doch auch Vertheidigungszwecken dienen. Soll das gar nicht in Betracht kommen? Ein Hauptbedenken ist für mich, daß nirgends eine Deckung der Mehrausgaben vorgeschlagen ist, sondern man uns einfach auf die Matrikularumlagen verweist. Damit wird in die Finanzen der Einzelstaaten eine heillose Verwirrung gebracht und das ganze Odium der neuen Steuern fällt auf die Einzelstaaten zurück. Gerade an die Vertreter der Einzelstaaten möchte ich die Bitte richten, wohl zu überlegen, ob man auf diese Art, wenn man der Vorlage Heeresfolge leistet, nicht den Ast absägt, auf dem heute die Einzelstaaten noch fizen. Was ist dann weiter für die späteren Ausgaben uns zugemuthet? Wir sollen einen Wechsel auf den kommenden Reichstag ziehen, der die Deckung beibringen soll. Wie Tönnen wir das konstitutionell verantworten, und wie können wir die Verantwortung dafür unseren Nachfolgern zuschieben? Sympathisch ist mir die Erhöhung der Präsenzziffer, weil nämlich die Volkspartei von jeher für die ehrliche Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht eingetreten ist. Uns war es von feber ein Dorn im Auge, daß nicht Alles in die Militärpflicht hineingezogen ist, wie es uns auch heutigen Tages nicht recht erscheint, daß die Einjährig- Freiwilligen ein Monopol haben, das ihnen vom Standpunkt der staatsbürgerlichen Gleichheit nicht zukommt. Zu den Mehrbewilligungen fönnen wir uns aber nicht verstehen. Denn trop der Ausführungen des Finanzministers über Bier, Branntwein und Tabac sehen wir in der fortwährenden Steigerung der Lasten eine schwere Gefährdung des Volkswohlstandes. Den Ausweg zeigt hier die Vorlage selbst, welche die Frage aufwirft, ob etwa die Mittel zur höheren Präsenzziffer durch Herabsetzung der Diensts zeit auf 2 Jahre beschafft werden können. Ich möchte dazu noch die Erwägung geben, ob man die nothwendigen Mittel nicht durch andere Ersparnisse innerhalb des Militärwesens herbeiführen könne. Ueber die zweijährige Dienstzeit bin ich eini germaßen ängstlich zu sprechen, denn so wie einer, der nicht felbft Militär ist, auf dem Gebiet des Militärwesens seine Meinung ausspricht, erhebt sich einer der Herren von der rechten Seite und erklärt ihm unumwunden: Laie, hebe dich wea von hier, du verstehst von allen den Dingen gar nichts!" ( Seiterkeit.) Es scheint mir aber doch Pflicht, das hier zum Ausdruck zu bringen, was in weiten Kreisen des deutschen Boltes, beinahe in allen bürgerlichen Kreisen als feste Ueberzeugung lebt. Die Frage der Herabfeßung der Dienstzeit ist heute von der Reichsregierung als diskutabel hingestellt und ich bin der Meinung, daß, nachdem die Frage einmal in Fluß ist, fie nicht mehr aufhören wird, uns zu beschäftigen, als bis die Bräsenzzeit herabgesetzt ist. Die allgemeine Situation, die beiden Feinde zu gleicher Zeit, die Nothwendigkeit, für die ersten Waffenentscheidungen Mannschaften zu haben, sind keine Durchlagenden Gründe. Man pflegt fich ferner für die dreijährige Dienstzeit auf militärische Autoritäten zu beziehen, vor denen ich gleichfalls allen Respekt habe. Aber gerade die heutigen Ausführungen des Kriegsministers zeigen uns auch, welch großer Unterschied zwischen den Anschauungen des einseitig aus gebildeten Technikers und denen ist, die der Abgeordnete haben muß, der diese Frage im Zusammenhang mit unserer ganzen Finanzpolitik untersuchen soll. Auf sehr vielen Gebieten des Militärwesens fönnte man Ersparnisse machen, wenn man will; da ist manches noch auf äußere Pracht und äußeren Brunk mehr als nothwendig gerichtet. Es blieben da erhebliche Summen übrig, um mehr Rekruten als bisher zu den Fahnen einzuberufen und auszubilden, und damit wäre uns in der Hauptsache gedient. Wenn die Regierung uns in dieser Richtung entgegenkommen wollte, dann wäre die Kommission in der Lage, ein ersprießliches Resultat zu erzielen. Die Regierung hätte sich dann durch ihr Entgegenkommen unendlich größere Verdienste um das Vaterland und um ganz Europa erworben, als wenn sie fortfährt, von Jahr zu Jahr, im einseitigen Hinblick auf die Nachbarstaaten, die Militärausgaben zu erhöhen.( Beifall links.)
