Beilage zum Berliner Volksblatt.
Nr. 285.
6. Sigung vom 4. Dezember, 12 Uhr. Am Tische des Bundesraths Bronsart v. Schellen dorff.
Eingegangen ist der Gesezentwurf betreffend bie Errichtung eines Seminars für orientalische Sprachen.
Die erste Berathung der Militärvorlage wird fortgesetzt.
würde
Abg. Windthors: Meine Freunde und ich erachten es für nöthig, von neuem die Versicherung abzugeben, daß, wenn das Vaterland irgendwie in Gefahr ist, uns fein Opfer zu groß sein wird, seine Selbstständigkeit aufrecht zu halten, wenn sie bedroht sein sollte. Es fann fein Patriot Bedenken haben, alles, was ihm zu Gebote steht, dann herzugeben. Dazu find wir alle bereit, die Wähler und die ganze Bevölkerung, die uns hierher geschickt hat. Ich schicke das voraus, weil auch andere Herren das besonders betont haben und weil es sonst wieder Leute giebt, die uns verdächtigen würden in der alten Art. Ferner: durch das, was ich heute hier sage, will ich weder mir noch meinen Freunden bei der Diskussion und Abstimmung präjudizirt haben. ( Aha! links. Lachen rechts.) Wenn wir etwas Neues be= willigen sollen, so muß es besser motivirt werden als bisher Wesentlich geschehen ist. unsere Stellung nach außen durch eine Festigung des Bündnisses mit Desterreich verstärkt werden können. Wenn, wie es nach den Mittheilungen aus den Delegationen scheint, das Bündniß nur den Inhalt haben sollte, daß Desterreich auf unserer und wir auf seiner Seite stehen sollen, sofern wir die gleichen Intereffen haben, so hätte es für diesen eigentlich selbstverständlichen Sat faum der Formulirung in Paragraphen bedurft; wenn dieses Bündniß nicht eine fräftigere Gestaltung hat oder nicht ge winnen fann, so wird die Zeit fommen, wo wir bedauern, ein so festes Verhältniß zu Desterreich nicht mehr zu haben, wie wir es im Bundestage gehabt haben.( Seiterfeit.) Ich verstehe das Lachen nicht. Ein festes Verhältniß zu Desterreich bietet uns die Garantie eines dauernden europäischen Friedens.( Sehr wahr!) Ohne dieses Bündniß werden wir stete Beunruhigung haben und Schritt für Schritt unsere Bataillone ver= mehren müssen, bis wir am Ende find. Ich glaube das um so mehr, als die Grafen Kalnocky und Andrassy in gleichem Maße den hohen Werth enger Beziehungen Desterreichs zu Deutschland anerkannt haben gegenüber Denjenigen, welche glaubten, daß die neue Entwickelung ein Bündniß für Desterreich nicht aussichtsvoll erscheinen lasse. Es ist ein hohes Verdienst des Kanzlers, uns wieder nahe an Desterreich gebracht zu haben. Das ist ein Beweis, daß er die Verhältniffe richtig wündigt, und ich kann nur wünschen, daß es seiner Thätigkeit gelinge, dieses Bündniß fester zu machen, dann werden wir anderer Mächte, um unsererseits sicher zu fein, nicht bedürfen. Weiteres behalte ich mir für die Kommissionsberathung vor. Wir müssen aber etwas thun, um in ernster Zeit uns ernstlich an unsere Brüder in Desterreich zu erinnern und sie an uns. Ich glaube, daß das beide zum Nachdenken bringen wird. Wenn wir heute 40 000 Mann neu bewilligen, so wird Frankreich noch mehr bewilligen und die Unendliche Schraube ist fertig. Es fragt sich nur, welches Land
tann es am längsten aushalten? Es ist auf die Möglichkeit
