Nr. IS.Kotmabend, de« 14. Jannar 1888.5 Jahrg.SerliurVMW.Drgan für die Interessen der Arbeiter.Die Ueberschüffe der großenUnion.Herr C l e v e l a n d, der Präsident der VereinigtenStaaten von Nordamerika, hat Kourage, das muß man ihmlassen. Er hat sich in seiner jüngsten Botschaft ganz ent-schieden für Herabsetzung der Schutzzölle aus-gesprochen, obschon er wußte, in welches Wespennest erdamit stechen würde.Wir haben uns jüngst schon über die Kurzsichtigkeitder Bankees ausgesprochen, die nicht wisien, was sie mitden im Schatzamte sich ansammelnden Ueberschüsien an-fangen sollen. Die Ideenlosigkeit der Bourgeoisie ist hübenund drüben die gleiche. Das Auskunftsmittel des HerrnCleveland ist nur ein zeitweiliges. Dennoch ist es geeignet,eine Menge von Fragen in den Vordergrund zu schiebenund alte, anscheinend erloschene Leidenschaften wieder aufflammen zu lasten.Man weiß, daß die republikanische Partei in den Ver-einigten Staaten eine schutzzöllnerische, die demokratische einesreihändlerische Tendenz hat. Dieser Gegensatz war es auch,der einst diese Parteien zu blutigen Schlachten gegen ein-ander trieb. Die Sklavenftage gab nur den äußerlichenAnlaß zu dem großen Sezessionskriege der sechSziaer Zahreund erwarb dem Norden die Sympathie aller Menschen-fteunde; in Wahrheit aber kämpften damals dieIndustriellen des Nordens um ihre Schutzzölle gegen dieSklavenbarone des Südens. Der Norden glaubte ohneSchutzzölle mit seiner damals noch jungen Industrie unter-gehen zu müsten, während die Sklavenbarone des Südensrm Zntereste ihrer Baumwollproduktion für eine entschiedeneFreihaudelSpolitik eintraten. Der mit so großer Erbitterunggeführte Kampf fiel zu Gunsten der Schutzzöllner desNorden» aus.An diesen alten Konflikt zu rühren erfordert etwasKühnheit, die der Herr Clevelanv zu besitzen scheint. Son-derbar ist der Gegenvorschlag, den Herr Blaine, dereinflußreichste Führer der republikanischen Partei, gemachthat. Auch Herr Blaine sieht in dem Anhäufen großerUeberschüste eine Gefahr für das Land, aber was schlägter vor? Er will die Ueberschüste aus den Staatseinnahmenfür reichliche Pensionen, sodannaber für K ü st e n-befestijjungen und für eine Kriegsflotte ver-wendet wlsten!Was die Pensionen betrifft, so sind dieselben unseresWistens in den Vereinigten Staaten nun reichlich genug;wen» wir recht berichtet sind, so übersteigen sie denganzen Heereietat des Deutschen Reichs. Auf diesem Ge-biete wäre also nicht viel mehr zu leisten, wenn mannicht zur finnlosen Verschwendung gelangen will.Jeuilleton.fH«««cht, nrttlaltai)[10cNachdr»« o ertöten)Der Erve.Roman von Friedrich Gerstäcker.„Das ist erklärlich," nickte der Staatsanwalt leise vori sich hin,„und kommt auch wohl eigentlich nichts darauf an;«ber Sie meinten vorher, Frau Meier, daß Todte nicht' � wieder lebendig werden könnten. Was wollten Sie eigentlichdamit sagen?"„Von Tobten habe ich nichts gesprochen," sagte dieFrau zurückhaltend.„Doch, Frau Meier," nickte der Staatsanwalt;„aber«s ist zu leicht denkbar, daß in einer so aufgeregten Zeitmanche« von den Leuten nur so obenhin gesprochen and ver-muthet wird, ohne daß irgend ein fester Beweis dafür zuGrunde liegt. Wahrscheinlich bezieht sich das, was Siefogten, auch nur auf derartige Lermuthungen. ErinnernP4 vielleicht noch einiger der damals gehenden Ge-rüchke? Aber," setzte er hinzu, als er sah, daß dieFrau noch unschlüssig schwieg,„es ist seitdem eine langeZelt vergangen und viel Waster den Berg hinabgelaufen;ei wäre kein Wunder, wenn Sie eS vergesten hätten, undkommt auch eigentlich nichts darauf an, aber emen Grundmüstc» dl« Leute doch damals für ihre Behauptung gehabthaben."