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sprochen; dadurch könne der Gang der Dinge nicht beeinflußt werden und die Reise der Deputation fönne nur insofern nüßlich sein, als die Regierungen in die Lage kommen, sich über die Anschauungen und Wünsche der Bulgaren zu informiren und die Bulgaren Gelegenheit erhalten, die Dispositionen der Kabinete und das allseitige Friedensbedürfniß Europas fennen zu lernen, wodurch in Sofia die Anschauungen geklärt und gemäßigt werden dürften. Die Deputation darf eines freundlichen Empfanges sicher sein.
Kaum hatte Herr von Freycinet das Kreditbillet von breißig Millionen für Tongling genehmigt in der Tasche, so tommt die Nachricht, daß die Station von Hai- Ninh in der Nähe von Pad- Lung an der chinesischen Grenze von chines fischen Räuberbanden angegriffen worden ist. Daselbst befand sich die französische Grenzfommission und ein Mitglied Derselben wurde getödtet. Die Besagung von Pokoi vertrieb die Räuber und der General Jamont hat eine Expedition gegen dieselben angeordnet. Der Schauplaß der Affäre ist der Often Tongtings, da wo die Grenze fich ans Meer herabzieht. Die Grenztommission hatte also bereits den größten Theil ihrer Arbeit hinter sich, aber gerade hier, in den unwegsamen Gebirgsschluchten und steilufrigen Meeresbuchten häuften sich die Schwierigkeiten. Es ist nicht das erste Mal, daß die Grenztommission angegriffen wurde und Mitglieder verloren hat; es dürfte auch nicht das letzte Mal sein. Die Gegner der Tongtin gerwerbung von rechts und von links beuten natürlich den Vorfall als eine neue Bestätigung ihrer Politik nach Kräften aus, während die Freunde Tonglings darin nur eine jener wenig bedeutenden Bufälle erblicken, auf die man immer gefaßt fein müffe. Die Fronie des Zufalls fügte es, daß Freycinet noch am Tage zuvor zur Begründung des Kreditbegehrens da rauf hinwies, daß Tongling ruhig sei und China fich friedlich verhalte. Es ist jest bewiesen, daß Tongking eben nicht ruhig ist, sonst würden sich eben nicht Banden bilden fönnen, die sogar das Leben einer Regierungskommission gefährden. Was China betrifft, so mag es allerdings offiziell Frieden halten, aber von da bis zu dem guten Willen und zu der Macht, das Ueberziehen von Piraten nach Tongking zu verhindern und überhaupt den Franzosen Unannehmlichkeiten zu ersparen, ist noch ein weiter Weg. Die bitteren Erfahrungen, welche die Franzosen mit ihrem Tongking machen müssen, find also jedenfalls noch nicht zu Ende.
In Paris gilt die Herbeiführung eines Einverständnisses mit England in Betreff des Suezfanals auf Grund der Neutralisation des letteren für so gut wie erzielt und jedenfalls gesichert. In Betreff der Feststellung eines Zeitpunktes für die Räumung Egyptens ist das französische Kabinet enlschlossen, ohne von seinem bekannten Standpunkte in dieser Frage abzugehen, sich der größten Schonung und Rücksichtnahme bei Geltendmachung desselben zu befleißigen und die diesbezüglichen Schritte und Auseinandersetzungen im Einklang mit den freundschaftlichen Beziehungen zum Kabinete von St. James zu erhalten. In diesem Sinne dauert der Ge bankenaustausch zwischen Paris und London in dieser Angelegenheit fort.
Gerichts- Zeitung.
Die Führerinnen der Berliner Arbeiterinnenbewegung wegen Verlegung des Vereins- Gesetzes vor Gericht. Zweiter Tag der Verhandlung.
Präfident Landgerichtsrath Brausewetter eröffnet gegen 9 Uhr Vormittags wiederum die Sißung. Frau Dr. Hoffmann giebt auf Befragen des Präsidenten zu, daß Frau Guil laume- Schack Ehrenpräsidentin des Vereins zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen" gewesen ist.
