rede, der weiß von nichts. Herr Bregel schilt, tobt und fordert endlich die Rechnung. Aber was ist das? Die Rechnung lautet ja nur über 18 hektoliter?! Auch trägt fie den Vermerk, daß leider des und des Umstandes wegen

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zwei Hektoliter zu wenig haben verladen werden müssen, die felben würden jedoch baldmöglichst, baldmöglichst, spätestens bei der nächsten Lieferung nachfolgen! D, Herr Brezel, welch' unwürdigen Verdacht hatten Sie gegen die hochachtbare Firma X. u. Ko.! Wie konnten Sie denken Herr Brezel ist natürlich nunmehr vollkommen überzeugt von der Reellität feiner Lieferanten, bei keiner anderen Firma bestellt er ferner feine Kohlen als bei dieser. Aber lieber Meister, wie würdest Du toben, wenn Du wüßtest, daß der Kutscher zwei Rechnungen bei fich hatte, die eine über 20 Hektoliter, die andere über 18, mit dem Auftrage, je nachdem Du nachmeffen würdest oder nicht, Dir die lettere oder die erstere zu übergeben? So un glaublich ein solches Verfahren erscheinen mag, so ist es doch buchstäblich die regelmäßige Geschäftsusanze vieler hiesiger Firmen, ja es wird, wie uns von bestunterrichtetfter Seite mitgetheilt wird, in allernächster Beit ein großartiger Prozeß beim hiesigen Landgericht I zur öffentlichen Verhandlung schäfts in nicht weniger als 38 Fällen derartiger betrüge­rischer Manipulationen seitens der Staatsanwaltschaft bes schuldigt werden. Hoffen wir, daß der Bericht über den in Rede stehenden Prozeß recht detaillirt zur Kenntniß des Publi­fums gelangt, zu Nuß und Frommen aller derer, die es angeht.

Einziger Artikel: Dem§ 107 des Strafgesetzbuchs wird nachstehende Faffung gegeben: Wer einen Deutschen durch Ge walt oder durch Bedrohung mit eiuer strafbaren Handlung oder mit Nachtheilen für Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre oder Ver­mögen verhindert, in Ausübung seiner staats­bürgerlichen Rechte nach seinem freien Willen zu wählen oder zustimmen, wird, gleichviel ob die Bedrohung ausdrücklich ausgesprochen oder aus den Umständen felbst oder gegen einen seiner Angehörigen(§ 52) gerichtet ist, zu entnehmen, ob sie gegen den Wahl- oder Stimmberechtigten mit Gefängniß oder mit Festungshaft bis zu fünf Jahren be= zur Ausführung gebracht, so ist auf Gefängniß nicht unter einem Monat zu erkennen. Neben der Gefängnißstrafe kann auf Ver­luft der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Der Versuch ist strafbar. Von dem Abg. Dr. Reichensperger als Antragsteller Doch noch einer dritten Art, mittelst welcher die Käufer von

und unterstützt von 54 Abgeordneten der Zentrumspartei ist wolle beschließen: 1. Die Erwartung auszusprechen, daß die Duellwesen mit entsprechendem Nachorud ſowohl auf autoritativem Wege, als durch disziplinare und ſtrafgerichtliche Repreffion entgegenwirken. 1. Dem nachfolgenden Gefeßent wurf die verfassungsmäßige Buſtimmung zu ertheilen: Gesetz

den Lieferanten betrogen werden, müssen wir Erwähnung thun, und es muß leider gesagt werden, daß diese Art des Betruges nur durch eine große Lücke in den hier am Plaße bestehenden polizeilichen Verordnungen ermöglicht wird. Eine dritte Spezies der Kohlenkäufer nämlich sagt sich, ich kaufe nach Gewicht, laffe mir den von Beamten der Rathswage aus­gestellten Wiegeschein über den Brutto- und Netto verwogenen Kohlenwagen vorlegen, dann muß ich die Differenz dieser