„Für welche denn?" sagte die Frau, die dem Gedanken-gang nicht folaen konnte.„Nun dafür," meinte Witte ruhig,„daß sie glaubten,der Mann, der das Kmd umgetauscht, habe das ihm über-lieferte, also wahrscheinlich ein Mädchen, umgebracht."Die Frau sah ihn bestürzt an. Hatte sie denn dasselber schon gesagt, oder war das dem Manne mit derhohe«, kahlen Stlrn und den weißen Haaren selber so vor-gekommen?„34 weiß es nicht," sagte sie endlich, durch das vieleWas die anderen Forderungen betrifft, so kann manbillig darüber erstaunen. Wenn in Frankreich der Mili-tarismus dominirt und die Finanzen des Landes darniederdrückt, so können wir uns das aus der geographischen Lagedes Landes und aus den politischen Verhältnisten Europasüberhaupt erklären, wenn die kleine Schweiz anfängt, nachund nach so etwas wie ein Militärstaat zu werden, so giebtes dafür die gleiche Erklärung. Aber das meerumschlosteneEngland hat sich in das allgemeine Rüstungsfieber noch nichthineinreißen lasten; es fühlt sich geschützt durch seine isolirteLage. Um wie viel mehr sind die Vereinigten Staatenvon Europa's Kontinent, diesem Brennpunkt der Kriegs-gefahr, entfernt! Fürchtet denn Herr Blaine einenEinfall irgend einer europäischen Macht in dasTerritorium der Vereinigten Staaten? So vielwir wissen, leben die Vereinigten Staaten mit allen euro-päischen Mächten in bestem Einvernehmen und es ist nichtanzunehmen, daß dies Verhältniß muthwillig gestört werdensollte. Wer sollte ein Interesse daran haben, die großeRepublik auf ihrem eigenen Gebiete anzugreifen? Derletzte abenteuerliche Versuch, der von Europa aus in ähn-lichcr Richtung gemacht wurde, war die EinmischungNapoleons III. in die inneren Verhältniste vonMexiko. Nun, sogar Mexiko, dieses von Parteiungenzerfleischte und unter durchaus ungeordneten Verhältnisienbefindliche Land vermochte aus eigener Kraft den Eingriffdes Imperators zurückzuweisen und seine Selbstständigkeitzu behaupten und zu garantiren. Die Erfahrungen, die manmit Mexiko gemacht, werden immer als warnendes Exempelgegen ähnliche abenteuerliche Versuche dienen. Umsomehrwird man sich hüten, ein so gewaltiges und wehrkräftigesGemeinwesen wie die Vereinigten Staaten es sind, miteinem feindlichen Einfall heimzusuchen.Unter diesen Umständen hat em Blatt recht, wenn eSbehauptet, die republikanischen Parteiführer scheinen dieMäste ihrer Parteigenossen für unzurechnungsfähig zuhalten.Aber auch Herrn Clevelands Gedanke will an undfür sich nicht viel heißen. Wenn das nordamerikanischeProhibiitivsystem gemildert und die Zölle herabgesetzt werden,so beweist das, daß die nordamerikanische Industrie erstarktist und sich vor der europäischen Konkurrenz immer wenigerzu fürchten braucht. Unserer Meinung nach ist die Zeitüberhaupt nicht mehr fern, wo die nordamerikanische Industrievon der siegreichen Abwehr zum Angriff übergeht undschwerbewaffnet auf den Märkten Europas erscheint. An-zeichen dafür sind genug vorhanden; vorläufig konkurrirtdie nordamerikanische Industrie nur mit einzelnen Artikeln;dann aber wird sie als Ganzes erscheinen und zu einemSystem übergehen. Eine völlige Umwälzung unserer Han-dels- und Produktionsverhältnisse wird dem folgen. WirFragen ganz verwirrt gemacht,„die Leute reden viel. Ge-sprachen wurde allerdings davon, die damalige Wirthschas-terin hatte ein böses Mundwerk und sagte immer mehr, alssie verantworten konnte."