und Invalidenversicherung nicht schon offiziell und offiziös irr thümlich" verkündet worden! Daß vor vier Jahren schon Fürst Bismarck   in der feierlichen Form einer kaiserlichen Botschaft den Reichstag zur Berathung eines zweiten Etats ver­anlaßte, damit er im nächsten Herbst freie Zeit für die Lösung der Alters- und Invalidenversicherung behalte, ist ein hiſtoriſches Faktum, dessen man sich auch noch in Bu­funft erinnern wird, wenn es gilt, die geniale Art zu kenn­zeichnen, in der Fürst Bismarck die Volfsvertretung zu behandeln verstand. Von da ab hat dieses sozialpolitische Projekt vor jeder Seffion in unzähligen Artikeln gegen die Oppofitionsparteien, vor allem aber bei jeder Wahl hervorragende Dienste leisten müssen. Wenn es einstens zu Stande kommt und nur den zehnten Theil von dem leistet, was schon vorher auf seine Kosten auspofaunt ist, so muß es ein großer Segen für das Volk wer­den. Die Sache ist schwierig und muß reiflich erwogen wer den."" Das war ungefähr immer die Entschuldigung, die auf öffentliche Mahnungen und Anfragen im Reichstage erfolgte. Als ob die Sozialpolitiker der Regierung die Schwierigkeiten erst entdeckt hätten, nachdem sie bereits Jahr und Tag mit dem angeblich fir und fertigen Projekt im Parteiinteresse gewuchert hatten! Die Schnapsbesteuerung war auch überaus schwierig, die fortgesette Erhöhung der Getreidezölle hätte mindestens ebenso reiflich erwogen werden müssen, eine Vermehrung des ftehenden Heeres um 40 000 Mann auf sieben Jahr, die Aus­dehnung der Dienstpflicht bis zum 45. Lebensjahre und die Bewilligung von rund 600 Millionen Militärkrediten sind Ent­schließungen gewesen, an die man mit der größten Vorsicht und nach der reiflichsten Ueberlegung hätte herangehen sollen. Das alles aber ist in Windeseile in der Zeit gemacht worden, in welcher die Alters- und Invalidenversicherung immer noch in Vorbereitung" blieb. Die Kartellmajorität bewilligt neue Lasten des Voltes, vor denen jeder frühere Reichstag zurückge­schreckt sein würde, mit einer Eile, für die man als entsprechende parlamentarische Form eigentlich ein dreimaliges ,, Hurrah" ein­führen müßte. Die organische Besetzgebung aber wird von dieser Majorität mit einer Gleichgiltigkeit behandelt, die sich hoffentlich einft rächen wird. Der nationale" Reichstag war fast immer beschlußunfähig, wenn es sich nicht um neue Steuern, Nur Militärvorlagen oder Verfassungsänderungen handelte. diese Unfähigkeit zu ernsterer gesetzgeberischer Arbeit scheint auch der Grund zu sein, weshalb die Seffion weit früher als seit Jahren geschloffen worden ist. Wenn die maßgebenden Ber­sönlich feiten es mit der Alters- und Invalidenversicherung wirklich so ernst meinten, wie sie seit Jahren geprahlt haben, so hätten sie es einrichten können, daß zwischen Ostern und Pfingsten dieser Gesegentwurf und auch noch das Genoffen­schaftsgeset erledigt worden wären. Es mangelt aber der im Laumel der Kriegsfurcht und im Rausche einer schwindelhaften Begeisterung entstandenen Majorität, wenn nicht der gute Wille, so doch die Fähigkeit und Ausdauer zu einer Gesetzgebung, die sich nicht in einer Hurrahstimmung voll­ziehen läßt. Können wir doch erleben, daß im preußischen Landtage trotz einer endlos ausgedehnten Seffion nicht ein mal das Gesez über die Erleichterung der Volksschullasten zu Stande kommen wird.