Es erscheint alsdann als Beuge Abg. Rickert.
Präs. Herr Ridert, standen Sie in irgend einer Beziehung zu dem Arbeiterinnenverein?- Beuge: Nein. Allein, ich glaube, Es war zwischen der zweiten und dritten Lesung des Bolltarifs, da erhielt ich von Frau Dr. Hoffmann eine Einladung, in eine Berliner Arbeiterinnen- Versammlung, in der die vorgeSchlagene Erhöhung des Nähgarnzolls besprochen werden sollte. Da ich erfuhr, daß eine solche Einladung an alle Parteien des Reichstages bis in die Rechte hinein ergangen ist, fo entschloß ich mich, der Einladung Folge zu leisten und for derte noch mehrere Parteifreunde auf, mit mir zu kommen. Bunächst verhielt ich mich ganz passiv in der Versammlung, erit in Folge einer Provokation, d. h. als einige Redner behaupteten, daß die deutschfreifinnige Partei fich für die Nähgarnzollfrage nicht interesfire, meldete ich mich zum Ich sagte: Ich halte es für das verfassungs
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mäßige Recht der Frauen, gegen gegen die Nähgarn- Bollerhöhung, welche die Frauen hauptsächlich intereffire, Protest ein zulegen. Ich wurde mehifach in meiner Rede durch Zurufe, wie" Sozialistengefeg", unterbrochen, so daß es schwer war, fireng bei der Sache zu bleiben. Frau Dr. Hoffmann, die, so weit ich mich erinnere, den Vorfis führte, forderte sowohl mich als auch alle anderen Redner wiederholt auf, nicht auf das politische Gebiet abzuschweifen, sondern streng bei der Sache zu bleiben.
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Präs.: Jedenfalls beschäftigte sich doch diese Versammlung mit einer wirthschaftlich politischen Frage? Rickert: Das dürfte doch zweifelhaft sein, jedenfalls war die Frage der Nähgarn Bollerhöhung teine politische Parteifrage, soviel ich mich erinnere, hat felbst einer unserer größten Gegner, Stöcker gegen die Erhöhung im Reichstage gestimmt.
Präs.: War diese Versammlung eine öffentliche oder eine. Vereinsversammlung?- Beuge: Soviel ich mich erinnere, war es eine öffentliche Bersammlung.
Bräs.: Worin unterscheiden Sie öffentliche von Vereinsver fammlungen?- Beuge: Eine Vereinsversammlung ist eine solche, die von einem ständigen Vorstand berufen wird und in der ein ständiger Vorsitzender ist. Wenn jedoch z. B. die Arbeiterinnen Berlins von einer Privatperson oder einem Komitee zu einer Versammlung eingeladen werden, dann ist dies eine öffentliche Versammlung, wenn auch zufällig die Vorfigende eines Vereins auch in dieser Versammlung den Vorfiß führt.
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Präs. Wurde die Versammlung aufgelöft? Beuge: Die Versammlung, die wohl zur Hälfte aus Männern bestand, war wohl sehr lebhaft, fie wurde aber nicht aufgelöst. Beifigender, Landrichter v. Dechend: Wurde in der Versammlung befchloffen: die gesammelten Eintrittsgelder der Ver einskaffe zu überweisen?- Beuge: Das weiß ich nicht.
Bräs.: Machte es auf Sie den Eindruck als würden die Frauen bestrebt sein, Politik zu treiben, oder als ob es ihnen nur darauf antam, eine Besserung der wirthschaftlichen Verhältnisse anzuftreben?- Beuge: Ich hatte die volle Ueberzeugung,
Lage zu bessern. Ich habe bereits betont, daß die Vorfigende Alles that, um die Politik von der Debatte fern zu Präs. In welcher Weise that sie das? Beuge: Durch
halten.