„Und die meinte es auch?"„Ganz ähnlich so wenigstens," nickte die Frau;„aberich habe von Anfang an dagegen gesprochen und glaub'sauch nicht bis auf den heutigen Tag, denn dazu kann eineMutter nicht ihr Kind hergeben und ein anderes annehmenund so lieb haben, wie die gnädige Frau den Jungen ge-habt hat. Sie küßte ihn nur immer in einem fort undließ ihn gar nicht aus den Augen, so lange sie ihn nureben hüten konnte, und der Baron selber wußte nicht vorlauter Freude, was er angeben wollte. Der freilich hättesich auch nichts Besseres wünschen können; denn daß er mitoem Knaben eine große Erbschaft machte, war ja schon da-mals überall bekannt."Die Frau war in Zug gekommen, und Witte hütetesich wohl, sie darin zu stören. Nur erst als sieschwieg, sagte er, aber auch mehr zum Major gewandt, alszu ihr:„Ganz richtig ist die Sache keineswegs gewesen, davonbin ich ebenfalls überzeugt; aber die Frau Meier hat ganzRecht: es ist Gras darüber gewachsen, und Alles, was sieuns da erzählt hat, weiter nichts, als was sich ein paarMonate nach der Entbindung eben die ganze Stadt heimlicherzählte, ohne irgend etwas beweisen zu können. Nur nochEins, Frau Meier. Sie erwähnten vorhin einer Warteftau,die allein bei dem Kinde geblieben, als die Frau Heßbergerfortging. Lebt die noch und wo ist sie?"„Ja, dieser," sagte die Frau,„wer weiß das! EineZeit lang war sie noch in dieser Gegend, nachher ging siefort und, wie es allgemein hieß, nach Amerika, undspäter soll sie sogar dort gestorben sein; die Heßberger er-zählte es wenigstens so in der Stadt. Sie hatte einenVetter in Amerika, und von dem wollte sie einen Brief er-halten haben."„Genau so, wie ich mir dachte," nickte der Staatsanwalt.„Alles, was irgend eme positive Aussage machen könnte,Europäer werden an der veralteten Weisheit des Prohibi-tivsystemS mit gewohnter Zähigkeit festhalten und werdewdabei die Partie verlieren.Aber drüben ist es endlich Zeit, daß ein frischer Zugin die Regierung und Verwaltung kommt. Wenn zweiPolitiker, wie Blaine und Cleveland, nicht recht wissen, wasmit den Ueberschüsten aus den Staatseinnahmen anzufangenist, dann scheint uns dies ein vollgiltiger Beweis dafür zusein, daß die ökonomische Staatsweishett der alten Parteienin der Union erschöpft ist. Sie mögen abtreten, um neuenParteien und neuen Gevanken Platz zu machen!Politische Ueberstcht.Uebrrflüsstge Mühe. Gewisse deutsche Zeitungen, welchedie Komödie des Druckpapierkriegs mit Rußland fortzusetzen einInteresse haben, drucken jetzt— in deutscher Ucbcrsetzung—einen angeblich von dem verstorbenen russischen Hetz- GeneralSkobelcff geschriebenen,[und jüngst vom Pariser„Figaro"veröffentlichten Brief ab, der uns über die panslawistische Ge-fahr und die russischen Welteroberungspläne beängstigende Auf-schlüsse geben soll. Wir lesen da, daß Rußland für seineWeltherrschaftsmisston den Besitz des Bosporus braucht,daß es unter allen Umständen Konstantinopel habenund die Erbschaft der Türkei antreten muß.Das ist ja sehr fürchterlich und auch sehr wahr. Aber— dasist eine sehr alte Wahrheit. Das wissen wir schon seitJahrzehnten— das wußte jeder unserer Vorfahren, der etwasvon diesen Dingen verstand, schon lange, ehe