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Sonnakend, den 7. Innnar 1888.
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MerVolksblM. Krgan für die Interessen der Ardeiter.
Hnternnttonnle Sozialpolitik. Wie man hört, hat die schweizerische Bundes- regierung den Entschluß gefaßt, in Sachen einer internationalen Fabrikgesetzgebung aber- mals die Initiative zu ergreifen nnd bei den anderen Mächten vorzuschlagen, daß bezüglich der Fabrikgesetzgebung internationale Verträge abgeschlossen werden, die bezwecken, hinsichtlich 1) des Schutzes minderjähriger Personen, 2) der Beschränkung oer Frauenarbeit, 3) der Sonntagsruhe und 4) des Normalarbeitstages gleichartige ge- schliche Vorschriften zu erzielen. Auch wird der Bundes- rath aufgefordert, der Bundesversammlung einen Gesetz- entwurf vorzulegen, durch welchen die Bestimmungen zum Schutz der Frauen und Kinder, wie sie im Bundesgesetz vom 23. März 1877, betreffend die Arbeit in den Fabriken, ent- halten sind, auch auf weitere Gewerbe, insbesondere auf die
ie Mächte ergehen lassen. Um so mehr anerkennenswerth ist, daß sie trotz des früheren Mißerfolges die Sache abermals in die Hand nimmt und sich durch die Hmderniffe, die einem solchen Beginnen begreiflicher Weise im Wege stehen, nicht ab- schrecken läßt. Die Bedeutung einer internationalen Fabrik- und Ar- beitergesetzgebung hier nochmals auseinandersetzen, hieße Eulen nach Athen tragen. Wir legen einen besonderen Werth auf die Anerkennung dieses Gedankens durch die Re- aierungen, weil dadurch eine Menge von Vorurtheilen be- seitigt werden. Bei dieser Gelegenheit wird sich auch zeigen, wieweit diejenigen auftichtig gewesen sind, die sich bei uns aegen eine spezielle deutsche Fabrikgesetzgebung gesträubt haben mit der Behauptung, eine solche sei unmöglich, un- wirksam und schädlich, so lange nicht in anderen Ländern das Gleiche eingeführt würde. Auch auf dem Parteitag der süddeutschen Demokratie wurde bei einer Pro- arammänderung eine Arbeitergesetzgebung nur in- sofern akzeptirt, als man dieselbe international verlangte. Wir wiffen wohl, was das Verlangen nach einer internationalen Fabrikgesetzgebung bei dieser und bei anderen Gelegenheiten zu beveuten hat. Man glaubt da- mit die Arbeitergesetzgebung überhaupt auf die lange Bank zu schieben, denn man hofft, die Negierungen würden nicht darauf eingehen. Wir werden ja sehen, wieweit die vor- geblichen Freunde einer internationalen Fabrikgesetzgebung die schweizerische Bundesregierung in ihrem Vorgehen unter- stützen werden. Viele, die den Mund vorher sehr vollge- nommen, wird man wahrscheinlich nun gar nicht hören.