Die Reichstagsabgeordneten von Bennigsen und Miquel find einige Tage länger in Berlin   geblieben, als es die Arbeiten des Reichstages erforderten. Auch wollen einige Hell­feher von weiteren Unterredungen Bennigsen's mit Bismarc missen. Kann schon sein. Daß die kommenden Männer" jest an's Thor pochen, fann Niemanden Wunder nehmen. Welt aber ist's höchst gleichgiltig, ob der Minister des Innern von Buttkamer oder Bennigsen, der der Finanzen Scholz oder Miquel heißt, und somit haben derartige Konferenzen fein all­gemeines Intereffe.

"

Der

Die Kontinuität der Regierungsmarimen wird in der offiziösen Preffe tagtäglich als oberste Nichtschnur gepredigt, Dagegen bemerkt sehr treffend die Voff. 3tg.":" Sollte Kaifer Friedrich danach die Pflicht haben, die Negierungsmarimen" der Vergangenheit als Wegweiser für die Zukunft zu betrachten welche Marimen" ergeben sich denn aus der Vergangenheit? Seit einem Vierteljahrhundert haben, je nach der Auffaffung fort­der Bedürfnisse durch die Staatsleitung, die Marimen während gewechselt. Man hat die Sozialdemokratie mit Wohl­wollen und mit Ausnahmegefeßen, die Gewerbe mit Freiheit und Bannrechten behandelt, grundsäßlicher Freihandel und grundsäßlicher Zollschuß haben sich abgelöst, man hat sich mit dem Papste geschlagen und vertragen, man hat ihm den preußis schen Gesandten abgenommen, da man auch keinen Gesandten bei dem armenischen Patriarchen oder dem Oberbraminen habe, und hat ihm wieder einen Gesandten geschickt; man hat die Orden verbannt und wieder zugelaffen, man hat bald direkte, bald indirekte Steuern entwickelt", bald die russische Erb­freundschaft gevriesen, bald Bündnisse gegen Rußland   gemacht und die Marime" dieser Politik? Man kann die Natio nalliberalen unterstüßen oder an die Wand drücken, fann mit den Herren v. Kleist- Regow und Genossen Lanzen brechen oder Händedrücke tauschen, fann Herrn Windthorst als reichsfeind lichen Rolin brandmarken oder ihn als einen harmlosen Schalt mit Maibowle beschütten; denn nichts ist dauernd als der

"

"

" 1

fel, oder, wie Fürst Bismarck   gesagt hat, es giebt Beiten,| fel, oder, wie Fürst Bismarck   gesagt hat, es giebt Zeiten, ren man liberal, und Zeiten, in denen man diktatorisch t muß."