Darauf wird die Berathung um 4 Uhr auf Sonnabend 12 Uhr vertagt.
bat
Lokales.
An der Ecke der Breitenstraße und des Schloßplates man jegt seine liebe Noth, das Erdreich von den mannig fachen elten Fundamenten zu reinigen, welche fich hier im Laufe der Jahrhunderte neben und über einander angesammelt haben. Sie gehen bis ganz in die erste Zeit der Bebauung von Kölln zurück, denn ganz unten stößt man auf mächtige märkische Findlinge. Die Reste können von der Mauer des DominikanerKlosters ftammen, nach welchem die Brüderstraße ihren Namen hat. Sie könnten aber selbst zu den Stadtmauern gehören, welche Kurfürst Friedrich I '. 1442 niederriß. Denn dieselbe machte nothgedrungen vom heutigen rothen Schloß aus einen Bogen, weil der Platz des heutigen Schloffes und des Luftgartens damals Sumpf und Waffer war.
Die Feststellung der Grenze zwischen Krankheit und Unfall verursacht bei der praktischen Handhabung der Unfallverficherung mancherlei Schwierigkeiten. Ein Arbeiter, der an einem Herzfehler leidet, wird mit dem Tragen einer durchaus nicht übermäßigen Last beauftragt; bei der Ausführnug dieses Auftrages wird er plöglich vom Schlage getroffen und verstirbt. Der Anspruch seiner Hinterbliebenen auf Entschädigung nach Maßgabe der Unfallversicherung wurde zurückgewiesen und awar auf Grund des ärztlichen Gutachtens, wonach der Tod mit dem Tragen der Last in keinem ursächlichen Zusammenhange geftanden haben soll. In einem anderen Falle erhielt ein Arbeiter infolge andauernder Beschäftigung mit Erdarbeiten eine Entwickelung Inorpelartiger Schwielen an den Händen und es bildete sich an den verdichten Stellen nach einiger Zeit eine Entzündung aus, die eine bedeutende Verminderung Der Erwerbsfähigkeit des Arbeiters zur Folge hatte. Auch in diesem Falle wurde die Entschädigung des Arbeiters nach Maßgabe des Unfallversicherungsgesetzes abgelehnt. Da nach dem ärztlichen Gutachten die Entzündung selbstständig sich entwidelt hat und nicht in Folge der Beschäftigung des Ertranften mit den Erdarbeiten entstanden sein soll. Das Reichsversicherungsamt bemerkt dazu, es würde im Interesse der Arbeiter selbst bedenklich sein, die Grenze zwischen Unfall und Krankheit zu verwischen, weil dies zur Folge haben würde, daß viele kränkpflichtigen Betrieben feine Beschäftigung erhalten würden. Das ist ein Kompliment für unsere Arbeiter, wie wir es sonst von auderen Behörden und namentlich von der hohen Polizei nicht gewöhnt find. Der Hinweis auf die Solidarität der Arbeiterintereffen wird in allen Arbeiterkreisen verstanden werden. Weniger aber dürfte man es verstehen, wenn der Entschädigungsanspruch illusorisch gemacht werden kann durch den Ausspruch des von der Berufsgenossenschaft zitirten Arztes. Sollen derartige Unterscheidungen überhaupt gemacht werden, müßte die ärztliche Anschauung doch wohl in etwas zuverläffigerer Form dargelegt werden.