Jeuilleton. -[4 (*Bc*«41«»«»«halten.)(Nachdruck»«toten.) Der Erve. Roman von Friedrich Gerstäcker . Leider kränkelte von da ab die Baronin selber un- aufhörlich, und wenn es auch manchmal schien, als ob sie wieder hergestellt werden könne, war das nur immer ein Aufflackern der Lebenskräfte. Benno hatte noch nicht sein viertes Zahr erreicht, als sie ihrer unheilbaren Krank- heit erlag. Nun ist es allerdings ein sehr natürlich Ding, daß Eltern nur zu sehr geneigt sind, das jüngste Kind etwas zu verwöhnen und ihm anscheinend ihre ganze Liebe zuzuwen- den. Das Kleinste ist ja auch immer das Niedlichste und erfordert die meiste Sorge und Pflege, und wir geben uns am liebsten und häufigsten mit ihm ab. Auffallend aber war doch, wie der Vater von dem Augenblick an, rvo er seinen jüngsten Sohn auf dem Arm schaukelte, den Erstgeborenen vernachlässigte und sich fast gar nicht um deffen Erziehung kümmerte. Das züngste und allerdings sehr zarte Kind ließ er fast nicht aus den Augen und wachte
seinen eben nicht glänzenden Anlagen überlasten, ziemlich wild und ungehindert auf. Zur Musik zeigte er entschiedenes Talent, zu weiter nichts, und als die Frage endlich an den Vater herantrat, was einmal aus ihm werden sollte, wurde er in die große Versorgungsanstalt für adelige Kinder, in ein Kadettenhaus gesteckt. Benno, der zweite Sohn, wuchs indessen ebenfalls heran; aber es war in der That nur ein Angstkind und sein kleiner Körper so emplänglich für die geringsten Einflüffe, daß es fast keine gesunde Stunde hatte. Ob man eS vielleicht mit allzu großer Pflege versehen, läßt sich nicht sagen; aber mährend Bruno draußen in Wind und Wetter herumtollte,
Eine auf internationalen Verträgen beruhende Sozialpolitik der einzelnen Staaten würde den industriellen Unternehmern den Einwand nehmen, den sie unaufhörlich wiederholen, daß sie nämlich durch eine strenge Fabrik- und Arbeitergesetzgebung unfähig würden, die Konkurrenz des Auslandes zu bestehen. Dieser Einwand hat für den. der die Dinge nicht kennt, vielleicht etwas Bestechendes, niemals aber für den, der sich etwas genauer umgesehen hat. Wer sich dazu die Mühe nehmen will, der wird finden, daß gerade die deutschen Industriellen am wenigsten Ursache haben, sich über die Konkurrenz des Auslandes zu beschweren. Von den Schutzzöllen, mit denen wir umgeben sind, wollen wir schweigen. Aber die deutschen Industriellen sind diejenigen, welche dem Ausland mit den kleinlichsten und verwerflichsten Mitteln Konkurrenz gemacht haben und noch machen, wennschon sie hoch empört waren, als Herr Reu- l e a u x über ihre Waaren das berühmte Urtheil von„Billig und schlecht!" fällte. In der That haben sie nicht konkurrirt durch die Qualität der Waaren im Allgemeinen. Sie haben die schlechtesten Löhne gezahlt und haben die längste Arbeitszeit eingeführt; sie haben am meisten Frauen und Kinder in die Industrie hereingezogen und haben so die Produktionskosten auf eminente Weise zu verringern verstanden. Sie steigerten ihren Unternehmergewinn, aber sie schwächten die Konsum- tionsfähigkeit der Masten und vermehrten die Arbeitslosig- keit. Die Rückwirkungen des Zustandes, den sie einführten, waren und sind jene akuten und kronifchen Geschäfts- und Handelskrisen, denen Europa nun schon so lange unter- warfen ist und die gar nicht mehr verschwinden wollen. Der Egoismus, die Sucht nach hohem Unternehmergewinne, macht unsere Industriellen blind. Sonst würden sie nicht in der bisherigen Weise fortfahren, und würden mit Freuden jede Anregung zu einer inter - nationalen Sozialpolitik begrüßen. Denn einem hellsehenden Menschen kann nichts verderblicher erscheinen als die totale Anarchie, die