einer

für 1888-89

mt der vorgestern unter dem Vorsitz des Staats­theirs von Boetticher abgehaltenen Plenarsizung er­feßer Bundesrath dem vom Reichstage angenommenen Ge­lichkeif eines Gesetzes über die unter Ausschluß der Deffent­ttfindenden Gerichtsverhandlungen und dem Entwurf fuhrbefdnung wegen Abänderung und Ergänzung der Aus­Buftimiungen zu dem Geses über die Kriegsleistungen die erklärte fich mit der weiteren Ausprägung von Einpfen standen icken zum Betrage von etwa 600 000 m. einver­Steuermegenehmigte die von den Ausschüssen für Zoll- und änderungend für Handel und Verkehr vorgeschlagenen Ab­zu dem E. Tarasäßen sowie die von denselben Ausschüssen tarif gestellt des amtlichen Waarenverzeichnisses zum Boll­fegung der Inträge. Außerdem wurde über die Wiederbe­Ausarbeitung eines Mitgliedes der Kommission für die die vom Reid Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs, über e bei der Berathung des Reichshaushaltsetats betr. Die Boller ßten Refolutionen und über eine Eingabe, Kilogramm Brung für Arrat in Flaschen von über fünfzig Der Berichwicht Beschluß gefaßt. Justizministers, den derselbe im Jahre 1882 erſtaltele, te noch der Hoffnung Ausdruck geben zu dürfen, daß sich di der Advokatur einfürchtung derer, welche von der Freigabe Rechtsanwälte propftmäßiges Anwachsen in der Zahl der der neueſte, mehrernen, nicht bestätigen würde. Leider muß te Bericht des Ministers hervorheben, daß jene Befürchtungete Bericht des Ministers hervorheben, haben, denn die End feineswegs als unbegründet erwiesen 1986, ist Anfang 188781 vorhandene Bahl der Anwalte, der preußischen Monai 2679 gestiegen. Die Seelenzahl in ist in derselben Zeit um etwa 1 100 000, alſo um 4 gerung der Bahl der Rewachsen, indeffen erscheint die Stei 35 pCt. entspricht, als unverwalte, welche 693 beträgt und der Zahl der Anwalte entfanißmäßig groß. Die Vermehrung gerichten, und davon ist Bernit 408 auf Orte mit Kollegial­hat sich seit 1882 die Bahl allein mit 172 betheiligt. Hier Anwalte um 90 pCt. vermehrt, die Einwohnerzahl ist dagegen Landgericht I war die Zahl det um 18 pCt. gewachsen. Beim zur Zeit 294. Aus dieser Steigwalte 1882 154 und beträgt der Justizminister betont, auch ng werden vielfach und, wie fammern selbst Schäden für del der Mitte der Anwalts­M waltschaft befürchtet. Als ein mifünftigen Stand der An­führung eines numerus clausus dagegen wird die Ein­Städte in Vorschlag gebracht und digstens für die großen laffung zur Anwaltschaft von einer verlangt, daß die Zu­jährigen Beschäftigung bei den Gelorangegangenen mehr werde, um zu verhüten, daß eten abhängig gemacht ernannte Affefforen in die selbstständige und verantwortungolle Stellung eines Anwalts aufrückten. Diese hier gekennz werden indeß nicht allgemein getheilt, ung wird ebenso gegen neten Befürchtungen eine Beschränkung der Freiheit der Adva ur protestirt, wie

dieselbe andererseits gefordert wird. Diegegner berartiger Maßregeln machen geltend, daß in einer Ne von Provinzen, wie Pommern  , Schleswig- Holstein  , Hannov Geffen- Nauffau, ein Anwachsen der Anwaltschaft überhaupt n stattgefunden habe, und daß sich daffelbe in der That nun den großen Städten und hauptsächlich in Berlin   gezeigt be. Indessen mache sich bereits ein Rückgang in der Neigunzur Nieder­laffung in größeren Städten geltend, denn es de sich schon iegt unter den zur Rechtsanwaltschaft übertretender ungen Ju­risten ein Zug nach fleineren Städten; dies ersche, als ein Beichen gefunder Entwickelung und berechtige zu der offnung, daß die jetzt allerdings vorhandene Ueberfüllung mit nwalten in den großen und der Mangel an denselben ing eineren Orten nach und und nach aufhören und einer richtiger Ver­theilung Play machen werde. Der Juſtizminister met es theilung Plas machen werde. dürfe dahingestellt bleiben, ob diese gute Zuversicht sich in her Butunft erfüllen werde. Jedenfalls fpreche die Thatfach für die Vertheidiger des bestehenden Zustandes, daß bereits jetzt n den oben gedachten 693 Rechtsanwalten 285 auf Drten o Kollegialgericht entfallen, 1881 famen auf solche Orte 723, fang 1887 1008 Anwalte; ferner hat sich die Zahl der aus fchließlich bei einem Amtsgericht und nicht zugleich bei einem Landgericht zugelassenen Anwalte von 197 auf 650 vermehrt, also um mehr als das Dreifache zugenommen. Diese Dezen­tralisation begünstigt die Regierung durch zeitigere Verleihung des Notariats an Anwalte, die sich in kleinen Amtsgerichtssigen niederlaffen.

Frankreich  .