Der Kahnverkehr auf der Spree steht, wie Baurath Opel am Mittwoch im Zentralverein der deutschen Fluß- und
Kanalschifffahrt ausführte, nicht hinter dem der Weichsel , der Elbe, der Oder oder des Rheins zurück. Der gesammte Wafferverkehr Berlins beziffert fich auf 3716 605 Tonnen, von welchen allerdings nur 358 000 Tonnen auf den Tranfitverkehr entfallen, aber dieser Durchgangsverkehr sei schon ein fo be= deutender, daß zu seiner Bewältigung 6600 der stärfften Güters züge, oder jeden Tag 16 Büge erforderlich wären. Der Verkehr im vorigen Jahre beziffert sich auf ca. 560 Rähne täglich bei 340 Schifffahrtstagen. Dem aufgetauchten Projekte der Bu schüttung des einen Sprecarmes nach dem Kupfergraben und da immer noch 25 Echiffe denselben täglich passiren. Zur Ab
Wafferspiegels, die Errichtung eines 71 Meter langen und 8,6 Meter breiten Wehrs an den Dammmühlen, Regulirung der Ufermauern an der Burgstraße, Erweiterung der Durchlässe der Kurfürstenbrücke, Entfernung der Domfundamente, welche die Spree verengen, Ausbaggerung der Spree vom Charlottenburger Wehr bis zur Mühlgraben- Abzweigung. Zur Beschleunigung der Spreeregulirung sei der baldige Abbruch des Speichers und der sog. kleinen Mühle an den Dammmühlen wünschenswerth. Vor allem aber müßten mehr Landungspläße geschaffen wer den, um den Schiffer unabhängiger von den Fuhrherren zu machen. Auch das Schleusenwesen müßte regulirt werden, daß außer der Schleuse am Spandauer, der zwei am Charlotten burger Kanal und in Berlin der Stadtschleuse und der Schleuse am Unterbaum freier Verkehr von der Elbe bis zur Oder herrsche.
Ueber die Konservirung der Schlittschuhe schreibt man dem Wassersport":" Gewiß die meisten Schlittschuhläufer haben bereits ihrem erger darüber Luft gemacht, daß ihre Schlittschuhe, nachdem dieselben ihren Sommerschlaf gehalten, beim Beginne der Eisperiode theilweise oder total verrostet find. Ich hatte sie doch so schön eingeölt!" Ja, das ist es ja eben. Polirter Stahl eingeölt und ein halbes Jahr und länger hingelegt, rostet immer. Es giebt nur ein Mittel, einen Schlittschuh von Rost frei zu halten, und das ist tüchtiges Abpuzen und Aufbewahren an einem absolut trockenen Orte. Das Bußen kann man einmal während der Sommerzeit zum Ueberfluß wiederholen. Meine Schlittschuhe hängen beispielsweise stets über meinem Scheibpulte ohne jede Ümhüllung. Ein Fingerzeig für die Behandlung der Schlittschuhe für die Winterzeit dürfte vielleicht hier ebenfalls am Blaze sein. Nach dem Schlittschuhlaufen säubere man die Schlittschuhe oberflächlich mit Papier vom Schnee, trockne dieselben, zu Hause angelangt, gut ab; wische den Stahl so lange mit einem gut trockenen Tuche ab, bis er nicht mehr beschlägt, und lege die Schlittschuhe an einen warmen Ort, oder hänge sie, wie ich es mache, am Gasarm über der Maschine in der Küche auf. Nachdem die Schlittschuhe vollständig die Zimmertemperatur angenommen haben, puge man dieselben einfach mit trockenem Bußpulver über, und man wird das Vergnügen haben, nach der Eisbahn stets mit blanken Schlittschuhen gehen zu können, was ja doch ein Stolz für jeden Eisläufer ist."