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Aufforderungen an die verschiedenen Redner. dieser Weise ihre Interessen wahrzunehmen, fortzufahren und Verth.: Hat der Herr Beuge die Frauen aufgefordert, in gegen die Erhöhung des Nähgarnzolles zu protestiren? Beuge: Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich das gethan habe, rung gethan habe, so würde das nur meiner Auffaffung ent sprochen haben. Ich bin heute noch derselben Meinung und würde, wenn ich wieder in diese Lage käme, dieselbe Aeußerung thun. Ich halte es für das verfassungsmäßige Recht, ja für die verfaffungsmäßige Pflicht der Frauen, zu Fragen, in der Nähgarn- Bollerhöhung Stellung zu nehmen.
Der folgende Beuge ist der Abgeordnete Singer. Dieser läßt sich über die Nähgarnzoll Versammlung ähnlich wie der Vorzeuge aus. Er( Beuge) habe nur in öffentlichen versammlungen gesprochen. In der einen habe er über den Nähgarnzoll, in der anderen über den Ackermann'schen Antrag gesprochen. Auf ihn habe es den Einbruck gemacht, daß die Vorstandsdamen das Bestreben gehabt haben, alle Politit von den Versammlungen fern zu halten. Es feien in den Arbeiterinnen Versammlungen Angehörige aller Parteien willkommen gewesen, die ein Herz und ein Ohr für die traurige Lage der Arbeiterinnen hatten.
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Auf Befragen des Vertheidigers giebt der Beuge zu, daß er der Frau Büge gegenüber die Errichtung einer Arbeitsstube für Mäntelnäherinnen in Aussicht gestellt habe. Er sei der Meinung, daß eine solche Institution das geeignetste Mittel sei, um den Mäntelnäherinnen den vollen Ertrag ihrer Arbeit zu gewährleisten. Db er auch mit den Vorstandsmitgliedern des hier angeklagten Vereins über Errichtung einer solchen Arbeitsstube unterhandelt habe, sei ihm nicht erinnerlich.
Es werden alsdann die Polizeioffiziere über die Versamm lungen, denen sie beigewohnt, vernommen.
Lieutenant Schmidt 11 deponirt: In einer Versammlung des Arbeiterinnenvereins hielt der Lieutenant a. D., Schrift steller Guttzeit, einen Vortrag über Kindererziehung. Der Vortragende bemerkte, daß Religion nicht in die Schule gehöre, man müsse die Kinder fich frei entwickeln lassen und es ihnen überlassen, ob fie, wenn fie älter werden, sich einer Religionsgemeinschaft anschließen wollen. Der Klavierarbeiter Julius Kreuz pflichtete dem Vortragenden bei, indem er bemerkte: Die Bibel sei ein veraltetes, ungeeignetes Buch, das nicht in die Familie gehöre. Es sei bedeutend besser, wenn man den Kindern, anstatt der Bibel, Schillers Gedichte kaufe. Frau Fortong trat dieser Auffassung entgegen. Die Religion sei bei der Kindererziehung nicht zu entbehren, die Religion sei die Grundlage aller Sittlichkeit. Frau Stägemann und Fräulein Wabnik bemerkten: Anstatt der vielen Religion sei es besser, den Kin dern Naturwissenschaft zu lehren. Religion sei eine reine Privatsache.