Die deutsche Presse hat sich daran gewöhnt, von dem west­lichen Nachbarreich und Nachbarvolt mit einer Geringschätzung und einer Gehässigkeit zu sprechen, die uns zu einigen Bemer fungen zwingen. Wären es bloße Drgane der Reaktion und des berufsmäßigen Chauvinismus, in denen uns diese Gering­schäßung und Gehässigkeit entgegentreten, so würden wir der Sache nicht sonderlich viel Gewicht beilegen, weil von diesen Organen ja nichts anderes zu erwarten ist und jeder Urtheils­fähige weiß, was er von ihnen zu halten hat. Wenn aber auch

waltiges Hochwasser und Ueberschwemmung des Oderthales zu erwarten sein.

Londoner   Richter find gewohnt, über allerlei Gegen stände ihr Urtheil abzugeben, von der Tournüre zur Drehorgel, aber am Montag muß es, wie der Frankf. 3tg." geschrieben wird, wohl das erste Mal gewesen sein, daß die drei Lords Cotton, Lindley und Bowen über die Eigenschaften und Ver dienste einer Ballerina aburtheilten. Oder genauer gesagt, zweier Ballettänzerinnen. Es war unter den Umständen nur natürlich, daß die bewußten Damen sich vor den hochweisen und gelehrten Herren produzirten. Die eine wurde auf eine Bank gestellt und fing in furzem Gazeröckchen, das mit Blumen präch­tig geschmückt war, einen pas seul zu tanzen an, indem sie einen Strauß Maiblümchen in zierlichster Manier über dem Kopf hielt. Die Richter grinsten voll Vergnügen unter den Berrücken und verlangten gierig, Nummer 2 tanzen zu sehen. Das geschah und sofort drehte sich die Ballerina in tollem Tanze auf dem Tisch umber. Der dritte Akt bestand darin, daß ein Soldat mit einer Tänzerin auf einem Theebrett einen Walzer tanzte. Es handelte sich natürlich um einen Streit über ein Patent, denn die tanzenden Figuren find nur einen Fuß hoch Ein un Puppen, die von einem Kreisel in tanzende Bewegung ge­fegt werden. Einer der gelehrten Richter, der erklärte, er sei in feinen Knabenjahren im Kreiseldrehen sehr geübt gewesen, ver­suchte das Ding abermals, aber der Kreisel rannte gegen einen Haufen Gesezbücher und der Richter wurde für seine Mühe ausgelacht.

wie aus folgenden beglaubigten Nachrichten zu ersehen ist. Die im pommerschen Urkundenbuche abgedruckten Colbager Annalen flagen   zum Jahre 1323: 1323. In diesem Jahre war ein starter Winter, und des Winters wegen find viele gestorben, und es war ein Uebergang über das Eis von Pommern   und Mecklenburg   nach Dänemark  ." Der bekannte zuverlässige Stettiner Stadtsekretarius Paul Friedeborn   berichtet in seiner Chornit: Anno 1459 ist solch eine große felte und harter winter gewesen, daß man von Danzigt bis gen hela, aus Denne­marken biß nach Lübed, Wigmar, Rostod und Stralsund  , im gleichen aus Liefland   und Reuel in Dennemarken und Schweden  , und wieder herüber ohne alle gefahr und schaden über eiß zu fuß und pferde gehen, reiten und fahren fönnen." Derselbe berichtet weiter: Jm december des 1568ften jahres ist eine solche hefftige und bendige tälte gewesen, als ben menschen ge­denden nicht gehöret. Dann es in den Brunnen und gewölbe ten tellern gefroren. Es sind hie herumb 18 leute tot und vielen die nafen und ohren abgefroren. Ferner 1586 den 11. november ist die Oder in einer nacht, ohne vorhergehendes grundeiß, zugefroren. Bald ist ein trefflicher großer schnee dar­auf gefallen, und eine solche bendige felte erfolget, das hie und Dort leute erfroren seyn." Unter der Ueberschrift: luftig falt jahr" berichtet er:" Diß 1600fte jahr hat nicht allein einen sehr falten winter, sondern auch ein unluſtig falt vorjahr ( frühjahr) und sommer gegeben, daß man noch umb Johannis und folgender in den hundstagen die stuben heißen müssen, und der pelßze fast den gangen sommer durch nicht entraten können. Dahero das gras später berfür kommen und ist wegen mangel futter und grases, auch großer fälte und ungeschlachtes wetters, das vieh und pferde überhäuffig gestorben, in den mo raften und auf der weyde erfroren umbkommen. Es ist auch alles getrende und früchte gar späte aufflommen, böse blübzeit gehabt und langsam gereiffet und ist allererst nach Jacobi[ nach dem 25. Juli] die rockenernte angegangen, welches großen man­gel gegeben, und die im schwange gehende tewrung mercklich gehäuffet. Wein, hopfen, most, obst und andere baumfrüchte find übel gerathen." 1611 zu 12 berichtet er: hat es einen langen winter gegeben, in welchem viel schnee gefallen, daher im vorjahre große waffer von oben die Oder herunter kommen, also das es fast den brüden gleich gestanden, auch an eßlichen orthen über das bolwerd gegangen und den langen Steindamb fast gang überschwemmet und zimblich[ d. b. nach dem Sprach gebrauche jener Beit sehr" zerriffen." Darnach wird wohl auch in diesem Frühjahr, sobald die ungeheuren, in dem weiten Ddergebiete gefallenen Schneemaffen schmelzen, ein vielleicht ges