Ein beängstigendes Gefühl bemächtigte sich der Paffanten der Leipzigerstraße, welche am Donnerstag an dem neuen Eckhause der Wilhelmstraße einen Maler an den niedergelassenen Rolljaloufien der vierten Etage außerhalb des Fensters und frei auf dem Fenstersims stehend, bei seiner Arbeit thätig sahen. Allerdings befand sich vor dem Fenster ein kleines Geländer, das dem Manne aber noch nicht bis zum Knie reichte und ihm deshalb eher gefährlich werden als Schuß gewähren konnte. Daß den auf Bauten beschäftigten Arbeitern, die fich öfter in ähnlichen Situationen befinden, oftmals das Gefährliche ihrer Lage garnicht mehr zum Bewußtsein kommt, mag ja richtig sein; aber wenn irgendwo, so find gerade für Bauarbeiter Unfallversicherungsvorschriften dringend nöthig, welche die große Gefährlichkeit dieser Betriebe wesentlich mildern würden. Wer es einmal als Privatmann und um seine Erfahrungen zu be reichern, unternommen hat, die schwindelnde Höhe eines eben vollendeten Rohbaues zu erklettern, und von dort herab in die gräufige Tiefe der Etagen zu blicken, der kann sich ein Bild Savon machen, welche entseßlichen Folgen der geringste Fehltritt und die kleinste Unaufmerksamkeit haben kann.
Selbstmord. Am 2. d. M., Nachmittags gegen 6 Uhr, erschoß sich im Thiergarten am Spielplatz in der Nähe der Friedens- Allee eine unbekannte, etwa 25 Jahre alte Dame mittels eines Revolvers. Bei ihrer Leiche fand man mehrere Dokumente und Schriftstücke, welche dem Kriminal- Kommissariat zugestellt worden sind, während die Leiche selbst zum Leichen schauhause gebracht wurde.
Vermißt wird seit dem 30. November Mittags 11 Uhr der 17jährige Wilhelm Küster, welcher sich aus seiner Wohnung entfernte, um seinen Bruder zu besuchen. Da er aber da nicht ankam und seitdem spurlos verschwunden ist, so denken seine Eltern, daß ihm ein Unglück passirt ist. Derselbe ist 1,72 m groß, hat braune Augen, schwarze Haare, volles Geficht und war bekleidet mit dunkelblauem Estimo- Ueberzieher, rothge streifter Kammgarnhofe und braunem Jacket. In seinem Befiz befanden sich 12 M. Alle Auskünfte find zu richten an Karl Treuherz, Schönleinftr. 23 VI.
Duell. Am leßten Sonnabend hat nach dem Berl. Tgbl." in der Umgebung Berlins ein Duell mit tödtlichem Ausgang stattgefunden. Der Herausforderer war ein hiefiger höherer Offizier, sein Gegner der Amtsrichter H. aus Düffeldorf. Die Forderung lautete auf Biſtolen unter sehr schweren Bedingungen. Amtsrichter H. erhielt einen Schuß in den Unterleib und wurde, da die Verlegung fich als eine lebensge fährliche erwies, noch an demselben Tage nach dem königlichen Klinifum in der Ziegelstraße gebracht, wo er vorgestern verschied. Die militärgerichtliche Untersuchung soll bereits eingeleitet sein; über die Ursache des Duells verlautet nur, daß der betreffende Offizier fich durch Briefe des Amtrichters, die in seine Hände gefallen waren, schwer verlegt gefühlt habe. Von anderer Seite her erhalten wir die folgende allem Anschein nach mit der vorigen in Verbindung stehende Nachricht: Vor