unsere sozialökonomischen Zustände ergriffen hat, der Mangel jeder festen Gestaltung und Regelung innerhalb derselben. Da giebt es keinen Anhalt, keinen Schutz für den Schwachen; wer in dem großen Gedränge fällt, wird rücksichtslos zertreten. Wie die Regierungen der lobenswerthen Znitiative der Schweizer begegnen werden, darüber läßt sich zur Zeit garnichts sagen. Wir möchten nur wünschen, daß von dem Eifer, den die schweizer Bundesregierung für diese gute Sache entwickelt, sich auf die übrigen Regierungen ein Stück übertragen möge. Vor allen Dingen aber möge man, wenn man die
öffentliche Meinung in diesen Dingen berücksichtigen will und das ist unseres Erachtens der einzig richtige Weg— den Läem, den die Großindustriellen erheben werden, nicht wenn er einmal nach Hause kam, des Vaters wildeste Pferde ritt, oder Nächte durch draußen im Wald auf dem Anstände lag, mußte Benno wie ein rohes Ei vor jedem rauhen Luft- zug gehütet werden. Merkwürdig stach außerdem Benno's zarter, von licht- blauen Adern durchzogener Teint, das bleiche Antlitz mit den großen, dunkeln Augen und den wirklich edlenZügen gegen das kräftige, sonnenverbrannte Gesicht des Bruders ab, der außerdem noch blaue Augen und eine etwas stumpfe Nase hatte. Die beiden Brüder sahen sich überhaupt gar nicht ähnlich, wenn sie sich auch herzlich lieb hatten, und waren auch in ihren Neigungen ganz verschieden. Bruno fand weniger Freude am Soldatenstande als an der Oekonomie, für welche er schon von früher Jugend an eine Vorliebe zeigte. Benno dagegen, vielleicht auch durch seinen kränklichen Körper darauf angewiesen, warf sich mit größer Liebe auf die Wiffenschaften, und darunter besonders auf physikalische und mathematische Werke. Er schien
lassen hatte. So wuchsen die Brüder heran, und der Zeitpunkt war schon auf wenige Monate, ja fast auf Wochen nahe gerückt, wo Bruno, als der älteste Sohn oder Erstgeborene, die in- deffen durch Zins und Zinseszins bedeutend angewachsene Erbschaft erheben sollte. Es schien ja auch allen Bedingungen genügt, und Vater und Sohn wünschten den Tag sehnlichst herbei, denn beide hatten nicht gering auf ihn gesündigt. Du lieber Gott, wie viel Geld braucht denn nicht allein ein adeliger Lieutenant, wenn er auf der Welt nichts weiter zu thun hat, als einen alten Namen zu repräsentiren! Benno's Zustand verschlimmerte sich dagegen mit jedem Tage, und wenn man gehofft hatte, daß er in einem mehr reifen Alter die Kränklichkeitskeime abschütteln würde, so
Charakter anzunehmen.
mit der öffentlichen Meinung überhaupt verwechseln, wie leider schon zu oft und zu leicht geschehen ist. In solchen Dingen kommt es viel weniger darauf an, was die Herren Geheimen- und Kommerzienräthe sagen, als was das Volk selber sagt, gerade jenes arbeitende Volk, zu deffen Schutze doch die Regierungen gemeinsame Maßregeln ver- abreden sollen, und welche Schutzmaßregeln sehr häufig gegen dieselben Kommerzienräthe zu richten sind, die sie mit Hochwohlweiser Miene als„undurchführ- bar" bezeichnen. Man wird vom Volke leicht Auskunft be- kommen können über die Dinge, durch die es sich am meisten bedrückt fühlt. Leider, fürchten wir, wird die Anregung der schweizeri- schien Regierung auch diesmal von wenig Erfolg sein. Man ist ja bestrebt, die Völker und Staaten in eme noch nie dagewesene Waffenrüstung einzukleiden— wo bliebe den Staatsmännern da Zeit, sich um internationale Arbeiter- gesetzgebung zu lümmern? Sollten wir mit unserem Pessimismus uns täuschen, so wäre uns das sehr angenehm!_ Tngmak-Korresponäenzen. Leipzig , den 5. Januar. Die sächsischen Amts- und Kartellblätter schreien Zetermordio, weil die Dresdener Sozial- demokraten verschiedene Geschäftsleute, die im politischen Kampf und namentlich bei der letzten Reichstagswahl sich gegen die Arbeiterpartei besonders unanständig benahmen,„geboyconet"