Polizeilieutenant Marquardt deponirt: In einer Vereinsversammlung, die bei Jakobi in der Landsbergerstraße stattfand, habe sich ein Mann zum Worte gemeldet, der eine beliebige Wohnung angab. Da ihm( Zeugen) der Mann verdächtig vortam, so habe er denselben fistiren lassen und festgestellt, daß er foeben aus der Schweiz gekommen war und daß sich in seinem Befiß eine große Anzahl sozialistischer Schriften vorfanden. In dieser Versammlung stand die Thür auf, so daß die in dem anstoßenden Bimmer befindlichen Leute, die aus Sozialdemofraten und jüdischen Geschäftsleuten aus der Landsbergerstraße bestanden, Theilnehmer der Versammlung waren. Soweit ich gesehen habe, haben diese Leute auch zu der Tellersammlung des Vereins beigesteuert. Da der Lärm in dem anstoßenden Bimmer zu groß war, so veranlaßte ich einen Schußmann, die Thür zu schließen. Ein großer Theil dieser Männer fam alsdann in die Versammlung hinein. Angefl. Stägemann: Ich Angell. Stägemann: Ich war in jener Versammlung zweite Vorsigende, ich erinnere mich sehr genau, daß der Herr Lieutenant sagte: Entweder die Männer aus dem anstoßenden Zimmer müssen in die Versammlung eintreten, oder die Thür muß geschlossen werden,- der Herr Lieutenant hat uns fonach die Männer in die Versammlung gebracht.
Polizeilieutenant Marquardt: Ich bestreite, eine solche Aeußerung gethan zu haben. Daß die Männer in die Versammlung eintraten, fonnte ich ja nicht hindern, denn es war eine Versammlung, zu der Männer Zutritt hatten und in der auch Männer das Wort nahmen.
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Verth.: Welche Anhaltspunkte hat der Zeuge dafür, daß die Männer ausschließlich aus Sozialdemokraten und jüdischen Geschäftsleuten aus der Landsbergerstraße bestanden? Beuge: Herr Vertheidiger, ebenso gut, wie Sie wissen, daß die Frauen, die dort fizen, Angeklagte sind, ebenso gut weiß ich, daß die Leute Sozialdemokraten und jüdische Handelsleute waren. ( Heiterkeit im Zuhörerraum.)
Der Präfident ermahnt das Publikum zur Ruhe und bemerkt, daß er im Wiederholungsfalle den Zuhörerraum räumen laffen werde.
Verth. Ich frage den Beugen, ob er mir noch andere Thatsachen, als die soeben bezeichneten für seine Behauptung angeben kann? angeben fann?- Beuge: Herr Präsident, ich weiß nicht, ob ich diese Frage beantworten muß?
Präs.: Diese Frage brauchen Sie nicht zu beantworten, es ist dies nicht eine Frage über Thatsachen, sondern über ein persönliches Urtheil.
Verth. Ich bin nach der Erklärung des Beugen wohl berechtigt zu fragen, woraus er schließt, daß die in der Versammlung anwesenden Männer aus Sozialdemokraten und jüdischen Geschäftsleuten aus der Landsbergerstraße bestanden.
Präs. Herr Vertheidiger, der Zeuge kann doch sehr wohl aus dem Exterieur der Leute und aus erlangter Personenkennt niß schließen, daß die dort versammelten Männer jüdische Handelsleute und Sozialdemokraten gewesen sind.
Verth. Wenn der Beuge eine solche Erklärung abgegeben hätte, dann würde ich mich bescheiden.
Beuge: Ich überwache seit 13 Jahren sozialdemokratische Versammlungen, ich hatte bisweilen 3 Mal wöchentlich in Verfammlungen zu gehen, dadurch habe ich eine genügende Personenkenntniß erlangt.
Frau Ihrer und Frau Dr. Hoffmann behaupten, in Uebereinstimmung mit Frau Stägemann: Die Thür sei eingeklinkt gewesen, da aber im Nebenzimmer soviel Lärm war, so habe der überwachende Polizeioffizier gesagt: Man solle die Männer zum Eintritt in die Versammlung veranlassen, damit der Lärm im Nebenzimmer aufhöre, sonst sei er genöthigt, die Versamm lung aufzulösen.
Polizeilieutenant Marquardt stellt diese Behauptung wiederholt in Abrede.