Skobeleff auf dieWelt kam. Das ist nämlich schwarz auf weiß weit deutlicherund schärfer, als es der panslawistische Konfusionsrath undSäbelraßler Skobeleff auszudrücken vermochte, in dem berühmtenoder berüchtigten„Testament Peters des Großen"niedergelegt, das seit mehr als einem Jahrhundertallen Politikern bekannt ist, und von welchem fest-steht, daß es, wenn auch nicht von Peter dem Großenherrührend, doch das von ihm und von all seinenNachfolgern bis auf den heutigen Tag genau und unverrückbareingehaltene Programm der russischen Eroberungspolitik bildet.Wozu also einen modernen, russischen Schreihals das sagenlassen, was im Testament Peters des Großen zehnmal besserund deutlicher gesagt ist? Kennen die betreffenden Blätter dasunter dem Namen Testament Peters des Großen bekannteAktenstück nicht? Für so unwissend können wir sie nicht halten.Oder glauben sie, daß Skobeleff noch nicht zu lange todt ist,um als wirksame Vogelscheuche dienen zu können, an Stelle desabgedankten Wauwaus Boulanger? Auf alle Fälle rathcn wirden betreffenden Blättem, sich das Testament Peters des Großerreinmal recht genau anzusehen und an der Hand dieses Leit-fadens die jetzige Politik des Deutschen Reichs dem Zarengegenüber zu beurtheilcn. Sie werden zu sonderbaren undsicherlich nicht sehr erfreulichen Resultaten gelangen.Die Nationaltiberale««nd da« Kozialiftengesetz.Angesichts der Thatsache, daß die neugeplanten Verschärfungendes Sozialistengesetzes ohne die Hilfe der Nationalliberalcnfehlt, und wa« uns bleibt, sind nichts als wilde Gerüchteund Vermuthungen; denn daß die Frau Heßberger selberirgend welche Auskunft geben würde, ist doch wohl nichtdenkbar."„Die?" rief die Frau Meier.„Die schlechte Person,die— eher bisse die sich die Zunge ab, ehe sie aus derSchule schwatzte! Und die weiß auch wohl, warum, dennumsonst trägt sie nicht an Sonn- und Feiertagen seideneKleider und echte Spitzen daran und einen Hut mit großenFedern auf, damit sie ja nicht so aussieht wie UnsereinsDie ist mit allen Hunden gehetzt, und ihr Mann auch, deralte Heuchler."„Na, Frau Meier," sagte der Major, der wohl einsah,daß sie jetzt alles erzählt hatte, was sie wußte,„dann gehenSie nur wieder an Ihre Arbeit; und als die Frau sichzurückzog, rief er triumphirend den Staatsanwalt an:„Ra,was sagen Sie nun? Sind das keine Beweise?"— Erschien auch seinen sonst so trostlosen Krankheitszustand reinvergessen zu haben, denn während der ganzm Zeit hatteer nicht ein einziges Mal geächzt oder gestöhnt, sondern mitder gespanntesten Aufmerksamkeit den Worten der Frau ge-lauscht.Der Staatsanwalt war aufgestanden und ein paarMal im Zimmer auf- und abgegangen. Jetzt sagte er köpf-schüttelnd:„Beweise? Nicht die blasse Spur. Dem altenFreiherrn traute ich allerdings eine solche Handlung schonzu, und schlimmere Dinge sind wirklich vorgefallen; aberdie Frau hatte auf der Welt nichts weiter gethan,als die alten Gerüchte, die damals Jahre' langwiedergekaut wurden, bestätigt. NeueS ist nicht«darin, als daß die Wartesrau in dem Wochenzimmer,während die Heßberger hinausging, allein zurück-geblieben, und hätten wir die Frau hier uud könnten siezum Reden bringen, so möchten wir allerdings Genauere«erfahren. Wenn sie aber todt oder nur nach Amerika auS-«ewandert ist, so hilft uns das alles nichts, und wir sind s»üg als vorher."„Wenn aber nun jener Mensch das kleine, neugeboreneMädchen wirklich umgebracht hätte?"