-

Von der Gotthardbahn  . Die Arbeiten an der Legung des zweiten Gleises der Gotthardbahn   nehmen einen ungestörten und gedeihlichen Verlauf. Der Tunnel bei Bolmengo geht in allernächster Zeit der Vollendung entgegen; gleich nach derselben wird mit der Ausweitung desjenigen bei Dazio begonnen und dann kommen die beiden Kehrtunnel von Freggio und Prato  . Bur Sicherung eines ungestörten Verkehrs wärend dieser Bauten ist von der Betriebsdirektion Alles gethan worden, was erforder­lich ist. Unter Anderem ist auf dem Monte Piotto in einem Schußhaufe eine besondere provisorische Telegraphen- Sentral­Station eingerichtet, von der aus telegraphische und telephonische Leitungen nach allen Arbeitsstellen gehen, so daß auf den Stationen Rodifieffo und Faido   jeder Zeit die genauesten Be richte über den Zustand der Linie vorliegen. So fährt von denselben kein einziger Bug ab, ohne daß genau festgestellt ist, ob die Linie überall frei ist. Zugleich besorgen diese Linien den Verkehr derjenigen ordentlichen Linien, die zeitweilig unterbrochen werden müffen.

Beitungen, die einer freieren Auffassung zu hulden pflegen und für Organe der Demokratie gelten, wie z. B. die Frankfurter Zeitung  ", in den nämlichen Ton verfallen, so ist allerdings zu befürchten, daß die Seuche des Chauvinismus auch in die ges sunderen Volksschichten eindringen und zu einer ernsten Gefahr für unsere nationale Entwickelung werde.

-

Seit jegt einem vollen Jahrhundert ist Frankreich   das Land der politischen Bewegung, der politischen Neuerungen par excellence ein genügender Grund für die Feindschaft aller Rückwärtser gegen ,, die Pflanzstätte der Revolution". Wohl ist es neuerdings unter dem Einflusse der Rückwärtser, die leider das Heft in den Händen haben in unserm deutschen  Vaterland Mode geworden, die freiheitliche Mission Frankreichs  zu ignoriren und seine heilsame Einwirkung auf das übrige Europa   und namentlich auch auf Deutschland   zu leugnen; allein wer in der Geschichte der legten hundert Jahre nur irgend Be­scheid weiß, der weiß, daß Deutschland   durch die französische  Revolution vor der politischen Versumpfung bewahrt wurde; daß der Anstoß zu einem frischen nationalen Leben von Frant reich kam; daß die großen deutschen   Reformen 3. B. die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Einführung des Systems der Volksvertretung der Initiative Frankreichs   zu verdanken sind, und daß in unsern Gesezbüchern sowohl als in unsern Verfaffungen -die deutsche Reichsverfassung voran die so verpönten franzöfifchen Ideen" zu finden sind und sogar die Grundlage bilden. Ohne Frankreichs   Vorgang hätten wir kein allgemeines Wahlrecht, hätten wir keinen Heichstag.