Der Vertheidiger theilt alsdann mit: Der Minister des Innern habe ihr angefragt, worüber Polizeipräsident v. Richthofen vernommen werden solle. Er habe dem Minister geantwortet: Herr v. Richthofen solle befunden, ob es wahr sei, daß er dem Minister wiederholt über die Berliner Arbeiterinnen= bewegung berichtet und ihm dabei mitgetheilt, daß die Arbeiterinnenbewegung einen ganz harmlosen Charakter habe und daß die Möglichkeit nicht ausgeschlossen sei, daß die ganze Bewegung in das fonservative Fahrwasser kommen werde. Der Herr Minister habe es Herrn Polizeipräsident v. Richthofen nicht gestattet, über diesen Punkt Beugniß abzulegen.
Seitens des Staatsanwalts und des Vertheidigers wird alsdann auf jede weitere Beweisaufnahme verzichtet.
Es nimmt hierauf das Wort zur Schuldfrage: Vertreter der Staatsanwaltschaft, Gerichtsaffeffor Dr. Meyer: Die Be weisaufnahme hat zur Genüge ergeben, daß der Verein zur Vertretung der Intereffen der Arbeiterinnen nicht blos die Befferung der wirthschaftlichen Lage der Frauen im Auge gehabt hat, sondern daß es ihm auch sehr wesentlich darauf anfam, Politit zu treiben. Den Beweis hierfür liefern die Vorträge und Debatten in den verschiedenen Versammlungen. Ich bin der Meinung, daß die öffentlichen Versammlungen mit den Vereins Versammlungen identisch find. Selbst der Abg. Singer bekundet, daß die öffentlichen Versammlungen nichts weiter ge wesen sind als große Vereinsversammlungen. Ich behaupte aber auch, daß der Verein eine bestimmte politische Parteirichtung und zwar die sozialdemokratische verfolgt hat. Dafür spricht der Umstand, daß die verschiedensten sozialdemokratischen Führer in den Versammlungen Vorträge gehalten haben. Es ist nirgends der Beweis erbracht worden, daß die Angeklagten bemüht gewesen find, es zu verhindern, daß die Redner das politische Gebiet berühren und für ihre Parteiprinzipien Propaganda machen. Lediglich der Herr Abgeordnete Rickert hat uns gesagt: die Vorsitzende
fei bemüht gewesen, die Politik aus der Diskussion fern zu halten. Den Punft der Anflage, daß der Verein mit Vereinen gleicher Art in Verbindung gestanden hat, laffe ich fallen, da gegen halte ich es für erwiesen, daß der Verein politische Ge genstände in seinen Versammlungen erörtert hat und daß die Vorstandsmitglieder fich deshalb gegen das Vereinsgesetz ver gangen, indem sie Frauen als Mitglieder aufgenommen haben. Ich beantrage demnach gegen Frau Dr. Hoffmann, Ihrer und Jagert eine Geldstrafe von je 100 M., event. 20 Tage Ge fängniß, gegen Frau Stägemann, die bereits wegen Verlegung des Vereinsgefeßes vorbestraft ist, eine Geldstrafe von 150 M., event. 30 Tage Gefängniß. Ich muß aber auch die Schließung des Vereins beantragen. Einmal rechtfertigt sich dieser Antrag aus dem Umstande, daß eine der Leiterinnen des Vereins, Frau Stägemann, schon einmal wegen Verlegung des Vereinsgefeßes vor bestraft ist, zweitens aus dem§ 16 des Vereinsgefeßes und endlich ist zu berücksichtigen, daß der Verein zweifellos einen sozialdemokratischen Charakter hatte. In einer Versammlung ist auf Befürwortung des Reichstagsabgeordneten Singer eine Resolution gefaßt worden, wonach sich die Vers sammlung mit dem sozialdemokratischen Arbeiterschußgesezentwurf einverstanden erklärte, da nur dadurch das Loos der Arbeiterinnen verbessert werden könnte. Ich halte den Arbeite rinnenverein als eine neue Erscheinung in der gefährlichen sozialdemokratischen Bewegung Deutschlands . Ich glaube, durch Schließung des Vereins dürfte so manchem Mitgliede deffelben, die die Tendenz des Vereins vielleicht nicht kannten, eine Wohl that erwiesen werden.