gedeutet, daß wir von zwei Seiten angegriffen werden fönnten. Ja, eine solche Armee fönnen wir unter keinen Umständen aufbringen, die zwei Armeen gegenüber sich gewachsen zeigt. Wichtig zur Stärkung unserer Macht ist vor allem auch, daß wir überall im Innern des Landes Frieden haben; und wenn die Regierungen es so eilig haben, noch vor Weihuachten diese Vorlage fertig zu bringen, dann sollte es noch eiliger sein, Frieden im Lande zu machen. Aber statt deffen haben wir an Den Ditmarken des Reiches eine Politif eingeschlagen, welche die Bevölkerung dort auf das Echärffte bedrückt und kränkt. Solche Maßregeln können die Freude am Vaterlande nicht heben, wenn auch natürlich im Kriegsfalle die Leute so wie so unbedingt ihre volle Schuldigkeit thun müssen und werden. Aber auch solche moralischen Momente muß man berücksichtigen zur Stärkung des ganzen Vaterlandes; denn die Zahl der Solbaten allein macht es nicht, sondern auch der Geist, der in den Soldaten lebt, darüber darf sich Niemand täuschen. Meine Herren! Ein Septennat werden wir nicht bewilligen; über eine dreijährige Bewilligung würden wir uns wohl verständigen können. Das Alte, Bestehende wollen wir voll aufrecht erhalten. Neues werden wir nur bewilligen, wenn wir uns in der Kommission überzeugen können, daß es absolut nothwendig ist. Die Frage der zweijährigen
und
ganz
R. C. Ein Gefühl unendlicher Ruhe und Behaglichkeit überkommt den friedliebenden Staatsbürger, wenn er merkt, daß die Gesetzgebungsmaschine mit voller Dampffraft arbeitet. Ueber sein Wohl und Wehe berathen weise Männer, fie zerbrechen sich die mehr oder weniger gelehrten Köpfe darüber, wie dem armen Volke am besten zu helfen sei. In der Leipzigerstraße sind sich augenblicklich fast sämmtliche Parteien darüber einig, daß das nur mit Hilfe einer bedeutend verstärkten Militärmacht geschehen kann. Ein befannter Waffenhändler in Berlin annonzirt ja fortwährend, daß er sich ein Gemeinwesen kaum vorstellen kann, in welchem nicht jeder Mann mindestens einen Revolver bei sich führt. Kein Mann ohne Revolver kein Mann, der nicht Soldat ist, müßte es eigentlich heißen. Glücklicher Weise leben wir natürlich im tiefsten Frieden, unsere Grenznachbarn sind auf uns so gut zu sprechen, wie wir auf diese selbst, und diese wechselseitige Freundschaft beruht auf der sicheren Basis der neuen Repetirgewehre und vorzüglicher Krupp'scher Kanonen. Kann es etwas Dauerhafteres und Achtunggebietenderes auf der Welt geben? Wir glauben es nicht, stimmen aber mit den Leuten überein, welchen es immer noch gleichgiltig war, ob sie mit einem Repetirgewehr oder mit einem Einzellader zum Krüppel geschossen worden. Nun müßte der aber nnfern Reichstag schlecht kennen, der da meint, daß sich diese hohe Körperschaft gegen die Regierung ungalant benehmen würde. Das thut der Reichstag nicht, er wird die passende Gelegenheit, die das bevorstehende Weihnachtsfest bietet, sich nicht entgehen lassen, sondern der Regierung mit der Bewilligung der beiden neuen Armeecorps seine Aufwartung machen. Es steht diesem Beginnen, da der Abgeordnete Richter seine hinlänglich bekannten Einwendungen auch glücklich absolvirt hat, nunmehr nichts Erhebliches mehr im Wege. Inzwischen hat der Winter über Nacht bei uns seinen
Sonntag. den 5. Dezember 1886.