fand und über den oben ausführlich berichtet ist, war gegen sechs Vorstandsmitglieder des Mäntelnäherinnen- Vereins" gestern eine Verhandlung vor dem hiesigen Schöffengericht anberaumt worden. Angeklagt waren 1) Frau Büge, 2) Frau Krankemann, 3) Fräulein Ottilie, 4) Fräulein Wabnig, 5) Fräulein Schulz und 6) Fräulein Breckenfelder des Vergehens gegen das Vereinsgefet, nämlich als Vorsteher eines Vereins, der bezweckt, politische Gegenstände zu erörtern, Frauens personen aufgenommen und mit anderen ähnlichen Vereinen in Verbindung getreten zu sein. Der Vor figende des Gerichtshofes, Amtsgerichtsrath Bardistus, gab eine sehr ausführliche Darstellung des Inhalts der Anklage, aus der folgendes mitgetheilt sein möge. Der Fachverein der Berliner Mäntelnäherinnen wurde am 26. Januar 1886 gegründet und am 28. Mai d. J. nach viermonatlichem Bestehen polizeilich ge schlossen. Die Leitung des Vereins lag in Händen von elf Personen und als Zweck des Vereins war im Statut die Re gelung der Arbeits- und Lohnverhältniffe der Mäntelnäherinnen und die Bildung eines unentgeltlichen Arbeitsnachweises unter Anderm bezeichnet. Die Abhaltung öffentlicher Versammlungen, an denen Kaufleuten und Schneidern der Branche theilzunehmen gestattet war, sah das Statut ausdrücklich vor; auch bestand das Bureau dieser Verfammlungen ausnahmslos aus Vorstandsmitgliedern. Es sollen nun in verschiedenen dieser öffentlichen Versammlungen Gegen stände politischer Natur erörtert werden sein; so der Normalarbeitstag, die gefeßliche Sonntagsruhe. Am 12. Februar kri tifirte der Reichstagsabgeordnete Rödiger die Bestrebungen der Innnung und empfahl eine feste Organisation; am 6. April forderte Frau Büge zum Abonnement auf die stark sozialistische" Staatsbürgerin", redigirt von Frau Guillaume- Schack, auf. Auch diese beiden Thatsachen steht die Anklage als belastend an. Sie zieht den Schluß, daß die soziale Frage" im Verein zur Erörterung gekommen sei, der wichtigste Gegenstand der innerern Politit". Aus den Untersuchungsaften gegen den Verein zur Vertretung der Intereffen der Arbeiterinnen" wird dann weiter gefolgert, daß dieser Verein ebenfalls politischer Natur gewesen fei und dann aus der beschlagnahmten Korrespondenz der Frau Büge der Beweis unternommen, daß eine Verbindung zwischen beiden Vereinen bestanden habe. Unterstüßt wird diese Bes hauptung durch den Hinweis darauf, daß Fräulein Wabnik, die zur zweiten Vorsitzenden des Mäntelnäherinnen Vereins gewählt worden sei, gleichzeitig noch dem anderen genannten Verein als Mitglied angehört habe. So weit die Anklage. Der Vorsitzende theilte nun mit, daß die erste Ferienstraffammer die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Schöffengericht überwiesen habe, trotzdem die Staatsanwaltschaft selbst die Verhandlung an die Straffammer zu verweisen beantragt hatte, da fie die Schließung des Vereins" zu beantragen gedente. Diefen Antrag nahm in der gestrigen Verhandlung der Staatsanwalt wieder auf und er reichte auch, obwohl der Vertheidiger widersprach, daß das Schöffengericht sich für unzuständig erklärte. So wird die Sache vor einer Straffammer demnächst zur Verhandlung tommen.