haben oder geboycottet haben sollen— denn ich weiß nicht, ob es wahr ist. Wenn es aber wahr ist— welches Recht haben die Kartellbrüder, sich zu entrüsten. Es ist die Geschichte vom Wolf und dem Lamm— nur mit dem Unterschied, daß in unserem Fall das Lamm nicht ganz wehrlos ist und zum mindestens ebenso gute Waffen hat, wie der Wolf. Das Boycotten der politschen Gegner ist etne Er- findung der sächsischen Kartellbrüder und wird von ihnen seit Jahren— denn in Sachsen ist das Kartell be- kanntlich schon ziemlich alt— in rücksichtslosester Weise und ausgedehntestem Umfange ausgeübt. Diejenigen Fabriken und Werkstätten, deren Inhaber den Arbeitern, die nicht für Kartellbrüder stimmen würden, die Entlassung nicht androhten, und diejenigen Arbeiter, bei denen es ermittelt wurde, nicht auch thatsächlich entließen, sind in Sachsen seltene Ausnahmen. Es ist Regel unter den Kartellbrüdern, jeden unabhängig denkenden Menschen, der nicht in ihr Horn bläst, wirthschaftlich zu Grunde zu richten und auch gesellschaftlich zu boycotten. Ich bin im Stande, mit Dutzenden von krassen Beispielm zu dienen und will aus der Masse blos ein einziges herausgreifen, auf das ich früher schon aufmerksam machte. An der Wurzener landwirthschaflichen Schule war ein Lehrer angestellt, welcher sich durch sein strebsames Wesen ebenso sehr auszeichnete, wie durch Pflichttreue und Tüchtigkeit. Sein Vater und selbst die Tante, oder das„gnädige
Fräulein", wie sie im Schlosse genannt wurde, pflegten ihn allerdings nach besten Kräften und thaten, was fie ihm nur an den Augen absehen konnten, aber Benno erwiderte die Liebe kaum, die sie ihm entgegenbrachten. Des Vaters hastiger, unruhiger Charakter sagte dem kranken Knaben nicht zu, und die Tante nun auf der Welt, ihn vielleicht liches Wort gönnte, vermochte wöhnen.
gar, die keinem Menschen ausgenommen, ein freund- nicht, ihn an sich zu ge-
Die Einzige im ganzen öden Schlosse, bei deren Erscheinen ein Lächeln seine Züge überflog, und der er traurig nach- sah, wenn sie ging, war ein junges Mädchen, eine weit- läusige Verwandte, die seine Mutter noch als kleines Kind zu sich genommen und der jetzt seine Hauptpflege übergeben worden. Kathinka von Stromsee, in ziemlich gleichem Alter mit Benno, dem jüngsten Sohne, war eigentlich deffen Kousine, wenn auch die Familie Wendelsheim nie etwas von der Verwandtschaft wissen wollte. Ein Neffe deS alten Barons, der Sohn seiner älteren, längst verstorbenen Schwester, ein von Stromsee, hatte nämlich den furchtbaren Mißgriff bc» gangen, mit selbst keinem Vermögen, ein blutarmes, bürger- liches Mädchen zu Heirathen, welcher Mesalliance dann glücklicherweise nur diese einzige Tochter entsproß. Die beiden Eltern starben auch bald nachher, und Frau von Mendels- heim setzte es gegen ihre Schwägerin durch, die Waise in ihre Familie aufzunehmen. Fräulein von Wendelsheim war aber vom ersten Augen- blick an gegen das Kind gewesen und würde ihren Bruder nach der Baronin Tode sicher bewogen haben, die Kleine wieder fortzuthun, wenn sich nicht Benno so sehr an sie gewöhnt hätte. Er war unglücklich, sobald er die kleine Spie' fährtin nur auf eine Sekunde missen sollte, und der selber, der Alles für den Knaben that, duldete deshalv mcyr, daß sie aus dem Hause gestoßen wurde. Er blieb auch ziemlich gut mit ihr, aber Kathinka konnte sich dagegen nicht rühmen, je nur einen freundlichen Blick von der Tante gesehen zu haben, die. fie von Gruud aus zu Haffen schien, und doch hatte ihr das Kind