Dienstzeit wird wohl noch näher behandelt werden; ich persön lich bin für dieselbe, ob es aber richtig ist, fie im gegenwärtigen Augenblick einzuführen, das wird noch Gegenstand ernster Erwägungen in der Kommission sein. Ich wünsche durchaus nicht, daß durch plößliche Abänderungen Schwächungen unserer Armee eintreten, mir wollen die Armee stark erhalten. Wir wollen unter allen Umständen alles thun, was nöthig ist, um Deutschland in seinem Rang, Stand und Ansehen zu erhalten, den es heute hat. Gott schüße unser Vaterland und was uns betrifft, so wollen wir nicht ablehnen, was nöthig ist, noch ohne Noth neue Lasten dem Vaterlande auflegen.( Beifall!)
Unter allgemeiner Spannung erhält der Abg. Graf v. Moltke das Wort: Ja, meine Herren, ich möchte Ihnen doch die Vorlage der Regierung recht angelegentlich empfehlen. Man fann es ja beklagen, daß wir genöthigt find, einen großen Theil der Einnahmen des Reiches anstatt auf den Ausbau im Innern, für die Sicherung nach Außen zu verwenden; das wird aber bedingt durch allgemeine Verhältnisse, die wir abzuändern ganz außer Etande find. Meine Herren, ganz Europa starrt in Waffen. Wir mögen uns nach links oder nach rechts wenden, so finden wir unsere Nachbarn in voller Rüstung, in einer Rüstung, die selbst ein reiches Land auf die Dauer nur schwer ertragen fann. Das drängt in Naturnothwendigkeit auf baldige Entscheidungen hin und ist der Grund, weshalb die Regierung schon vor Ablauf des Septennats eine Verstärkung der Armee verlangt. Aus den die Regierungsvorlage begleitenden Motiven ersehen Sie, wie sehr wir hinter den Rüstungen der übrigen Großmächte zurückgeblieben find. Wenn ich recht verstanden habe, so wurde behauptet, daß die Vorlage der Regierung sich nur auf die Friedenspräsenz, nicht auf die Kriegspräsenz, d. h. die Kriegsstärke, bezöge. Meine Herren, die Vorlage for dert allerdings eine Etatserhöhung für gewisse Truppentheile, die nahe der Grenze vielleicht berufen sind, gleich im ersten Augen blick des Krieges in Aftion zu treten. Dadurch wird die Kriegsstärke in feiner Weise vermehrt, es vermindert sich nur die Zahl der nachzusendenden Reſerven; aber die Vorlage fordert ja ausdrücklich und hauptsächlich die Aufstellung neuer Kadres, und die werden allerdings die Kriegsstärke vermehren. Die Kadres von 31 neuen Bataillonen vermehren die Kriegsstärke um 31 000 Mann. Dann hat man auch wieder die zweijährige Dienstzeit in Anregung gebracht. Ja, meine Herren, ich gehe nicht näher darauf ein; die Sache ist früher gründlich besprochen worden. Bei der gegenwärtigen politischen Lage unser ganzes bisheriges Militairsystem über den Haufen zu werfen und neues einzuführen, das würde doch ein bedenkliches Experiment sein. ( Sehr richtig!) Ein unglücklicher Krieg zerstört auch die beste Finanzwirthschaft; die Finanz muß eben durch die Armee gesichert sein. Meine Herren, durch eine Reihe von Jahren schon haben wir uns davon überzeugen können, daß wir eine umfichtige, redliche und sparsame Armeeverwaltung haben.( Sehr richtig!) Auch die jetzt in Rede stehende Vorlage ist wesentlich durch Rücksichten auf Sparsamkeit bestimmt. Man hat darauf ver zichtet, schon im Frieden, wie dies außerordentlich wünschenswerth wäre, alle unsere Geſchüße bespannt zu haben, wie das bei unserem Nachbarn der Fall ist. Die Vermehrung bezieht fich wesentlich auf die Infanterie, als die mindest kostspielige Waffe. Die Hälfte der neu aufzustellenden Bataillone wird bereits bestehenden Regimentern angeschlossen, um die Stäbe für Regimenter zu sparen. Kurz, meine Herren, es ist nicht das militärisch absolut Wünschenswertheste, sondern das finanziell Erreichbare dabei ins Auge gefaßt worden. Und dann, meine Herren, die Forderung, die an das Land gestellt wird fie wird gestellt, um den bisher mühsam aufrecht erhaltenen Frieden in Europa , wenn es möglich ist( hört, hört!) auch ferner noch zu sichern. Ich meine, wenn wir diese Vorlage ablehnen, so involvirt dies eine sehr ernste Verantwortlichkeit, vielleicht für das Elend einer feindlichen Invasion eine Verant wortung, die, von hundert Schultern getragen, dennoch für jeden Einzelnen schwer wiegen muß. Durch große Opfer haben wir erreicht, was alle Deutschen seit Jahren ersehnt haben; wir haben das Reich, wir haben die Einheit Deutschlands . Möchten wir auch die Einigkeit der Deutschen in einer solchen Frage haben, wie sie hier vorliegt! Die ganze Welt weiß, daß wir feine Eroberungen beabsichtigen; mag fie aber auch wissen, daß wir das, was wir haben, erhalten wollen, daß wir dazu entschloffen und gewappnet sind.( Lebhafter Beifall.)