Vertheidiger, Rechtsanwalt Arthur Stadthagen : Ich bin auf Grund der Beweisaufnahme zu dem Ergebniß gelangt, daß ich nicht nur die kostenlose Freisprechung der Angeklagten bes antragen, sondern auch den Antrag stellen kann, die Schließung des Vereins aufzuheben. Ich habe vollständig den Nachweis vermißt, daß der Verein sich mit politischen Dingen befaßt hat. Daß die öffentlichen Versammlungen mit den Vereinsversamm lungen identisch waren, dafür fehlt ebenfalls der Beweis. Der Herr Staatsanwalt sagte: Herr Singer hat bekundet: die öffentlichen Versammlungen hatten den Charakter von Vereinsversammlungen. Ich habe eine solche Aeußerung von Herrn Singer nicht gehört und bezweifle in der That, daß er sie gethan hat. Aber selbst zugegeben, er hätte es gesagt, dann würde dies auch wenig beweisen, denn Herr Singer ist im Ganzen in zwei öffentlichen Versammlungen gewesen und hat e.ne Vereinsversammlung niemals gesehen. Sein diesbezüg liches Urtheil würde also gar nicht maßgebend sein. Die Ver faffung besagt: alle Preußen find berechtigt, sich friedlich zu versammeln, es ist nicht gesagt, daß Frauen davon ausgeschlossen find. Wenn aber den Frauen dieses Recht zusteht, dann muß man ihnen doch auch gestatten, sich zur Berathung ihrer wirthschaft lichen Intereffen zu versammeln. Der Gesetzgeber kann doch nicht blos den Kaffeeklatsch im Auge gehabt haben. In den Motiven zum Sozialistengeses ist gesagt: alle staatserhaltenden Personen sind verpflichtet, an der Besserung und Hebung unserer wirthschaftlichen Verhältnisse mitzuarbeiten. Man wird doch aber nicht etwa behaupten wollen, daß die Frauen nicht zu den ftaatserhaltenden Leuten gehören. Ich bin der Meinung, die Frauen bilden einen sehr wesentlichen Faktor in der Rubrik der staatserhaltenden Personen. Daß einzelne Vorstandsmitglieder fich im Befit sozialdemokratischer Schriften befunden und daß verschiedene Sozialdemokraten in ihren Versammlungen ge sprochen haben, spricht doch nicht für den sozialdemokratischen Charakter des Vereins. Wir haben gehört, daß die Anhänger aller Parteien in ihren Versammlungen gesprochen haben. Here Hofpred. Stöcker, Frl.Ofiander und der Abg.Rickert haben übereinstimmend bekundet: Auf sie habe es den Eindruck gemacht, daß die Vorstandsmitglieder nur bestrebt gewesen seien, das Loos ihrer Mitschwestern zu bessern, nicht aber Politik zu treiben. Nimmt aber der hohe Gerichtshof an, der Verein habe trotzdem Politik getrieben, dann kann er nicht zu der Ueberzeugung ge langen, daß die Vorstandsmitglieder das Bewußtsein der Strafs barkeit gehabt haben, denn thatsächlich hat die Behörde, außer dem einen Male, wo Frohme einen Vortrag über Schiller hielt, zur Auflösung der Versammlung keine Veranlassung gehabt. Daß man aber selbst in Regierungskreisen nicht der Ansicht ist, daß die Berathung über Sonntagsruhe, Normalarbeitstag u. s. m. politisch ist, geht aus dem Umstande hervor, daß im Jahre 1876 vom Alice Verein ein Frauenkongreß nach Frankfurt a. M. berufen wurde, den die Regierung genehmigte, obwohl ausdrücklich angekündigt war, daß der Kongreß fich mit den erwähnten Fragen beschäftigen wolle. ch glaube demnach nicht, daß etwas, was im Jahre 1876 ftraflos war, im Jahre 1886 als ftrafbar befunden werden wird. Ich beantrage demnach aus voller Ueberzeugung die Freisprechung der Angeklagten und die Wiederfreigabe des Vereins.