Rangirt ein Stiefvater unter den Begriff Eltern"? Diese unseres Wissens bisher noch nicht an maßgebendster juristischer Stelle zur Erörterung gelangte Frage beschäftigte am Donnerstag anläßlich eines konkreten Falles den Straffenat des Kammergerichts in der Revisionsinstanz. In einem Dorfe der Provinz Posen waren nämlich zahlreiche Einwohner wegen Nicht anhaltung ihrer Kinder zum Schulbesuch angeklagt und bis auf die darunter befindlichen Stiefväter auch von der Straffammer zu Posen verurtheilt worden. Für die Freisprechung der Stie väter hatte die Straffammer geltend gemacht, daߧ 48 Tit. 12 Thl. 1 A. L.-R. nur die nachlässigen Eltern", welche ihre Kinder nicht zum Schulbesuch anhalten, verantwortlich mache, und daß es fich hiernach darum frage, ob darunter auch Stief= eltern zu verstehen seien. Eine präzise Bestimmung darüber existire nicht, und auch die Kabinetsordre vom 14. Mai 1825 spreche nur von Eltern und deren gefeßlichen Vers tretern". Da aber dem Stiefvater eine gefeßliche Einwirkung auf die Erziehung der Kinder nicht zustehe, so falle er auch nicht unter den Begriff„ Eltern". Die Staats anwaltschaft legte hiergegen Revision bei dem Kammergericht als höchstem Landesgerichtshof ein, doch beantragte die Oberstaatsanwaltschaft selbst zurückweisung. Bei der Frage, wie der Stiefvater unterzubringen sei, müsse man die Vormundschaftsordnung in Betracht nehmen, wonach nach dem Tode des Vaters die Mutter unter Aufsicht des Vormunds die Er ziehung übernehmen solle. Es habe also nur Mutter oder Vors mund, nicht aber der Stiefvater ein elternliches Recht gegen über dem Stieffinde. Das Kammergericht erkannte hierauf auf Burückweisung der Revision. Das Gesetz lege so wurde ausgeführt die Erziehung den Eltern auf und gestehe wederdem Vormund noch dem Stiefvater gleiche Rechte zu. Durch die Vormundschaft übernehme der Vormund nur die Sorge für die Person des Kindes, die Erziehung verbleibe unter seiner Aufsicht der Mutter. Der Stiefvater sei also unverantwortlich und daher seine Bestrafung hier unzulässig. Ein Vormund aber wäre nur dann verantwortlich, wenn er die Vormundschaft von elternlosen Waisen übernommen habe.
gefſtern ſtarb hier der auf einer Reiſe befindliche Amtsrichter Soziales und Arbeiterbewegung.
Emil Hartwich aus Düsseldorf im 44. Lebensjahre. Durch seine Befürwortung des Turnens, der Jugendspiele u. s. w. hat er sich in den letzten Jahren in der Deffentlichkeit sehr befannt gemacht."
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Polizei Bericht. Am 2. d. M. Nachmittags wurde ein Mann, anscheinend betrunken, im Flur des Hauses Mariannenstraße 23 liegend vorgefunden. Er sollte nach der Polizeiwache gebracht werden, starb jedoch auf dem Wege dahin. Die Leiche wurde nach dem Leichenschauhause gebracht. Um dieselbe Zeit Um dieselbe Zeit wurde der Arbeiter Richter aus Rirdorf in der Friedenstraße frant auf dem Bürgersteig liegend vorgefunden und nach der nächsten Polizeiwache gebracht, wo er bald nach seinem Eintreffen starb. Ebenfalls am Nachmittag erschoß sich im Thier garten auf dem Spielplatz an der Friedens- Allee eine unbekannte etwa 25 Jahre alte Frauensperson mittelst eines Revolvers. In der folgenden Nacht gegen 12 Uhr brachte sich ein etwa 24 Jahre alter Mann, anscheinend Arbeiter, auf demselben Blazz in selbstmörderischer Absicht mit einem Revolver einen Schuß in den Kopf bei. Er wurde noch lebend nach der Charitee gebracht.
Gerichts- Zeitung.