-
Abg. Grillenberger( Soz.): Alle Gründe für diese Vorlage haben wir 1880 und 1874 bei der Forderung des Wenn aber der Umstand, daß ganz Septennats gehört. Europa in Waffen starrt, zu immer weiterer Steigerung der Militärlasten führt, so wäre das geeignetste Mittel dagegen die allgemeine Abrüstung. Dazu gehört nur der gute Wille. Wir
Einzug gehalten. 3war ist er nicht mit seinem weißen Unschuldskleide gekommen, aber mit einem Frost, der auch den Nasen der Nichtalkoholiften eine ganz bedenkliche Färbung verlieh. Draußen, außerhalb der Weichbildgrenze, sigen die Krähen auf den kahlen Bäumen und halten ihre Etatsberathungen ab und reißen ihre Schnäbel auf, als gehörten sie zu den Deutschfreisinnigen. Schließlich sind sie aber auch froh, wenn sie während der bösen Jahreszeit einen Unter schlupf finden. Nach den bekannten und bewährten Bauernregeln soll der Winter diesmal ein ausnehmend strenger werden, und da wäre es denn doch angebracht gewesen, wenn der italienische Doktor Succi noch Berlin getommen wäre und einige Schaustellungen im Hungerleiden gegeben hätte. Man wird nicht fehl gehen mit der Annahme, gegeben hätte. Man wird nicht fehl gehen mit der Annahme, daß er hier auf eine starke Konkurrenz gestoßen wäre, die freilich weniger aus sportlicher Liebhaberei als aus anderen zwingenderen Gründen bei uns in die Mode gekommen ist. Es ist merkwürdig auf dieser schönen Welt eingerichtet. der Andere ohne Geld. Der Eine hungert für Geld Einer erhält für übermäßiges Fasten Unsummen, ein AnEiner erhält für übermäßiges Fasten Unsummen, ein Anderer thut es gratis. Die Gebildeten" intereffiren sich selbstverständlich nur für den Ersteren, das Gros der unfreiwilligen Hungerleider fümmert sie nicht. Es muß immer hin ein seltsames Vergnügen sein, mit gefülltem Magen zusehen zu dürfen, wie lange eigentlich ein Mensch existiren kann, ohne irgend Etwas zu sich zu nehmen. An ähnlichen Barbareien ist unser vorgeschrittenes Jahrhundert übrigens feineswegs arm. Ertrant doch fürzlich vor dicht gefüllten Bänken eines hiesigen Birkus beinahe ein junges Mädchen, welches sich ihr Brot damit verdient, daß sie die doppelte und dreifache Beit unter Wasser bleiben kann, als normaler Mensch aushält. Man spottet und anderer entrüstet sich über die rohen Vergnügungen anderer Wie häufig liest man nicht die AusNationen. brüche einer tugendhaften Seele darüber, daß sich beispielsweise das spanische Volt an Stiertämpfen beluftigt.