Verth. Rechtsanwalt Arnhold, der im legten Moment am Vertheidigertische Plat nimmt, schließt sich in längerer Rede seinem Mitvertheidiger an.
Die Angeklagten, Frau Dr. Hoffmann, Frau Stägemann und Frau Ihrer versichern wiederholt, daß es ihnen fern gelegen habe, Politik zu treiben. Der Gerichtshof möge im Intereffe der vielen nothleidenden Arbeiterinnen von der Schließung des Vereins absehen. Angell. Jagert: Man macht mir zum Vor wurf, daß ich sozialdemokratische Schriften beseffen habe. Ich muß darauf bemerken, daß Bismarck ebenfalls sozialdemokratische Schriften befigt, ohne daß man diesen zur Verantwortung zieht. Herrn Pfeiffer und andere Redner haben wir unterbrochen und ihnen auch zum Theil das Wort entzogen, sobald sie das politische Gebiet berührten. Wenn wir dies nicht immer gethan haben, so ist zu berücksichtigen, daß wir ebenso wie die Herren Polizeilieutenants nur Menschen sind. Ich habe ge sehen, daß auch ein Polizeilieutenant in einer Versammlung einmal geschlafen hat. Ich erwarte von der Gerechtigkeit des hohen Gerichtshofes unsere Freisprechung.
Nach kurzer Berathung verkündet der Präsident, Landge richtsrath Brausewetter: Der Gerichtshof hat der Vertheidigung nicht beitreten fönnen. Der Gerichtshof ist der Meinung, daß der Gesetzgeber bei Abfaffung des Vereinsgefeßes den Zwed verfolgte, Frauen und solche Männer, die noch nicht wahlbe rechtigt sind, von polltischen Versammlungen auszuschließen. Der Gesetzgeber wollte, um politische Versammlungen beffer über wachen laffen zu können, nur wahlberechtigten Personen den Butritt in solche Versammlungen gestatten. Der Gerichtshof hat nun die Ueberzeugung gewonnen, daß in dem Verein Politif ge trieben worden ist. Jede soziale Frage nimmt einen politischen Charakter an, sobald der Versuch gemacht wird, diese Frage auf dem Wege der Gesetzgebung zu ändern, und somit in den Staatsorganismus einzugreifen. Daß dies geschehen, hat die Beweisaufnahme ergeben, ebensoaber auch, das die Verantwortung hierfür die 4 Angeklagten tragen. Daf der Verein mit Vereinen gleicher Art in Verbindung getreten, ist nicht bewiesen worden. Die Angeklagten find deshalb nur wegen des ersten Anklagepunktes zu bestrafen. Bei der Strafbemessung ist in Erwägung gezogen werden, daß Frau Stägemann wegen Verlegung des Vereinsgefeßes schon vorbestraft ist. Es ist deshalb gegen diese Angeklagte auf 100 M. Geldstrafe event. 10 Tage Gefängniß und gegen die drei anderen Angeklagten auf je 60 M. Geldstrafe event. je 6 Tage Gefängniß erkannt worden. Nach§ 16 des Vereins gefeßes steht es dem Gerichtshofe zu, auch gleichzeitig die Schließung des Vereins auszusprechen. Der Gerichtshof ist nun der Ansicht, daß der Verein der Spielball der Sozial demokratie gewesen ist, daß die Sozialdemokraten, nicht ohne Wissen und Willen der Angeklagten, bestrebt geweſen find, mit Hilfe des Vereins die sozialdemokratischen Prinzipien auch in die Familien zu tragen. Es ist deshalb auch auf Schließung des Vereins erkannt worden.