3. Jahrg

beiden Gewichtsmengen an Kohlen bekommen haben, hier ist fein Betrug möglich. Und doch ist hier nicht nur ein Betrug möglich, nein es wird diesen Betrügereien seitens der Behörden, fast möchte man sagen, in die Hände gearbeitet. Denn man höre und staune! Die Beamten der Rathswagen haben nicht nur feine Pflicht, darauf zu achten, daß ihnen derselbe Wagen leer zur Verwiegung gestellt wird, den sie mit Kohlen gefüllt ver­wogen haben( wir müssen zugeben, daß die Ausführung einer solchen Dienstordnung auch wohl zu den Unmöglichkeiten gehören würde), aber fie haben nicht einmal bie Vorschrift, die Nummer des Wagens auf den betreffenden Wiegeschein zu notiren, zu notiren, obwohl sie doch auf diese Weise eine wenn auch noch so gering­fügige Kontrole über die Identität der brutto und der netto verwogenen Wagen haben würden. Die Folge hiervon ist nun erklärlicherweise die, daß der Kutscher mit dem schwersten Wagen die Kohlen zur Rathswage zur Bruttoverwiegung fährt, nach Ablieferung der Kohlen im schnellen Trabe zur Strecke fährt und von dort aus mit einem leeren, weit leichteren Wagen fich wieder zur Nettovermiegung bei der Rathswage einstellt. Daß auf diese Weise der amtliche Wiegeschein gar keine Kontrole für die Empfänger der Kohlen bietet, leuchtet ein. Könnten nicht auch hier ähnliche Einrichtungen be= züglich der Kohlenwagen getroffen werden, wie sie zum Beispiel für die Fässer für Bier und sonstige Spirituosen bestehen, die stets mit der aichamtlich eingebrannten Tara bezw. der aichamtlich eingebrannten Angabe ihres Rauminhalts versehen sein müssen. Biehen wir schließlich das Resumee der ganzen vorstehenden Auseinanderseßung, so fönnen wir allen Inter­essenten nur den Rath geben, nach Gewicht zu kaufen, dann aber den vollen Wagen von der Strecke bis zur Rathswage, von da bis zur Abladestelle, sodann den leeren Wagen wieder zur Rathswage zu begleiten oder durch eine zuverlässige Person begleiten zu lassen; nur so kann man sicher sein, nicht hinter gangen zu werden.

Zur Wetterlage wird der Voff. 8tg." unterm 26. No vember geschrieben: In den letzten Tagen wurde die Witterung Norddeutschlands wiederholt durch Depressionen beeinflußt, welche zwar hoch im fernen Norden vorüberzogen, aber dennoch hier und in Südskandinavien zeitweise Regen bei nordwest lichem Winde brachten. Heiteres Wetter, wie es gewöhnlich hoher Luftdruck im Gefolge zu haben pflegt, wurde nur von Süddeutschland und Frankreich gemeldet, woselbst in Folge deffen sich auch leichte Fröste auf einem langgestreckten, nach Rußland reichenden Gebiete eingestellt haben. Auch Schnee­fall fand in Süddeutschland statt. Das Druckzentrum verschob sich von Nordwest- Deutschland nach Irland und erreichte die Höhe von 20 Millimeter über normal während bei uns der Luftdruck abgenommen hat, wiewohl das Barometer doch noch 7 Milimeter über normal zeigt. Bei dieser Druckvertheilung wehen im Norden Englands Westwinde und führen warme Luft vom Dzean her nach Skandinavien , wo­selbst diese Luft in eine nordwestliche Strömung geräth und als warmer Nordwest- und Nordwind Norddeutschland erreicht. Heute am Freitag herrscht helles trockenes Wetter in Hamburg , aber in der Höhe ziehen jest, aus Norden fommend, Zirrus wolfen empor, welche den Himmel mit einem feinen Schleier überziehen und zunächst wieder auf kommendes unruhiges Wetter deuten, welches von Norden fich südwärts ausdehnen müßte."

Der Stadtrath und Stadtkämmerer H. Runge ist Freitag Nacht um 10% Uhr in seiner Wohnung, Schmid­straße 18, ohne jeden Todeskampf dem Schlaganfall erlegen, welcher ihn vorgestern während der Sigung des Magistrats getroffen hatte. Die Beerdigung findet am Dienstag 12 Uhr Mittags vom Festsaale des Rathhauses aus statt.