-
3. Jahrg.
weisen von vornherein den häufig, aber mit Unrecht uns ges machten Vorwurf zurück, als beabsichtigen wir, das Vaterland wehrlos zu machen. Was zur Aufrechterhaltung unserer Selbstständig feit, zur Schlagfertigkeit der Armee erforderlich ist, das muß beschafft werden. Wir sind aber der Meinung, daß über das nothwendige Maß schon weit hinausgegangen worden ist. Die beständige Vermehrung der Militärlasten muß zu einem allge meinen wirthschaftlichen Krach führen. Die Strömung im Volke ist auch der Vorlage nicht so günstig, wie die Nationalliberalen meinen. und Konservativen Es ist darauf hingewiesen worden, welches Elend eine Invasion über das Land bringen müßte. Es muß natürlich alles gethan werden, um eine solche Invasion abzuhalten; wir sind aber der Meinung, daß wenn sie sonst nicht zu verhindern wäre, auch dieses Mehr von 41 000 Mann sie nicht verhindern wird. Der Sieg, sagt zwar ein bekannter Ausspruch, wird von dem Kriegsgott doch meistens dem gegeben werden, der die meisten Bataillone hat. Das gäbe also der Vorlage Recht. Wir meinen aber, Deutsch land fönnte viel mehr Bataillone haben, als es gegenwärtig befizt, und doch geringere Militärlasten zu tragen haben. Es wird wohl nicht anders gehen, als die Dienstzeit herabzuseßen, und zwar nicht bios auf zwei, sondern auf ein Jahr. Das entspricht freilich den Intereffen der Offizierkreise nicht. Wir haben aber dem gegenüber die Intereffen der arbeitenden Bevölkerung zu vertreten. In der Thronrede ist gesagt, daß die Regierung keine anderen Interessen als die der Nation kenne. Mit den Ausnahmegeseßen und Steuerhöhungen hat sie dafür freilich einen schlechten Beweis geliefert. Das Volf in seiner großen Mehrheit glaubt nicht mehr daran, daß die Intereffen der Regierung und des Volkes identisch sind. Troß der Erklärung des Grafen Moltke wird die zweijährige Dienstzeit in absehbarer Zeit in Deutschland eingeführt werden müssen. Wir unsererseits halten schon die einjährige Dienstzeit für zur Ausbildung ausreichend; und bei Einführung einjähriger Dienstzeit wären wir bereit, eine Mehreinstellung von 50 000, ja von 100 000 Mann zu bewilligen. Es könnten dabei noch Millionen gespart werden, die wir zu anderen Zwecken, zu Schulzwecken, für die Sozialreform u. s. m. verwenden könnten. Gegen die Herabsegung der Dienstzeit aber fich namentlich der Adel, weil dann wehrt Offizierstellen er nothwendig wären; ficht weniger aber in der Armee ein Besoldungsinstitut für das Junkerthum.( Unruhe rechts.) Draußen im Lande, in den Volkskreisen können Sie derartige und noch viel schärfere Aeußerungen jeden Tag hören. Auch jezt wird wieder die günstige Gelegenheit zu Avanzements, die in der Erhöhung der Präsenzziffer liegt, in jenen Kreisen hervorgehoben.( Unruhe rechts.) Die günstigste Gelegenheit dafür ist freilich der Krieg, das ist aber auch die unangenehmste. Ich glaube, daß es noch einmal so weit fommen wird, daß es in Deutschland Offiziere geben wird, die eine Zeit lang in der Armee dienen und dann ohne Pension wieder in das Privatleben zurückkehren.( Heiters feit.) Es wäre sehr zu bedauern, wenn das erst geschähe nach üblen Erfahrungen mit auswärtigen Feinden, wie das schon einmal gegangen ist. Vor ungefähr 80 Jahren ist der damals so und stramm ausgebildete Militärstaat bei Jena nachdem Austerlit zusammengebrochen; da= Preußen mals zu Boden geschmettert war, hat man sich dazu verstehen müssen, das Scharnhorst'sche System, eine Art Milizsystem, einzuführen, um mit diesen Milizsoldaten die mili tärisch ausgebildeten Soldaten Napoleons aus dem Lande herauszubringen.