-

-

Die antisemitischen Heul- und Kraftmeier werden dies zwar entrüstet in Abrede stellen, ste sollen aber nur einmal den Fürsten Bismard fragen, woher er das suffrage universel- Rezept bezogen hat. Und noch so viele andere Rezepte, die freilich meist nicht so nüßlicher Art find denn leider hat Frankreich   auch im Schlimmen die politische Initiative gehabt; und wenn wir den Gelehrten der Norddeutschen", der Kölnischen Zeitung  ". der ,, Kreuzzeitung  ", ja selbst der Stöcker- Organe die französischen  Ideenmagazine verschließen, so würden ste vollständig bankrot sein und wie gerupfte Krähen dastehen.

Doch wir wollen uns hier nicht in allgemeine politische Betrachtungen einlaffen. Was uns die jornalistische Pflicht auf erlegt, den gehäfftigen und geringschäßigen Urtheilen über Frank­ reich   entgegen zu treten, die in der deutschen   Preffe jest Mode find, das ist die Thatsache, daß der deutsche Militarismus, dieser Eckstein oder richtiger dieses Fundament des herrschenden Reaktionssystems, auf der Vorausseßung beruht, daß Frankreich  uns anzugreifen beabsichtige.

Fällt diese Vorausseßung weg, so fällt die Berechtigung des Militarismus weg, und der loyalste Reichsphilister wird sich dagegen aufbäumen, daß die Kraft der Nation in Rüstungen erschöpft wird, die uns wirthschaftlich zu Grunde richten und politisch der Neaktion überliefern. Darum ist es vom Stand­punkt der Reaktionäre durchaus begreiflich, daß sie den Wauwau der französischen   Eroberungslust methodisch hegen und pflegen und ihm die gräßlichste Gestalt, den riefigsten Umfang zu vers leihen suchen. Die gleichen Personen, welche das Racine'sche Bitat: Wir fürchten Gott  , sonst nichts auf Erden" in grim­migem Bierbaß dem Ausland als deutsches Nationalprogramm ins Gesicht brüllen, spekuliren mit ihrem französischen Wauwau auf die Furcht des deutschen   Michels. Das ist nicht konsequent, doch es ist praktisch. Geradezu unbegreiflich ist aber, wie demo­fratische Blätter, die doch prinzipiell den Militarismus und die Reaktion bekämpfen sollten, den Wauwau herumtragen helfen und den Herren Realtionären Waffer auf ihre Mühlen leiten. Es ist das eine Verblendung, so ungeheuerlich, daß wir vor einem psychologischen Räthsel stehen.

Und was sollen wir erst sagen, wenn ein Blatt wie die Frankfurter Zeitung  " dem Wauwau Kultus zu Liebe die Ge­schichte fälscht und seinen Lesern vorredet, Deutschland   habe Frankreich   niemals angegriffen, Frankreich   dagegen Deutschland  sehr oft.

Kennt denn die Frankfurter Zeitung  " nicht den Ursprung der französischen   Revolutionsfriege. Hat fie nie von Pöllnig gehört. Hat fie nie den Feldzug in der Champagne thres Landsmannes Goethe gelesen? Und weiß sie nicht, daß aus jenen Kriegen, in denen Deutschland   der Angreifer war, die späteren Kriege der Revolution und des napoleonischen Kaiser­reichs ebenso naturnothwendig entsprangen, wie später der Krieg von 1870-71 aus dem Krieg von 1866?