Aus Anlaß der Spremberger Krawalle wird uns aus Cottbus noch nachträglich geschrieben: Es könnte auffallend er scheinen, daß der Zuhörerraum in dem famosen Spremberger Krawallprozeß zumeist leer mar. Dieser Umstand ist jedoch feineswegs auf die Gleichgiltigkeit der hiesigen Arbeiterbevölke rung zurückzuführen, sondern dem Umstande zuzuschreiben, daß den Arbeitern in den meisten Fällen die Eintrittskarten verweigert wurden. Gleich am ersten Verhandlungstage, am 8. November, machten eine Anzahl Arbeiter den Versuch, in den Zuhörerraum zu kommen, sie wurden jedoch von den am Eingange des Gerichtsgebäudes postirten Gendarmen zurückgewiesen, weil sie feine Eintrittskarten hatten.( Wir wollen hierbei nur bemerken, daß eine Anzahl Berliner Zeitungen einen Berichterstatter der Unwahrheit ziehen, als er meldete, daß vor dem Gerichtsgebäude eine Anzahl Leute vor dem Gerichtsgebäude versammelt waren, die vergeblich um Eintritt in den Gerichtssaal baten. Die Redaktion.)
+ Neben dem großen Arbeiterinnen- Prozeß gegen vier Vorstandsmitglieder des Vereins zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen", der gestern im großen Echwurgerichtssaal
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Die Noth im Osten Londons . Die Dezember- Nummer des Fornightly Review" enthält unter dem Titel: Auswurf Londons " aus der Feder des mit den Verhältnissen vertrauten Geistlichen Reanest eine Schilderung des grenzen losen Elends im Ostende der Riesenstadt. Von den 800 000 Einwohnern dieses Stadttheils wohnen nur etwa 180 Familien in Privathäusern, für welche 60 Pfd. Sterl. Miethe jährlich gezahlt wird. Der Hunger kommt als Erbtheil vom Vater auf den Sohn. Der Knabe im Ostende bildet einen ganz anderen Schlag, als in den übrigen Stadttheilen. Frauen arbeiten für d( 1s 1 Mart, 1 d= 8 Pfennige) die Stunde, 12, 14 oder 16 Stunden den Tag. Hemden werden genäht für d das Stück, flanellene Unterhosen für die Invaliden von Chelsea für 1s 3d pro Dußend, Gamaschen für Soldaten zu 2s das Duzend. Das Elend im Ostende ist nicht vorübergehend, es ist chronisch, es beruht, wie ein Mansion- House- Bericht sagt, in den ökonomischen Bedingungen. Die Leute kämpfen dagegen, aber es ist ein Kampf mit dem Schicksal. Dann häuft sich in dieser Armenstadt der Abschaum Londons". Dieses Jahr ist das Hopfen- und Obstpflücken schlechter gegangen und ist daher der Sommer keine Zeit der Erholung gewesen. Die Berichte der Armenpfleger scheinen zu ergeben, daß das Elend diefes Jahr nicht ungewöhnlich groß ist, aber nur dem Scheine nach, da das Armengefes iezt mit größerer Schärfe gehandhakt wird."
Das neue Arbeiterschutzgesek in Frankreich und das geltende Recht in Deutschland . Der französische Handels minister hat, wie wir meldeten, vor einigen Tagen der Deputirtenkammer einen Gesezentwurf zur Regelung der Kinder, Mädchen und Frauenarbeit in den Fabriken überreicht, dessen Bestimmungen auch für uns von großem Interesse sind und zu einem Vergleiche mit den in Deutschland geltenden Vorschriften zwingen. Durch ein Gesets von 1874 war in Frankreich bestimmt, daß Kinder unter 12 Jahren nicht in Fabriken arbeiten durften, nur in gewiffen Industriezweigen fonnten unter der Bedingung, daß sie nicht länger als sechs Stunden täglich beschäftigt würden, auch Kin der zwischen 10 und 12 Jahren arbeiten. In Zukunft will die französische Regierung alle Kinder unter 13 Jahren von der Fabritarbeit ausschließen. Die deutsche Gesetzgebung
schreibt vor, daß Kinder unter 12 Jahren überhaupt nicht, solche zwischen 12 und 14 Jahren nur bis sechs Stunden täg