( Widerspruch rechts.) Ich wollte wünschen, daß die Lehre, die Sie bis jetzt aus der Geschichte nicht gezogen haben, Ihnen nicht zu spät kommt. Man sagt, die einjährige Dienstzeit sei unmöglich, man erhalte dabei schlecht ausgebildetes Material, und wenn man davon auch eine Million mehr habe, so sei doch damit dem Staate nicht gedient. Graf Moltke hat aber hier im Reichstage erklärt, in 20 Wochen sei die technische Abrichtung des Soldaten soweit möglich, um ihn kriegstüchtig zu machen. Dann bleiben noch 8 Monate zu der sogen. eigen artigen militärischen Erziehung; da kann der von Ihnen für so nothwendig gehaltene militärische Drill immer noch zur Genüge beigebracht werden. Ich verweise sodann auf das Einjährig Freiwilligensystem. Viele Herren von der Rechten find freilich leine großen Freunde derselben und namentlich nicht der aus den Freiwilligen hervorgegangenen Reserveoffiziere. Das System ist erfun den, um unsere Bourgeoisie nicht unangenehm werden zu lassen. In jenen deutschen Staaten, wo man bis in die 60 er Jahre das Loskaufssystem hatte, würde man sich zur dreijährigen Dienstzeit und zur Abschaffung des Loskaufssystems nicht ver standen haben, wenn man nicht der Bourgeoisie das Aequivalent des einjährigen Dienstes geboten hätte. Also entweder
Es ist die Lust an blutigen Vorgängen, welche eine entartete Masse in die Zuschauerräume treibt,- sagen unsere fentimentalen und empfindsamen Schriftsteller, aber keiner dieser braven Herren genirt sich, mit besonderem Vergnügen den halsbrecherischen Leistungen irgend eines Seiltänzers zuzuschauen und geduldig den Augenblick zu erwarten, bis so ein armer Teufel doch einen Fehltritt thut, der ihm das Leben kostet. Es ist uns bisher noch nicht geInngen, einen thatsächlichen Unterschied zwischen diesen und jenen Vergnügungen festzustellen.
Ueber die Art, sich zu amüsiren, läßt sich ebenso wenig ftreiten, wie über den Geschmack. Mit besonderer Hartnädigkeit halten die Organe, welche Frömmigkeit und ehrbare Sitte verfechten, immer noch an den Schimpfereien über den rohen Pöbel, das gemeine Volf fest. Die hohe Aristokratie war von jeher außerordentlich stark in dieser edlen Eigenschaft, schließlich sind es aber gerade immer Vertreter dieser Raste, welche auf den allerbösartigsten Sünden ertappt werden. In der Wilhelmstraße hat die Sittenpolizei ein Nest ausgehoben, wo man sich, nach den geheimnißvollen Andeutungen zu schließen, auf das Vortrefflichste amüsirt hatte. Edle und erlauchte Herren gaben sich dort Rendezvous, und eine gütige Dame wachte über die Sittenstrenge des Hauses, bis ihr die Sittenpolizei diese Sorge abnahm. Nun hat die Elite der„ Gesellschaft" wieder etwas zum Klatschen, mit Fingern zeigt sie auf die Leute, die thöricht genug waren, sich abfassen zu lassen, und man freut Vor sich, daß man dem drohenden Unheil entwiſcht ist. einiger Zeit hielt man es für passend, auf das sündige London zu schimpfen, wo Geldproßen sich den unnatürlichen Lüften hingaben. Welch' eine an Verrücktheit grenzende Thorheit, einem vernünftigen Menschen einreden zu wollen, unser Prozenthum wäre um ein Haar besser als das englische!