Dder meint etwa die Frankfurter Beitung", in Pöllnitz itten sich blos Desterreicher und Preußen gegen Frankreich   ver voren, und nicht Deutsche  ? Dann hätten wir freilich an Slle der Fälschung blos ein Meßbudenkunststückchen.

An den Kämpfen zwischen Germanen und Galliern, Deuchen und Franzosen haben die einen so viel Schuld wie die asern und wenn im 16., 17. und zu Anfang des 18. Jahr hunder, die Franzosen   uns gegenüber aggrefftver waren als wir gegn fie, so hat das seinen Grund in dem Umstand, daß die Franssen zu jener Beit schon einen starken Einheitsstaat bildeten, tährend wir Deutsche   uns gegenseitig zerfleischten und den Einheitstaat erst von den Franzosen zu lernen hatten. Die französische   Monarchie machte sich die Berriffenheit Deutschlands  zu Nuß au wie die verschiedenen deutschen   Monarchien gau fich gleichzeitig die Schwäche ihrer Nachbarn zu Nuß   machten. Und der rankfurier Beitung" sollte doch auch nicht un­bekannt sein, da die Regierungskunst Ludwigs XIV., unter der Deutschland   se schwer zu leiden hatte, von sämmtlichen deutschen Fürsten nach Kräften nachgeahmt wurde.

-

Daß es bei der Karrikatur blieb, war nicht die Schuld der Franzosen  .

Sprechsaal.

Die Redaktion stellt die Benutzung des Sprehsaals, soweit Raum dafür abzugeben ift, dem Publikum zur Besprechung von Angelegenheiten allgemeinen Interesses zur Berfügung; fie verwahrt sich aber gleichzeitig dagegen, mit dem Inhalt desselben identifizirt zu werden.

Die vereinigte Lacirer Jnnung erläßt in der Donnerstag Nummer des, Lokal- Anzeiger" folgende angebliche Richtigstellung des Referats der am 24. März stattgefundenen Versammlung der Lackirergehilfen. Die Innung hat befchloffen, die Forde rung der Gehilfen in Betreff der 10stündigen Arbeitszeit, Er höhung des Lohnes für Nacht- und Sonntagsarbeit zu geneh migen, hingegen den verlangten Tagesminimallohn und Erhöh ung des Lohnes für Nachfeierabendarbeit der freien Vereins barung zu überlaffen und die Unterschrift zu dem Tarif zu vers weigern. Dahingegen erklären die Gehilfen, konsequent an dem Fordern der Unterschrift festzuhalten, da sonst durch die freie Vereinbarung" in Betreff des Minimallohns Alles beim Alten bleiben würde. Dadurch, daß die Herren nicht gesonnen sind, die Regelung der Lohnfrage zu akzeptiren, zeigen sie, daß ste absolut nichts für die Hebung der Lage der Gehilfen thun wollen. Eigentlich, sollte man meinen, müßten sich die Herren geniren, nachdem fie fich geweigert, einen Minimal- Lohn Don 33 Pfennigen pro Stunde bei durchschnittlich 7monatlicher Beschäftigung der Arbeiter in Jahre zu zahlen, einen 20 prozentigen Preisaufschlag eintreten zu laffen, was den Herren einen großartigen Profit einbringen muß. Was die Garantie betreffs mündlicher Verpflichtung an= belangt, beweisen einige Beispiele. In der Versammlung der Gehilfen, in welcher beschlossen wurde, den Tarif durchzusetzen, erklärten fich die in derselben anwesenden Meister freiwillig bereit, den Tarif zu akzeptiren; troßdem haben die der Innung ange­hörigen Meister auf Versammlungsbeschluß der Innung ihr in öffentlicher Versammlung gegebenes Wort zurückgenommen. Wenn nun ein dauernder Erfolg erzielt werden soll, so fordern wir alle Kollegen auf, fonsequent an dem Fordern der Unter schrift festzuhalten. Im Auftrage der Lohnkommission: G. Wallsdorf.