Das Aufstellen der Marktwagen auf dem Oranien­plat hat schon zu wiederholten Malen Anlaß zu Klagen ge­geben und ernstliche Unfälle verschuldet. Neuerdings ist nun der Zustand auf dem Oranienplage für die Passagiere der Pferdebahn geradezu unerträglich geworden. Dicht an dem Pferdebahngeleise entlang stehen die Wagenpferde in dichter Reihe Kopf an Kopf nebeneinander, so daß sie vor dem an­kommenden Pferdebahnwagen die Köpfe seitwärts drehen, aus Furcht, gegen den Wagen zu stoßen. Die unmittelbare Nähe der zahlreichen Pferdemäuler ist auch für einen sonst furchtlosen Mann nicht gerade Vertrauen erweckend und den auf dem Wagenperron stehendenden Damen fann man es nicht verdenken, wenn sie sich ängstlich vor den leicht beweglichen Haferlippen diefer Rosinanten zur Seite biegen, denn der Appetit eines gelangweilten Marktwagenpferdes ist manchmal unberechenbar. Vielleicht wartet man erst einige Unfälle ab, bevor man diesen allgemein empfundenen Uebelstand beseitigt.

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Das Matart- Bouquet wird von Dr. Otto Bacharias in der Post" als eine reiche Fundgrube für mikroskopische Orga­nismen bezeichnet, insofern es gelingt, zahlreiche Infusorien zu züchten, wenn man ein altes, verstaubtes Exemplar dieses mo­dernen Staffageſtücks mit Waffer übergießt und längere Zeit stehen läßt. Dazu macht nun der genannte Zoologe die uns dünft nicht ungerechtfertigte Bemerkung: Vom hygie nischen und auch vom einfachen Reinlichkeitsstandpunkte aus ist es ganz unerfindlich, wie man die Leidenschaft für das Styl volle so weit trciben kann, daß man auf Schränke und Simse jene todtenfahlen Bouquets aufstellt, die einen förmlichen Rendezvousplatz für zahllose Mikroorganismen thierischer und pflanzlicher Natur abgeben. Eine gesunde Nase sollte schon durch den widrigen Geruch unangenehm affizirt werden, den diese leichenhaften Dekorationsgegenstände aushauchen, wenn fie Jahr und Tag als höchst fraglicher Zimmerschmuck gedient haben. Aber die Tyrannei der Mode will es nun einmal, daß die Kunstgärtnerei dazu beiträgt, dem eleganten Empfangsfalon des vornehmen Hauses eine nicht zu verkennende Aehnlichkeit mit einem Erbbegräbniß zu geben." Etwas grell, aber feines falls unwahr!

Folgender Fall enthält wieder eine ernste Mahnung, die Kinder nicht auf den Kopf zu schlagen. In W., schreibt das Meißner Tabl.", schlug am Sonntag ein Knabe ein Mädchen mit der Fauft auf den Kopf. Das arme Kind hat seit dieser Beit sein Gedächtniß vollständig verloren. Am Montag fam es wieder zur Schule, kannte aber keinen Schüler. Auch wußte es den Namen des Lehrers nicht mehr. Es konnte nicht mehr zählen, nichts lesen und nichts auswendig lernen.

Ein Billetprozeß, der sich bereits durch Monate hinzieht. beschäftigt gegenwärtig die vierte Zivilkammer des Landgerichts I und macht viel von sich reden. Wir geben zunächst im Aus­zuge den Thatbestand: Der Kaufmann R. hatte vor einiger Beit von einem feiner Bekannten ein Billet zum 1. Range des Deutschen Theaters fäuflich erworben. Von der Vorstellung jedoch, die zu besuchen ihm das Billet ein Recht gab, hatte er wenig Genuß, denn von dem ihm zustehenden Plaße aus ver mochte er, späterer Aussage nach, nicht einmal die Hälfte der Bühne zu übersehen. Ein so mangelhafter Genuß schien ihm mit 8 Mart zu theuer erkauft zu sein und er forderte daher von seinem Bekannten Rückgabe des Kaufgeldes. Als diese